Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 24.08.2016, Az.: 2 Ss 98/16

Anforderungen an die tatrichterliche Würdigung molekulargenetischer Sachverständigengutachten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
24.08.2016
Aktenzeichen
2 Ss 98/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 26679
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2016:0824.2SS98.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 26.04.2016 - AZ: 60 Ns 4/16

Amtlicher Leitsatz

1. Für die in der Praxis vorkommenden Regelfälle der molekulargenetischen Vergleichsuntersuchungen, die keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, bedarf es im tatrichterlichen Urteil keiner Ausführungen mehr zur Frage der unabhängigen Vererbbarkeit der untersuchten Merkmalsysteme. Es ist in diesen Fällen als ausreichend anzusehen, dass das Tatgericht im Urteil mitteilt, wie viele Systeme untersucht worden sind, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen ergeben haben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, inwieweit dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war.

2. Allein der Umstand, dass ein Angeklagter einer fremden Ethnie angehört, führt nicht dazu, dass das Tatgericht bei der Würdigung eines molekulargenetischen Sachverständigengutachtens die Herkunftspopulation des Angeklagten zu Grunde legen muss. Es ist nicht zu beanstanden, auch in diesen Fällen die am Tatort lebende Mehrheitsbevölkerung als Vergleichspopulation heranzuziehen.

3. Einer einzelfallbezogenen Berechnung mit klarem Populationsbezug bedarf es bei solchen Spuren, bei denen mehr als eine Person als Spurenleger angenommen werden muss (sog. Mischspur), und in solchen Fällen, in denen eine Verwandtschaft zu möglichen spurenbeteiligten Personen besteht oder es konkrete Anhaltspunkte für einen aus derselben Herkunftsethnie wie der Angeklagte stammenden Alternativtäter gibt.

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hannover hat den Angeklagten mit Urteil vom 4. November 2015 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Hannover mit Urteil vom 26. April 2016 verworfen.

Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils brach der Angeklagte in der Nacht vom 14. auf den 15. Januar 2013 in L. zusammen mit einem Mittäter in die Verkaufsräume einer Tankstelle ein, wobei zunächst eine Außentür zu einer Kundentoilette am Tankstellengebäude aufgebrochen wurde. Sodann sollen der Angeklagte und sein Mittäter mit einem Brecheisen eine Leichtmetallzwischentür zum Lagerbereich der Tankstelle aufgehebelt bzw. -gebogen haben und vom Lagerbereich in den Verkaufsbereich der Tankstelle gelangt sein. Hier seien der mit einer mit seitlich drei weißen Streifen versehenen schwarzen Sporthose bekleidete Angeklagte, der zudem eine schwarze Stoffmaske getragen habe, und sein Mittäter von einer im Verkaufsraum installierten Überwachungskamera aufgezeichnet worden. Aus dem Verkaufsraum sollen unter Verwendung von zwei Bettbezügen als Transsporthüllen größere Mengen Zigaretten und Tabakwaren sowie Bargeld entwendet und über einen Zaun hinweg zum ebenfalls in L. gelegenen Wohnhaus des Angeklagten getragen worden sein.

Im Rahmen einer anschließenden polizeilichen Durchsuchung des zur vom Angeklagten, seiner Mutter und einem Bruder des Angeklagten bewohnten Wohnung gehörenden Kellerraums seien unter anderem 2 Bettbezüge aufgefunden worden, die von ihrem Muster her den auf den Aufzeichnungen der Überwachungskamera erkennbaren Bettbezügen entsprochen hätten. In den Bezügen hätten sich Glasbruchstücke sowie Teile von Regalträgern und Zigarettenhalterungen befunden. Zu an den Bettbezügen vorhandenen, augenscheinlichen Blutanhaftungen habe der bei der Durchsuchung anwesende Bruder des Angeklagten unter Hinweis auf eine Verletzung an einem seiner Finger erklärt, es handele sich um sein Blut. Seine Mutter habe ihn auf die im Keller vorhandenen Bettbezüge aufmerksam gemacht. Als er sich diese habe anschauen wollen, habe er sich die Verletzung zugezogen.

