Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 22.12.2005, Az.: 4 B 5346/05
Genehmigungsfähigkeit landwirtschaftlicher Lagerstätten in unmittelbarer Nachbarschaft von Wohngebieten; Bauordnungspflichtigkeit des Pächters eines Grundstückes; Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Verwaltungsprozess
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 22.12.2005
- Aktenzeichen
- 4 B 5346/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 34223
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2005:1222.4B5346.05.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 61 S. 3 BauO,NI
- § 80 Abs. 1 VwGO
- § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO
- § 80 Abs. 5 VwGO
Verfahrensgegenstand
Bauaufsichtliche Ordnungsverfügung
Redaktioneller Leitsatz
Das Rücksichtnahmegebot gilt auch im Außenbereich und verbietet "schikanierende Baumaßnahmen", die nur dem Zweck dienen, Nachbarnutzungen negativ zu beeinträchtigen.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 4. Kammer -
am 22. Dezember 2005
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller bewirtschaftet die im Eigentum seines Vaters stehende Hofstelle ....straße 36 in.....Im Juli und Anfang November 2005 wurde örtlich festgestellt, dass er auf dem Flurstück 199/18 der Flur 5 auf einer Gesamtlänge von ca. 80 m, davon ca. 35 m einlagig und auf einer Länge von ca. 45 m in drei Lagen und ca. 4,5 m hoch Heuballen lagert. Das im Außenbereich liegende Flurstück grenzt südlich an ein mit Wohnhäusern bebautes Neubaugebiet.
Nach Anhörung verfügte der Antragsgegner mit Bescheid vom 8. November 2005 gegenüber dem Antragsteller, die Lagerstätte zu räumen und die Heuballen bis zum 30. November 2005 zu entfernen. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Dem Antragsteller wurde die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,- Euro angedroht. Die Lagerstätte sei formell baurechtswidrig, da diese genehmigungspflichtig und dem Antragsteller keine Baugenehmigung erteilt worden sei. Das Vorhaben sei zudem planungsrechtlich unzulässig. Es diene keinem landwirtschaftlichen Betrieb. Die Hofstelle liege an der ....straße. Es sei zumutbar, die Lagerstätte dort zu errichten. Auch landwirtschaftliche Betriebe hätten das Gebot einer flächenschonenden Außenbereichsnutzung zu beachten. Dem Vorhaben stünden öffentliche Belange entgegen. Bei einer dauerhaften Heulagerung sei davon auszugehen, dass die angrenzende Wohnbebauung durch Gerüche beeinträchtigt werde. Eine Baugenehmigung könne deshalb nachträglich nicht erteilt werden. Nach § 61 Satz 3 NBauO sei der Antragsteller als Pächter bauordnungspflichtig. Die sofortige Vollziehung sei anzuordnen, da durch die Einlegung von Rechtsmitteln der eigenmächtig geschaffene rechtswidrige Zustand anderenfalls auf lange Zeit verfestigt würde und Vorbildwirkung haben könne.
Der Antragsteller hat am 25. November 2005 Widerspruch erhoben und am 29. November 2005 um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Die Lagerung von Heuballen auf freiem Feld sei in der Landwirtschaft üblich. Er habe ca. 300 Ballen in der Nähe des Betriebsgebäudes gelagert und diese so abgestellt, dass sie bei Futterbedarf leicht zu erreichen seien und zügig transportiert werden könnten. Der unmittelbare Hofraum werde dadurch nicht blockiert. Auch werde die Brandgefahr für die Hofstelle minimiert. Es handele sich auch nicht um einen Lagerplatz. Die Heuballen würden nur vorübergehend dort gelagert, da diese jetzt als Winterfutter nach und nach verbraucht würden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei unverhältnismäßig. Der Vorgang sei dem Antragsgegner seit Monaten bekannt. Durch eine sofortige Vollziehung würden Fakten geschaffen, die eine richtige Entscheidung in der Hauptsache vereiteln würden. Er hätte durch den sofortigen Abtransport auch erhebliche wirtschaftliche Nachteile. Maschinell sei er nicht darauf eingerichtet, so viele Heuballen in kurzer Zeit umzusetzen. Die Lagerung an einer anderen Stelle käme nicht in Betracht, da nach Ansicht des Antragsgegners auch dafür die erforderliche Baugenehmigung fehlen würde. Die Heuballen würden durch ein Umsetzen beschädigt und ein Großteil des Futters dadurch vernichtet. Der Wintervorrat habe einen Wert von rund 5.000,-- Euro.
