Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 16.06.2014, Az.: 1 B 871/14

Nichtbestehen des Rechts eines Asylbewerbers auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
16.06.2014
Aktenzeichen
1 B 871/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 35684
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2014:0616.1B871.14.0A

Amtlicher Leitsatz

Die Dublin III Verordnung eröffnet einem abgelehnten Asylbewerber nicht das Recht auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat, wenn Familienmitglieder dort ihrerseits ein Asylverfahren betreiben

Gründe

Der Antragsteller, nach eigenen Angaben ein somalischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Dänemark.

Der Antragsteller beantragte am 7. März 2014 Asyl in der Bundesrepublik Deutschland. In seiner Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates am selben Tag gab er an, dass seine Ehefrau sich in Deutschland aufhalte. Weiter gab er an, am 24. Juni 2013 in Dänemark Asyl beantragt zu haben.

Am 7. April 2014 ermittelte die Antragsgegnerin den EURODAC Treffer "DK1E." für den Antragsteller und ersuchte daraufhin am 8. April 2014 die Wiederaufnahme durch das Königreich Dänemark. Mit Schreiben vom 9. April 2014 erklärte Dänemark die Bereitschaft zur Wiederaufnahme gemäß Art. 18 Abs. 1d der Dublin-Verordnung, weil der Antragsteller in Dänemark bereits erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen habe.

Mit Bescheid vom 17. April 2014 erklärte die Antragsgegnerin seinen Asylantrag für unzulässig und ordnete seine Abschiebung nach Dänemark an. Sie wies darauf hin, dass die Frau, die der Antragsteller als seine Ehepartnerin angebe, erklärt habe, seit 2003 von ihm geschieden zu sein. Es werde ihre Rückführung nach Italien gemäß Dublin III-Verordnung verfolgt. Der Antragsteller habe sich auch nicht um ein Zusammenleben mit ihr bemüht.

Dagegen hat der Antragsteller am 30. April 2014 Klage erhoben (1 A 870/14) und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz sowie um die Gewährung von Prozesskostenhilfe nachgesucht. Er macht geltend, dass seine Ehepartnerin sich in der Bundesrepublik Deutschland (Kandel/Pfalz) aufhalte und dort ein Asylverfahren betreibe. Mittlerweile werde ihr Asylantrag durch die Antragsgegnerin im nationalen Verfahren geprüft. Der gemeinsame, im Jahr 2002 geborene Sohn befinde sich bei ihr.

Die Antragsgegnerin tritt dem Begehren des Antragstellers entgegen.

Der Antragsteller hat mit Zustimmung der Kindsmutter, Frau F., die Vaterschaft für den am 24. Dezember 2002 geborenen G. anerkannt. Die Abschrift einer entsprechenden Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft der Kreisverwaltung H. vom 8. Mai 2014 hat der Antragsteller vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Die Anträge im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und auf Gewährung von Prozesskostenhilfe bleiben ohne Erfolg.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt D. ist jedenfalls deshalb abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. der §§ 166 VwGO, 114 ZPO hat. Zur näheren Begründung wird auf die nachfolgenden Ausführungen verwiesen. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 166 VwGO, 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

Der zulässige Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (1 A 870/14) gegen die in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. April 2014 ausgesprochene Abschiebungsanordnung nach Dänemark anzuordnen, hat keinen Erfolg. Das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung überwiegt das Interesse des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung über seine Klage vorerst im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen. Die durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getroffene Anordnung einer Abschiebung des Antragstellers nach Dänemark ist rechtmäßig.

Nach § 34a AsylVfG ordnet das Bundesamt u.a. die Abschiebung in den nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dabei ist nach § 27a AsylVfG ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist das Königreich Dänemark nach den Vorschriften der auf diesen Fall anzuwendenden Verordnung EU Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) zuständig. Dies folgt aus Art. 13 Abs. 1 i.V. mit Art. 7 Abs. 2 der Verordnung EU Nr. 604/2013 (Dublin III VO), zumindest aber aus Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung. Nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung EU Nr. 604/2013 ist, wenn auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung EU Nr. 604/2013 festgestellt wird, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung EU Nr. 604/2013 wird bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung EU Nr. 604/2013 ist, wenn sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen lässt, der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Hier hat der Antragsteller laut EURODAC-Treffer DK1E. in Dänemark einen Asylantrag gestellt. In dem persönlichen Gespräch gemäß Art. 5 der Verordnung EU Nr. 604/2013 am 7. März 2014 hat er dies auch bestätigt.

