Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.12.2014, Az.: L 1 KR 21/13
Kostenerstattung für Ganzkörper-Hyperthermie; Primärleistungsanspruch des Versicherten; Begriff der neuen Behandlungsmethode; Risiko-Nutzenanalyse einer Behandlung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.12.2014
- Aktenzeichen
- L 1 KR 21/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 34044
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2014:1218.L1KR21.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - 09.10.2012 - AZ: S 18 KR 117/09
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V
- § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V
- § 135 Abs. 1 SGB V
- § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I
Redaktioneller Leitsatz
1. § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V setzt einen Primärnaturalleistungsanspruch des Versicherten, dessen rechtswidrige Nichterfüllung sowie die Selbstbeschaffung der entsprechenden Leistung durch den Versicherten voraus. Im Falle der ersten Alternative muss die Selbstbeschaffung auf der nicht rechtzeitigen Leistungserbringung beruhen. Bei der zweiten Alternative kommen die Ablehnung der Naturalleistung durch die Krankenkasse und der Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung hinzu.
2. "Neu" ist eine Behandlungsmethode, wenn sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung in dem einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) enthalten ist.
3. Das konkrete Behandlungsziel muss geklärt, die Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt, eine Risiko-Nutzenanalyse durchgeführt und die Behandlung ausreichend dokumentiert werden.
4. Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter des Kostenerstattungsanspruch muss der Krankenkasse vorab die Prüfung ermöglicht werden, ob die beanspruchte Leistung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung bereitgestellt werden kann und ob sie zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, insbesondere den Anforderungen an Geeignetheit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit genügt.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 9. Oktober 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2009 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 16. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2009 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger weitere Kosten für die von der Versicherten durchgeführte Thermochemotherapie von 22.156,49 Euro zu erstatten.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die volle Kostenerstattung für drei Behandlungen der Versicherten mit Ganzkörper-Hyperthermie.
Der Kläger ist Rechtsnachfolger der am 12. Mai 1965 geborenen und am 14. Oktober 2009 verstorbenen I., die seit 1. August 2002 bei der BKK Fahr versichert war (Versicherte). Die BKK Fahr vereinigte sich zum 1. Oktober 2010 mit der BKK Gesundheit, diese fusionierte zum 1. Januar 2012 mit der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) zur DAK-Gesundheit, der jetzigen Beklagten.
Bei der Versicherten wurden im Januar 2008 Lebermetastasen festgestellt, anschließend diagnostizierten die behandelnden Ärzte ein Ovarialkarzinom, das mit Operation am 16. Februar 2008 und Chemotherapie mit Paclitaxel/Carboplatin (Februar bis Juni 2008) behandelt wurde. Bei deutlicher Tumorprogression erschien eine Fortführung der Chemotherapie nicht sinnvoll und die Versicherte erhielt eine Therapie mit Tarceva und Bevacizumab (Bericht Prof. J., onkologische/hämatologische Ambulanz des Klinikums K. vom 16. September 2009). Der Primärtumor wurde nicht gefunden (CUP-Syndrom). Im August 2008 wurden bei der Versicherten Metastasen in Lunge und Pleura festgestellt (Bericht der Radiologie K. vom 11. August 2008). Die Antikörpertherapie wurde von der Versicherten nicht vertragen. Bei einer Kontrolluntersuchung im Dezember 2008 zeigte sich ein beschleunigtes Fortschreiten der Erkrankung, sodass die Versicherte sich im Januar 2009 an die Hyperthermie-Tagesklinik L. wandte. Am 14. Januar 2009 kam es zu einem Erstgespräch mit dem Facharzt für Anästhesiologie M., der einen Termin für die erste Behandlung mit Ganzkörperthermochemotherapie für den 23. Januar 2009 vorsah (Bericht von M. vom 19. Januar 2009). Mitte Januar wurde bei der Versicherten eine Lungenarterienembolie festgestellt, die zu einem stationären Krankenhausaufenthalt vom 21. bis 24. Januar 2009 im N. Oldenburg führte. Dabei wurden am 21. Januar 2009 weitere Metastasen in Leber, Lunge, Milz, Bauchspeicheldrüse, Magen, Magenwand und Lymphknoten entdeckt (Bericht des O. Oldenburg vom 21. Januar 2009) und es kam zu starken Tumorschmerzen.
Am 21. Januar 2009 beantragte die Versicherte bei der BKK Fahr die Kostenübernahme für eine Ganzkörper-Hyperthermie unter Bedingungen der Maximaltherapie auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), da bisherige Behandlungen keine ausreichende Wirkung gezeigt hätten unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Anästhesiologie Dr. P. Hyperthermie-Tagesklinik L., vom 19. Januar 2009.
Die BKK Fahr holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen und im Lande Bremen (MDK) vom 4. Februar 2009 ein und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12. Februar 2009 ab. Bei der Thermochemotherapie handele es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die im vertragsärztlichen Bereich durch einen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 18. Januar 2005 von der Erbringung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen worden sei. Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG sowie der Begutachtungsanleitung "Außervertragliche neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" (NUB) vom 8. Oktober 2008 sei eine Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die beantragte Therapie aus sozialmedizinischer Sicht nicht gegeben, da eine anerkannte, in der Fachliteratur sowie der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie empfohlene schulmedizinische Behandlungsmöglichkeit in Form ein systemischen Chemotherapie noch zur Verfügung stehe und für die beantragte Therapie aufgrund der derzeitigen Datenlage keine nicht ganz entfernt liegende Hinweise für einen Nutzen/Vorteil gegenüber den anerkannten empfohlenen Therapieoptionen vorlägen. Kontraindikationen für eine systemische Chemotherapie ließen sich den vorliegenden Unterlagen nicht entnehmen.
Die Versicherte begann am 12./13. Februar 2009 mit der Ganzkörper-Thermotherapie in der Tagesklinik L ...
Sie legte gegen den Bescheid der BKK Fahr vom 12. Februar 2009 mit Schreiben vom 18. Februar 2009 Widerspruch ein und eine ärztliche Stellungnahme von M. vom 14. Februar 2009 vor.
Mit Schreiben vom 8. März 2009 beantragte sie die Kostenübernahme für die zweite Thermochemotherapie. Sie legte eine ärztliche Bescheinigung von M. vom 2. März 2009 vor, wonach sich durch die erste Behandlung der Allgemeinzustand der Versicherten und ihre Lebensqualität erheblich verbessert hätte, der Tumormarker CEA sei erstmals seit 5. August 2008 wieder gesunken (von 484 ng/ml auf 357 ng/ml) und die Tumorschmerzen deutlich zurückgegangen. Mit Schreiben vom 31. März 2009 erinnerte die Versicherte an die Entscheidung über ihren Antrag, die Therapie sei am 20. März 2009 durchgeführt worden.