Der Antragsgegner tritt dem Vorbringen entgegen. Über den Vorgang sei mehrfach in den Medien berichtet worden. Dabei sei deutlich geworden, dass die Lagerung nicht nur vorübergehend und für die Winterfütterung erfolgen solle, sondern der Antragsteller sich gegen eine heranrückende Wohnbebauung wende.
Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist unbegründet. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde - wie hier - im öffentlichen Interesse gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehbarkeit besonders angeordnet hat. Das Gericht kann auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Dabei ist auf Grund einer Abwägung der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Interessen darüber zu entscheiden, ob die angefochtene Verfügung trotz des erhobenen Widerspruchs sofort oder erst nach ihrer bestandskräftig gewordenen Bestätigung vollzogen werden darf. Maßgeblich sind dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache. Stellt sich die angegriffene Verfügung nach summarischer Überprüfung als offensichtlich rechtswidrig dar, besteht regelmäßig kein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung. Umgekehrt ist bei einer offensichtlich rechtmäßigen Verfügung und hinreichenden Begründung des öffentlichen Interesses an einer sofortigen Vollziehung regelmäßig davon auszugehen, dass das Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse zurückzutreten hat.
So liegt der Fall hier. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage gibt die Verfügung vom 8. November 2005 keinen Anlass zu einer rechtlichen Beanstandung. Rechtsgrundlage für die angefochtene Verfügung ist § 89 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NBauO. Danach kann der Antragsgegner als Bauaufsichtsbehörde die Ausführung erforderlicher Arbeiten verlangen, sofern bauliche Anlagen oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht widersprechen. Zunächst stellt das Heulager eine bauliche Anlage im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 8 NBauO dar. Danach sind Lagerplätze, auch wenn sie nicht aus Bauprodukten hergestellt sind, bauliche Anlagen. Ein derartiger Platz kann schon einfach dadurch entstehen, dass jemand eine im Freien gelegenen Fläche, über die er verfügt, zum Lagern, Abstellen oder Aufstellen irgendwelcher Sachen in Gebrauch nimmt. Es genügt allerdings nicht, dass ein Gegenstand nur gelegentlich (also nicht wiederholt) für kurze Zeit an einem Ort abgestellt wird. Von einem Lagerplatz ist üblicherweise erst die Rede, wenn sich die Zweckbestimmung erkennbar "verfestigt" hat (Große-Suchsdorf, Lindorf, Schmaltz, Wiechert, NBauO, 7. Auflage, § 2 Rdnr. 23 m.w.N.). Planungsrechtlich gelten Lagerstätten nach § 29 Abs. 1 BauGB als im Sinne von §§ 30 ff. BauGB relevante Vorhaben. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist hier von einer Lagerstätte auszugehen. Sein Einwand, dass er die Fläche nur zeitweilig zum Abstellen von Heuballen nutze, da diese als Winterfutter nach und nach verbraucht würden, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Begriff "Lagerstätte" enthält zwar ein Element der Dauerhaftigkeit. Dieses bezieht sich jedoch auf die Nutzung als Lager- oder Abstellplatz, nicht auf die jeweils gelagerten Gegenstände (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 4. April 2003 - 3 M 216/02 - Juris m.w.N.). An der Dauerhaftigkeit der Nutzung zum Abstellen der Heuballen bestehen hier keine Zweifel. Bereits im Juli diesen Jahres wurde an dem Standort ein ca. 45 m langes und ca. 4,5 m hohes Heuballenlager festgestellt. Dieses wurde nachfolgend noch um eine ca. 35 m lange einreihige Lagerstätte erweitert. Aus dem Vorbringen des Antragstellers ist auch zu entnehmen, dass die Lagerstätte regelmäßig genutzt werden soll.
