Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 27.03.2001, Az.: 4 A 207/99

gewöhnlicher Aufenthalt; Zuständigkeit; Zuweisung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
27.03.2001
Aktenzeichen
4 A 207/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40200
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erstattung von Kosten, die durch die Behandlung von Frau S. A. in dem Klinikum der Klägerin entstanden sind.

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Die 1979 in Slowenien geborene S. A. reiste im Juli 1991 mit ihrer aus der Provinz Kosovo in Jugoslawien stammenden Mutter und ihren Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihren Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 9. Juni 1994 ab. Die dagegen erhobene Klage wies die erkennende Kammer mit Urteil vom 19. Dezember 1996 (4 A 914/94) ab. Der Beklagte erteilte Frau A. anschließend Duldungen, die er jeweils verlängerte, und beschränkte den Aufenthalt von Frau A. auf das Land Niedersachsen. Frau A. war bis zu ihrer Ummeldung nach E.  am 19. März 1999 bei ihrer Familie in B.  gemeldet und bezog von dem Beklagten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Nach einem Vermerk der Gemeinde B.  vom 1. Dezember 1999 erhielt Frau A. ab dem 1. September 1998 keine Leistungen im Familienverband mehr, sondern nur noch bei persönlichem Erscheinen, da die Ermittlungen der Gemeinde B.  ergeben hatten, dass sich Frau A. nicht mehr regelmäßig in B.  aufhielt. Sie erhielt dann lediglich noch am 11. September 1998 und am 15., 18. und 22. Februar 1999 Barbeträge und Gutscheinleistungen.

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In der Zeit vom 25. April bis zum 1. Mai 1998 befand sich Frau A. im Alfried Krupp Krankenhaus der Klägerin in E. . Nach dem Notaufnahmeprotokoll wurde sie dort am 25. April 1998 um 10.15 Uhr wegen beginnender Wehentätigkeit aufgenommen und gebar am 26. April 1998 eine Tochter. Vater des Kindes ist der in E.  lebende jugoslawische Staatsangehörige D., der die Vaterschaft am 12. Juni 1998 anerkannt hat und mit Frau A. seit dem 7. August 1998 nach muslimischem Recht verheiratet ist.

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Unter dem 28. April 1998 fertigte die Klägerin einen Antrag auf Kostenübernahme für die Behandlung von Frau A., der am 4. Mai 1998 bei dem Beklagten einging. Mit Schreiben vom 8. Juli 1998 erinnerte die Klägerin den Beklagten an den von ihr gestellten Antrag auf Übernahme der für Frau A. in der Zeit vom 25. April bis zum 1. Mai 1998 entstandenen Krankenhauspflegekosten. Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 15. Juli 1998 die Kostenübernahme ab. Da es sich bei Frau A. um eine abgelehnte Asylbewerberin mit einer ausländerrechtlichen Beschränkung auf das Land Niedersachsen handele, die keine Erlaubnis zum Verlassen des Landes Niedersachsen gehabt habe, sei der örtliche Sozialhilfeträger zuständig. Die Klägerin reichte den Antrag auf Kostenübernahme daraufhin bei der Beigeladenen ein. Diese lehnte mit Bescheid vom 25. August 1998 die Kostenübernahme wegen fehlender Zuständigkeit ab und verwies auf die Zuständigkeit des Beklagten. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin keinen Widerspruch ein.

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Mit Schreiben vom 24. November 1998 bat die Klägerin den Beklagten unter Hinweis auf den ablehnenden Bescheid der Beigeladenen vom 25. August 1998 um nochmalige Überprüfung und Kostenübernahme. Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 7. Dezember 1998 und nach erneuter Anfrage der Klägerin auch mit Schreiben vom 3. Februar 1999 ab. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 5. Oktober 1999 gegen die die Kostenübernahme ablehnenden Schreiben des Beklagten vom 7. Dezember 1998 und vom 3. Februar 1999 Widerspruch ein. Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 13. Oktober 1999 mit, dass ein öffentlich-rechtlicher Anspruch ihm gegenüber nicht bestehe, so dass er keine Zahlungen vornehmen werde. Von dem Erlass eines Widerspruchsbescheides lediglich der Form halber sehe er ab.

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Die Klägerin hat am 9. November 1999 Klage erhoben.

