Landgericht Stade
Urt. v. 17.08.2005, Az.: 2 O 214/04
Ersatzansprüche wegen zu später Insolvenzanmeldung des Geschäftsführers; Voraussetzungen für eine Überschuldung gemäß § 19 Abs. 2 Insolvenzordnung (InsO) nach der modifizierten zweistufigen Methode; Verpflichtung zum Einstellen von kapitalersetzenden Darlehen in die Überschuldungsbilanz
Bibliographie
- Gericht
- LG Stade
- Datum
- 17.08.2005
- Aktenzeichen
- 2 O 214/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 29872
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGSTADE:2005:0817.2O214.04.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Celle - 01.02.2006 - AZ: 9 U 147/05
Rechtsgrundlagen
- § 64 Abs. 2 GmbHG
- § 17 Abs. 2 InsO
- § 19 Abs. 2 InsO
- § 80 Abs. 1 InsO
In dem Rechtsstreit
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade
auf die mündliche Verhandlung
vom 06.07.05
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Schilensky,
den Richter am Landgericht Myska und
die Richterin Tschackert
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ersatzansprüche wegen zu später Insolvenzanmeldung des Geschäftsführers aus § 64 II GmbHG.
Der Kläger ist der Insolvenzverwalter der (im weiteren: Schuldnerin). Der Beklagte ist deren Geschäftsführer. Der Beklagte stellte am 23. Mai 03 Insolvenzantrag über das Vermögen der Schuldnerin. Vor Antragstellung und teilweise danach leistete er in dem Zeitraum vom 2.1.3.03 bis 2.6.03 noch Zahlungen an deren Gläubiger i.H.v. insgesamt 156.728,96 EUR, die der Kläger nunmehr vom Beklagten nach § 64 II GmbHG zurück fordert. Wegen der einzelnen Zahlungen wird auf die Seiten 4-6 der Klagschrift (Bl. 4-6 d.A.) verwiesen.
Die Ehefrau des Beklagten, die bis zum 29.11.01 Mitgesellschafterin der Schuldnerin war und ihren Gesellschaftsanteil an diesem Tag auf Herrn Michael Grewe übertrug, gewährte der Schuldnerin am 14.12.01 ein Darlehen in Höhe von 460.000,- EUR. Zur Sicherheit ließ sie sich im Rahmen einer Globalzession sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche der Schuldnerin aus Warenlieferungen und Leistungen gegen alle ihre Schuldner abtreten. Am 3.7.03 vereinbarte die Ehefrau des Beklagten mit dem Kläger, dass sie keine Forderungen der Schuldnerin auf Grund ihrer Globalzession einziehen werde, sondern, alle Schuldner an den Kläger als Insolvenzverwalter schuldbefreiend leisten sollten. Diese Vereinbarung wurde im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit des Klägers gegen die Ehefrau des Beklagten getätigt, in dem der Kläger die Rückzahlung der bisher geleisteten Darlehensraten verlangte, da er insoweit der Meinung war, es handele sich bei dem gewährten Darlehen um ein kapitalersetzendes.
Der Kläger behauptet, die Schuldnerin sei spätestens ab Ende 01 überschuldet gewesen, so dass der Insolvenzantrag schon im Januar 02 hätte gestellt werden müssen. Zu diesem Zeitpunkt habe unter Fortführungsgesichtspunkten eine Überschuldung in Höhe von 29.126,83 EUR vorgelegen. Diese Überschuldung habe sich durch weitere Verluste in 2002 und 2003 auf über 200.000,- EUR erhöht, wie es sich aus den Summen- und Saldenlisten der Anlagenkonvolute 3 und 4 (Bl. 43 ff. d.A.) ergebe. Außerdem sei die Schuldnerin auch zahlungsunfähig gewesen. Zum Zeitpunkt des Prüftermins vom 15.9.03 habe sie fällige Verbindlichkeiten in Höhe von 236.952,51 EUR gehabt, denen ein Bankguthaben in Höhe von 140,- EUR gegenüber gestanden habe. Trotz Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung habe der Beklagte dann die Zahlungen an Gläubiger in Höhe von 156.728,96 EUR getätigt.