Es kann offen bleiben, ob die Lagerstätte genehmigungspflichtig im Sinne von § 68 NBauO ist oder ob die Voraussetzungen des § 69 NBauO i.V.m. Nr. 11.4 Anhang zu § 69 NBauO erfüllt sind, wonach vorübergehend genutzte, unbefestigte Lagerplätze für landwirtschaftliche und erwerbsgärtnerische Erzeugnisse, wie Kartoffel-, Rübenblatt- und Strohmieten keiner Baugenehmigung bedürfen. Nach § 69 Abs. 6 NBauO müssen genehmigungsfreie Baumaßnahmen die Anforderungen des öffentlichen Baurechts ebenso wie genehmigungsbedürftige Baumaßnahmen erfüllen.
Hier erfüllt das Vorhaben die planungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 35 BauGB nicht. Das Grundstück liegt im Außenbereich. Das Vorhaben ist nicht nach § 35 Abs. 1 Ziff. 1 BauGB als dem landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers dienend privilegiert. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des angefochtenen Bescheides vom 8. November 2005 gemäß § 117 Abs. 5 VwGO verwiesen. Bauliche Anlage für landwirtschaftliche Betriebe sind - soweit dafür keine betriebliche Notwendigkeit besteht - möglichst an einem Standort zu konzentrieren. Dieses folgt aus dem Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs und ist hier gerade nicht erfolgt. Es ist nicht dargelegt oder ersichtlich, warum nicht an dem früheren Standort die Heulagerung weiterhin erfolgen kann. Es sind keine nachvollziehbaren betrieblichen Gründe dargelegt worden, warum gerade an dem jetzt gewählten Standort die Heuballenlagerung erfolgen muss. Sinnvoller erscheint es, in Stallnähe die Heuballenlagerung vorzunehmen, um die Transportwege möglichst kurz zu halten. Das Vorhaben beeinträchtigt öffentliche Belange. Das Gebot der Rücksichtnahme wird durch die Baumaßnahme beeinträchtigt. Das Rücksichtnahmegebot enthält auch ein Verbot "schikanierender Baumaßnahmen", die im Wesentlichen dem Zweck dienen, Nachbarnutzungen negativ zu beeinträchtigen. So liegt der Fall hier. Den Presseveröffentlichungen ist zu entnehmen, dass der Antragsteller bzw. sein Vater sich auf vielfältige Weise gegen die "heranrückende Wohnbebauung" zur Wehr gesetzt haben. Durch die "Heuballenwand" wird eine dem Außenbereich wesensfremde bis zu 4,5 m hohe Einfriedung geschaffen, die die Blickmöglichkeiten und Wohnnutzungen auf den angrenzenden Grundstücken erheblich negativ beeinträchtigt. Dieses ist auf Grund der in den Verwaltungsvorgängen vorhandenen Fotografien ohne weiteres nachvollziehbar. Damit wird auch die natürliche Eigenart der Landschaft gem. § 35 Abs. 3 Ziff. 5 BauGB beeinträchtigt. Der Außenbereich soll von nicht privilegierten baulichen Anlagen freigehalten werden.
Die Beseitigungsanordnung ist auch verhältnismäßig. Sie ist geeignet, erforderlich und angemessen, um einen baurechtmäßigen Zustand wieder herzustellen. Soweit der Antragsteller auf den Zeitablauf verweist, hat der Antragsgegner abgewartet, ob tatsächlich eine Verfütterung in nennenswertem Umfang erfolgen wird. Tatsächlich wurden bis Anfang November 2005 noch zusätzliche Heuballen in den Bereich verbracht, ohne dass dafür eine betriebliche Notwendigkeit nachvollziehbar dargelegt worden wäre.
Die Frist für die Beseitigung war auch angemessen. Warum der Antragsteller nicht mit maschinellen Mitteln die Heuballen innerhalb der Frist umsetzen konnte, hat er nicht nachvollziehbar dargelegt. Nach dem Fristablauf ist allerdings eine neue Frist durch den Antragsgegner zu bestimmen. Auch ist nicht substantiiert dargelegt, dass die Heuballen durch ein Umsetzen beschädigt würden und das Futter unbrauchbar wäre. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist gemäß § 80 Abs. 3 VwGO unter Hinweis auf die Vorbildwirkung und die rechtswidrige Nutzung während eines möglichen Rechtsmittelverfahrens hinreichend begründet worden. Die Zwangsgeldandrohung ist dem Grunde und der Höhe nach unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53, 63 GKG und orientiert sich der Höhe nach an dem Regelstreitwert, der auf Grund der Vorläufigkeit der Entscheidung zu halbieren ist.
Wörl
Ahrens