Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 01.11.2012, Az.: 1 Ws 426/12 (StrVollz)
Voraussetzungen für die Zuweisung einer Beschäftigung in der Arbeitstherapie im Strafvollzug
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 01.11.2012
- Aktenzeichen
- 1 Ws 426/12 (StrVollz)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 36506
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2012:1101.1WS426.12STRVOLLZ.0A
Rechtsgrundlagen
- § 35 JVollzG,NI
- § 38 JVollzG,NI
- § 94 JVollzG,NI
Fundstellen
- NStZ-RR 2013, 94
- ZfStrVo 2013, 63
Amtlicher Leitsatz
Die Zuweisung einer Beschäftigung in der Arbeitstherapie kommt nur in Frage, wenn der Gefangene zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig ist. Sie kann nicht als quasidisziplinarische Maßnahme vorgenommen werden, wenn der über solche Fähigkeiten verfügende Gefangene sich weigert, einer ihm zugewiesenen Arbeit nachzukommen.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Verhängung der Disziplinarmaßnahme der Antragsgegnerin vom 9. August 2012 rechtswidrig gewesen ist.
Die Kosten des Verfahrens, einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragstellers, trägt die Antragsgegnerin.
Der Streitwert wird auf 300 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist gelernter Schreiner und wurde seiner beruflichen Ausbildung und seinen Fähigkeiten entsprechend zunächst in der Tischlerei der Antragsgegnerin eingesetzt. Dort legte der Antragsteller am 11. November 2011 die Arbeit wegen eines Streits um die Arbeitssicherheit nieder. Unter dem 14. Februar 2012 wurde dem Antragsteller von der Antragsgegnerin ein neuer Arbeitsplatz in einem der Unternehmerbetriebe der Antragsgegnerin zugewiesen. Die Arbeitsaufnahme wurde vom Antragsteller am gleichen Tag mit der Begründung abgelehnt, dass er nur einer Arbeit mit höherem Entgelt nachkommen würde, die zudem auch anspruchsvoll sein müsse. Am 1. August 2012 wurde dem Antragsteller von der Antragsgegnerin ein Arbeitsplatz in der Arbeitstherapie zugewiesen. Dort ist der Antragsteller nicht erschienen. Daraufhin leitete die Antragsgegnerin am 3. August 2012 ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein und ordnete am 9. August 2012 eine Disziplinarmaßnahme in Form einer getrennten Unterbringung während der Freizeit für die Dauer von zwei Wochen sowie den Entzug des Fernsehgeräts für die Dauer von zwei Wochen an. Der auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme gerichtete Antrag des Antragstellers wurde mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 116 StVollzG zulässig, weil es geboten ist, die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Es gilt, den im Folgenden dargestellten Rechtsfehler zukünftig zu vermeiden.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die zulässig erhobene Sachrüge deckt einen durchgreifenden Rechtsmangel auf, der zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führt.
Gemäß § 94 NJVollzG setzt die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme einen schuldhaften Pflichtenverstoß des Gefangenen voraus. Gegenstand der vorliegenden Disziplinarverfügung ist der Vorwurf, dass der Antragsteller entgegen § 38 Abs. 1 seiner Arbeitspflicht nicht nachgekommen ist, nachdem ihm ein Arbeitsplatz in der Arbeitstherapie zugewiesen worden ist. Die Weigerung des Antragstellers, dieser ihm zugewiesenen Arbeit nachzukommen, stellt jedoch keinen schuldhaften Pflichtenverstoß dar. Denn gemäß § 35 Abs. 3 NJVollzG soll Gefangenen eine geeignete arbeitstherapeutische Beschäftigung zugewiesen werden, wenn diese zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig sind. Bei dem zum Tischler ausgebildeten Antragsteller, der bereits in der anstaltseigenen Tischlerei eingesetzt worden ist, ist nicht erkennbar, dass dieser nicht zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit in der Lage ist und erst durch arbeitstherapeutische Maßnahmen gefördert werden muss. Dem Antragsteller hätte damit allenfalls vorgeworfen werden können, ohne sachlichen Grund seine Arbeit in der Tischlerei aufgegeben zu haben und in der Folgezeit auch nicht der Arbeit in einem der Unternehmerbetriebe der Antragsgegnerin nachgekommen zu sein. Diese möglicherweise schuldhaften Verstöße gegen die Verpflichtung des Antragstellers, die ihm zugewiesene Tätigkeit auszuüben, sind aber nicht Gegenstand des durchgeführten Disziplinarverfahrens gewesen. Ob insoweit gegen den Antragsteller bereits in der Vergangenheit Disziplinarverfahren durchgeführt worden sind, ist dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen. Die Zuweisung eines Arbeitsplatzes in der Arbeitstherapie, die sich faktisch als disziplinarische Maßnahme wegen der Weigerung, höherwertige und wirtschaftlich ergiebigere Tätigkeiten auszuüben, darstellt, ist jedenfalls durch die Vorschriften des NJVollzG nicht gedeckt.
III.
Wegen Spruchreife der Sache konnte der Senat von einer Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer absehen und die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Disziplinarverfügung selbst feststellen (§ 119 Abs. 4 StVollzG).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 467 StPO entsprechend.
V.
Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52, 60, 65 GKG.