Landgericht Hildesheim
Urt. v. 27.01.2000, Az.: 4 O 404/99

Schadensersatzanspruch nach Pflichtverletzung des Gesamtvollstreckungsverwalters

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
27.01.2000
Aktenzeichen
4 O 404/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 31095
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:2000:0127.4O404.99.0A

Fundstellen

  • NZI 2001, 37
  • ZInsO 2000, 164-165 (Volltext mit red. LS)

Gründe

1

1.

§ 8 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 8 Abs. 2 GesO selbst stellen keine eigenständige Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche dar, da sie schon vom Wortlaut her lediglich eine "Verantwortlichkeit des Gesamtvollstreckungsverwalters" begründen, aber die Rechtsfolge bei Pflichtverletzungen einer solchen Verantwortlichkeit, nämlich Schadensersatzansprüche, nicht regeln. § 8 GesO begründet vielmehr ein gesetzliches Schuldverhältnis (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl., § 82 Rn. 1 zu der inhaltlich gleichen Norm des § 82 KO). Bei Schlechterfüllung eines solchen, gem. § 8 GesO begründeten, gesetzlichen Schuldverhältnisses greift als Anspruchsnorm für Schadensersatzansprüche positive Vertragsverletzung ein. ....

2

3.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte überhaupt eine Verletzung der ihm nach § 8 Abs. 1 Satz 2 und § 8 Abs. 2 GesO obliegenden Pflichten begangen hat.

3

a)

Gem. § 8 Abs. 2 GesO hat der Gesamtvollstreckungsverwalter über das der Pfändung unterliegende Vermögen zwar durch Verkauf (oder in anderer Weise) zu verfügen. Wie das geschehen soll, regelt § 8 Abs. 2 GesO selbst nicht. Aus § 11 GesO (Pflicht zur Aufstellung eines Vermögensverzeichnisses) ergibt sich indes, dass es Pflicht des Gesamtvollstreckungsverwalters ist, das Vermögen vollständig zu erfassen. So ist bei der Inventarisierung auch der Wert der Gegenstände anzugeben, der im Rahmen einer Verwertung erzielt werden kann (Hess/Binz, KO, 5. Aufl., § 8 GesO Rn. 47, m.w.N.) und gem. § 17 GesO hat der Gesamtvollstreckungsverwalter das Vermögen des Schuldners zu verwerten und den Erlös der Verteilung zuzuführen. Nach dem Sinn und Zweck dieser Regelungen muss der Gesamtvollstreckungsverwalter jedenfalls noch "möglichst viel" Erlös aus den Zerschlagungswerten des Vermögens einer Gemeinschuldnerin erzielen. Hieraus resultiert die Pflicht des Gesamtvollstreckungsverwalters, die Masse nicht dadurch zu verkürzen, dass etwa unberechtigte Forderungen anerkannt werden oder "erzielbare" Vermögenswerte, die der Masse zugehören, nicht zur Masse gezogen werden (Hess/Binz, KO, 5. Aufl., § 8 GesO Rn. 121; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl., § 82 KO Rn. 6, Rn. 9e unter Hinweis auf RGZ 152, 125 f.).

4

b)

Es kann insoweit bereits dahingestellt bleiben, ob der Kläger überhaupt hinreichend substantiiert zu einem 34.800 DM, dem Brutto-Erlös aus dem Verkauf des Warenbestandes an die K & G GmbH, übersteigenden "Zerschlagungswert" im Rahmen der Abwicklung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens hinreichend konkret vorgetragen hat.