Eine vorrangige Zuständigkeit der Antragsgegnerin gemäß Art. 11 der Verordnung EU Nr. 604/2013 lässt sich nicht begründen. Diese Vorschrift besagt, dass, wenn mehrere Familienangehörige und/oder unverheiratete minderjährige Geschwister in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und wenn die Anwendung der in dieser Verordnung genannten Kriterien ihre Trennung zur Folge haben könnte, für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats Folgendes gilt: a) zuständig für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz sämtlicher Familienangehöriger und/oder unverheirateter minderjähriger Geschwister ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils von ihnen zuständig ist; b) andernfalls ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten von ihnen gestellten Antrags zuständig ist. Aufgrund von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung EU Nr. 604/2013 ist für den "verfahrensrechtlichen Familienverbund" nach Art. 11 die Situation maßgeblich, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt (vgl. Funke-Kaiser, in: GK AsylVfG, § 27a Rn. 108, Stand November 2013). Seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz hat der Antragsteller in Dänemark und nicht in Deutschland gestellt, so dass eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin aufgrund des Art. 11 der Verordnung EU Nr. 604/2013 schon nach Art. 7 Abs. 2 nicht in Betracht kommt. Hinzu kommt, dass der Asylantrag des Antragstellers in Dänemark bereits inhaltlich geprüft und abgelehnt worden ist. Damit ist eine Entscheidung in der Sache bereits ergangen, so dass der Antragsteller schon gar nicht mehr Teil eines "verfahrensrechtlichen Familienverbundes" sein kann, sondern ein bereits abgelehnter Asylbewerber ist. Art. 11 der Verordnung Nr. 604/2013 gilt somit nur für Fälle, in denen noch keiner der Mitgliedstaaten in die Sachprüfung eingestiegen ist. Für Fälle, in denen ein Mitgliedstaat bereits die Sachprüfung durchführt, lässt sich möglicherweise annehmen, dass dieser für die Durchführung des Verfahrens auch für weitere Familienangehörige zuständig ist (so wohl Funke-Kaiser, in: GK AsylVfG, § 27a Rn. 108, Stand November 2013). Nicht hingegen kann bei einem inhaltlich laufenden oder gar abgeschlossenen Asylverfahren die Zuständigkeit eines weiteren Mitgliedstaates nach der Dublin III-Verordnung angenommen werden, nur weil sich dort andere Familienangehörige aufhalten, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sind. Dies gilt auch für eine Zuständigkeit aufgrund von Art. 16 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung EU Nr. 604/2013 (vgl. zur Vorgängervorschrift der Dublin II-Verordnung VG Stade, Beschluss vom 7.5.2014 - 1 B 693/14 -, ).

Gemäß Art. 18 Abs. 1d der Verordnung EU Nr. 604/2013 ist Dänemark verpflichtet, den Antragsteller als abgelehnten Asylbewerber wieder aufzunehmen. Seine Bereitschaft hierzu hat Dänemark auch erklärt.

Einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin ihr Selbsteintrittsrecht zu Gunsten des Antragstellers ausübt, besteht nicht. Aus Art. 17 Abs. 2 der Verordnung EU Nr. 604/2013 kann sich ein solcher Anspruch schon ansatzweise nicht ergeben, weil eine Erstentscheidung bereits ergangen ist und Dänemark eine entsprechende Anfrage an Deutschland gar nicht gestellt hat. Auch wegen sogenannter systemischer Mängel im Asylverfahren des Zielstaates besteht ein solcher Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nicht (dazu EuGH, Urteil vom 21.12.2011, C-411/10 u.a., NVwZ 2012, 417, 419 ff. [EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10][EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10] - noch auf Grundlage der Dublin II-Verordnung). Denn derartige Mängel sind in Dänemark nicht ersichtlich. Es gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - steht. Diese Vermutung ist im Falle Dänemarks nicht widerlegt worden. Für eine Widerlegung spricht auch nicht etwa, dass Dänemark das Asylverfahren des Antragstellers zügig durchgeführt hat.

Aus der persönlichen Situation des Antragstellers ergibt sich ebenfalls keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die dies notwendig machten, sind nicht ersichtlich. Es ist nicht verfassungsrechtlich geboten, die Familieneinheit während der Durchführung von Asylverfahren zu gewährleisten; die Trennung von Familienangehörigen zur Durchführung dieser Verfahren ist grundsätzlich zumutbar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.7.1998 - 2 BvR 99/97 -, ).

Zuletzt liegen keine inlandsbezogene Abschiebungs- oder Vollstreckungshindernisse vor. Nach allem steht im Sinne von § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO; 83 b AsylVfG.

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).