Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 14.12.2005, Az.: 11 A 1315/04

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
14.12.2005
Aktenzeichen
11 A 1315/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 43259
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2005:1214.11A1315.04.0A

Amtlicher Leitsatz

Eine langjährige Tätigkeit als Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees einer Sowchose war für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam. Bei diesem Personenkreis ist die Spätaussiedlereigenschaft nach § 5 Nr. 2 b BVFG ausgeschlossen (Anschluss an OVG Münster, Urteil vom 23. August 2002 - 2 A 4618/99 - juris).

Tatbestand

1

Der am 25. April 1950 geborene deutschstämmige Kläger lebte im Gebiet der Republik Kasachstan. Er war dort in einer Sowchose beschäftigt. In seinem Arbeitsbuch ist eingetragen, dass er von September 1983 bis Dezember 1990 sowie seit März 1992 Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees des Betriebes gewesen ist.

2

Am 30. März 1992 beantragten er und seine Familie (Ehefrau sowie zwei Söhne) die Aufnahme als Aussiedler. Mit Bescheid vom 9. März 1995 nahm das Bundesverwaltungsamt die Ehefrau und die Söhne des Klägers als Spätaussiedler auf. Mit einem weiteren Bescheid vom 9. März 1995 lehnte das Bundesverwaltungsamt dagegen die Aufnahme des Klägers im Hinblick auf seine Tätigkeit als Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees seines Betriebes ab.

3

Am 22. Mai 1995 reisten der Kläger und seine Familie in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 3. Juli 1996 erhielten die Ehefrau des Klägers und einer der Söhne eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG.

4

Der Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung seiner Aufnahme ist mit Widerspruchsbescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 27. Mai 1997 zurückgewiesen worden. Hiergegen hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben (6 K 5783/97). Aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs hat das Bundesverwaltungsamt den Kläger mit Bescheid vom 11. Februar 2003 aus Härtegründen nachträglich in den Aufnahmebescheid seiner Ehefrau einbezogen.

5

Bereits am 23. November 1995 hat der Kläger bei dem Beklagten die Erteilung einer Bescheinigung als Spätaussiedler gem. § 15 Abs. 1 BVFG beantragt.

6

Mit Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2003 ist dem Kläger lediglich eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ausgestellt, die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG jedoch abgelehnt worden. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger erfülle wegen seiner Tätigkeit als hauptamtlicher Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees seiner Sowchose den Ausschlussgrund des § 5 Nr. 2 b BVFG. Er sei damit ein leitender Gewerkschaftsfunktionär gewesen. Diese herausgehobene Stellung habe er nicht ohne Bindung an das totalitäre System seines Herkunftslandes erhalten können. Das für deutsche Volkszugehörige grds. anzunehmende Kriegsfolgenschicksal sei somit wegen des Schutzes durch das System unterbrochen worden.

7

Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers ist mit Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 1. März 2004 zurückgewiesen worden. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Gewerkschaften in der Sowjetunion seien nicht mit den Arbeitnehmerorganisationen in freiheitlichen Systemen vergleichbar. Hinsichtlich der Durchsetzung der Interessen der Berufstätigen hätten diese lediglich Alibifunktionen besessen. Die Gewerkschaften hätten vielmehr der Festigung des Herrschaftssystems gedient. Man habe durch sie die Meinungsströme innerhalb der werktätigen Bevölkerung erkunden wollen. Funktionärsposten seien nur mit zuverlässigen Parteimitgliedern besetzt worden. Falls die Person nicht in der Partei sei, spreche dies erst recht für ihre Linientreue. Demokratisch anmutende Wahlen in der ehemaligen Sowjetunion seien manipuliert worden.

8

Am 23. März 2004 hat der Kläger Klage erhoben.

