Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.12.1995, Az.: XV 288/93

Voraussetzungen für die Gewährung eines Versorgungsfreibetrages; Versorgungsbezügen nach "beamtenrechtlichen Grundsätzen"

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
05.12.1995
Aktenzeichen
XV 288/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 17892
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1995:1205.XV288.93.0A

Fundstelle

  • EFG 1996, 374 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Versorgungsfreibetrag

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Voraussetzungen für die Gewährung eines Versorgungsfreibetrages gemäß § 19 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung gegeben sind.

2

Der am ... 19 geborene Kläger, der mit seiner Ehefrau - der Klägerin - zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wird, war seit dem ... 19 bei der ... (im folgenden: N.), einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts, beschäftigt. Mit Wirkung vom ... 19 wurde der Kläger zum Vorstandsmitglied bei der N. bestellt. In dem insoweit unter dem ... 19 geschlossenen Dienstvertrag (Bl. 21 ff der Gerichtsakte) wurde eine Vertragsdauer von zunächst 4 Jahren und 3 Monaten vereinbart. Weiter hieß es in § 3 Abs. 1:

"... Ein neues Dienstverhältnis gilt jeweils für weitere 5 Jahre abgeschlossen, wenn nicht einer der Vertragspartner vor Beendigung des jeweils laufenden Dienstvertrages dem anderen Vertragspartner gegenüber erklärt, daß er das Dienstverhältnis nicht fortzusetzen beabsichtigt ..."

3

Die Versorgungsregelung des Klägers wurde in § 6 Abs. 1 u.a. wie folgt gefaßt:

"Scheidet das Vorstandsmitglied aus den Diensten der infolge Erreichens des 62. bzw. 65. Lebensjahres, wegen endgültiger Dienstunfähigkeit, Tod oder - außer in den im nachfolgenden Abs. 5 geregelten Fällen - wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses aus, so finden die für die Beamten des Landes Niedersachsen jeweils geltenden Regelungen über Ruhegehalt, Hinterbliebenenversorgung und Unfallfürsorge sinngemäße Anwendung ..."

4

Nach § 7 des Dienstvertrages wurde eine Kürzung des Ruhegehaltes unter im einzelnen dort aufgeführten Bedingungen vereinbart, "soweit das Vorstandsmitglied vor Vollendung des 65. Lebensjahres während des Bezuges von Ruhegeld eine entgeltliche selbständige oder unselbständige Tätigkeit ausübt."

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Der Kläger, der zum ... 19 aus den Diensten der N. ausschied, bezieht seit dem ... 19 von dieser Versorgungsbezüge im Sinne des § 6 des Dienstvertrages vom ... 19. Diese Vorsorgungsbezüge beliefen sich im Streitjahr 19 auf ... DM. Daneben erzielte der Kläger im Streitjahr aus einer Tätigkeit als Vorstandsmitglied bei der ... AG einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von rd. ... DM.

6

In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 19 begehrten die Kläger bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit u.a. die Berücksichtigung eines Versorgungsfreibetrages in Höhe von 4.800 DM in bezug auf die von der N. gezahlten Versorgungsbezüge. Dies lehnte das beklagte Finanzamt (FA) in dem Einkommensteuerbescheid 19 vom ... 19 ab.

7

Hiergegen wandten sich die Kläger mit ihrem Einspruch vom ... 19. Während des Einspruchsverfahrens erließ das beklagte FA unter dem ... 19 einen geänderten Einkommensteuerbescheid. Mit Einspruchsbescheid vom ... 19, in dem im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren der Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 Abs. 1 AO erweitert wurde, wies das beklagte FA den Einspruch als unbegründet zurück.

8

Hiergegen richtet sich die von den Klägern mit Schreiben vom ... 19 form- und fristgerecht erhobene Klage. Die Kläger sind der Auffassung, daß dem Kläger ein Versorgungsfreibetrag in Höhe von 4.800 DM bei der Ermittlung seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu gewähren sei. Denn die von der N. im Streitjahr an den Kläger gezahlten Bezüge stellten Versorgungsbezüge im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 1 b EStG dar. So würden die Bezüge des Klägers nach beamtenrechtlichen Grundsätzen gewährt. Dies ergebe sich unmittelbar aus der Verweisung des § 6 des Dienstvertrages auf die Bestimmungen des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG). Hiernach werde ein Ruhegehalt nicht nur bei Erreichen der Altersgrenze oder im Falle der Invalidität gezahlt (Lebenszeitbeamter). Vielmehr sei nach § 53 des NBG vorgesehen, daß ein Beamter auf Zeit, der Wahlbeamter sei, nach Ablauf der Amtszeit in den Ruhestand trete. Mit Eintritt in den Ruhestand habe der Wahlbeamte Anspruch auf Ruhegehalt (§§ 1 und 2 des Beamtenversorgungsgesetzes (BVG) in der Fassung in der Fassung vom 12. Februar 1987). Die Versorgungsbezüge der politischen Wahlbeamten auf Zeit gehörten zu den nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 EStG steuerbegünstigten Versorgungsbezügen. Im Streitfall sei der Anstellungsstatus des Klägers dem eines Beamten auf Zeit vergleichbar. Denn ähnlich wie bei den Wahlbeamten, die in der Regel auf Zeit gewählt würden, sei das mit der N. abgeschlossene Dienstverhältnis zunächst auf die Dauer von 4 Jahren und 3 Monaten befristet gewesen.

9

Daß die an den Kläger geleisteten Versorgungsbezüge nach beamtenrechtlichen Grundsätzen gewährt würden, ergebe sich auch aus der in § 6 Abs. 3 und § 7 des Dienstvertrages vorgesehenen Anrechnung von Versorgungsleistungen anderer öffentlich-rechtlicher Versorgungsträger sowie aus der auch tatsächlich durchgeführten Kürzung der Versorgungsbezüge um die laufenden Einkünfte des Klägers aus seiner Vorstandstätigkeit bei der ... AG. Diese beamtenrechtlichen Versorgungsgrundsätze, die von der ehemaligen Anstellungskörperschaft - der N. - beachtet würden, entsprächen den Regelungen in § 53 des BVG.

10

Dem Kläger würden Versorgungsbezüge gewährt, weil er "frühere Dienstleistungen" (§ 19 Abs. 2 EStG) im Rahmen seines Dienstverhältnisses mit der N. erbracht habe. Der Vorsorgungszweck dieser Bezüge werde auch dadurch deutlich, daß sie an keine Dienstleistung des Klägers mehr anknüpften. Keinesfalls handele es sich insoweit um Übergangsgelder/Wartegelder, die lediglich für einen befristeten Zeitraum ausgezahlt würden.

11

Schließlich stellten die hier streitigen Bezüge auch keine Entschädigungen als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen (§ 24 Nr. 24 a EStG) oder für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit (§ 24 Nr. 1 b EStG) dar. Denn dazu fehle es an einer entsprechenden neuen vertraglichen Vereinbarung zur Abgeltung eines künftigen Schadens. Die Versorgungsbezüge würden vielmehr in Erfüllung des bestehenden Vertrages für "frühere Dienstleistungen" erbracht.

12

Das beklagte FA hat während des Klageverfahrens unter dem ... 19 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erlassen. Diesen Bescheid haben die Kläger mit Schreiben vom ... 19 gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

13

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des Einkommensteuer-Änderungsbescheides 19 vom ... 19 die Einkommensteuer 19 soweit herabzusetzen, wie sie sich mindert, wenn bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit ein Versorgungsfreibetrag gemäß § 19 Abs. 2 EStG in Höhe von 4.800 DM einkommensmindernd berücksichtigt wird.

14

Das beklagte FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

15

Dem Kläger sei ein steuerfreier Versorgungsfreibetrag gemäß § 19 Abs. 2 nicht zu gewähren, weil er keine Versorgungsbezüge im Sinne dieser Vorschrift beziehe. Dies ergebe sich zum einen schon daraus, daß der Kläger als aktiv am Berufsleben Teilnehmender keine Versorgungsbezüge im Sinne des § 19 EStG beziehen könne.

16

Im übrigen seien die Bezüge des Klägers nicht mit denen eines Wahlbeamten auf Zeit vergleichbar. Zwar werde die Versorgung eines Wahlbeamten nach Ablauf seiner aktiven Dienstzeit - unabhängig von seinem Alter - stets sichergestellt. Auf diese Weise solle es dem Beamten ermöglicht werden, sich während seiner Dienstzeit unabhängig und in vollem Umfang den vornehmlich hoheitlichen Aufgaben widmen zu können. Die dem Wahlbeamten auf Zeit gewährten Bezüge stellten eine absolute Ausnahmeregelung dar. In allen übrigen Fällen sei nämlich stets eine Altersgrenze in den einschlägigen beamtenrechtlichen Regelungen vorgesehen, so daß im Gegensatz zur Vorschrift des § 19 Abs. 2 Nr. 2 EStG eine Altersgrenze in § 19 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht besonders erwähnt werde.

17

Schließlich verweist das FA darauf, daß der Kläger im Gegensatz zum Beamtentum seine "ruhegehaltsfähige" Dienstzeit "willkürlich" vertraglich festgelegt habe.

18

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

19

Wegen ihres weiteren Vorbringens wird auf die Gerichtsakte sowie die Einkommensteuerakte der Kläger -: ... - verwiesen.

Entscheidungsgründe

20

Die Klage, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), ist zulässig, jedoch nicht begründet.

21

Im Streitfall liegen die Voraussetzungen zur Berücksichtigung des Versorgungsfreibetrages nach Maßgabe des § 19 Abs. 2 EStG hinsichtlich der von der N. an den Kläger im Streitjahr für seine frühere Tätigkeit als Vorstandsmitglied ausgezahlten Bezüge nicht vor. Denn die dem Kläger gewährten Zahlungen stellen keine Versorgungsbezüge im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 b EStG - allein diese Vorschrift kommt vorliegend überhaupt in Betracht - dar.

