Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 07.12.2017, Az.: 3 A 7356/16

Finanzierung; Kostenerstattung bei Gewährung von Jugendhilfe nach der Einreise; Übertragung einer Amtsvormundschaft; unbegleitet eingereiste Minderjährige; Vereinsvormundschaft; Vormundschaftsverein

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
07.12.2017
Aktenzeichen
3 A 7356/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54045
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Kosten, die zur Finanzierung einer Vereinsvormundschaft für einen unbegleitet eingereisten minderjährigen Ausländer entstanden sind, sind nicht gemäß § 89d Abs. 1, 3 (a.F.) SGB VIII erstattungsfähig
2. Die Finanzierung einer Vereinsvormundschaft stellt keine Aufgabe der Jugendhilfe i.S.d. § 2 SGB VIII dar und ist mithin keine Jugendhilfe i.S.d. § 89d Abs.1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII.
3. Die Übertragung einer Amtsvormundschaft gemäß § 55 SGB VIII zur Wahrnehmung auf einen Vormundschaftsverein ist rechtlich unzulässig.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Erstattung gemäß § 89d Abs. 1, Abs. 3 (a.F.) SGB VIII hinsichtlich von Kosten, die ihr zur Finanzierung einer Vereinsvormundschaft für einen unbegleitet eingereisten minderjährigen Ausländer entstanden sind.

Der minderjährige Ausländer C. (Minderjähriger), geboren nach eigenen Angaben am D. 2002, wurde am 22. September 2015 im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Klägerin aufgegriffen und anschließend von ihrem Allgemeinen Sozialdienst in Obhut genommen. Da er sich nach eigener Aussage ohne Eltern in Deutschland aufhielt und die mitgereiste Tante nicht die Erziehungsvormundschaft übernehmen wollte, beantragte die Klägerin beim Amtsgericht Würzburg die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge sowie die Errichtung einer Vormundschaft im Rahmen der einstweiligen Anordnung und regte an, den E. e.V., F. in G., zum Vormund zu bestellen. Mit familiengerichtlichem Beschluss vom 28. September 2015 sowie Bestallung vom 01. Oktober 2015 bestellte das Amtsgericht den E. e.V. zum Vormund.

Für die Übernahme der Vereinsvormundschaft vereinbarte die Klägerin - nach ihrer unbestrittenen Darstellung - mit dem E. e.V. die Zahlung einer Monatspauschale in Höhe von 230,83 €. Die Beendigung der Inobhutnahme erfolgte zum 11. Dezember 2015 mit Bescheid vom 08. Januar 2016.

Das Bundesverwaltungsamt bestimmte auf Antrag der Klägerin mit Schreiben vom 14. Januar 2016 den Beklagten als kostenerstattungspflichtigen Träger für die für den Minderjährigen veranlassten Jugendhilfemaßnahmen.

Ende Januar 2016 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Kostenerstattung für die von ihr im Rahmen der Inobhutnahme des Minderjährigen aufgewendeten Kosten. Dieser erkannte mit Schreiben vom Juni 2016 den Kostenerstattungsanspruch dem Grunde nach an, lehnte jedoch die Übernahme der für die Finanzierung der Vereinsvormundschaft angefallenen Kosten in Höhe von 461,66 € ab.

Die Klägerin hat am 04. Dezember 2016 Klage erhoben.

