Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 10.08.2020, Az.: 1 Ws 265/20
Eröffnung des Verfahrens zur selbstständigen Einziehung von Barmitteln; Eindeutige Willenserklärung des Gerichts als Voraussetzung des § 203 StPO; Einstellung des Einziehungsverfahrens wegen unbehebbarem Verfahrenshindernis
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 10.08.2020
- Aktenzeichen
- 1 Ws 265/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 65700
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Osnabrück - 03.06.2020 - AZ: 7 Ns 30/20
Rechtsgrundlagen
- § 76a StGB
- § 203 StPO
- § 206a Abs. 1 StPO
- § 435 Abs. 1 S. 2 StPO
- § 435 Abs. 3 S. 1 StPO
- § 203 StPO
- § 435 Abs. 3 StPO
- § 465 Abs. 1 StPO
- § 467 Abs. 1 StPO
- § 76a StGB
Amtlicher Leitsatz
Im objektiven Einziehungsverfahren bedarf es auch dann einer eigenständigen Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens, wenn der Antrag der Staatsanwaltschaft mit einer Anklage gegen den Einziehungsbeteiligten in einer gemeinsamen Anklage- und Antragsschrift verbunden wird. Zwar kann der Eröffnungsbeschluss grundsätzlich auch konkludent ergehen, doch setzt dies voraus, dass die Umstände zweifelsfrei erkennen lassen, dass sich das Gericht des Erfordernisses einer Eröffnungsentscheidung im objektiven Verfahren bewusst war und eine solche Entscheidung getroffen hat; weder die Eröffnung des Hauptverfahrens im parallel anhängigen Strafverfahren noch die Ladung im Einziehungsverfahren benannter Zeugen lassen diesen Schluss für sich genommen zu.
Redaktioneller Leitsatz
Das Verfahren zur selbstständigen Einziehung von Barmitteln nach § 203 StPO ist einzustellen, da es an einer eindeutigen Willenserklärung des Gerichts zur Eröffnung des Verfahrens mangelt; und damit ein unbehebbarer Verfahrensmangel vorliegt.
Tenor:
- 1.
Die sofortige Beschwerde des Einziehungsbeteiligten gegen den Beschluss der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 3. Juni 2020,
durch den das Verfahren im Umfang des selbständigen Einziehungsverfahrens eingestellt worden ist,
wird als unzulässig verworfen.
- 2.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 3. Juni 2020,
durch den das Verfahren im Umfang des selbständigen Einziehungsverfahrens eingestellt worden ist,
wird als unbegründet verworfen.
- 3.
Die Kosten seiner sofortigen Beschwerde hat der Einziehungsbeteiligte zu tragen. Soweit die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel eingelegt hat, fallen die Kosten des Verfahrens und die dem Einziehungsbeteiligten entstandenen notwendigen Auslagen, soweit es sich um ausscheidbare, durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entstandene Auslagen handelt, der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Mit "Anklage- und Antragschrift" überschriebener Anklage vom 28. Juni 2019 hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer Waffe in zwei Fällen angeklagt. Mit dieser Anklage hat die Staatsanwaltschaft zugleich im selbständigen Einziehungsverfahren die Einziehung der der im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten sichergestellten Barmittel in Höhe von 19.105,- Euro beantragt.
Das Amtsgericht Osnabrück hat nach Zustellung dieser Anklage- und Antragschrift und nach Ablauf der Stellungnahmefrist mit Beschluss vom 29. August 2019 "in der Strafsache gegen [...] die Anklage der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 28.06.2019 (Geschäftsnummer: [...]) zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet." Bis auf den Hinweis, dass die Hauptverhandlung vor dem Strafrichter stattfinden soll, finden sich in dem Eröffnungsbeschluss keine weiteren Ausführungen.
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 3. Dezember 2019 den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und wegen des unerlaubten Besitzes von Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten und zwei Wochen verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Von der Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 19.105,- Euro hat das Amtsgericht abgesehen, da es sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht davon überzeugen konnte, dass das sichergestellte Bargeld aus irgendeiner Straftat Angeklagten herrührt.
Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft - auf die unterbliebene Einziehung beschränkt - Berufung eingelegt.