5

Bereits ausweislich des Wortlautes des Berichtes E. v. 6. 8. 1998 war die Inventur v. 4. 8. 1998 lediglich eine "Stichpunkt"-Inventur und zudem anhand der "Bestandslisten" erstellt, welche lediglich Buchwerte angab. Es ist gerichtsbekannt, dass von Buchwerten nicht auf Verkehrswerte und schon gar auf "Zerschlagungswerte" im Rahmen einer Insolvenz geschlossen werden kann. Hier hätte der Kläger plausibler und qualifiziert und zu den von ihm behaupteten Werten vortragen müssen, selbst wenn er im Wege einer Teilklage vorgeht. Allein der Verweis auf das von ihm eingeholte Wertgutachten M v. 15. 6. 1999 reicht hier nicht aus. Jener Gutachter greift erkennbar wiederum zurück auf die Inventurunterlagen v. 4. 8. 1998. Zur Wertermittlung hat er massgeblich zurückgegriffen auf "Marktuntersuchungen" in Gestalt von Befragungen von Händlern der "RFT Mittelstandsvereinigung", welche erkennbar nicht unbefangen sein dürfte, weil letztlich auch diese Vereinigung bzw. ihn Mitglieder aus Teilen des Kombinats hervorgegangen sein dürften, aus welchem auch die Gemeinschuldnerin hervorgegangen ist. Die Bewertung selbst überzeugt ebensowenig, weil sie ausweislich der S. 8 jenes Privatgutachten M. bei mehr als 50 % des angeblich vorhandenen Materials einen Zerschlagungswert von 100 % zugrundelegt und bei den übrigen noch einen solchen von 50 %. In Anbetracht der offensichtlichen Umstände, dass es für die Waren der Gemeinschuldnerin nur einen beschränkten Nachfragemarkt gibt - was auch der Kläger nicht ernstlich bestreitet -, weiterhin die 50-Hertz-Röhren zwar noch Stand der Technik sind, aber zunehmend mehr inzwischen Fernseher mit 100-Hertz-Röhren verkauft werden, weiterhin Fernsehgehäuse aus der Herstellung - dem Betrieb - der Gemeinschuldnerin stammen, die für Käufer dritter Firmen wegen der leicht identifizierbaren Herkunftsnachweise (immerhin eine Firma, über die das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet wurde) jedenfalls nicht ruffördernd ist, und schliesslich auf andere Produkte Rechte Dritter (C-Produkte) lagen, die schon deshalb nur einen beschränkten Verwertungswert haben, weil Lizenzen Dritter zu beachten sind, hätte schon hierauf eingehender plausibler und durch entsprechende weitere Belege qualifizierter Sachvortrag des Klägers erfolgen müssen.

6

c)

Gleiches gilt für den Vorwurf nicht hinreichender Sicherung der Waren im Rahmen der zweiten Sequestration. Unstreitig hatte der Beklagte während des August 1998 über einen Zeitraum von drei Wochen keine Einwirkungsmöglichkeiten auf das Vermögen der Gemeinschuldnerin. Unstreitig sind in jener Zeit Räumungsbestrebungen, Absonderungs- und Aussonderungsbegehren geltend gemacht worden. Der Beklagte hatte zwar gem. § 8 Abs. 2 GesO die Pflicht, das Vermögen "unverzüglich" in Besitz zu nehmen und zu verwalten (Hess/Binz, KO, 5. Aufl., § 8 GesO, Rn. 48). Hierzu gehört, dass er die Sache ggf. effektiv gegen Entwendung sichern muss.

7

Der Schluss von der im Zeitpunkt des Abverkaufs am 16. 11. 1998 fehlenden Ware auf eine nicht hinreichende Sicherung bzw. Inbesitznahme des Vermögens der Gemeinschuldnerin ist jedoch nicht zwingend, und zwar wegen der dreiwöchigen Intervallfrist, in welcher verschiedenste Gläubiger Rechte auf Absonderung bzw. Aussonderung geltend machten, wegen der unstreitigen Zutrittsmöglichkeit Dritter während der dreiwöchigen Phase, in denen die erste Sequestration aufgehoben und die zweite Sequestration noch nicht angeordnet war, und die hinreichend Gelegenheit für Dritte gab, Waren zu entwenden oder auch aufgrund eines vermeintlichen Eigentumsrechts in Besitz zu nehmen. Auch der Schluss von Buchwerten oder den vom Privatgutachter ermittelten "Verkehrswerten" auf den Bestand von Ware im Wert der behaupteten Verkehrswerte ist, wie bereits dargelegt, wenig überzeugend.

8

4.

Der Kläger hat - trotz des Hinweises der Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung v. 9. 12. 1999 - jedenfalls nicht hinreichend substantiiert zur haftungsausfüllenden Kausalität zwischen einer etwaigen Pflichtverletzung des Beklagten und dem Schaden sowie zum Schaden selbst vorgetragen.