Sie meint, dass gemäß § 89f Abs. 1 SGB VIII ein Anspruch auf Kostenerstattung bei rechtmäßiger Aufgabenerfüllung bestehe. Es sei zwar keine Erstattungsfähigkeit für einem örtlichen Jugendhilfeträger selbst entstandene Kosten einer Amtsvormundschaft gegeben. Sie habe aber das Recht zu bestimmen, wie die Aufgaben der öffentlichen Jugendhilfe im Einzelnen wahrgenommen würden und die ordnungsgemäße Erledigung sichergestellt werde. Die Übertragung der Vormundschaft auf einen Verein sei in § 54 SGB VIII explizit geregelt, wobei kein Rangverhältnis zwischen einer Amts- und einer Vereinsvormundschaft bestehe. Die Amtsvormundschaft sei unstreitig eine „andere Aufgabe“ der Jugendhilfe i.S.v. § 2 Abs. 3 Nr. 11 SGB VIII. Andere Aufgaben würden gemäß § 3 Abs. 3 SGB VIII von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe wahrgenommen, wobei Träger der freien Jugendhilfe diese Aufgaben erledigen würden oder mit der Wahrnehmung betraut werden könnten, sofern dies ausdrücklich bestimmt sei. Die generelle Möglichkeit einer Erlaubniserteilung zur Ausübung einer Vereinsvormundschaft i.S.d. § 54 SGB VIII lasse keine Rückschlüsse darüber zu, ob von einem Verein nicht auch eine Amtsvormundschaft als Aufgabe i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 11 SGB VIII wahrgenommen werden könne.

Für die Übertragung der Aufgabe zur Durchführung der Vereinsvormundschaft sei eine Vereinbarung gemäß § 77 SGB VIII zwischen ihr und dem E. e. V. Würzburg geschlossen worden. Der Verein übe gemäß § 54 SGB VIII i. V. m. Art. 60 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) die Vereinsvormundschaft für minderjährige Flüchtlinge aus, für die sie örtlich zuständig sei. Die Vergütung werde in analoger Anwendung der Personalkostenpauschalen in den Anhängen F und G des Rahmenvertrages nach § 78f SGB VIII ermittelt. Verwaltungskostenanteile, die ein freier Träger einem anderen Leistungserbringer aufgrund einer Leistungsvereinbarung mit dem örtlichen Jugendamt in Rechnung stelle, seien nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Oktober 2009 (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 5 C 16/08 –, BVerwGE 135, 150-159) für den örtlichen Träger - als Bestandteil der Hilfe - Sachkosten und nicht mehr allgemeine Verwaltungskosten. Damit seien sie auch vom Kostenerstattungsanspruch gemäß § 89f SGB VIII erfasst, da diese Kosten abgrenzbar und individuell-konkret einem Einzelfall zuzuordnen seien.

In Anbetracht der damaligen Situation - also des verstärkten Zustroms von unbegleiteten minderjährigen Ausländern - sei auch die gesetzliche Vorgabe des § 55 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII relevant. Danach solle ein Amtsvormund höchstens 50 Vormundschaften bzw. Pflegschaften gleichzeitig führen. Im Rahmen der Gesamtverantwortung gemäß § 79 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII habe der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu gewährleisten, dass zur Aufgabenerfüllung nach dem SGB VIII eine ausreichende Anzahl an Pflegern und Vormündern zur Verfügung stehe. Da sie – in Anbetracht der gesetzlichen Höchstgrenzen von Vormundschaften pro Mitarbeiter – dies nicht mehr durch eigenes Personal habe gewährleisten können, sei die Heranziehung eines freien Jugendhilfeträgers erforderlich gewesen. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe müsse insgesamt dafür Sorge tragen, dass die Aufgaben nach dem SGB VIII erfüllt würden, ungeachtet ob dies durch freie oder öffentliche Träger der Jugendhilfe erfolge. Zur vorgenannten Gesamtverantwortung gehöre auch eine angemessene finanzielle Förderung des an der Erledigung der Aufgabe im Sinne des SGB VIII beteiligten freien Trägers.

Vor dem Hintergrund der vorgenannten besonderen Situation im Jahre 2015 müsse eine Abwägung zwischen der Wahrnehmung der in § 79 SGB VIII normierten Gesamtverantwortung und der in § 76 SGB VIII normierten Möglichkeit der Aufgabenübertragung, welche der besonderen Situation nicht habe Rechnung tragen können, vorgenommen werden. Deshalb sei im Rahmen der „teleologischen Gesetzesauslegung“ diese „Normenkollision“ unter Einbeziehung aller Gegebenheiten der damaligen Situation zu bewerten. Wie auch der BGH bereits entschieden habe, sei kein Gesetz in seinem Anwendungsbereich auf die beim Erlass des Gesetzes ins Auge gefassten Fälle beschränkt. Wenn sich seit dem Erlass eines Gesetzes Sachverhalte grundlegend geändert hätten, das Gesetz jedoch nicht kurzfristig angepasst werden könne, lasse die „teleologische Gesetzesauslegung“ eine weitere Auslegung des Gesetzes zu.