Weiterhin seien in dem Kellerraum eine schwarze Adidas-Trainingshose und eine Sturmhaube aufgefunden worden, die den auf den Aufzeichnungen der Überwachungskamera erkennbaren Kleidungsstücken entsprochen hätten. An der Hose und der Haube hätten sich dem Angeklagten zuzuordnende DNA-Spuren befunden. Hierzu wird im Rahmen der Beweiswürdigung des Landgerichts mitgeteilt, dass die Zuordnung der DNA-Spuren zum Angeklagten, der sich nicht zum Tatvorwurf eingelassen hat, auf dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten der Sachverständigen für Tatortspuren Dr. L. beruhe. Diese habe ausgeführt, dass das DNA-Profil des Angeklagten in allen 16 von ihr untersuchten molekulargenetischen Merkmalsystemen und im System Amelogenin in den an beiden Kleidungsstücken von ihr festgestellten Mischspuren durchgängig nachweisbar gewesen sei. Für beide Spuren habe die von ihr durchgeführte Wahrscheinlichkeitsberechnung ergeben, dass jeweils lediglich eine Person von ca. sieben Milliarden beliebigen Personen der Weltbevölkerung als Mitverursacher der betreffenden Mischspur in Betracht komme. Die Ausführungen der Sachverständigen, wonach aufgrund dieses Befundes der Angeklagte als Verursacher der DNA-Spuren an der Adidas-Trainingshose und der schwarzen Sturmhaube in Betracht komme, hat das Landgericht sich zu Eigen gemacht und so interpretiert, dass der Angeklagte nach dem Stand der Wissenschaft als Spurenverursacher feststehe.

Gegen das landgerichtliche Berufungsurteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts halte einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Revision für begründet und hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben.

II.

Die zulässige Revision hat mit der Sachrüge zumindest vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils mit den getroffenen Feststellungen.

Die den getroffenen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung des Landgerichts, namentlich die Darlegungen des Landgerichts zum Gutachten der Sachverständigen Dr. L. zum Ergebnis der auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung und den daraus gezogenen Schlüssen des Landgerichts, hält einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Zwar unterliegt die Beweiswürdigung des Tatgerichts nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Das Revisionsgericht prüft allein, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStZ 1984, 180 [BGH 17.11.1983 - 4 StR 375/83]; NStZ-RR 2004, 238 [BGH 30.03.2004 - 1 StR 354/03]). In Fällen, in denen das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, hat es die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so ausführlich darzulegen, dass dem Revisionsgericht eine Überprüfung möglich ist, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die gezogenen Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (vgl. BGHSt 39, 291; NJW 2014, 2454 [BGH 05.06.2014 - 4 StR 439/13]; NStZ-RR 2014, 115; NStZ 2005, 326 [BGH 21.09.2004 - 3 StR 333/04][BGH 21.09.2004 - 3 StR 333/04]). Hieran fehlt es vorliegend im angefochtenen Urteil bei der Darstellung und Würdigung des Gutachtens der vom Landgericht hinzugezogenen Sachverständigen Dr. L.

Entgegen der von der Verteidigung in der Revisionsbegründung teilweise zitierten früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Tatgericht allerdings nicht in allen Fällen, in denen es seine Überzeugung von der Täterschaft eines Angeklagten auf das Ergebnis einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung stützt, verpflichtet, im Urteil mitzuteilen, wie viele der durch den Sachverständigen untersuchten molekulargenetischen Systeme unabhängig voneinander vererbbar sind. Die Durchführung forensischer molekulargenetischer Vergleichsuntersuchungen ist zwischenzeitlich so weit vereinheitlicht, dass standardmäßig bis zu 16 der sogenannten STR-Systeme Anwendung finden, deren genetische Unabhängigkeit als wissenschaftlich gesichert anzusehen ist. Danach ist davon auszugehen, dass jedenfalls für die in der Praxis vorkommenden Regelfälle der molekulargenetischen Vergleichsuntersuchungen, die keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, es im tatrichterlichen Urteil keiner Ausführungen mehr zur Frage der unabhängigen Vererbbarkeit der Merkmalsysteme bedarf (vgl. BGH NJW 2014, 2454 [BGH 05.06.2014 - 4 StR 439/13]; Urteil vom 24. März 2016, 2 StR 112/14). Vielmehr ist es regelmäßig als ausreichend anzusehen, dass das Tatgericht im Urteil mitteilt, wie viele Systeme untersucht worden sind, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen ergeben haben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, inwieweit dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (vgl. BGH NStZ-RR 2016, 223; Beschluss vom 7. Juli 2016, 4 StR 558/15). Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei einer Untersuchung von mehr als 10 bis 12 STR-Systemen Trefferwahrscheinlichkeiten im Milliardenbereich und höher zu erwarten sind, bei denen auch eine Unterscheidung in Bezug auf die ethnische Herkunft regelmäßig nicht mehr von Bedeutung sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2016, 2 StR 112/14).