9

a)

Der Kläger ist darlegungspflichtig auch dafür, dass statt des durch den Verkauf an die K & G GmbH veräusserten Erlöses von 34.800 DM ein anderer Interessent konkret die Ware zu einem entsprechend höheren Erlös gekauft hätte. Der Geschädigte hat nämlich die Beweislast auch für die haftungsausfüllende Kausalität und den Schaden (Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl., Vorbem. vor § 249 Rn. 162 m.w.N.). Dies gilt auch für den Fall, dass dem Beklagten eine Pflichtverletzung vorzuwerfen wäre. Die Ausnahmen, bei denen die Rechtsprechung eine Beweislastumkehr zulässt (vgl. hierzu Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 282 Rn. 14 f. m.w.N.), liegen hier erkennbar nicht vor.

10

b)

Der Kläger muss mithin konkret vortragen, welche Käufer am bzw. im Zeitraum um den 16. 11. 1998 bereit gewesen wären, die Waren zu einem entsprechend höheren Preis als 34.800 DM zu kaufen. Ansonsten würde sich nämlich eine etwaige Pflichtverletzung des Beklagten jedenfalls nicht auswirken, weil er keine andere Möglichkeit gehabt hätte, einen höheren Erlös zu erzielen.

11

Diesen Vortrag hat der Kläger nicht erbracht. Sein Hinweis, die TechniSAT RFT habe zwar zunächst nur 15.000 DM geboten, sei aber bereit gewesen, im Falle der Aufnahme von Vertragsgesprächen auch einen höheren Kaufpreis zu zahlen, ist schon deshalb unerheblich, weil diese Bereitschaft weder offensichtlich war, noch der Beklagte solches annehmen konnte. Ein Verkäufer kann jedenfalls in Deutschland davon ausgehen, dass ein Käufer sein Angebot auch ernst meint und nicht nur als invitatio ad offerendum ansieht.

12

Die "Vereinbarung" zwischen der RFT-Telematik GmbH und der Gemeinschuldnerin v. 25. 8. 1998 belegt ebenfalls kein konkretes Kaufinteresse. Die Unbestimmbarkeit der Wertangaben ergibt sich in jener Vereinbarung bereits durch die "ca." Hervorhebung des auch im übrigen nur substanzlos ermittelten Wertes von 950.000 DM für die Waren der Gemeinschuldnerin. Ziffer III jener Vereinbarung regelt im übrigen nur, dass diese Ware für die Aufnahme der TV-Produktion durch "Techni-SAT" von Interesse sei "und zu diesem Preis an die Techni-SAT verkauft werden soll". Die Firma Techni-SAT hat aber jene Vereinbarung gar nicht unterschrieben.

13

Die Behauptung, Herr K - Aufsichtsratsvorsitzender der Gemeinschuldnerin - hätte "zuvor für das Material noch 100.000 DM geboten", ist erkennbar viel zu pauschal und hinsichtlich einer etwaigen Rechtsbindung sowie eines konkreten Interesses substanzlos. Die angebotene Zeugenbeweisaufnahme wäre erkennbar Ausforschungsbeweis, welche Beweiserhebung nicht zulässig ist. Es fehlt bereits Vortrag zu dem genauen Zeitpunkt, den Örtlichkeiten und den Personen, denen gegenüber der "Interessent" K. entsprechende Erklärungen abgegeben haben soll. Auch ist nichts dazu gesagt, unter welchen Umständen der Beklagte hiervon hätte Kenntnis erhalten können oder Kenntnis erhalten hat und ob ein solches Angebot ernst gemeint war oder Motiv bzw. Reaktion einer "emotionalen Stimmung" war.

14

Gleiches gilt für den Vorwurf der nicht hinreichenden Sicherung der Ware während der Zeit der Sequestration. Auch insoweit ist der Kläger als Geschädigter grds. darlegungs- und ggf. beweispflichtig für den Schaden. Seine Berechnungsmethode, welche Gegenstände fehlen sollen, ist aus den bereits dargestellten Gründen nicht überzeugend. Er muss schon im einzelnen darlegen, welche Gegenstände wann und ggf. auch durch wen abhanden gekommen sein sollen. Zumindest muss er konkret darlegen, dass zum Beginn der ersten Sequestration bestimmte Gegenstände vorhanden waren, die dann am Ende der ersten Sequestration bzw. während des Zeitraums der zweiten Sequestration bzw. Anordnung der Gesamtvollstreckung abhanden gekommen sind oder jedenfalls nicht mehr vorhanden waren. Die Indizienführung des Klägers ist insoweit unergiebig.