Jedenfalls sei der Kostenbegriff in § 89d Abs. 1 SGB VIII erweiternd auszulegen. Die Kosten zur Finanzierung der Vereinsvormundschaft seien als „Quasi-Annex“ zur Inobhutnahme unter diesen Kostenbegriff zu subsumieren, weil sie im Rahmen Ihrer Verantwortung nach § 42 SGB VIII und der Gesamtverantwortung nach § 79 SGB VIII praktisch gezwungen gewesen sei, mit dem Verein eine entsprechende Kostenübernahmevereinbarung zu treffen.

Die Klägerin behauptet, bei der pauschalen Finanzierung der Kommunen durch den Freistaat Bayern in Bezug auf die in Bayern untergebrachten unbegleitet eingereisten minderjährigen Ausländer handele es sich um eine freiwillige Leistung, welche unabhängig von der Finanzierung einer Vormundschaft gezahlt worden sei. Diese habe auch die Kosten der Einzelfälle bei weitem nicht gedeckt. Es sei nur um eine Minimierung der nicht erstattungsfähigen Kosten des Verwaltungsaufwandes gegangen.

Die Klägerin hat zunächst beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr gegenüber die Kostenerstattungspflicht bezüglich der Kosten für die Vereinsvormundschaft für die Zeit vom 22.09.2015 bis 31.10.2015 anzuerkennen und die von ihr aufgewendeten Kosten der Vereinsvormundschaft für C. in dieser Zeit in Höhe von 461,66 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klageerhebung an sie zu erstatten. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2017 hat sie ihren Antrag neu gefasst und diesen im Termin zur mündlichen Verhandlung noch einmal präzisiert.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

den Beklagten zu verurteilen, die in der Zeit vom 22.09.2015 bis 31.10.2015 durch sie, die Klägerin, aufgewendeten Kosten der Vereinsvormundschaft für C. in Höhe von 461,66 € zzgl. Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klageerhebung an sie zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, es bestehe bereits kein originärer (gesetzlicher) Vergütungsanspruch für die Wahrnehmung von Vereinsvormundschaften. § 1836 Abs. 1 BGB bestimme den Grundsatz der Unentgeltlichkeit von Vereinsvormundschaften, wobei nach der Rechtsprechung des BGH keine Ausnahmemöglichkeit bestehe, sofern der Verein - wie vorliegend - selbst als Vormund bestellt werde.

Zudem falle die Vereinsvormundschaft nicht unter Jugendhilfe i.S.v. § 89d Abs. 1 SGB VIII; in § 2 Abs. 3 Nr. 11 SGB VIII sei lediglich die Amts-, nicht aber die Vereinsvormundschaft aufgeführt. Ein Verein könne keine Amtsvormundschaft wahrnehmen. § 76 SGB VIII setze dem öffentlichen Jugendhilfeträger hinsichtlich der Beteiligung anerkannter Träger der freien Jugendhilfe bei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben im Bereich der Jugendhilfe Grenzen. Die Amtsvormundschaft nach § 55 SGB VIII werde in dieser Norm nicht erwähnt.

Bei der pauschalen Kostenübernahme, welche die Klägerin dem E. e.V. Würzburg gewährt habe, handele es sich lediglich um eine freiwillige Unterstützung eines freien Trägers. Diese zähle aber schon nicht zu den Aufgaben der Jugendhilfe i.S.d. § 2 SGB VIII, wie sich auch aus dem Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJuF) (JAmt 2016, Seite 260f.) ergebe. Die dortigen Rechtsausführungen mache er vollumfänglich zum Bestandteil seines Vortrages.

