Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 07.05.2014, Az.: 1 B 693/14

Rechtmäßigkeit der Abschiebung eines Asylbewerbers nach Malta als für die Durchführung des Asylverfahrems zuständigem Staat

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
07.05.2014
Aktenzeichen
1 B 693/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 35682
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2014:0507.1B693.14.0A

Gründe

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Malta. Er macht geltend, dass er in Malta einen Asylantrag nicht gestellt habe, dass Flüchtlinge in Malta nicht versorgt würden und dass seine Ehefrau, die Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg führt und von der er während seiner Flucht getrennt wurde, nach Italien abgeschoben werden soll.

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (1 A 692/14) gegen die in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. März 2014 ausgesprochene Abschiebungsanordnung nach Malta anzuordnen, hat keinen Erfolg. Das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung überwiegt das Interesse des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung über seine Klage vorerst im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen. Die durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge getroffene Anordnung einer Abschiebung des Antragstellers nach Malta ist rechtmäßig.

Nach § 34a AsylVfG ordnet das Bundesamt u.a. die Abschiebung in den nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dabei ist nach § 27a AsylVfG ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Hier ist nach der derzeit maßgeblichen Sach- und Rechtslage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) die Republik Malta zuständig, weil sie auf Gesuch der Antragsgegnerin ihre Bereitschaft zur Übernahme des Antragstellers erklärt hat.

Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin ist dagegen nicht anzunehmen. Sie ergibt sich weder aus Art. 8 noch aus Art. 15 Abs. 1 der hier noch anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II VO). Gemäß Art. 8 der hier noch anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 (Dublin II-VO) obliegt dem Mitgliedsstaat, in dem ein Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine Sachentscheidung getroffen wurde, die Prüfung des Asylantrags, sofern die betroffenen Personen dies wünschen. Ungeschriebene weitere Voraussetzung ist, dass der Mitgliedstaat, in dem sich der Familienangehörige aufhält, überhaupt für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (Funke-Kaiser, in: GK AsylVfG, Stand Juni 2012, § 27a Rn 94). Dafür, dass die Antragsgegnerin für die Prüfung der Asylanträge des Antragstellers oder seiner Ehefrau zuständig sind, bestehen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte. Eine solche Zuständigkeit ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 15 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 343/2003. Danach kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen zustimmen. Auch wenn diese Bestimmung der Wahrung der Familieneinheit dient, geht aus dem 6. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 343/3003 klar hervor, dass die sonstigen Ziele, die mit der Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden, nicht unterlaufen werden dürfen (vgl. auch VG Hannover, Beschl. v. 9.1.2014 - 1 B 7895/13 -, ). Diese sind vorrangig. Es muss also - ebenso wie bei der Zuständigkeit nach Art. 8 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, in dem sich der Familienangehörige aufhält und in den die Zusammenführung begehrt wird, gegeben sein.

Auch besteht eine Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Antragsgegnerin gemäß Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 343/2003 aus humanitären Gründen - hier zur Wahrung der Familieneinheit des Antragstellers und seiner Ehefrau - nicht. Weder Art. 8 EMRK noch Art. 6 Abs. 1 GG beinhalten das Recht, zum Zwecke der Familienzusammenführung ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen. Es ist nicht verfassungsrechtlich geboten, die Familieneinheit während der Durchführung von Asylverfahren zu gewährleisten; die Trennung von Familienangehörigen zur Durchführung dieser Verfahren ist grundsätzlich zumutbar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.7.1998 - 2 BvR 99/97 -, ). Dieser Grundsatz ist auf den vorliegenden Fall anzuwenden, auch wenn die Trennung des Antragstellers und seiner Ehefrau nach dem Vortrag des Antragstellers unfreiwillig auf der Flucht erfolgt ist und nunmehr die konkrete Gefahr besteht, dass beide in unterschiedliche Mitgliedstaaten abgeschoben werden. Denn die Dublin II-VO hält mit Art. 8 und 15 für derartige Konstellationen Mechanismen bereit, die gewährleisten, dass die familiäre Trennung nur vorübergehender Natur ist, indem einer der zuständigen Mitgliedstaaten mit Einverständnis der Betroffenen zur Aufnahme des Familienangehörigen und Prüfung seines Asylantrags verpflichtet ist. Tatsachen, die darauf schließen ließen, dass eine vorübergehende Trennung des Antragstellers von seiner Ehefrau im Einzelfall nicht zumutbar sei, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich (zum Ganzen s. Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 3 Asylrecht, § 27a [Stand Februar 2010] Rn. 58 f. m.w.N.).

Der Antragsteller kann auch nicht aus anderen Gründen verlangen, dass die Antragsgegnerin von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht, obwohl die Republik Malta erklärt hat, den Antragsteller übernehmen zu wollen.

Es gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - steht. Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Es obliegt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs den nationalen Gerichten, einen Asylbewerber nicht an den nach der VO (EG) Nr. 343/2003 zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ist in einem solchen Fall verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u.a., NVwZ 2012, 417, 419 ff. [EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10]).

Derartige systemische Mängeln in dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber können in der Republik Malta nicht festgestellt werden. Es wird gemäß § 77 Abs. 2 Abs. 2 von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen und auf den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. März 2014 verwiesen. Die Einzelrichterin folgt dessen Begründung. Zusätzlich wird auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg (v. 17.2.2014 - 3 B 6974/13 -, ) und die dort aufgeführten Erkenntnismittel Bezug genommen. Der Antragsteller hat keine Individuellen, außergewöhnlichen humanitären Gründe dargelegt, die eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Antragsgegnerin notwendig machten. Individuelle konkrete Gefährdungstatbestände, die eine Abschiebung des Antragstellers nach Malta als Verletzung von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK im Einzelfall erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich.

Zuletzt liegen keine inlandsbezogene Abschiebungs- oder Vollstreckungshindernisse vor. Nach allem steht im Sinne von § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO; 83 b AsylVfG.

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).