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 156.728,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Meinung, dass das von seiner Frau gewährte Darlehen nicht in die Überschuldungsbilanz eingestellt werden dürfe, da der Kläger es nicht als Forderung zur Tabelle anerkannt habe und selbst behauptet, es handele sich um ein kapitalersetzendes Darlehen. Außerdem basiere der bilanzielle Verlust des Jahres 2001 ihn wesentlichen auch auf einer Forderungsabschreibung in Höhe von 305.054,81 DM. Diese Forderung stand der Schuldnerin gegenüber der Uwe Feldtmann GmbH & Co. KG zu. Sie rührte schon aus dem Jahr 1998. Es habe sich erst 2001 endgültig herausgestellt, dass die Feldtmann KG diese Forderung nicht mehr begleichen würde, so dass sie wegen Unwiederbringlichkeit aus handelsrechtlicher Sicht 2001 abgeschrieben worden sei. Zahlungsunfähigkeit habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Die Schuldnerin sei ihren Verpflichtungen stets nachgekommen. Der Insolvenzantrag sei dann wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt worden, weil die Ehefrau des Beklagten das Darlehen am 30.4.03 kündigte und angekündigt habe, nunmehr die an sie abgetretenen Forderungen selbst einzuziehen. Außerdem habe die Schuldnerin noch einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von ca. 100.000,- EUR wegen zuviel gezahlter Provisionen aus dem Jahr 02 gegen den ehemaligen Mitarbeiter Tomat gehabt, wobei sich Mitte Mai 03 herausstellte, dass dieser wegen Zahlungsunfähigkeit des Herrn Tomat nicht mehr realisierbar sei. Es gäbe auch noch offene Forderungen gegen Schuldner der Schuldnerin, die der Kläger in der Prüfliste vom 15.9.03 nicht ausgewiesen habe. Die Fortbestehungsprognose der Schuldnerin sei bis Mai 03 stets positiv gewesen, was sich insbesondere daraus ergebe, dass sie stets zahlungsfähig gewesen sei. Außerdem seien die streitigen Zahlungen an Gläubiger der Schuldnerin in kaufmännisch gerechtfertigter Weise erfolgt. Die Zahlungen auf Mietforderungen, Benzin für die Firmenfahrzeuge und für die monatliche Buchführung seien erforderlich gewesen, damit der Betrieb habe aufrecht erhalten werden können. Den Zahlungen für die erforderlichen Baustoffe stünden gleichwertige Gegenleistungen gegenüber. Zu den Einzelheiten wird auf Bl. 233-235 d.A., sowie Anlage B 30 verwiesen. Außerdem stünden diese im Interesse der Gläubiger, da die Schuldner der Schuldnerin sonst ihrerseits nicht geleistet hätten. Außerdem müsse sich der Kläger eine Kürzung der Ansprüche um die Beträge gefallen lassen, die die durch die Zahlungen begünstigten Gläubiger als Massequote erhalten hätten.
Wegen des weiteren Sachvortrages wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf Rückzahlung von 156.728,96 EUR aus §§ 64 II GmbHG, 80 I InsO.
1.
Die Schuldnerin war nicht vor Stellung des Insolvenzantrages zahlungsunfähig im Sinne des § 17 II InsO. Sie hatte ihre Zahlungen weder vor Antragstellung bereits eingestellt noch ergibt sich aus der Tatsache, dass zum Zeitpunkt des Prüftermins vom 15.9.03 fällige Verbindlichkeiten in Höhe von 236.952,51 EUR vorlagen, dass die Gemeinschuldnerin bereits vor dem 23.5.03 nicht mehr in der Lage war fällige Verbindlichkeiten zu begleichen. Im Gegenteil ist sie unbestritten bis zur Antragsstellung ihren Zahlungsverpflichtungen stets nachgekommen.
2.
Eine Überschuldung der Schuldnerin Ende 2001 liegt nicht vor.
Eine Überschuldung ist nach § 19 II InsO gegeben, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Nach der sog. modifizierten zweistufigen Methode setzt eine Überschuldung im Sinne des § 19 II InsO, auf den § 64 GmbHG verweist, neben der rechnerischen Überschuldung voraus, dass die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (MüKo InsO, Band 1, § 19 Rn. 15).