Jedenfalls sei auch der Interessenwahrungsgrundsatz zu beachten, aus welchem sich ergebe, dass ein überörtlicher Träger sich nicht im Zuge der Erstattung an einer freiwilligen Leistungsgewährung an Dritte (als kostenerhöhender Maßnahme) festhalten lassen müsse. Auch müsse Beachtung finden, dass die Klägerin eigene Personalkosten erspart habe, indem sie nicht selbst die Vormundschaft übernommen habe. Zudem sei die Erstattungslast innerhalb der Jugendhilfe dadurch zu reduzieren, dass Kostenerstattungsansprüche vorrangig gegen andere Schuldner geltend gemacht werden. Diesbezüglich behauptet der Beklagte, im Haushalt des Bayrischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) seien Mittel zur Unterstützung der Kommunen im Freistaat Bayern eingestellt worden, die auch für die Wahrnehmung von Vormundschaften für unbegleitet eingereiste minderjährige Ausländer entstandene Kosten abdecken sollten.

Der Beklagte ist darüber hinaus der Meinung, der Hinweis der Klägerin auf die Gesamtverantwortung nach § 79 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII könne keine Kostenerstattungspflicht entgegen den gesetzlichen Vorgaben begründen, da mit der Letztverantwortung der öffentlichen Jugendhilfe für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben darauf abgezielt werde, die Rechtsposition des Leistungsberechtigten nicht zur Disposition des autonomen Betätigungsrechts der freien Jugendhilfe zu stellen.

Die von der Klägerin ins Feld geführte „Normenkollision“ zwischen der Gesamtverantwortung nach § 79 SGB VIII und den Vorgaben des § 76 SGB VIII zu den Möglichkeiten einer Aufgabenübertragung sei nicht gegeben. Eine solche liege vor, wenn zwei Rechtsregelungen für denselben Sachverhalt unterschiedliche Rechtsfolgen vorsehen würden, was hier nicht der Fall sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet.

1. Ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 89d Abs. 1, Abs. 3 (a.F.) SGB VIII besteht in Bezug auf die von der Klägerin aufgewendeten Kosten für die Vereinsvormundschaft nicht.

a) Nach § 89d Abs. 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger aufgewendet hat, vom Land zu erstatten, wenn an einen jungen Menschen oder einen Leistungsberechtigten nach § 19 SGB VIII innerhalb eines Monats nach der Einreise Jugendhilfe gewährt wird (Abs. 1 S. 1 Nr. 1) und sich die örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt dieser Person oder nach der Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde richtet (Abs. 1 S. 1 Nr. 2).

Kosten i.S.v. § 89d Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII sind nur solche Aufwendungen, die einem örtlichen Jugendhilfeträger - unter den in der Norm aufgeführten Bedingungen - für die Gewährung von Jugendhilfe in Bezug auf einen konkreten Hilfefall entstanden sind. Die Gewährung von Jugendhilfe umfasst dabei das gesamte Spektrum der in § 2 SGB VIII genannten Aufgaben der Jugendhilfe, also sowohl Leistungen nach § 2 Abs. 2 SGB VIII als auch andere Aufgaben i.S.d. § 2 Abs. 3 SGB VIII; hierbei kommen insbesondere Hilfen nach den §§ 19, 27 ff., 35a, 41 SGB VIII und Inobhutnahmen gemäß § 42 SGB VIII in Betracht (Streichsbier in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 89d SGB VIII, Rn. 6).

b) Ausgehend davon handelte es sich bei der an den E. e.V. gezahlten Kostenpauschale für die Übernahme der Vereinsvormundschaft für den Minderjährigen nicht um Kosten i.S.v. § 89d Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII. Denn diese Kosten sind nicht für die Gewährung von Jugendhilfe an den Minderjährigen angefallen.

aa) Die Klägerin hat dem Minderjährigen zwar Jugendhilfe in Form einer Inobhutnahme gewährt. Diese selbst umfasste aber als Jugendhilfemaßnahme nicht die Führung der Vormundschaft. Die Führung einer Amtsvormundschaft ist nicht integraler Bestandteil einer Inobhutnahme, sondern gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 11 SGB VIII eine eigenständige Aufgabe der Jugendhilfe.

bb) Die geltend gemachten Kosten sind auch nicht im Rahmen der Wahrnehmung einer Amtsvormundschaft angefallen. Soweit die Klägerin der Ansicht ist, sie habe die Führung einer Amtsvormundschaft für den Minderjährigen auf den E. e.V. als freien Jugendhilfeträger übertragen, geht sie damit fehl.