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Zur Begründung trägt sie vor, dass es sich unabhängig von den Ansprüchen der Frau A. um eine Notfallbehandlung gehandelt habe, die auch im öffentlichen Recht zu Ansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag führe, so dass sie entsprechend § 683 BGB Aufwendungsersatz verlangen könne. Frau A. habe zur Entbindung unstreitig der ärztlichen Hilfe im Krankenhaus bedurft. Zunächst habe sie bei der Beigeladenen den Antrag auf Kostenübernahme gestellt. Dieser Antrag sei schon am 29. April 1998 ausgefertigt worden. Nachdem sie noch vor dem ablehnenden Bescheid der Beigeladenen vom 25. August 1998 Kenntnis davon erhalten habe, dass aus Sicht der Beigeladenen der Beklagte zuständig sei, habe sie dort vorsorglich auch einen Antrag gestellt.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten zu verpflichten, an sie 3.610,40 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 7. Dezember 1998 zu zahlen und die Bescheide des Beklagten vom 15. Juli 1998, 7. Dezember 1998 und vom 3. Februar 1999 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er erwidert, dass der vermeintliche Anspruch erstmals in der Klageschrift auf eine Notfallbehandlung gestützt worden sei. Er selbst sei erst 2 Monate nach der Krankenhausaufnahme mit der Angelegenheit befasst worden. In einem Eilfall hätte aber die zuerst mit dem Antrag befasste Beigeladene eine Entscheidung treffen müssen.

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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Beigeladenen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

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Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Denn der Beklagte hat es ausdrücklich abgelehnt, über die Widersprüche der Klägerin gegen seine die Kostenübernahme ablehnenden Schreiben vom 15. Juli 1998, 7. Dezember 1998 und 3. Februar 1999, die belastende Verwaltungsakte darstellen, eine Widerspruchsentscheidung zu treffen. Die Klage wäre auch zulässig, wenn einer der nach dem ersten ablehnenden Bescheid vom 15. Juli 1998 ergangenen Bescheide als Widerspruchsbescheid gewertet werden würde. Denn da Rechtsbehelfsbelehrungen fehlen, wäre bei der am 9. November 1999 erhobenen Klage die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO selbst dann gewahrt, wenn der Bescheid vom 7. Dezember 1998 als Widerspruchsbescheid anzusehen wäre, und die Klage damit rechtzeitig erhoben gewesen.

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Die Klage ist aber nicht begründet.

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Die Klägerin stützt ihren gegenüber dem Beklagten geltend gemachten Anspruch auf Erstattung von Krankenhausbehandlungskosten auf den Aufwendungsersatzanspruchs des Geschäftsführers aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag nach § 683 BGB analog.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Vorschriften über eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) im öffentlichen Recht grundsätzlich entsprechend anzuwenden (BVerwG, Urteil vom 6.9.1988 - BVerwG 4 C 5.86 -, BVerwGE 80, 170 = NJW 1989, 922). Ob auch in der vorliegenden Fallkonstellation ein solcher Anspruch oder aber in entsprechender Anwendung des § 121 BSHG, der eine spezielle Regelung des Aufwendungsersatzanspruchs des Geschäftsführers ohne Auftrag im Bereich des Sozialhilferechts trifft, erfüllt ist, kann hier offen bleiben. Denn ein Anspruch auf Aufwendungsersatz besteht jedenfalls nur dann, wenn die von dem Privaten getroffene Maßnahme zu den Aufgaben des beklagten Verwaltungsträgers gehört. Dies ist hier nicht der Fall. Der Beklagte ist nicht die örtlich zuständige Behörde gewesen, um Frau S. A. Leistungen für die Behandlung in dem Krankenhaus der Klägerin zu gewähren.

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Nach § 10 a Abs. 2 AsylbLG ist für die Leistungen in Einrichtungen, die der Krankenbehandlung oder anderen Maßnahmen nach diesem Gesetz dienen, die Behörde örtlich zuständig, in deren Bereich der Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. Diese Regelung geht als speziellere Norm § 10 a Abs. 1 AsylbLG vor und findet insbesondere bei stationären Krankenhausaufenthalten Anwendung. § 10 a Abs. 3 AsylbLG enthält die Definition des gewöhnlichen Aufenthaltes im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes. Ist eine Verteilung und Zuweisung vorhanden, besagt Abs. 3 Satz 4, dass die Behörde des Zuweisungsortes als Behörde des gewöhnlichen Aufenthalts gilt.

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Frau A., deren Asylverfahren durch rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 19. Dezember 1996 (4 A 914/94) negativ abgeschlossen worden ist, war ursprünglich aufgrund einer entsprechenden Verteilungs- und Zuweisungsentscheidung der Stadt F. als der Zentralen Ausländerbehörde vom 7. Oktober 1991 der Samtgemeinde Bevensen im Bereich des Beklagten zugewiesen worden. In der Aufenthaltsgestattung wurde der Aufenthalt entsprechend auf den Bereich des Beklagten beschränkt und die Auflage erteilt, den Wohnsitz in der Gemeinschaftsunterkunft der Samtgemeinde G. zu nehmen. Seit Beendigung des Asylverfahrens ist der Aufenthalt von Frau A. nach § 55 AuslG geduldet worden.

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Die im Rahmen des Asylverfahrens erlassene Zuweisungs- und Verteilungsentscheidung entfaltete nach Abschluss des Asylverfahrens keine rechtlichen Wirkungen mehr, so dass sich aus ihr nicht mehr eine ausschließliche Zuständigkeit des Beklagten für die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ergeben konnte. Daraus, dass die Aufenthaltsgestattung und die mit ihr verbundene räumliche Beschränkung zur Durchführung des Asylverfahrens erteilt werden, folgt, dass jedenfalls dann, wenn das Asylverfahren im engeren Sinn abgeschlossen ist und daran direkt anschließende Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts des Ausländers nicht mehr zu erwarten sind, die Verteilungs- und Zuweisungsentscheidung ihre Wirkung verliert (Nds. OVG, Beschluss vom 11.8.1998 - 4 M 3575/98 - abgedruckt in GK-AsylbLG, Bd. 2, VII- zu § 10 a (OVG-Nr. 1) und Beschluss vom 16.6.2000 - 4 M 2124/00 - abgedruckt in GK-AsylbLG, Bd. 2, VII- zu § 10 a (OVG-Nr. 5); Hess. VGH, Beschluss vom 24.2.2000 - 1 TG 651/00 - abgedruckt in GK-AsylbLG, Bd. 2, VII- zu § 10 a (VGH-Nr. 3)). Ein solcher Fall liegt immer dann vor, wenn dem Ausländer eine vom Asylverfahren unabhängige Duldung erteilt wird und damit zu rechnen ist, dass sie für einen längeren Zeitraum (ggf. wiederholt) verlängert werden wird. Diese Voraussetzungen sind bei Frau A., die bereits seit Anfang 1997 aus asylverfahrensunabhängigen Gründen geduldet wird, ohne Zweifel gegeben gewesen. Allein aus der Zuweisungsentscheidung konnte sich daher nicht (mehr) der gewöhnlichen Aufenthalt von Frau A. nach § 10 a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG und damit die Zuständigkeit des Beklagten ergeben.

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Nach § 10 a Abs. 3 Satz 1 gilt als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne dieses Gesetzes der Ort, an dem sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt ist nach Satz 2 auch von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mindestens sechs Monaten Dauer anzusehen; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass Frau A. im Zeitpunkt der Aufnahme in das Krankenhaus der Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Bereich des Beklagten, sondern im Bereich der Beigeladenen gehabt hatte. Die aus den Verwaltungsvorgängen erkennbaren Umstände sprechen dafür, dass sich Frau A. schon vor der Geburt ihrer Tochter längere Zeit in E.  aufhielt. Denn dort lebte bereits ihr Lebensgefährte und Vater ihrer Tochter, mit dem sie nach muslimischem Recht verheiratet ist, ein weiteres gemeinsames Kind hat und inzwischen auch offiziell mit Zustimmung der Beigeladenen in E.  zusammen gezogen ist. Nach den Eintragungen in ihrem Mutterpass war der errechnete Geburtstermin der 16. April 1998. Wenn sich Frau A. in diesem Monat, d.h. in hochschwangerem Zustand in E.  aufhielt, spricht dies dafür, dass sie ihren dauerhaften Wohnsitz zu dieser Zeit dort bereits begründet hatte. Da zudem am 16. März 1998 eine Laboruntersuchung in einem Labor in E.  durchgeführt worden ist, muss davon ausgegangen werden, dass Frau A. auch Untersuchungstermine bei der im Mutterpass angegebenen Frauenärztin in E.  wahrgenommen hat. Wie sich aus dem Vermerk der Gemeinde B.  vom 1. Dezember 1999 ergibt, lagen außerdem ausreichende Indizien dafür vor, dass sich Frau A. nach der Geburt ihrer Tochter und der Entlassung aus dem Krankenhaus der Klägerin nicht mehr in B. , sondern in E.  aufhielt. Dafür spricht bereits, dass Frau A. mit ihrer Tochter von Mai bis August 1998 zehnmal in der Praxis eines Kinderarztes in E.  war und von den Mitarbeitern des Sozialamtes in B.  bei unregelmäßigen Hausbesuchen nie angetroffen wurde. Dass Frau A. sich nur noch selten besuchsweise in B.  aufhielt, wird auch dadurch belegt, dass sie, nachdem ihr ab September 1998 nur bei persönlichem Erscheinen Sozialhilfeleistungen durch die Gemeinde B.  gewährt wurden, in der Zeit bis Februar 1999 lediglich einmal im September 1998 und dreimal im Februar 1999 beim Sozialamt vorstellig wurde.

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Die Zuständigkeit der Beigeladenen und nicht die des Beklagten wäre auch beim Vorliegen eines Eilfalls nach § 10 a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG begründet gewesen. Nach § 10 a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG hat in einem Eilfall die nach Absatz 1 zuständige Behörde über die Leistung unverzüglich zu entscheiden und vorläufig einzutreten. Da die Verteilungs- und Zuweisungsentscheidung, wie bereits ausgeführt worden ist, keine Wirkungen mehr entfaltete, wäre § 10 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht einschlägig gewesen, so dass nach § 10 a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG die Beigeladene als die Behörde zuständig gewesen wäre, in deren Bereich sich Frau A. tatsächlich aufhielt.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, waren ihre Kosten nach § 162 Abs. 3 VwGO nicht für erstattungsfähig zu erklären. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.