Nach dem -korrigierten- Vortrag des Klägers lag Ende 2001 zwar eine rechnerische r Überschuldung der Schuldnerin in Höhe von 29.126,83 EUR vor. Insoweit hat der Kläger bei seiner Berechnung auch richtigerweise das von der Ehefrau des Beklagten gewährte Darlehn in Höhe von 460.000,- EUR berücksichtigt. Dieses Darlehen war in die Überschuldungsbilanz einzustellen. Tatsachen, die die Annahme eines kapitalersetzenden Darlehens rechtfertigen, sind von keiner Partei ausreichend vorgetragen worden. Außerdem ist grundsätzlich auch ein kapitalersetzendes Darlehen in die Überschuldungsbilanz einzustellen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Darlehensgeber entweder eine Verzichtserklärung oder zumindest eine Rangrücktrittserklärung abgibt (BGH Urteil vom 8.1.01, Az. II ZR 88/99). Eine solche Erklärung liegt aber seitens der Ehefrau des Beklagten nicht vor. Sie hat zwar mit dem Kläger eine Vereinbarung dahingehend getroffen, dass sie nicht auf Grund der Globalzession die an sie abgetretenen Forderungen einzieht, sondern die Schuldner mit befreiender Wirkung an die Schuldnerin bzw. den Kläger leisten sollen. Diese Erklärung beinhaltet aber keinen Verzicht auf die Darlehensforderung, sondern lediglich auf die Sicherheiten.
Allerdings bestand Ende 2001 noch eine positive Fortführungsprognose. Die rechnerische Überschuldung für dieses Jahr basiert ganz wesentlich darauf, dass die Schuldnerin mit einer ihr zustehenden Forderung gegen die Feldtmann KG in Höhe von 155.972,05 EUR ausgefallen ist, da diese ihrerseits insolvent wurde. Hätte diese Forderung realisiert werden können, wäre der Jahresabschluss der Schuldnerin 2001 noch positiv ausgefallen. Es ist also davon auszugehen, dass das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt noch ordnungsgemäß wirtschaftete, so dass es unter Fortführungsgesichtspunkten überwiegend wahrscheinlich war, dass die Schuldnerin - mittelfristig in der Lage gewesen wäre, den einmaligen Verlust, der nicht auf einer eigenen Misswirtschaft, sondern auf der Insolvenz der Feldtmann KG beruhte, auszugleichen.
3.
Für die Zeit von 2002 bis zur Stellung des Insolvenzantrages am 23.5.2003 ist eine Überschuldung der Schuldnerin nicht hinreichend dargetan worden. Zwar hat der Kläger , ; einen weiteren Verlust in Höhe von 214.213,97 EUR behauptet und zur Bestätigung seines Vortrags auf Summen- und Saldenlisten aus den Jahren 2002 und 2003 Bezug genommen. Dies war jedoch nicht ausreichend, um eine Überschuldung im Sinne des § 19 InsO begründen zu können, worauf der Kläger auch hingewiesen worden ist. Denn anders als eine echte Überschuldungsbilanz zeigen weder eine handelsrechtliche Bilanz - die im Übrigen für die Jahre 2002 und 2003 überhaupt nicht aufgestellt worden sind - noch die vorgelegten Summen- und Saldenlisten das Schuldendeckungspotenzial der Schuldnerin auf. Vielmehr werden dort nur die laufenden Einnahmen und Ausgaben berücksichtigt, ohne etwa auf stille Reserven oder werthaltige Marktanteile einzugehen. Damit konnte nicht festgestellt werden, ob eine Überschuldung der Schuldnerin vorlag.
4.
Letztlich können auch die nach erfolgter Antragstellung geleisteten Zahlungen vom Kläger nicht zurückgefordert werden. Hierbei kann die Frage offen bleiben, ob § 64 II
GmbHG für den Fall der drohenden Zahlungsunfähigkeit ab Stellung des Insolvenzantrages analog angewendet werden kann, da die beiden nach Antragstellung geleisteten Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmann vereinbar waren, "sodass eine Rückforderung nach § 64 II S. 2 GmbHG ausgeschlossen ist. Bei der Zahlung vom 2.6.03 i.H.v. 2.059,19 EUR an die Alva Verwaltungs-GmbH handelte es sich um eine Mietzinszahlung, die dem weiteren Geschäftsbetrieb der Schuldnerin diente und damit sichergestellte, dass der Insolvenzverwalter seine Wahlmöglichkeiten nach §§ 108 ff. InsO behält. Auch die Zahlung von 3.600,- EUR an die Ehefrau des Beklagten ist nach § 64 II S. 2 GmbHG nicht zu beanstanden, da sie auf Grund der am 14.12.01 vereinbarten Globalzession absonderungsberechtigte Gläubigerin im Sinn des § 51 InsO war. Der Verzicht auf die Inanspruchnahme der Sicherheit stammte erst vom 3.7.03, so dass die Zahlung vom 30.5.03 noch dazu diente, eine absonderungsberechtigte Gläubigerin zu befriedigen.
Die Nebenentscheidungen basieren auf §§ 91, 709 ZPO.
Myska
B. Meyer
Tschackert