Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.07.2020, Az.: 1 Ws 262/20

Beschleunigungsgebot bei vorläufiger Verfahrenseinstellung nach § 205 StPO; Abschiebung als vorübergehendes Verfahrenshindernis; Kein Anspruch auf endgültige Einstellung für abgeschobenen Angeklagten

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
21.07.2020
Aktenzeichen
1 Ws 262/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 65699
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2020:0721.1WS262.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 11.03.2020 - AZ: 5 Ns 8/20
AG Nordhorn - 14.11.2019 - AZ: 6 Ds 194/19

Amtlicher Leitsatz

Die Zulässigkeit einer endgültigen Verfahrenseinstellung gem. § 206a StPO unterfällt nicht der Prüfung durch das Rechtsmittelgericht im Rahmen der Entscheidung über eine - im Übrigen zulässige - Beschwerde des Angeklagten gegen einen Beschluss, mit welchem eine vorübergehende Verfahrenseinstellung gem. § 205 StPO angeordnet und zugleich eine endgültige Einstellung inzident abgelehnt worden ist.

Eine Abwesenheit i.S.d. § 276 StPO, welche eine Verfahrenseinstellung gem. § 205 StPO mit Rücksicht auf einen Auslandsaufenthalt eines rechtskräftig abgeschobenen, einreisewilligen Angeklagten rechtfertigt, liegt vor, wenn eine kurzzeitige Betretungserlaubnis gem. § 11 Abs.8 AufenthG durch die Verwaltungsbehörde nicht herbeigeführt werden kann.

Redaktioneller Leitsatz

Keine endgültige, sondern nur eine vorläufige Einstellung des Verfahrens erfolgt, wenn der Angeklagte abgeschoben wird, da dies nur ein vorläufiges Verfahrenshindernis darstellt, weil der Angeklagte mit Zustimmung der Behörden zum Termin einreisen darf (Betretungserlaubnis). Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot erfolgt dadurch nicht.

Tenor:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 11. März 2020 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Nordhorn verurteilte den Angeklagten unter dem 14. November 2019 wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten (Az.: 6 Ds 194/19). Hiergegen legten die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Berufung ein. Mit Verfügung vom 4. Februar 2020 bestimmte das Landgericht Osnabrück daraufhin zunächst einen Termin zur Hauptverhandlung für den 2. April 2020, hob diesen jedoch wieder auf, nachdem dort die am 15. Januar 2020 erfolgte Abschiebung des Angeklagten in den Libanon bekannt geworden war.

Unter dem 11. März 2020 stellte das Landgericht Osnabrück das Verfahren gemäß § 205 StPO vorläufig ein.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte durch Verteidigerschriftsatz vom 20. März 2020 mit einem als Beschwerde im Sinne des § 304 StPO auszulegendem Rechtsmittel.

Das Landgericht Osnabrück hat der Beschwerde unter dem 28. Mai 2020 nicht abgeholfen und den Vorgang dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Entscheidungen und Schriftsätze Bezug genommen.

II.

1.

Die Beschwerde ist zulässig.

Soweit der Angeklagte das Ziel verfolgt, statt der vorläufigen Einstellung des Verfahrens gemäß § 205 StPO eine endgültige Einstellung gemäß § 206a StPO zu erreichen, handelt es sich allerdings nicht um ein mit der Beschwerde zu- lässigerweise verfolgbares Begehren.

Eine Entscheidung, mit welcher ein Antrag auf endgültige Einstellung gemäß § 206a StPO abgelehnt wird, unterliegt nicht der Anfechtung mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 206a Abs. 2 StPO (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 63.Aufl., § 206a Rn. 10 m.w.N.). Diese gesetzliche Wertung kann nicht umgangen werden, indem eine in der vorläufigen Einstellung gem. § 205 StPO enthaltene Ablehnung der endgültigen Einstellung gem. § 206a StPO im Wege der Anfechtung mittels einfacher Beschwerde gem. § 304 StPO der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht unterstellt wird.

Da sich das Rechtsmittelziel des Angeklagten jedoch nicht darin erschöpft, sondern dieser zudem unabhängig hiervon die Aufhebung der vorläufigen Einstellung gemäß § 205 StPO begehrt, wie die Beschwerdebegründung deutlich werden lässt, erweist sich die Beschwerde im Übrigen als zulässig.

2.

In der Sache hat sie jedoch mangels Begründetheit auch insoweit keinen Erfolg.

Es liegt eine längerfristige Abwesenheit des Angeklagten vor, die eine vor- läufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 205 StPO rechtfertigt.

Die erfolgte Abschiebung stellt ein nur vorübergehendes, kein unbehebbares Verfahrenshindernis dar (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss v. 26.05.2004 - 2 Ws 97/04, juris). Eine Fortsetzung des Verfahrens ist jederzeit bei erneuter Einreise des Angeklagten (sei es auf legalem oder illegalem Weg) möglich, sodass gerade kein auf Dauer wirkendes Hindernis besteht und die Voraussetzungen des § 206a StPO, deren Feststellung der Angeklagte ohnedies nicht erreichen kann, nicht gegeben sind.

Allerdings besteht anscheinend Kontakt zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger; auch seine aktuelle Adresse im Ausland ist bekannt. In derartigen Fällen ist eine Abwesenheit im Sinne des § 205 StPO gem. § 276 StPO nur dann gegeben, wenn die Gestellung des Angeklagten nicht möglich ist oder nicht angemessen erscheint (vgl. BGH, Urteil v. 25.07.1990 - 3 StR 172/90, juris).

Ersteres ist vorliegend der Fall. Trotz der Zusage des Angeklagten, zu einer Verhandlung an- und einreisen zu wollen, kann eine Einreise auf legalem Weg (derzeit) nicht herbeigeführt werden. Grundsätzlich haben die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, in Absprache mit der Verwaltungsbehörde zu klären, ob der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs oder dem öffentlichen Interesse an einem Aufenthalt des Ausländers außerhalb des Bundesgebietes der Vorrang einzuräumen ist, und so gegebenenfalls die Erteilung einer kurz- zeitigen Betretungserlaubnis gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG zum Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens zu erwirken (vgl. BayObLG, Beschluss v. 31.01.2000 - 4 St RR 6/00 - m.w.N.). Vorliegend hat die zuständige Ver- waltungsbehörde, der Landkreis (...), jedoch bereits mit Schreiben vom 24. Februar 2020 mitgeteilt, dass ein Antrag auf Erteilung einer Betretungserlaubnis gemäß § 11 AufenthG derzeit abgelehnt werden würde.

Mithin liegt derzeit ein gestellungshindernder Umstand vor, sodass das Landgericht zu Recht eine vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 205 StPO beschlossen hat. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liegt in dieser Vorgehensweise nicht begründet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.