9

Er trägt im Wesentlichen vor: Er sei kein hauptamtlicher Vorsitzender eines Gewerkschaftskomitees gewesen. Er habe das Amt während der Schlussphase der Sowjetunion zu Zeiten von Glasnost und Perestroika unter Gorbatschow übernommen. Damals sei der Wechsel zu einem demokratischen System eingeleitet worden. Es sei erklärtes Ziel der Regierung Gorbatschow gewesen, die Macht der KPdSU aufzuheben und ihren Machtanspruch zu mindern. Die bestehenden Strukturen seien demokratischen Zielen verpflichtet worden, wenn auch lediglich ein langsamer Wandel festzustellen sei. Nach einem Gutachten des Instituts für Ostrecht für das Verwaltungsgericht Hamburg vom 27. Januar 2005 müsse die Zeit ab 1985 als Gorbatschow erster Sekretär KPDSU geworden sei differenziert bewertet werden. Spätestens ab 1987 könne nicht mehr von einem totalitären System gesprochen werden. Eine herausgehobene Tätigkeit könne zudem nur bei einer Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei angenommen werden. Er sei jedoch nicht Mitglied dieser Organisation gewesen und habe deshalb in der Gewerkschaft nur einen niederen Rang gehabt. In dem Beschluss vom 23. Januar 2004 - 5 B 6.03 - habe das Bundesverwaltungsgericht nicht einmal die Tätigkeit als Sowchos-Direktor für ausreichend erachtet. Die von dem Beklagten angeführte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster betreffe den Zeitraum 1977/1978.

10

In einer persönlichen Stellungnahme vom 29. Juli 2004 hat der Kläger ausgeführt, dass er Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees der Sowchose gewesen sei, nicht jedoch hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär im Betrieb. Dieses Amt sei beim Bezirk angesiedelt gewesen. Seine Aufgabe habe darin bestanden, die Interessen der Mitglieder zu schützen. Er habe sich um Kultur- und Ferienmöglichkeiten gekümmert, Kuranträge bearbeitet, Kurbehandlungen organisiert, Krankenstände kontrolliert sowie Entschädigungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ausgezahlt. Außerdem habe er für die Verteilung von Wohnräumen und Kindergartenplätzen gesorgt. Schließlich habe er Arbeitsrechtstreitigkeiten verhandeln müssen. Er sei nie dem Leiter der Sowchose oder dem Sekretär des Parteikomitees unterstellt gewesen, sondern der Bezirksgewerkschaftsorganisation. Es habe allerdings Druck der Direktoren und des Parteikomitees auf ihn gegeben.

11

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu erteilen und den Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 1. März 2004 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

12

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Er erwidert im Wesentlichen: § 5 Nr. 2 b BVFG setze voraus, dass die Funktion für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam gewesen sei, unabhängig davon, ob dies im Einzelfall tatsächlich festgestellt werden könne. In der Rechtsprechung sei geklärt, dass die Funktion eines hauptamtlichen Parteifunktionärs auch auf unterster Ebene ausreiche. Für die Durchsetzung des Machtanspruchs der KPdSU sei gerade auch die Kontrolle der unteren Ebene erforderlich gewesen. Dem gleichen Zweck dienten die Gewerkschaften als staatlich gelenkte Erfüllungsgehilfen. Sie seien Machtinstrumente der Partei gewesen. Sie hätten auf der untersten Ebene die jeweilige Belegschaft zur Durchsetzung der Ziele der Partei mobilisieren müssen. Daher würden, wie schon das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden habe, auch Gewerkschaftsfunktionäre auf Betriebsebene regelmäßig von dem erwähnten Ausschlusstatbestand erfasst. Die fehlende Parteizugehörigkeit ändere hieran nichts. Unerheblich sei, dass der Kläger sein Amt zum Teil während der Ära Gorbatschow inne gehabt habe. Entscheidend sei, dass er die Funktion vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftsregimes am 7. Februar 1990 übernommen und sie mehr als eine unbedeutende Zeitdauer ausgeübt worden sei. Die Tätigkeit des Klägers sei auch nicht ausschließlich oder auch nur überwiegend in der Endphase der ehemaligen Sowjetunion erfolgt. Der vom Kläger angeführte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Januar 2004 sei nicht einschlägig. Er stütze eher die Auffassung des Beklagten, weil gerade der hauptamtliche Gewerkschaftssekretär als eine der maßgeblichen Personen für die politischen Angelegenheiten des Betriebes angesehen werde.

14

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG. Maßgeblich ist - soweit hier von Bedeutung - die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufnahme des Klägers im Februar 2003 (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Februar 2002 - 5 C 45.01 - BVerwGE 116, 119 ff.; BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 17.00 - BVerwGE 114, 116117 f.).

16

Der Kläger hat hiernach die Rechtsstellung als Spätaussiedler nicht erworben. Nach § 5 Nr. 2 b BVFG in der seit dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung ist dies ausgeschlossen, wenn der Betroffene in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystemsgewöhnlich als bedeutsam galt oder aufgrund der Umstände des Einzelfalles war.

17

Im Falle des Klägers ist auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit als Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees seiner Sowchose jedenfalls die erste Alternative der Vorschrift erfüllt. Die Regelung soll den Betroffenen nicht wie in den Fällen des § 5 Nr. 1 und 2 a BVFG wegen dessen Unwürdigkeit aus dem Kreis der Spätaussiedler ausschließen. Maßgeblich ist vielmehr, dass derjenige, der in den Aussiedlungsgebieten eine in § 5 Nr. 2 b BVFG beschriebene Funktion ausgeübt hat, den Schutz des kommunistischen Herrschaftssystems genossen hat. Dadurch ist das vom Gesetzgeber bei deutschen Volkszugehörigen grundsätzlich vermutete seit Ende des Zweiten Weltkrieges bestehende Verfolgungsschicksal unterbrochen worden. Eine ggf. neu entstehende Gefahrenlage wäre nicht mehr Folge des Krieges (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 a.a.O:S. 119).

18

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass hauptamtliche Funktionäre der KPdSU - unabhängig auf welcher Ebene - diese Voraussetzungen erfüllen. Die KPdSU hatte in Theorie und Verfassungswirklichkeit die führende Rolle in der sowjetischen Gesellschaft. Dieser Machtanspruch sollte bis in die unterste staatliche und auf betrieblicher Ebene durchgesetzt werden (vgl. BVerwG a.a.O.S. 119 f.; Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 26.00 -juris).

19

Dies gilt zur Überzeugung der Kammer gleichermaßen bis in die untere Funktionsebene der Gewerkschaften, also auch für den hauptamtlichen Gewerkschaftskomiteevorsitzenden eines Betriebes wie den Kläger.

20

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat hierzu mit Urteil vom 23. August 2002 - 2 A 4618/99 - ausgeführt:

21

"Unter § 5 Nr. 2 b BVFG fällt auch die Tätigkeit als Vorsitzender des Arbeitskomitees, das heißt der Gewerkschaft des W. Holzgewinnungsbetriebes, die der Kläger zu 1) ausweislich seines Arbeitsbuches vom 12. Mai 1977 bis 2. Oktober 1978 ausgeübt hat. Welche Funktionen im Sinne des § 5 Nr. 2 b BVFG gewöhnlich als bedeutsam galten, beantwortest sich nach den zur Zeit des kommunistischen Herrschaftssystems herrschenden politischen und rechtlichen Auffassungen im Aussiedlungsgebiet. Diese waren in der ehemaligen Sowjetunion geprägt durch die führende Rolle, die der KPdSU in Staat und Gesellschaft zukam. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der sowjetischen Verfassung vom 7. Oktober 1977 (Verf 1977) bezeichnete die KPdSU als "die führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft" und den "Kern ihres politischen Systems, der staatlichen und gesellschaftlichen Organisation". Dem entsprach auch die Verfassungswirklichkeit in der Sowjetunion (vgl. Meissner, in Handbuch der Sowjetverfassung red. v. Fincke (Berlin 1983), Art. 6 Rz 8 ff.

22

Folgerichtig war die KPdSU auch auf allen territorialen Ebenen der Unionsrepubliken bis hinunter zu den Rayons und den ländlichen Ortschaften, Siedlungen, Stadtbezirken und Kleinstädten mit Parteikomitees, Büros und Sekretariaten vertreten, um ihren Führungsanspruch bis auf die unterste staatliche Ebene hinab zur Geltung zu bringen. Zur Durchsetzung ihrer führenden Rolle hatte sich die Partei einen mit hauptamtlich tätigen Funktionären besetzten Apparat geschaffen, der zusammen mit den Parteiorganen das Herzstück des kommunistischen Herrschaftssystems bildete (vgl. Voslensky, Nomenklatura (3. Aufl. 1987), S. 171 f.).

23

Damit sind aber die Funktionen, die in der ehemaligen Sowjetunion für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsam waren, nicht abschließend beschrieben. Um die allumfassende Herrschaft der Partei abzusichern und den Parteiwillen unbeschränkt durchzusetzen, bedurfte es weiterer Organisationen, die nach der politischen Doktrin und der Verfassungswirklichkeit in den gesellschaftlichen Bereich hineinwirkten und für das politische System eine wichtige stabilisierende Funktion ausübten. Gemäß Art. 7 Verf. 1977 beteiligen sich die Gewerkschaften, der Leninsche kommunistische Bundesverband der Jugend, die genossenschaftlichen und anderen gesellschaftlichen Organisationen in Übereinstimmung mit ihren satzungsmäßigen Aufgaben an der Leitung und Verwaltung der staatlichen und gesellschaftlichen Angelegenheiten und an der Lösung politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Fragen. Dafür werden ihnen die Bedingungen für die erfolgreiche Erfüllung ihrer im Statut verankerten Aufgaben staatlich garantiert ( Art. 51 Abs. 2 Verf. 1977). Diese Verfassungsbestimmungen drücken den Grundsatz der wechselseitigen Unterstützung von Partei- bzw. Staatsapparat und gesellschaftlichen Organisationen aus. Sie zeugen zugleich von der gestiegenen Bedeutung der gesellschaftlichen Organisationen für das politische System insgesamt (vgl. Luchterhandt, in Handbuch der Sowjetverfassung, a.a.O., Art. 7 Rz 3.)

24

Hauptaufgabe der gesellschaftlichen Organisationen für das Herrschaftssystem ist ihre Mobilisierungs- und Propagandafunktion. Zurückgehend auf Lenin sind die gesellschaftlichen Organisationen als "Hebel", "Zahnräder" oder "Transmissionen" bezeichnet worden. Damit wurde ihre Aufgabe veranschaulicht, den Willen der Parteiführung auf die Massen zu übertragen und sie zur Durchführung der Direktiven in Bewegung zu setzen. Ferner sollten die gesellschaftlichen Organisationen die Erfüllung der Parteidirektiven, Pläne und Rechtsnormen beobachten und die Einhaltung der "sozialistischen Gesetzlichkeit" überwachen. Ihnen kam insoweit auch eine Kontrollfunktion zu (vgl. Luchterhandt in Handbuch der Sowjetverfassung, a.a. O., Art. 7 Rz 19 f.).

25

Funktionsfähig war dieses System deshalb, weil alle gesellschaftliche Organisationen das Prinzip der führenden Rolle der Partei anerkannt hatten. Bei den Massenorganisationen war er ihrer Bedeutung entsprechend am stärksten, wobei die Parteiorgane sich auch in die laufenden Tätigkeiten ständig einschalteten (vgl. Luchterhandt in Handbuch der Sowjetverfassung, a.a.O., Art. 7 Rz 14.).

26

Entsprechend den für alle gesellschaftliche Organisationen geltenden Grundsätzen hatten die Gewerkschaften in ihren Aufgabenbereichen (Arbeit, Soziales, Kultur) in erster Linie für die Durchführung der Beschlüsse der Partei- und Staatsführung zu sorgen. Daneben oblag ihnen die propagandistische Indoktrination der Arbeiter und Angestellten (vgl. Luchterhandt in Handbuch der Sowjetverfassung, a.a.O., Art. 7 Rz 32; Gutachten des Osteuropa-Instituts München, a.a.O., S.2 f.).