Dies bedeutet für die sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darstellung im tatrichterlichen Urteil, dass allein der Umstand, dass ein Angeklagter einer fremden Ethnie angehört, noch nicht dazu führt, dass das Tatgericht bei der Würdigung des Sachverständigengutachtens die Herkunftspopulation des Angeklagten zu Grunde legen muss. Es ist gerade nicht zu beanstanden, wenn auch in diesen Fällen die am Tatort lebende Mehrheitsbevölkerung als Vergleichspopulation herangezogen wird (vgl. BGH NJW 2015, 2594 [BGH 20.05.2015 - 4 StR 555/14]; Urteil vom 24. März 2016, 2 StR 112/14). Dies gilt jedoch nur solange, wie es keine konkreten Anhaltspunkte für einen aus derselben Herkunftsethnie wie der Angeklagte stammenden Alternativtäter gibt (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2016, 2 StR 112/14). Eine einzelfallbezogene Berechnung mit klarem Populationsbezug bleibt zudem bei solchen Spuren nötig, bei denen mehr als eine Person als Spurenleger angenommen werden muss, es sich also um eine sogenannte Mischspur handelt, sowie in solchen Fällen, in denen eine Verwandtschaft zu möglichen spurenbeteiligten Personen besteht, da sich insoweit ein geringerer Beweiswert ergeben kann (vgl. BGH NJW 2014, 2454 [BGH 05.06.2014 - 4 StR 439/13]; Urteil vom 24. März 2016, 2 StR 112/14).

Hieran gemessen konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, weil es sich nicht mit der Besonderheit auseinandersetzt, sondern sie allein benennt, dass vorliegend sowohl an der im Kellerraum sichergestellten Hose, als auch an der Sturmhaube jeweils molekulare Mischspuren, also offenbar von mehreren Personen verursachte Spuren, festgestellt werden konnten. Hinzu kommt, dass angesichts der Erklärung des Bruders des Angeklagten gegenüber dem Polizeibeamten H., wonach es sich bei den Anhaftungen an den im selben Kellerraum aufgefundenen Bettbezügen um sein Blut handele, durchaus konkrete Anhaltspunkte für einen Alternativtäter gibt, bei dem es sich um einen sehr nahen Verwandten des Angeklagten handelt. Der diesbezügliche Hinweis des Landgerichts, wonach diese Möglichkeit nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden müsse, greift insofern zu kurz. Zwar mag die Erklärung des Bruders, dass es sich um sein Blut handele, entsprechend den Darlegungen im landgerichtlichen Urteil als plausibel anzusehen sein, zumal der Bruder den die Durchsuchung durchführenden Polizeibeamten offenbar auch eine entsprechende Verletzung an einem seiner Finger präsentieren konnte. Das angefochtene Urteil setzt sich jedoch nicht mit der naheliegenden Möglichkeit auseinander, dass eine solche Verletzung auch bei der Tatbegehung selbst, bei der die Täter mit massiven Gewaltanwendungen vorgegangen sein sollen, verursacht worden sein kann und in diesem Fall bereits beim Abtransport der Beute unter Verwendung der Bettbezüge Blutanhaftungen an diesen verursacht worden sein können.

Hiernach handelt es sich vorliegend um einen in zweifacher Hinsicht von den in der Praxis vorkommenden Regelfällen der molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung abweichenden Sonderfall, in dem an der vermeintlichen Täterkleidung allein sogenannte molekulare Mischspuren gesichert werden konnten, zudem mit dem Bruder des Angeklagten ein ihm verwandtschaftlich sehr nahe stehender Alternativtäter vorhanden ist. Ob und in welchem Maße dies von der Sachverständigen Dr. L. bei der Erstattung ihres Gutachtens und der durchgeführten Wahrscheinlichkeitsberechnung Berücksichtigung gefunden hat, wird in den Gründen des landgerichtlichen Urteils jedoch nicht mitgeteilt.

Danach war das angefochtene Urteil mit seinen Feststellungen aufzuheben, die Sache war zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückzuverweisen.