Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 09.07.2020, Az.: 1 Ss 102/20

Pflicht zur Berücksichtigung früherer, zäsierter Straftaten bei aktueller Gesamtstrafenbildung; Erkennbarkeit der Überlegungen zur Gesamtstrafenbildung im Urteil; Ausführungspflicht im Urteil zu Art und Umfang des Härteausgleichs

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
09.07.2020
Aktenzeichen
1 Ss 102/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 64532
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2020:0709.1SS102.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 13.03.2020 - AZ: 18 Ns 368/19

Amtlicher Leitsatz

Wenn mit Rücksicht auf die Zäsurwirkung eines früheren Straferkenntnisses nicht sämtliche angeklagten Taten in eine Gesamtstrafe einbezogen werden können, sondern es der Aufspaltung in eine Gesamtstrafe sowie eine weitere Einzel- oder Gesamtstrafe bedarf, muss das Urteil erkennen lassen, dass das Gericht die Auswirkung dieser Aufspaltung auf das Gesamtstrafübel bedacht und die verhängte Strafe unter Berücksichtigung dessen als schuldangemessen angesehen hat.

Bei Einbeziehung früherer Straferkenntnisse in eine Gesamtstrafe bedarf es im Urteil auch der Darstellung der Strafzumessungserwägungen aus der Vorverurteilung.

Sofern ein Härteausgleich vorgenommen wird, bedarf es - auch wenn insoweit eine Bezifferung entbehrlich ist - über eine bloße Erwähnung dieses Umstandes hinaus näherer Ausführungen zur Art des erfolgten Härteausgleichs.

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 18. kleinen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg vom 13. März 2020 in den Gesamtstrafenaussprüchen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

  1. 2.

    Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Delmenhorst hatte den Angeklagten mit Urteil vom 27. Juni 2019 wegen Betruges in elf besonders schweren Fällen - unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Delmenhorst vom 8. Oktober 2015 (80 Ds 660 Js 20982 (377/15)), und unter Auflösung der dortigen Gesamtstrafe - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Ferner hatte es den Angeklagten wegen Betruges in 15 Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Im Übrigen hatte es den Angeklagten freigesprochen. Die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 6.900,43 € wurde zudem angeordnet.

Auf die zunächst unbeschränkt eingelegte und sodann im Rahmen der Berufungshauptverhandlung auf das Strafmaß beschränkte Berufung des Angeklagten hat die 18. kleine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg mit Urteil vom 13. März 2020 das Urteil des Amtsgerichts Delmenhorst im Rechtsfolgenausspruch dahingehend geändert, dass es den Angeklagten wegen Betruges in elf Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Delmenhorst vom 8. Oktober 2015 (80 Ds 660 Js 20982 (377/15)) - unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt hat. Ferner hat das Landgericht den Angeklagten wegen Betruges in 15 Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Die weitergehende Berufung des Angeklagten hat das Landgericht verworfen.

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, der mit der Sachrüge die Aufhebung des Berufungsurteils insgesamt erstrebt.

II.

Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.

1. Die Gesamtstrafenbildungen unterliegen durchgreifenden Bedenken.

Da die ersten elf Taten vor der Verurteilung durch das Amtsgericht Delmenhorst vom 8. Oktober 2015 (80 Ds 377/15) begangen wurden, hatte eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit den noch nicht vollständig vollstreckten Strafen aus diesem Urteil, das eine Zäsur bewirkte, zwingend zu erfolgen (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 55, Rn. 12). Eine weitere Gesamtstrafenbildung hatte hinsichtlich der hiervon nicht erfassten weiteren Einzelstrafen zu erfolgen.

Die insoweit unvollständigen Urteilsgründe lassen keine Überprüfung zu, ob das Landgericht bei der Bildung der Gesamtstrafen die Auswirkungen der Zäsurwirkung im Hinblick auf das Gesamtergebnis in hinreichendem Maße in seine Zumessungserwägungen eingestellt hat. Insoweit muss das Gericht darlegen, dass es sich dessen bewusst war, dass sich durch die Bildung mehrerer Gesamtstrafen wegen der Einbeziehung eines Urteils mit Zäsurwirkung möglicherweise ein Nachteil in Folge eines zu hohen Gesamtübels für den Angeklagten ergeben kann, und in der Urteilsbegründung erkennen lassen, dass es das Gesamtmaß der Strafen für schuldangemessen gehalten hat (BGH, Beschluss v. 24.07.2007 - 4 StR 237/07 - m.w.N., juris). Diesen Anforderungen wird das Urteil vorliegend nicht gerecht, da sich in den Urteilsgründen keine Ausführungen dazu finden, dass die Gesamtfolgen der beiden Gesamtfreiheitsstrafen ausdrücklich in den Blick genommen wurden.

Die gebildeten Gesamtfreiheitsstrafen können daher keinen Bestand haben.

2. Im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Nachprüfung des Urteils hat insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3. Die festgestellten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der beiden Gesamtstrafenaussprüche.

Im Umfang der Aufhebung war die Sache zur Neuverhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

Die zu neuer Verhandlung berufene Strafkammer wird - was im angefochtenen Urteil unterblieben ist - zu bedenken haben, dass es auch der Darstellung der Strafzumessungserwägungen aus der Vorverurteilung, deren Strafe einbezogen wurde, bedarf (vgl. BGH, Urteil v. 08.11.2017 - 2 StR 542/16 - m.w.N., juris). Sie wird zudem Feststellungen zum Vollstreckungsstand der möglicherweise ebenfalls gesamtstrafenfähigen Verurteilungen vom 10. April und 12. November 2018 zu treffen haben, wobei es insoweit auf den Vollstreckungsstand der ersten Berufungsverhandlung ankommt (vgl. Fischer, a.a.O., Rn. 37). Der Senat weist darauf hin, dass auch Art und Weise eines eventuell zu treffenden Härteausgleichs näherer Ausführungen im Urteil bedürfen (vgl. Fischer, a.a.O., Rn. 22 m.w.N.).