Mit angefochtener Entscheidung vom 3. Juni 2020 hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts das Verfahren im Umfang des selbstständigen Einziehungsverfahren nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt. Zur Begründung führt die Berufungskammer aus, dass es diesbezüglich an einer Eröffnungsentscheidung fehle. Der Eröffnungsbeschluss spreche nur von "Anklage", nicht von der Antragschrift. Dieser werde eingeleitet mit den Worten "In der Strafsache gegen"; eine Antragschrift (objektives Verfahren) richte sich gegen keine konkrete Person. Beteiligte an einem objektiven Verfahren würden Einziehungsbeteiligte genannt; ein solcher Terminus tauche weder in der Eröffnungsentscheidung noch im weiteren Verfahren auf. Im Urteil seien die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Landeskasse aufgelegt worden, soweit von der Einziehung abgesehen worden sei. Zum einen gebe es keinen Angeklagten im objektiven Verfahren, zum anderen richte sich die Kostenentscheidung im objektiven Verfahren nicht nach "§§ 465 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO" - wie indes im amtsgerichtlichen Urteil angegeben -, sondern nach § 472b StPO. Dass das Amtsgericht in den Urteilsgründen einmal die Vorschrift des § 76a StGB aufführe, rechtfertige keine abweichende Sichtweise. All dies zeige auf, dass dem Amtsgericht nicht bewusst gewesen sei, dass es über zwei verschiedene Gegenstände (subjektives und objektives Verfahren) zu entscheiden gehabt habe. Dementsprechend fehle es an einer wirksamen Eröffnungsentscheidung betreffend das objektive Verfahren. Eine Nachholung im Berufungsverfahren sei unzulässig.
Hiergegen richten sich die sofortigen Beschwerden des Einziehungsbeteiligten und der Staatsanwaltschaft. Sie vertreten die Auffassung, dass das Amtsgericht die Entscheidung über die Zulassung der Antragschrift konkludent getroffen habe.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde des Einziehungsbeteiligten ist bereits unzulässig. Es ist weder ersichtlich noch dargetan, inwiefern er durch die Einstellungsentscheidung des Amtsgerichts beschwert sein soll (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO63, § 206a Rn. 10).
2.
Im Übrigen sind die sofortigen Beschwerden (jedenfalls) unbegründet.
Das Landgericht hat das - die selbständige Einziehung betreffende - Verfahren zu Recht und mit zutreffender Begründung eingestellt, da es an einem unbehebbaren Verfahrenshindernis leidet. Das Amtsgericht hat entgegen §§ 435 Abs. 3, 203 StPO vor Erlass seines Urteils insoweit nicht über die Eröffnung des Verfahrens entschieden. Ein Fall der Nichtausführbarkeit der Entscheidung lag nicht vor, da keine unüberwindbaren faktischen Barrieren der Durchführung des Verfahrens entgegenstanden, insbesondere der Einziehungsadressat weder flüchtig noch unbekannten Aufenthalts war (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 08.02.2019 - 1 Ws 165/18, StraFo 2019, 382 [383] m.w.N.).
Die Eröffnung des Verfahrens nach § 203 StPO erfordert eine eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 04.08.2016 - 4 StR 230/16, NStZ 2016, 747). Für das selbstständige Einziehungsverfahren gilt über § 435 Abs. 3 StPO insoweit das gleiche. Zwar kann der Eröffnungsbeschluss in der Hauptverhandlung bis zum Erlass der Erstentscheidung nachgeholt und sodann zur Sache verhandelt werden; eine Nachholung im Berufungsverfahren ist jedoch ausgeschlossen, obwohl dieses noch einmal eine komplette Tatsacheninstanz eröffnet. Für das Beschwerdeverfahren kann nichts anderes gelten (vgl. OLG Bamberg a.a.O.).
Nach diesen Maßstäben mangelt es vorliegend an einer eindeutig erklärten Zulassung des Antrags auf selbständige Einziehung des Barbetrages über 19.105,- Euro. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine solchermaßen eindeutige Erklärung noch im weiteren Verlauf des Verfahrens abgegeben wurde.
Zwar genügt für die Eröffnung des Hauptverfahrens in gleicher Weise eine schlüssige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen (vgl. BGH a.a.O.; ferner Beschluss vom 16.08.2017 - 2 StR 199/17, NStZ 2018, 155). Diese muss jedoch ebenfalls eindeutig erklärt sein und bedarf im Hinblick auf die Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses als Grundlage des Hauptverfahrens regelmäßig einer schriftlichen Niederlegung. Aus Gründen der Rechtsklarheit ist es erforderlich, dass die Urkunde aus sich heraus und in Verbindung mit sonstigen Urkunden mit Sicherheit erkennen lässt, dass der zuständige Richter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16.08.2017 - 2 StR 199/17, NStZ 2018, 155).