Am 17. April 2009 stellte die Versicherte einen weiteren Antrag unter Vorlage einer Bescheinigung von M. vom 9. April 2009 für eine dritte Thermochemotherapie im Mai 2009.
Ausweislich der vorliegenden Rechnungen betrugen die Kosten für die Thermochemotherapien 11.026,50 EUR (Rechnung vom 24. Februar 2009), 10.781,02 EUR (Rechnung vom 30. März 2009) und 10.884, 97 EUR (Rechnung vom 19. Mai 2009) (insgesamt 32692,49 EUR).
Die BKK Fahr holte ein weiteres Gutachten des MDK vom 17. April 2009 ein und bewilligte der Versicherten mit Bescheid vom 16. Juni 2009 Kosten für die bereits durchgeführten Ganzkörper-Hyperthermiebehandlungen in Höhe von 3.512,- EUR je Behandlung (Vertragssatz im Rahmen einer Studie der interdisziplinären Arbeitsgruppe Hyperthermie (IAH) in Zusammenarbeit mit der Klinik für Strahlenheilkunde an der Q. in R. und der S. in T.). Der MDK habe festgestellt, dass die von der Versicherten beantragte Therapie grundsätzlich im Rahmen der oben genannten Studie erfolgen solle. Einer Kostenübernahme der privatärztlichen Behandlung in der Hyperthermie-Tagesklinik L. dürfe sie weiterhin nicht zustimmen.
Hiergegen legte die Versicherte mit Schreiben vom 24. Juni 2009 Widerspruch ein, den die BKK Fahr mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2009 zurückwies. Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach §§ 13, 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) hätten nicht vorgelegen. Die Hyperthermie-Tagesklinik in L. sei kein Vertragskrankenhaus. Bei der Behandlungsmethode handele es sich um eine neue Untersuchung- und Behandlungsmethode, die bereits ausdrücklich vom GBA bewertet worden sei. Dieser habe das Verfahren der Hyperthermien in Anlage B der BUB-Richtlinien aufgenommen. Auch die spezielle Form der Hyperthermie, die systemische Krebs-Mehrschritttherapie nach von U., sei in der Anlage B der BUB-Richtlinien aufgenommen worden.
Ein Kostenerstattungsanspruch könne sich somit wegen Vorliegens einer notstandsähnlichen Krankheitssituation nur ausnahmsweise unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG ergeben. Im Gutachten des MDK vom 4. Februar 2009 werde noch von bestehenden anderen Therapieoptionen ausgegangen, die vorrangig durchzuführen seien, da die Thermochemotherapie zu den nicht anerkannten Behandlungsmethoden nach den BUB-Richtlinien gehöre. Im Gutachten vom 17. April 2009 habe der MDK festgestellt, dass eine Hyperthermie in Kombination mit systemischer Chemotherapie im Rahmen einer qualitätsgesicherten Studie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden könnte. Dazu zähle jedoch nicht die Behandlung der Versicherten in der Tagesklinik L ... Bei der Versicherten bestehe ein lebensgefährliches Krankheitsbild in einem weit fortgeschrittenen Stadium mit multipler Metastasierung bei unbekanntem Primärtumor. Die Prognose sei ungünstig. Die bereits durchgeführten Behandlungen hätten gezeigt, dass das Tumorwachstum chemoresistent sei. Eine lebensbedrohliche Krankheit im Sinne des BVerfG läge daher vor und ein allgemein anerkanntes, dem medizinischen Standard entsprechendes Behandlungsverfahren mit einer realistischen Heilungschance stehe nicht mehr zur Verfügung.
Die Möglichkeit, die Behandlung im Rahmen einer qualitätsgesicherten Studie durchzuführen, bestehe nur in ausgewiesenen Zentren, die sowohl mit der Behandlung metastasierter Ovarialtumore bzw. Metastasen unbekannter Primärtumore und der qualitätsgesicherten Durchführung der Hyperthermie Erfahrung besäßen. Die Deutsche Krebsgesellschaft zähle die Tagesklinik L. nicht zu den Studienzentren, wo qualitätsgesicherte, wissenschaftlich begleitete Studien zur Hyperthermie in Deutschland durchgeführt würden. Sie arbeite nicht mit anerkannten wissenschaftlichen Gesellschaften im Sinne einer überprüfbaren Erforschung und Qualitätssicherung der Hyperthermie zusammen.
In der Tagesklinik L. werde zudem die Behandlung mit einem Iratherm-Gerät durchgeführt. Dafür existierten keine Nachweise zur Sicherheit und Temperaturkontrolle wie sie entsprechend der qualitätssichernden Richtlinie der European Society of Hyperthermic Oncologie (ESHO) und der interdisziplinären Arbeitsgruppe Hyperthermie der Deutschen Krebsgesellschaft gefordert seien. Dieses Gerät sei konzipiert für die Verwendung in Form der systemischen Krebsmehrschritttherapie nach von U ... Diese spezielle Form der Hyperthermie sei vom GBA zusätzlich explizit von der vertraglichen Versorgung negativ bewertet und ausgeschlossen worden. Es handele sich um eine Form der Hyperthermie, für deren Nutzen in mehreren durchgeführten Studien keinerlei Nachweise erbracht werden konnten. Es existierten hingegen Sicherheitsbedenken hinsichtlich der Durchführung dieser extremen Ganzkörper-Hyperthermiebehandlung. Auch aus dem Vortrag, es sei der Versicherten besser gegangen und die Tumormarker deutlich gefallen, lasse sich weder ein Wirksamkeitsnachweis noch ein Beweis der Sicherheit der durchgeführten therapeutischen Maßnahmen ableiten.
Die Hyperthermie sei durch die weitgehende Dominierung des Gebietes durch zweifelhafte Leistungsanbieter in ein schlechtes Licht gerückt worden. Gleichwohl handele es sich um ein Verfahren, das in seriösen Einrichtungen erforscht werde. Daher wäre die Behandlung der Versicherten mittels Hyperthermie in einem ausgewiesenen wissenschaftlich arbeitenden und vertraglich zugelassenen Studienzentrum möglich gewesen. Bei der Durchführung der Therapie in einem solchen Zentrum wäre sichergestellt gewesen, dass die Hyperthermie ausschließlich in Übereinstimmung mit den aktuellen qualitätssichernden Richtlinien durchgeführt und der Patientin kein zusätzlicher Schaden zugefügt werde. Im Gutachten vom 17. April 2009 würden auch als vertraglich zugelassene Kliniken, die eine Studie auf diesem Gebiet durchführten, die Klinik für Strahlentherapie der Q. in R. und die Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der V. in T. genannt. Außerhalb von ordnungsgemäß durchgeführten und qualitätsgesicherten klinischen Studien sei ein Therapieversuch abzulehnen, auch in der lebensbedrohlichen Situation, in der sich die Versicherte befinde und auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Trotzdem habe die beklagte BKK im Rahmen einer Einzelfallentscheidung die Kosten übernommen, die bei der Teilnahme an einer Studie in vertraglich zugelassenen Kliniken in T. oder R. als Mehrbedarf für die Hyperthermiebehandlung entstanden wären. Dabei handele es sich um 3.512,-EUR je Behandlungseinheit.
Gegen den am 28. August 2009 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Versicherte am 4. September 2009 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Aurich erhoben. Sie hat zur Begründung vorgetragen, es habe sich um eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V gehandelt. Die Versicherte hätte deshalb einen Nichtvertragsarzt in Anspruch nehmen müssen. Zudem hätte ein Systemversagen vorgelegen, sie beziehe sich auf Urteile des Bundessozialgericht (BSG) vom 19. Februar 2002 - B 1 KR 16/00 R und des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2001 - L 16 KR 156/99 -.
Die Versicherte verstarb am 14. Oktober 2009 an einer Lungenembolie.
Das SG hat nach Durchführung eines Erörterungstermins die Klage mit Urteil vom 9. Oktober 2012 ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, zuvor könne der Kläger den Kostenerstattungsanspruch als Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau geltend machen. Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) lägen vor. Der Anspruch richte sich auf laufende Geldleistungen.
Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V seien jedoch nicht erfüllt. Es fehle an einem Primäranspruch. Es bedürfe deshalb keiner Vertiefung, ob es sich bei der Thermochemotherapie um eine unaufschiebbare Leistung im Sinne dieser Regelung gehandelt habe oder der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen Nichtleistung und Kostenlast bereits daran scheitern könne, dass sich die Versicherte nach ihrem Vorbringen bereits auf die gewählte Behandlung festgelegt hatte, bevor die Beklagte mit dem Antrag befasst worden sei. Ein Primäranspruch nach §§ 27, 28 SGB V sei nicht gegeben. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürften nur zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen ausgesprochen habe. Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die der GBA (noch) nicht bewertet oder nach Bewertung nicht empfohlen habe, seien grundsätzlich nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung. Dieser grundsätzliche Ausschluss von der Leistungspflicht der Krankenkassen gelte auch für die im Falle der Ehefrau des Klägers durchgeführte Therapie, die eine extreme Ganzkörper-Hyperthermie unter anderem mit einer Chemotherapie kombiniere. Diese Methode der Behandlung habe der GBA bewertet und insgesamt - wie auch weitere Formen der Hyperthermie - in die (damalige) Anlage B "nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" aufgenommen.
Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus den in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Grundsätzen zur Leistungsgewährung im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung, die inzwischen auch in § 2 Abs. 1 a SGB V niedergelegt seien. Die Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Zwar handele es sich bei dem CUP-Syndrom um eine lebensbedrohende Erkrankung. Auch könne mit Blick auf die Ausführungen im Gutachten des MDK vom 17. April 2009 zugrunde gelegt werden, dass zumindest mit Blick auf das auch von M. noch in den Vordergrund gestellte Behandlungsziel Heilung zum Zeitpunkt des Beginns der Chemotherapie die Maßnahmen der den medizinischen Standard im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entsprechenden Krankenbehandlung ausgeschöpft gewesen seien.
Allerdings vermöge die Kammer nicht festzustellen, dass insoweit die weitere Voraussetzung - eine nicht nur ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung - erfüllt gewesen sei. Ob einem Leistungsanspruch insoweit bereits eine erfolgte negative Bewertung der konkret geplanten oder nicht eingesetzten Nicht-Standardtherapie durch den GBA im Sinne eines auch diesen Fall erfassenden umfassenden Leistungsausschlusses entgegenstehe oder sich ein Leistungsanspruch grundsätzlich nicht nur für den Zeitraum vor dem Abschluss eines Verfahrens nach § 135 SGB V, sondern auch nach einer negativen Empfehlung ergeben könne, müsse nicht abschließend entschieden werden. Eine negative Bewertung des Nutzens einer Behandlungsmethode in einem Verfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V stelle jedenfalls ein gewichtiges Indiz dar, welches als Ausgangspunkt für die weitere Beurteilung dienen könne, ob trotz des hiernach fehlenden Nachweises des therapeutischen Nutzens im Einzelfall eine Aussicht auf Heilung angenommen werden könne. Hierfür bedürfe es allerdings konkreter Anhaltspunkte. Solche habe die Kammer nicht. Mit Blick auf das Vorbringen des Klägers zur zumindest zunächst positiven Entwicklung des Gesundheitszustandes der Versicherten (Rückgang der Tumormarker, verbessertes Allgemeinbefinden und deutliche Schmerzentlastung) sei darauf hinzuweisen, dass insoweit auf eine prognostische Beurteilung des möglichen Behandlungserfolges bei ihrem Beginn abgestellt werden müsse. In das mit Beschluss des GBA vom 18. Januar 2005 abgeschlossene Bewertungsverfahren seien verschiedene onkologische Indikationen einbezogen worden, u. a. Ovarialtumore, Lebertumore und Bronchialkarzinome.
Dies gelte auch für das konkret im Fall der Versicherten eingesetzte Verfahren der Ganzkörper-Hyperthermie in Kombination mit einer Chemotherapie. Hiernach habe der GBA den Nachweis eines therapeutischen Nutzens auch insoweit nicht als erbracht angesehen. Vielmehr habe er festgestellt, dass sich die zugrunde liegende Technologie der Hyperthermie noch im Stadium der Forschung und Entwicklung befinde. Hiernach sollten bei solchen experimentellen Therapien Erprobungen auf die Durchführung kontrollierter Studien begrenzt bleiben, die geeignet seien, einen Wirksamkeitsnachweis zu führen. Die Kammer vermöge weder den ärztlichen Berichten des M. noch den weiteren medizinischen Unterlagen durchgreifende Hinweise dafür zu entnehmen, dass sich die medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse bis 2009 insoweit grundlegend geändert hätten. Vielmehr sei den Ausführungen des MDK zu entnehmen, dass ein Wirkungsnachweis gerade der Ganzkörper-Hyperthermie nicht erbracht werden konnte, sich hingegen aus den Studienerfahrungen Bedenken hinsichtlich der Patientensicherheit ergeben hätten. Insbesondere mit Blick darauf halte die Kammer es für sehr plausibel, wenn auch der MDK eine Behandlung außerhalb stationärer Bedingungen im Rahmen einer kontrollierten klinischen Studie nicht für vertretbar erachte.
Gegen das am 7. Januar 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. Januar 2013 Berufung vor dem LSG Niedersachsen-Bremen erhoben und sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 9. Oktober 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2009 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 16. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, weitere Kosten für Ganzkörper-Hyperthermiebehandlung in Höhe von 22.156,49 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes einen Bericht des Facharztes für Anästhesiologie M. vom 23. März 2014 eingeholt, dem eine Stellungnahme vom 2. September 2009 sowie eine Stellungnahme der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 7. Januar 2013 (zur Abrechenbarkeit nach der GOÄ) beigefügt waren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten, der von M. übersandten Originalbehandlungsunterlagen der Versicherten und der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung geworden.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist auch begründet. Der Kläger kann von der Beklagten als Sonderrechtsnachfolger der verstorbenen Versicherten Kostenerstattung in Höhe von weiteren 22.156,49 EUR verlangen.
I. Zutreffend hat das SG entschieden, dass der Kläger den allein in Betracht kommenden Kostenerstattungsanspruch als Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau geltend machen kann. Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I sind erfüllt. Nach dieser Vorschrift stehen fällige Ansprüche nach dem Tode des Berechtigten dem Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat oder von ihm wesentlich unterhalten worden ist. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V im Rechtssinne auf "laufende" Geldleistungen gerichtet, wenn er -wie im vorliegenden Fall der Versicherten- über mehrere Zeitabschnitte selbstbeschaffte Leistungen betrifft (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 1/06 R Rdnr. 10 ff = BSG SozR4-2500 § 31 Nr. 5; BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 6/11 R Rdnr. 11= BSGE 111,137).
II. Die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs sind erfüllt. Einzig in Betracht kommende Rechtsgrundlage für den hier geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V. Dieser lautet:
Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
1. § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V setzt somit einen Primärnaturalleistungsanspruch des Versicherten, dessen rechtswidrige Nichterfüllung sowie die Selbstbeschaffung der entsprechenden Leistung durch den Versicherten voraus. Im Falle der ersten Alternative muss die Selbstbeschaffung auf der nicht rechtzeitigen Leistungserbringung beruhen. Bei der zweiten Alternative kommen die Ablehnung der Naturalleistung durch die Krankenkasse und der Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung hinzu (vgl. Brandts, Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band 1, Stand: Juni 2014, § 13 SGB V Rdnr. 52). Beide Alternativen des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V hängen somit zunächst davon ab, dass der Versicherte einen Primäranspruch auf die entsprechende Dienst- oder Sachleistung hat (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 16/07 R = SozR 4-2500 § 31 Nr. 9 Rdnr.13; Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R = BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 19 Rdnr. 12; Urteil vom 23. März 2007 - B 1 KR 25/06 R Rdnr. 10 = BSG SozR 4-2500 § 116 b Nr. 1 mwN). § 13 Abs. 3 SGB V kann die Grenzen des Leistungssystems nicht erweitern, sondern setzt einen Leistungsanspruch voraus.
Im Falle der Versicherten bestand bei grundrechtsorientierter Auslegung ein solcher Primärleistungsanspruch.
a.) Nach § 27 Abs. 1 S.1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. die ärztliche Behandlung sowie die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 und 3 SGB V) durch zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigte Behandler (§ 76 2Abs. 1 S. 1 SGB V). Der Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst jedoch nur solche Leistungen, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V). Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 S.1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw.) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. Die Krankenkassen sind deshalb nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben (BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 6/11 R Rdnr. 16).
"Neu" ist eine Methode, wenn sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung in dem einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) enthalten ist (BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - B 1 KR 15/08 R = SozR 4-2500 § 27 Nr. 16 Rdnr. 11 mwN). Gemessen daran ist die hier durchgeführte Hyperthermiebehandlung eine neue Behandlungsmethode - wie auch der behandelnde Arzt M. in seinem Schreiben vom 19. Januar 2009 ausgeführt hat.
Es fehlt auch an der nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V erforderlichen befürwortenden Entscheidung des GBA, ohne die neue Behandlungsmethoden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht gewährt werden können. Der GBA hat nach Anlage II Nr. 42 der Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung (MVV-Richtlinie) (früher: BUB- Richtlinie) die Hyperthermiebehandlung (u.a. Ganzkörper-Hyperthermie, regionale Tiefenhyperthermie, Oberflächenhyperthermie, Hyperthermie in Kombination mit Radiatio und/oder Chemotherapie) ausdrücklich als nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode angesehen (Beschluss des GBA vom 18. Januar 2005, Bundesanzeiger 2005, S. 7485).
Ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungspflicht der Krankenkassen ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 1 KR 24/06 R = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12 mwN). Ein solcher Fall des Systemversagens liegt hier schon deshalb nicht vor, weil sich der GBA mit der streitigen Behandlungsmethode der Hyperthermie befasst hat. Der Kläger hat keine Anhaltspunkte vorgetragen, dass die Prüfung, auf der der Beschluss des GBA vom 18. Januar 2005 beruht, fehlerhaft war oder inzwischen überholt ist.
b.) Ein Primärleistungsanspruch der Versicherten gegen die Vorgängerin der Beklagten bestand aber nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5).
Der Gesetzgeber hat den vom BVerfG formulierten Anforderungen an eine grundrechtsorientierte Auslegung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf neue Behandlungsmethoden im Falle einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder zumindest wertungsgemäß vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, mit dem am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen (GKV- Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG- vom 22. November 2011, BGBl. I 2983) - auf den Fall der Versicherten noch nicht anwendbaren - § 2 Abs. 1 a SGB V Rechnung getragen.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 6. Dezember 2006 - 1 BvR 347/98; Beschluss vom 6. Februar 2007 - 1 BvR 3101/06) ist eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, dass eine neue ärztliche Behandlungsmethode ausgeschlossen ist, weil der GBA diese nicht anerkannt hat, dann grundgesetzwidrig, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: 1. es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor, 2. bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung und 3. bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
Ob die Rechtsprechung des BVerfG auch in den Fällen heranzuziehen ist, in welchen eine neue Behandlungsmethode bereits ausdrücklich vom GBA ausgeschlossen wurde, war in der Vergangenheit umstritten (offengelassen in BVerfG, Beschluss vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 17 Rdnr. 34). Nach § 2 Abs. 2 der MVV-Richtlinien steht der Umstand, dass der GBA eine Behandlungsmethode ausdrücklich nicht aufgenommen hat, der Leistungsgewährung im Rahmen einer grundrechtsorientierten Auslegung aber nach eigener Auffassung des GBA nicht entgegen. Da Beschlüsse des GBA nicht den Einzelfall regeln, können gesetzlich Versicherte danach in Ausnahmefällen einen Anspruch auch auf vom GBA bereits ausgeschlossene Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach dem Beschluss des BVerfG haben, sofern die dort festgelegten Kriterien erfüllt sind (vgl. auch Nolte, Kasseler Kommentar, Band 1, Stand: Juli 2014, § 27 SGB V Rdnr. 59 b; Pressemitteilung des GBA vom 20. Januar 2011 - www.g-ba.de). Voraussetzung nach § 2 Abs. 2 Satz 3 MVV-Richtlinie ist eine entsprechende Aufklärung des Patienten einschließlich der Information, dass es sich um eine ausgeschlossene Methode handelt, und die Dokumentation des Einverständnisses. Diese Voraussetzungen sind hier nach den vorgelegten Behandlungsunterlagen erfüllt.
Das BSG hat die Rechtsprechung des BVerfG vom 6. Dezember 2005 in verschiedenen Urteilen konkretisiert. Danach muss das konkrete Behandlungsziel geklärt, die Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt, eine Risiko-Nutzenanalyse durchgeführt und die Behandlung ausreichend dokumentiert werden (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 Rdnr. 49 = BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4; Urteil vom 7. November 2006 - B 1 KR 24/06 R Rdnr. 25 = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Nach der Rechtsprechung des BSG soll dem Patienten, der "Strohhalm der Hoffnung" auf Heilung nicht wegen der fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verweigert werden. Hoffnungen in diesem Sinne kann ein Patient aber nur mit Behandlungsmethoden verbinden, die darauf gerichtet sind, auf seine mutmaßlich tödlich verlaufende Grunderkrankung als solche einzuwirken, es geht nicht um jede Verbesserung der subjektiven Lebensqualität (wie zum Beispiel der Verbesserung des Appetites - BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 - B 6 KA 48/09 R = SozR 4-2500 § 106 Rdnr. Nr. 30 Rdnr. 33 ff).
Das BVerfG hat in einem Kammerbeschluss vom 26. Februar 2013 = 1 BvR 2045/12 = NZS 2013, 500 erneut deutlich gemacht, dass es einer besonderen Rechtfertigung für Artikel 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip bedürfe, wenn den der Versicherungspflicht unterworfenen Versicherten Leistungen für die Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten werden. Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung und seiner fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung im Einzelfall sind die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Abs. 2 S. 1 GG. Zwar folgt aus diesen Grundrechten regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkasse auf Bereitstellung bestimmter und besonderer spezieller Gesundheitsleistungen. Die Gestaltung des Leistungsrechts hat sich jedoch an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Artikel 2 Abs. 2 S. 1 GG zu stellen. Insofern können diese Grundrechte in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten.
Dies gilt insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, denn das Leben stellt einen Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung dar. Behördliche und gerichtliche Verfahren müssen dieser Bedeutung und der im Grundrecht auf Leben enthaltenen grundlegenden objektiven Wertentscheidung gerecht werden und sie bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2013 - 1 BvR 2045/12 = NZS 2013, 500). Dabei kann die Frage, ob eine alternative Behandlungsmethode von der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren ist, nicht losgelöst davon betrachtet werden, was die anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zu leisten vermag und was die alternative Behandlung zu leisten vorgibt. Bei der Frage, ob eine Behandlung mit Mitteln der Schulmedizin in Betracht kommt und inwieweit Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, ist das konkrete Behandlungsziel zu klären. Bietet die Schulmedizin nur noch palliative Therapien an, weil sie jede Möglichkeit kurativer Behandlung als aussichtslos erachtet, kommt die Alternativbehandlung nur dann in Betracht, wenn die auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg besteht. Rein experimentelle Behandlungsmethoden reichen hierfür nicht. Mit Artikel 2 Abs. 1 GG i.V.m. mit dem Sozialstaatsprinzip und Artikel 2 Abs. 2 S.1 GG ist es in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr jedoch nicht zu vereinbaren, Versicherte auf eine nur mehr auf die Linderung von Krankheitsbeschwerden zielenden Standardtherapie zu verweisen, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung besteht (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2013 - 1 BvR 2045/12, NZS 2013, 500, 501).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich im vorliegenden Fall Folgendes:
aa.) Die Versicherte litt - zwischen den Beteiligten unstreitig - an einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Bei der Versicherten bestand ein CUP-Syndrom (Krebserkrankung bei unbekanntem Primärtumor), bei dem es innerhalb kürzester Zeit trotz Chemotherapie und experimenteller Antikörpertherapie zu einer fortschreitenden Metastasierung in Leber, Lunge, Milz, Bauchspeicheldrüse, Magen, Magenwand und Lymphknoten gekommen war. Eine Heilung war nicht mehr möglich. Der MDK hat dazu in seinem Gutachten vom 17. April 2009 ausgeführt, dass das Krankheitsgeschehen hinsichtlich der Prognose bereits von Anfang an als äußerst kritisch anzusehen war und es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung gehandelt hat.
bb.) Bezüglich dieser Krankheit stand eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung, jedenfalls seit Januar 2009 nicht (mehr) zur Verfügung. Auch dies ist- wie sich aus dem Widerspruchsbescheid der BKK Fahr vom 26. August 2009 ergibt- zwischen den Beteiligten mittlerweile unstreitig. Die von der Versicherten durchgeführten Chemotherapien (Taxol/Carboplatin (Februar bis Juni 2008), die bereits im Juni im 2008 abgebrochen wurden, weil sich keine Auswirkungen auf das Tumorgeschehen zeigten, und die experimentelle Antikörpertherapie (Tarceva und Avastin (Wirkstoff: Bevacizumab) (September 2008 bis Januar 2009)), die zu starken Nebenwirkungen führte, hatten den Zustand der Versicherten nicht positiv beeinflusst. Die BKK Fahr hat in ihrem Widerspruchsbescheid selbst eingeräumt, dass das Tumorwachstum chemoresistent war und anerkannt, dass dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsverfahren mit einer realistischen Heilungschance nicht mehr zur Verfügung standen. Insofern ist die Einschätzung des MDK in seinem ersten Gutachten vom 4. Februar 2009, für die Versicherte stehe eine schulmedizinische Therapieoption in Form einer systemischen Chemotherapie noch zur Verfügung, durch seine Äußerung im Gutachten vom 17. April 2009 widerlegt, da darin ausdrücklich eingeräumt wurde, dass ein allgemein anerkanntes, dem medizinischen Standard entsprechendes Behandlungsverfahren mit realistischen Heilungschancen nicht zur Verfügung stehe. Dies galt bereits im Februar 2009, zumal der MDK bereits zu der Zeit konkrete Therapievorschläge für den speziellen Fall der Versicherten (welche konkrete Chemotherapie kommt jetzt für die Versicherte noch in Betracht?) nicht machen konnte.
cc.) Entgegen der Auffassung des SG ist auch die dritte vom BVerfG aufgestellte Voraussetzung, bezüglich der bei der Versicherten ärztlich angewandten Behandlungsmethode besteht eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf, erfüllt. Es bestand hier im Falle der Versicherten bei prognostischer Betrachtung eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliativen Standardtherapien hinausreichenden Erfolg bezüglich der Grunderkrankung durch Einwirkung auf die Tumorzellen (vgl. Schreiben von Dr. W. vom 23. März 2014).
Erforderlich ist nach der Rechtsprechung des BSG, dass unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes sowohl die abstrakte als auch die konkret-individuelle Chancen-/Risikoabwägung ergibt, dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiegt. Je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation ist, desto geringer sind dabei die Anforderungen an die "ernsthaften Hinweise" auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg (BSG, Urteil vom 2. September 2014 - B 1 KR 4/13 R Rdnr. 17 mwN).
Das SG hat sich insoweit in seinem Urteil ausschließlich auf den - durch den GBA festgestellten - fehlenden Nachweis eines therapeutischen Nutzens gestützt und ausgeführt, der GBA habe vielmehr festgestellt, dass sich die zugrundeliegende Technologie der Hyperthermie noch im Stadium der Forschung und Entwicklung befinde. Danach sollten bei solchen experimentellen Therapien Erprobungen auf die Durchführung kontrollierter Studien begrenzt bleiben. Damit hat sich das SG ausschließlich auf die dem Beschluss des GBA zugrundeliegenden wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt, bei deren Erfüllung eine Aufnahme in die vertragsärztliche Versorgung erfolgen könnte und ein Rückgriff auf die Rechtsprechung des BVerfG gar nicht nötig wäre, sich jedoch nicht mit der konkret-individuellen Situation der Versicherten unter Berücksichtigung von Artikel 2 GG auseinandergesetzt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG erfordert der Anspruch des Versicherten auf Leistungsgewährung im Rahmen der grundrechtsorientierten Auslegung gerade nicht, dass die begehrte Behandlungsmethode bereits als Standard etabliert ist und ihre Wirksamkeit durch größere kontrollierte Studien bereits bewiesen oder dass sie von der Deutschen Krebsgesellschaft bereits empfohlen wurde (vgl. so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. März 2014 - L 5 KR 1496/13 Rdnr. 83). Darüber hinaus wird die hier durchgeführte Therapie auch nicht allgemein abgelehnt (vgl. Schreiben des BKK-Landesverbandes X. vom 20. April 2009 über Hyperthermiebehandlungen am Klinikum der Universität T. und die Ausführungen des MDK im Gutachten vom 17. April 2009 - Seite 4 zu Hyperthermiebehandlungen in verschiedenen Universitätskliniken). Sie wird auch von Beihilfestellen und privaten Versicherungen übernommen.
Im konkreten Fall der Versicherten bestand eine auf Indizien gestützte spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf, denn bei der Versicherten sind nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen die relevanten Tumormarker nach der (ersten) Behandlung deutlich zurückgegangen, die erhöhten Leberwerte auf die Hälfte gesunken und Tumorschmerzen waren nicht mehr behandlungsbedürftig, so dass Kortison und Analgetika abgesetzt werden konnten (vgl. Bericht von M. vom 23. März 2014, Labor- und Arztberichte in den Behandlungsunterlagen der Versicherten). Vor der Behandlung betrugen die Tumormarker CEA, Ca 15.5, Ca 125 und CA 19-9 am 12. Februar 2009 484 ng/ml, 59, 8 U/ml, 270 U/ml und 901.000 U/ml, nach der ersten Behandlung 306 ng/ml, 53,1 U/ml, 106,9 U/ml und 266.931 U/ml und am 20. April 2009 betrugen CEA 262.1 ng/ml und CA 19-9 23.500 U/ml. Der Allgemeinzustand der Versicherten hatte sich deutlich verbessert (Bericht von M. vom 21. März 2009). Auch der MDK hat in seinem Gutachten vom 17. April 2009 diese positive Entwicklung anerkannt.
Damit liegt nach Auffassung des Senates hier genau die Konstellation vor, für die das BVerfG im Hinblick auf Artikel 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und Artikel 2 Abs. 2 S. 1 GG in der extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr Alternativbehandlungen im Einzelfall zulassen wollte.
Darüber hinaus ergibt sich auch aus dem Bericht von Y. vom 23. März 2014, dass im konkreten Fall der Versicherten eine Risiko-Nutzenabwägung erfolgte, die Behandlung ausführlich dokumentiert wurde und regelmäßige Kontrollen stattfanden. Nach allem geht der Senat davon aus, dass ein Primäranspruch auf die entsprechende Sachleistung bestanden hat.
2. Bei bestehendem Primäranspruch lagen im konkreten Fall der Versicherten auch die übrigen Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V vor.
Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 S. 1 2. Alternative SGB V ist grundsätzlich nur gegeben, wenn ein Ursachenzusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und der Selbstbeschaffung besteht (st. Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 Rdnr. 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 12 mwN). Dies setzt zunächst voraus, dass die Leistung zeitlich nach der Erteilung des Bescheides erbracht werden muss. Bei Leistungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, ist zu unterscheiden, ob die Leistung aus mehreren selbstständigen Schritten besteht oder ob sie einen zusammenhängenden Komplex darstellt. Wird eine aus mehreren unselbstständigen Schritten bestehende Komplexleistung in Anspruch genommen, so liegt eine Kausalität zwischen dem ablehnenden Bescheid und der Selbstbeschaffung nicht vor, wenn mit dem ersten unselbstständigen Schritt bereits vor der ablehnenden Entscheidung begonnen worden ist, der übrige Leistungsteil aber nach dem ablehnenden Bescheid erbracht wird (z. B bei implantatgestützter Suprakonstruktion oder im Fall einer Invitro-Fertilisation). Ist dagegen die Entscheidung der Krankenkasse geeignet, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen, kann ein Kausalzusammenhang vorliegen. Aus dem Umstand, dass zwischen der Ablehnung der Leistung und der Selbstbeschaffung ein Ursachenzusammenhang bestehen muss, folgt auch die Notwendigkeit, dass die rechtswidrige Vorenthaltung der Naturalleistung durch die Beklagte wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung war. Insbesondere darf sich der Versicherte grundsätzlich nicht - unabhängig davon, wie eine Entscheidung der Krankenkasse ausfällt - von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung bei einem nicht zugelassenen Leistungserbringer festgelegt haben (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 2/08 R Rdnr. 28= SozR 4- 2500 § 13 Nr. 20). Mögliche Anhaltspunkte für eine solche Festlegung können etwa die Vereinbarung eines Behandlungs- bzw. Operationstermin oder das Verhalten des Versicherten bei der Antragstellung sein.
Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden auf Antrag erbracht, soweit sich aus den Vorschriften über die einzelnen Versicherungszweige nichts Abweichendes ergibt (§ 19 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Seine Rechtsprechung zum Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO), wonach eine Leistung dann nicht vorher beantragt werden muss, wenn von vornherein feststeht, dass die Kasse sie verweigern wird, hat das BSG für das geltende Recht in § 13 SGB V nicht übernommen. Das BSG hat zur Begründung darauf verwiesen, dass dies schwierige Abgrenzungsprobleme aufwerfen würde, weil sich kaum abstrakt festlegen lasse, welche Bedingungen erfüllt werden müssten, damit der Versicherte von einer als sicher zu erwartenden Ablehnung ausgehen dürfe und dies widerspräche dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes (vgl. BSG, Beschluss vom 15. April 1997 - 1 BK 31/96 = SozR 3- 2500 § 13 Nr. 15 S. 75). Nur die Krankenkasse hat einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Versorgungstrukturen, so dass die Feststellung einer Versorgungslücke Aufgabe der Krankenkasse ist und nur ihre vorherige Prüfung, ggf. unter Einschaltung des MDK, sicherstellt, dass der Versicherte sachgerecht beraten wird und gesundheitliche und wirtschaftliche Risiken vermieden werden (BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 - B 1 KR 9/03 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 1 Rdnr. 13; BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R Rdnr. 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 12; Brandts, Kasseler Kommentar, aaO., § 13 Rdnr. 85). In Hinblick auf den Ausnahmecharakter des Kostenerstattungsanspruch muss der Krankenkasse also vorab die Prüfung ermöglicht werden, ob die beanspruchte Leistung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung bereitgestellt werden kann und ob sie zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört, insbesondere den Anforderungen an Geeignetheit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit genügt (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R Rdnr. 12).
Dieser Rechtsprechung des BSG ist der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung ausnahmslos gefolgt.
Der Verpflichtung des Versicherten, Anträge bei der Krankenkasse zu stellen und deren Bescheidung vor Inanspruchnahme der beantragten Leistungen abzuwarten, entspricht aber spiegelbildlich die Verpflichtung der Krankenkasse, Anträge jeweils im Einzelfall in der Sache sorgfältig zu prüfen, den Versicherten sachgerecht zu beraten und zeitnah zu bescheiden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. Juni 2013 - L 1 KR 231/12 S. 21).
a.) Dieser Verpflichtung ist die Krankenkasse im Falle der Versicherten jedoch nicht nachgekommen. Die Versicherte hat bei der BKK Fahr am 21. Januar 2009 einen Antrag auf Kostenübernahme für die Ganzkörper-Hyperthermie unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Anästhesiologie M. vom 19. Januar gestellt, die BKK Fahr hat aber trotz Kenntnis des Ausmaßes der Erkrankung der Versicherten und der besonderen Eilbedürftigkeit in ihrem Fall erst mit Bescheid vom 12. Februar 2009 entschieden und damit nicht vor Anfang der am 12./13. Februar 2009 begonnenen Therapie. Die BKK Fahr hat damit trotz Kenntnis der lebensbedrohenden, hoffnungslosen Situation der Versicherten gegen ihre Verpflichtung zur zeitnahen Prüfung verstoßen. Zudem hat sie sich in ihrem ablehnenden Bescheid vom 12. Februar 2009 nicht mit der Rechtsprechung des BVerfG, bezogen auf die Situation der Versicherten, auseinandergesetzt und ihre ablehnende Entscheidung - sich auf das Gutachten des MDK vom 4. Februar 2004 stützend - damit begründet, dass eine systematische Chemotherapie für die Versicherte noch zur Verfügung steht, obwohl ihr bekannt war, dass Chemotherapien von den behandelnden Ärzten wegen Erfolglosigkeit bereits im Juni 2008 nicht weitergeführt worden waren und eine experimentelle Antikörpertherapie keinen Erfolg hatte. Es ist mithin gar keine ernsthafte Prüfung der konkreten Situation der Versicherten durch die Krankenkasse erfolgt, vielmehr ist die Versicherte schematisch auf den Einsatz von weiteren schulmedizinischen Chemotherapien verwiesen worden, ohne diese konkret zu benennen. Im Übrigen hat der MDK in seinem Gutachten vom 17. April 2009 selbst eingeräumt, dass medizinischem Standard entsprechende Behandlungsverfahren nicht mehr zur Verfügung standen.
Eine grundrechtsorientierte Auslegung verbietet es jedoch, im Einzelfall überzogene und damit unverhältnismäßige Verfahrenserfordernisse nicht nur für den Zugang des Versicherten zu der Leistung, sondern auch für die Selbstbeschaffung einer Leistung und die hierfür entstandenen Aufwendungen nach Maßgabe des § 13 Abs. 3 SGB V aufzustellen. Deshalb kann es bei lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen ausreichen, wenn der Versicherte sich mit seinem Leistungsbegehren -wie hier- unverzüglich an die Krankenkasse wendet und dieser eine zeitnahe Prüfung ermöglicht. Einzelheiten des Beschaffungsweges können dann für den Erstattungsanspruch keine ausschlaggebende Rolle spielen, vielmehr ist zu prüfen, ob das Erstattungsverlangen - wie im Falle der Versicherten- in der Sache berechtigt ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. März 2014 - L 5 KR 1496/13 Rdnr. 59 - zitiert nach juris).
b.) Auch über den zweiten und dritten Antrag der Klägerin vom 8. März und April 2009 hat die BKK Fahr nicht zeitnah entschieden. Bezüglich der zweiten und dritten Behandlung sind jedenfalls die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB V erfüllt. Die Versicherte durfte sich eine unaufschiebbare Leistung selbst beschaffen.