Es lag nämlich schon keine Amtsvormundschaft vor, die zur tatsächlichen Wahrnehmung auf den Verein hätte übertragen werden können. Denn durch das Amtsgericht Würzburg war gemäß §§ 1789, 1773, 1779, 1791a BGB der Verein zum Vormund bestellt und nicht die Klägerin.

Davon abgesehen wäre die Übertragung einer Amtsvormundschaft zur Wahrnehmung auf einen Vormundschaftsverein rechtlich aber auch nicht zulässig. Freie Träger der Jugendhilfe haben im Rahmen anderer Aufgaben der Jugendhilfe i.S.d. § 2 Abs. 3 SGB VIII kein autonomes Betätigungsfeld; sie dürfen solche „anderen Aufgaben“ gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2, § 76 SGB VIII nur wahrnehmen oder mit der Ausführung betraut werden, wenn dies ausdrücklich erlaubt ist (Heußner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 2 SGB VIII, Rn. 9, § 3 SGB VIII, Rn. 37). Die Führung einer Amtsvormundschaft gemäß § 55 SGB VIII gehört nicht dazu, denn sie ist in § 76 SGB VIII nicht aufgeführt.

Die Regelung des § 76 SGB VIII ist einer „teleologische[n] [erweiternden] Gesetzesauslegung“ in der von der Klägerin geforderten Weise nicht zugänglich. Denn der Wortlaut einer Norm stellt die äußerste Grenze der Auslegung dar und es handelt sich in § 76 SGB VIII um eine abschließende Aufzählung von Aufgaben, an deren Durchführung freie Träger beteiligt werden können (vgl.: Trésoret in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl. 2014, § 76 SGB VIII, Rn. 30; Schindler/Elmauer in: LPK-SGB VIII, 6. Aufl., § 76, Rn. 3; Kern in: Schellhorn SGB VIII Kommentar, 4. Aufl., § 76, Rn. 7; im Ergebnis auch: Münder in: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 6. Aufl., § 76, Rn. 1, der auf den Ausnahmecharakter der Übertragung „anderer Aufgaben“ in den in § 76 SGB VIII aufgezählten Fällen hinweist). Anregungen des Bundesrates (BT-Drucks. 11/5948, S. 143), die Übertragungsmöglichkeit auf alle anderen Aufgaben auszudehnen, haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt (vgl.: Kern in: Schellhorn, a.a.O.). Auch eine analoge Anwendung des § 76 SGB VIII auf § 55 SGB VIII ist nicht möglich. Es fehlt insoweit schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat sich bewusst für eine abschließende Aufzählung entschieden. Er war sich zudem darüber im Klaren, dass es Fälle gibt, in denen ggf. ausnahmsweise eine über das normale Maß hinausgehende Anzahl von Amtsvormundschaften übernommen werden muss. § 55 Abs. 2 S. 4 SGB VIII stellt deshalb lediglich eine Sollensvorschrift dar, von welcher - gerade in der beschriebenen Ausnahmesituation - abgewichen werden kann. Der Klägerin hätte es auch freigestanden, durch Aufstockung der Personalmittel zu reagieren. Die von ihr ins Feld geführte „Normenkollision“ zwischen § 79 SGB VIII und § 76 SGB VIII besteht nicht. Die Normen stehen sich - auch im Hinblick auf die besonderen Ausprägungen des vorliegenden Falls - nicht entgegen.

cc) Auch der Vortrag der Klägerin, der Kostenbegriff in § 89d Abs. 1 SGB VIII sei erweiternd auszulegen und die Kosten zu Finanzierung der Vereinsvormundschaft als „Quasi-Annex“ zur Inobhutnahme seien unter diesen Kostenbegriff zu subsumieren, überzeugt nicht.