Eine solche konkludente Zulassung der Antragsschrift zur Hauptverhandlung ist hier indes nicht erfolgt. Angesichts des vom Bundesgerichtshofs in der zuletzt zitierten Entscheidung (a.a.O.) postulierten Schriftlichkeitsgebots kommen hier als Grundlage für die Eröffnungsentscheidung insoweit nur der Eröffnungsbeschluss vom 29. August 2019 in Verbindung mit der Anklage-/Antragschrift vom 28. Juni 2019 in Betracht. Nimmt man insoweit zunächst den Eröffnungsbeschluss selbst in den Blick, lässt dieser schon aus sich heraus nicht mit Sicherheit erkennen, dass das Amtsgerichts die Voraussetzungen für die Zulassung der Antragschrift geprüft und bejaht hat. So wird in dieser Entscheidung weder der Antrag der Staatsanwaltschaft erwähnt, noch finden sich sonstige Hinweise auf das selbständige (objektive) Einziehungsverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 04.08.2016 - 4 StR 230/16, NStZ 2016, 747). Insoweit wird zur weiteren Begründung auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Zwar ist der Beschwerde einzuräumen, dass - anders als in den vom Bundesgerichtshof (a.a.O.) entschiedenen Fällen - hier ein einziges Verfahren zugrunde lag und die Anklage(n) bzw. der Antrag in einem einzigen Dokument zusammengefasst waren, so dass - die weiteren Urkunden in den Blick nehmend - bei lebensnaher Betrachtung sicherlich anzunehmen ist, dass das Amtsgericht mit der im Eröffnungsbeschluss in Bezug genommenen "Anklage der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 28.06.2019" genau jenes Dokument meinte. Damit steht jedoch nicht mit - der vom Bundegerichtshof (a.a.O.) verlangten - Sicherheit fest, dass das Amtsgericht auch die Selbständigkeit des Einziehungsverfahrens und die damit verbundene Notwendigkeit einer eigenständigen Prüfung der Antragsvoraussetzungen im Zwischenverfahren erkannt und Letztere dann auch tatsächlich geprüft hat. Dass das Amtsgericht in seinem Eröffnungsbeschluss die "Anklage" einschränkungslos zugelassen hat, kann - entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft - genauso in der Weise gedeutet werden, dass das Amtsgericht schlichtweg übersehen hat, dass es über zwei verschiedene Gegenstände zu entscheiden hatte - eine Annahme, die, wie vom Landgericht näher ausgeführt, insbesondere in Anbetracht der Gründe des amtsgerichtlichen Urteils durchaus nahe liegt.
Der Umstand, dass das Amtsgericht die dem Antrag zugrundeliegenden Sachverhalt in der Hauptverhandlung umfassend aufgeklärt und hierzu etwa noch zusätzliche Zeugen geladen hat, vermag nichts daran zu ändern, dass keine Urkunden vorhanden sind, die aus sich heraus eine tatsächliche Prüfung der Antragsvoraussetzungen erkennen lassen. So hat auch der Bundesgerichtshof in dem jenem Beschluss vom 04.08.2016 - 4 StR 230/16, NStZ 2016, 747 zugrundeliegenden Fall der Ladung zweier Zeugen aus dem nicht eröffneten Verfahren nicht die Bedeutung einer konkludenten Eröffnung beigemessen.
Schließlich vermag auch der Einwand nicht durchzugreifen, dass das für Eröffnungsbeschlüsse konzipierte und vorliegend verwandte Formular auf die vorliegende Fallgestaltung nicht zugeschnitten ist. Im Gegenteil: Der Gebrauch eines solchen Formulars lässt vielmehr besorgen, dass nicht zuletzt aufgrund des vorformulierten Begriffs "Anklage" dem Amtsgericht der Blick für die Besonderheiten des Einzelfalls - hier bzgl. des zusätzlichen Vorliegens des Antrags - von vornherein verstellt war - ein weiteres Argument, das gegen die Annahme spricht, das Amtsgericht sei mit Sicherheit tatsächlich in eine Prüfung eingestiegen.
III.
Die Kostenentscheidung für den Einziehungsbeteiligten folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO; jene hinsichtlich des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft aus § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 08.08.1974 - 2 Ws 368/74, NJW 1975, 130; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO63, § 473 Rn. 18).