27

Diese Aufgaben zu erfüllen oblag in personeller Hinsicht naturgemäß in erster Linie dem hauptamtlichen Funktionärsapparat. Sie waren es, die in ihrem Bereich, ähnlich den hauptamtlichen Parteifunktionären des Parteiapparates, für eine effektive Aufgabenerfüllung Sorge zu tragen hatten. Dies rechtfertigt es, die Funktion eines hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionärs, ebenso wie die eines hauptamtlichen Parteifunktionärs, als für das kommunistische Herrschaftssystem gewöhnlich als bedeutsam im Sinne des § 5 Nr. 2 b) BVFG anzusehen. Da eine Umsetzung des Parteiwillens insbesondere auch auf der untersten Ebene wesentlich war, ist auch das Innehaben einer entsprechenden Funktion auf Betriebsebene, wie sie der Kläger zu 1. ausgeübt hat, von dem Ausschlusstatbestand erfasst."

28

Diesen überzeugenden Erwägungen (vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 25. Oktober 2002 - 2 A 958/01 -juris) schließt sich das erkennende Gericht an. Ihre Richtigkeit wird durch die maßgebliche Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/1636, S. 175), wonach auch Berufsfunktionäre der kommunistischen Massenorganisationen zur Aufrechterhaltung des sowjetischen Herrschaftssystems bedeutsam waren, bestätigt.

29

Nach dem Gutachten des Osteuropa-Instituts für das Bundesverwaltungsamt vom 8. April 1999 (S. 2 f.) war es Aufgabe der Gewerkschaften in der Sowjetunion, möglichst viel Leistung aus den Arbeitern herauszuholen und dadurch die kommunistischen Machthaber zu unterstützen. Dieses Ziel sollte bis in die Grundorganisationen, also Fabriks-, Werks- oder sonstige örtliche Komitees, u.a. durch propagandistische Indoktrination der Arbeitnehmerschaft verfolgt werden. Die Tätigkeit als Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees eines Betriebes lässt nach Einschätzung des Gutachters auf eine hohe Verbundenheit mit dem totalitären System der Sowjetunion schließen.

30

Die Einwände des Klägers vermögen eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen.

31

Ob der Kläger, wie er vorträgt, der Kammer allerdings nach dem erwähnten Gutachten des Osteuropa-Instituts zweifelhaft erscheint, kein Mitglied der KPdSU gewesen ist, kann dahinstehen. Die Anwendung des § 5 Nr. 2 b BVFG setzt die Zugehörigkeit zur KPdSU nämlich nicht voraus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 2004 - 5 B 6.03 -juris).

32

Dass Direktoren von Sowchosen oder mittlerer Wirtschaftsbetriebe nach Urteilen des OVG Münster vom 27. Juni 2003 (2 A 4150/01) und 25. Oktober 2002 (2 A 958/01 - juris), gegen die jeweils die Revision auch vom Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen worden ist (vgl. Beschluss vom 21. Januar 2004 - 5 B 96.03 -juris; Beschluss vom 23. Januar 2004 a.a.O.), nicht generell unter den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 b BVFG fallen, steht der Beurteilung der Kammer nicht entgegen. Es handelt sich insoweit um in erster Linie wirtschaftliche Funktionsträger, die nicht unmittelbar die Ziele der Partei zu verfolgen hatten und denen gerade deshalb ein hauptamtlicher Partei- und Gewerkschaftssekretär zur Seite gestellt worden sind.