22

Hiernach sind Versorgungsbezüge, Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen, die u.a. als Ruhegehalt oder als gleichartiger Bezug nach beamtenrechtlichen Grundsätzen von Körperschaften des öffentlichen Rechts gewährt werden. Im Streitfall fehlt es jedoch bereits am Merkmal "nach beamtenrechtlichen Grundsätzen" gewährter Bezüge. Denn insoweit reicht es insbesondere nicht aus, wenn sich die entsprechenden Bezüge - vgl. §§ 4, 6 sowie 7 des Dienstvertrages zwischen der N. und dem Kläger - lediglich an beamtenrechtlichen Vorgaben betr. Bedienstete des Landes Niedersachsen orientieren. Eine derartige Anknüpfung ist vielmehr durchaus auch im Rahmen privatrechtlicher Verträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beispielsweise hinsichtlich der Ausgestaltung betrieblicher (Zusatz-)-Versorgungen üblich.

23

Die Annahme von Versorgungsbezügen nach "beamtenrechtlichen Grundsätzen" im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 b EStG verlangt im übrigen nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung - den Versorgungsfreibetrag nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zu berücksichtigen -, daß sowohl die frühere Tätigkeit sowie die hierfür gezahlten Bezüge, die die Grundlage für die Zahlung der "Versorgungs-"Bezüge bildeten, als auch der Entstehungsgrund für die Zahlung von "Versorgungs-"Bezügen selbst nach beamtenrechtlichen Grundsätzen gewährt wurden bzw. diesen Grundsätzen entsprechen. Beides ist aber vorliegend ebenfalls nicht der Fall. Denn weder dem Vortrag des Klägers noch dem von ihm vorgelegten Dienstvertrag aus dem Jahr 19 (vgl. Bl. 21 ff. der Gerichtsakte) noch dem weiteren Akteninhalt läßt sieh entnehmen, daß die Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied bzw. seine Tätigkeit in dieser Funktion bei der N. bzw. die hierfür von der N. geleisteten Zahlungen beamtenrechtlichen Grundsätzen entsprachen. Die Ausrichtung der Höhe des Gehalts an der Tarifgruppe 6 des Gehaltstarifvertrages für die ... allein genügt hierfür jedenfalls nicht, da insoweit bereits kein beamtenrechtlicher Grundsatz erkennbar ist, sondern ein individuell vereinbartes Gehalt gewährt wird. Dies widerspricht aber gerade beamtenrechtlichen Grundsätzen.

24

Zudem ist auch die Versorgungsabrede in § 6 Abs. 1 des Dienstvertrages - zumindest in dem hier streitigen Passus "Ausscheiden wegen Beendigung des Vertragsverhältnisses" - mit den hergebrachten Grundsätzen der Beamtenversorgung unvereinbar. Denn diese pauschale Regelung stellt es im Streitfall in das Belieben der Vertragsparteien, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt (= Ende der 5-Jahresfrist) das Vertragsverhältnis enden soll, ohne daß es das Vorliegen eines sachlichen Grundes (Dienstunfähigkeit etc.), ja auch nur einer Begründung bedarf (vgl. § 3 Abs. 1 des Dienstvertrages). Auch nur annähernd vergleichbare Regelungen sind in den Beamtengesetzen nicht vorgesehen und dürften im Streitfall ihre Ursache in der Funktion des Klägers als Vorstandsmitglied bei der N. haben.

25

Der Kläger ist schließlich als Vorstandsmitglied auch nicht mit einen Wahlbeamten vergleichbar. Zwar wurde auch das zwischen dem Kläger und der N. bestehende Dienstverhältnis jeweils nur befristet abgeschlossen (vgl. § 3 Abs. 1 des Dienstvertrages und § 84 Abs. 1 Aktiengesetz). Anders als bei Wahlbeamten - die sich nach Ablauf ihrer Amtszeit einer erneuten Wahl durch die jeweiligen politischen Gremien stellen müssen - verlängerte sich das Dienstverhältnis des Klägers indes grundsätzlich automatisch, wenn nicht z.B. seine Beendigung von einer der Vertragsparteien vorab erklärt worden war. Hinzu kommt, daß die besondere versorgungsrechtliche Ausnahmestellung des Wahlbeamten nicht zuletzt durch die Möglichkeit seiner jederzeitigen Abwahl ohne Angabe von Gründen und die Abhängigkeit von den jeweiligen politischen Verhältnissen bedingt ist. Diese Besonderheiten sind weder auf die Stellung des Klägers als Vorstandsmitglied noch auf den von ihm insoweit abgeschlossenen Dienstvertrag übertragbar. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch nicht ohne Bedeutung, daß der Kläger sowohl seine "ruhegehaltsfähige" Dienstzeit als auch die Höhe der entsprechenden Bezüge individuell in seinem mit der N. abgeschlossenen Dienstvertrag vertraglich niedergelegt hat. Auch diese Art der individuellen Vereinbarung entspricht nicht beamtenrechtlichen Grundsätzen.

26

Nach alledem war die Klage als unbegründet abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.