Eine Leistung ist dann unaufschiebbar, wenn sie sofort - ohne die Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs - zu erbringen ist (BSG, Urteil vom 16. Dezember 1993 - 4 RK 5/92 = BSGE 73, 271 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4 S. 26). Die Behandlung muss so dringlich sein, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit besteht, eine Entscheidung der Krankenkasse einzuholen (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006- B 1 KR 8/06 R= SozR 4-2500 § 13 Nr. 12 Rdnr. 23). Eine Ausnahme von dem Grundsatz, sich vor Inanspruchnahme einer Leistung außerhalb des Sachleistungssystems an die Krankenkasse zu wenden, besteht nur dann, wenn es dem Versicherten aus medizinischen oder anderen Gründen nicht möglich war oder nicht zugemutet werden konnte, vor der Beschaffung der Leistung die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22; BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R = SozR 4-2500 § 27 Nr. 10 Rdnr. 11). Die "Unaufschiebbarkeit" der Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 S. 1 1. Alternative SGB V ist abzugrenzen von einem "Notfall" im Sinne des § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V. § 13 Abs. 3 S.1 1. Alternative SGB V umfasst nicht Notfälle im Sinne des § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V (BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 12 Rdnr. 23). Ein Notfall im Sinne des § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V besteht nur dann, wenn ein unmittelbar auftretender Behandlungsbedarf sofort befriedigt werden muss. In einem solchen Fall werden die von nicht zugelassenen Ärzten erbrachten Leistungen aus der Gesamtvergütung bezahlt und ein Anspruch richtet sich allein gegen die Krankenkasse, nicht jedoch gegen den Versicherten (BSG, Urteil vom 9. Oktober 2001 - B 1 KR 6/01 R = BSGE 89, 39, 41 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 25 S. 118; Brandts, aaO., § 13 Rdnr. 75 - 79).
Die Beklagte hat über die rechtzeitig gestellten Anträge auf eine unaufschiebbare Leistung der Versicherten vom 8. März 2009 und 14. April 2009 nicht zeitnah, sondern erst am 16. Juni 2009 entschieden.
Es hat sich nicht um eine Gesamtbehandlung gehandelt, zu deren Durchführung die Versicherte sich bereits von Anfang an im Januar 2009 festgelegt hatte. Vielmehr sollten weitere Behandlungen erst (und nur) bei Anschlagen der Therapie (Response) im Abstand von sechs bis acht Wochen angeschlossen werden (vgl. Bericht M. vom 14. Februar 2009).
Nachdem sich bei der Versicherten durch die erste Behandlung ein Erfolg durch Sinken der Tumormarker, Nachlassen der Tumorschmerzen und deutlicher Verbesserung des Allgemeinzustandes gezeigt hatte, hat sie weitere Kostenübernahmeanträge gestellt, über die die Rechtvorgängerin der Beklagten nicht zeitnah entschieden hat. Bei der Inanspruchnahme der zweiten und dritten Behandlung hat es sich um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt, die so dringlich war, dass die Versicherte die erst mehrere Monate später erfolgte Entscheidung der Krankenkasse nicht abwarten musste. Im Falle des Vorliegens einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung hat die Krankenkasse die Verpflichtung, beschleunigt zu agieren und zu entscheiden (vgl. so auch SG Saarland, Urteil vom 12. September 2014 - S 1 KR 410/13 - zitiert nach juris). Angesichts der erheblichen Metastasierung der weit fortgeschrittenen Krebserkrankung war es mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren, vor der Aufnahme der weiteren Behandlung auf die -verzögerte- Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse zu warten. Dieser war bekannt, dass die Versicherte an einer schulmedizinisch austherapierten, lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung litt und es war der Versicherten, die ihre jeweiligen Anträge rechtzeitig mehrere Wochen vor Behandlungsbeginn bei der Krankenkasse gestellt hat und sich damit nicht außerhalb des Systems der GKV bewegen wollte, nicht zuzumuten, weitere Entscheidungen der Krankenkasse abzuwarten.
Versicherte, die vor Beginn der Behandlung eine entsprechende Bescheidung der Krankenkasse nicht abwarten, sind nicht für alle nachfolgenden Behandlungen mit dieser Methode von der Leistungspflicht der Krankenkasse ausgeschlossen (BVerfG, Beschluss vom 19. März 2009 - 1 BvR 316/09 = NZS 2009, 376). Auch hier verbietet eine grundrechtsorientierte Auslegung im Fall einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung überzogene und damit unverhältnismäßige Verfahrenserfordernisse nicht nur für den Zugang des Versicherten zu der Leistung, sondern auch für die Selbstbeschaffung einer Leistung und die hierfür entstandenen Aufwendungen nach Maßgabe des § 13 Abs. 3 SGB V aufzustellen.
c.) Die Reichweite des Kostenerstattungsanspruchs bestimmt sich nach der Lücke im Leistungssystem, die er zu schließen hat. Durch die selbstbeschaffte Leistung entstanden der Versicherten bzw. dem Kläger als deren Sonderrechtsnachfolger auch die geltend gemachten Kosten, die der behandelnde Arzt nach der GOÄ berechnet hat. Er hat dabei kein Pauschalhonorar ohne Bezug auf das Leistungsverzeichnis der GOÄ in Rechnung gestellt (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2014 - B 1 KR 65/12 R Rdnr. 23 ff, 30). Die Beklagte hat der Versicherten auch bereits anteilige Kosten für die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen in Höhe von 10.536 EUR (3x 3.512,00 EUR) erstattet, so dass sich der Restanspruch angesichts der Gesamtbehandlungskosten von 32.692,49 EUR auf 22.156,49 EUR beläuft.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass die BKK Fahr die Versicherte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 26. August 2009 auf die Inanspruchnahme von zugelassenen Studienzentren verwiesen hat, obwohl ihr zu dem Zeitpunkt bekannt war, dass die Versicherte die Behandlungen schon durchgeführt hatte, und ohne Kenntnis, ob diese Zentren für eine Therapie der Versicherten im Rahmen einer Studie angesichts ihrer seltenen Krebserkrankung überhaupt geeignet und bereit waren. Insoweit hat M. in seinem Schreiben vom 2. September 2009 darauf hingewiesen - von der Beklagten unbestritten-, dass die Versicherte sich an die betreffende Klinik gewandt und die Auskunft erhalten hat, dass sie für eine Behandlung nicht in Betracht komme, da nur Patientinnen mit Ovarial- und Mamma-Karzinomen behandelt würden. Zudem existiere keine passende Studie für Patienten mit CUP-Syndrom bei unbekanntem Primärtumor (Bericht von M. vom 23. März 2014).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es hat kein gesetzlicher Grund vorgelegen, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), da keine im allgemeinen Interesse zu klärende Rechtsfrage streitig ist, sondern es um die Anwendung der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG auf den konkreten Einzelfall der Versicherten geht.