33

Dass der Kläger seine Funktion als Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees seiner Sowchose auch noch nach der Amtsübernahme von Gorbatschow im Frühjahr 1985 ausgeübt hat, ist ebenfalls ohne maßgebliche rechtliche Bedeutung. Er hat diese Aufgabe nach seinem Arbeitsbuch nämlich bereits erheblich vorher, im September 1983, übernommen. Maßgeblich ist insoweit, dass die von § 5 Nr. 2 b BVFG erfasste Funktion (während der kommunistischen Herrschaft) nicht von so kurzer Zeitdauer gewesen ist, dass die gesetzliche Annahme der Unterbrechung des gesetzlichen Kriegsfolgenschicksals offensichtlich und eindeutig nicht zu rechtfertigen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 17.00 - BVerwGE 114, 116120 f.). Der Kläger hat die hier in Rede stehende Tätigkeit bei der Amtsübernahme Gorbatschows jedoch bereits etwa 1 1/2 Jahre ausgeübt. Der Führungsanspruch der kommunistischen Partei in der Sowjetunion endete zudem erst im Februar 1990 als deren Zentralkomitee beschloss, auf diesen zu auch formell zu verzichten und die Verfassung entsprechend zu ändern. Nach der einleuchtenden Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts Münster (Urteil vom 18. Mai 2004 - 2 A 962/04 -juris) ist erst damit eine Mitte 1988 eingeleitete Entwicklung zu Ende gegangen. Kasachstan folgte dem sogar erst im April 1990 (vgl. Gutachten des Instituts für Ostrecht an das VG Hamburg vom 27. Januar 2005).

34

Soweit der Kläger vorträgt, dass er kein hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär gewesen sei, ist dies nicht schlüssig. Seine Tätigkeit ist nämlich in seinem Arbeitsbuch eingetragen worden. Auch in seinem Aufnahmeantrag hat der Kläger seinen Beruf als "Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes" bezeichnet.

35

Die Richtigkeit der Behauptung des Klägers, persönlich habe er lediglich die Interessen der Arbeitnehmer der Sowchose vertreten, erscheint der Kammer angesichts der obigen Ausführungen ebenfalls zweifelhaft, kann jedoch als richtig unterstellt werden. Für die Anwendung der hier allein maßgeblichen ersten Alternative des § 5 Nr. 2 b BVFG ist entscheidend, dass die Tätigkeit für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems "gewöhnlich" als bedeutsam angesehen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2004 a.a.O.).

36

Soweit der Kläger - im Einklang mit dem erwähnten Gutachten des Osteurpa-Instituts vom 8. April 1999 - vorträgt, dass er für bestimmte Entscheidungen, wie die Zuteilung von Ferienplätzen, die Bearbeitung von Kuranträgen, die Kontrolle des Krankenstandes, die Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, die Verteilung von Wohnraum und Kindergartenplätzen, sowie die Verhandlung von Arbeitsrechtsstreitigkeiten zuständig gewesen wäre, hat er hiermit gerade die Tätigkeiten wahrgenommen, die nach obigen Ausführungen den Gewerkschaften oblagen, um den Willen der Kommunistischen Partei auf betrieblicher Ebene durchzusetzen. Der Kläger war in die Lage versetzt, die erwähnten materiellen Begünstigungen von der Systemkonformität des Bewerbers abhängig zu machen. Er konnte zudem etwa auf Grund der Kontrolle des Krankenstandes und der Verhandlung von Arbeitsrechtsstreitigkeiten die Vorstellungen der Partei von der erforderlichen Arbeitsproduktivität umsetzen.

37

Die dargestellten Aufgaben belegen auch, dass der Kläger keine Funktion ausgeübt hat, die in gleichartiger Weise auch in freiheitlichen Systemen vorzufinden ist (vgl. dazu allgemein: BVerwG, Urteil vom 29. März 2001 - 5 C 15.00 -juris). Denn er hatte hiernach zahlreiche administrative und betriebslenkende Aufgaben wahrzunehmen, die sich erheblich von denen eines Betriebsrates unterscheiden. Auch der Umstand, dass der Kläger angibt, von den Gewerkschaftsmitgliedern der Sowchose in das Betriebskomitee gewählt worden zu sein, welches dann ihn als Vorsitzenden bestimmt habe, ändert nichts an der Bedeutung seiner Funktion. Nach der Auskunft des Osteuropa-Instituts vom 8. April 1999 wurden die Vorsitzenden von Betriebsgewerkschaftskomitees zudem nicht in einem demokratischen Abstimmungsprozess, sondern durch das Nomenklatura-System bestimmt.