Zunächst bestehen schon dem Grunde nach erhebliche Zweifel, ob § 89d Abs. 1 SGB VIII einer derartigen erweiternden Auslegung zugänglich ist. Jedenfalls für den Fall der Kosten zur Finanzierung einer Vereinsvormundschaft dürfte sich diese aber verbieten. Denn der Gesetzgeber hat sich bewusst dagegen entschieden, diese Art von Finanzierung als Aufgabe der Jugendhilfe zu normieren. Lediglich die Erteilung, der Widerruf und die Zurücknahme der Erlaubnis zur Übernahme von Vereinsvormundschaften werden in § 2 Abs. 3 Nr. 10 SGB VIII als „andere Aufgaben der Jugendhilfe“ genannt. Eine erweiternde Auslegung darf nicht dazu führen, diese klare gesetzliche Vorgabe zu umgehen. Die Überlastung der Jugendämter im Bereich der Amtsvormundschaften stellt zudem ein schon lange bekanntes Problem dar, welches nicht erst mit dem Zustrom unbegleiteter minderjähriger Ausländer im Jahr 2015 erstmals auftrat.

Die Klägerin könnte ihren Kostenaufwand für die Finanzierung der Vereinsvormundschaft aber auch selbst dann nicht gegenüber dem Beklagten nach § 89d Abs. 1SGB VIII wirksam geltend machen, wenn man die Möglichkeit einer erweiternden Auslegung des vorbezeichneten Kostenbegriffs in Betracht ziehen würde. Denn sie war - anders als von ihr vorgetragen - nicht im Rahmen Ihrer Gesamtverantwortung nach § 79 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII dazu gezwungen, durch Individualvertrag die Vereinsvormundschaft für den Minderjährigen zu finanzieren. Es hätte einerseits die Möglichkeit bestanden, durch eigene Neueinstellungen ihre Kapazitäten zu vergrößern, zumal der Zustrom unbegleiteter minderjähriger Ausländer zum hier maßgeblichen Zeitpunkt kein neues Problem für die Jugendämter darstellte. Zum anderen wäre es aber auch möglich gewesen, Vormundschaftsvereine durch pauschale Zuwendungen zu finanzieren.

c) Bei zutreffender rechtlicher Einordnung handelte es sich bei der von der Klägerin an den E. e.V. gezahlten Pauschale lediglich um eine finanzielle Unterstützung des Vereins im Rahmen der in § 79 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII im Bereich des Vormundschaftswesens normierten Gesamtverantwortung.

Die finanzielle Förderung von Vereinsvormundschaften zählt nicht zu den Leistungen und sonstigen Maßnahmen der Jugendhilfe i.S.d. § 2 SGB VIII, sondern ist als Jugendhilfe im weiteren Sinne zu qualifizieren, zu welcher der Träger der Jugendhilfe grundsätzlich nicht - bzw. nicht einzelfallbezogen - verpflichtet ist (vgl.: DIJuF-Rechtsgutachten vom 23. März 2016 - V 5.000 Lh in JAmt 2016, S. 260). Eine Erstattungsfähigkeit für derartige freiwillige Aufwendungen sieht das Gesetz nicht vor.

d) Soweit das VG Mainz in seinem Urteil vom 10. August 2017 (– 1 K 1419/16.MZ –, juris) dazu kommt, dass es sich bei der Finanzierung einer Vereinsvormundschaft für einen unbegleitet eingereisten minderjährigen Ausländer um solche Kosten handelt, die nach § 89d Abs. 1 SGB VIII erstattungsfähig sind, vermag die erkennende Kammer dem nicht zu folgen. Das VG Mainz setzt in seinem Urteil offensichtlich voraus, dass es sich hierbei um die Gewährung von Jugendhilfe i.S.v. § 89d Abs. 1 SGB VIII i.V.m. § 2 SGB VIII handelt, ohne dies jedoch zu begründen. Vielmehr befasst es sich ausschließlich mit der Kostenfolge und überspringt damit den eigentlich entscheidenden Punkt, der - wie dargelegt - zur Ablehnung der Erstattungsfähigkeit führen muss.

Der Verweis des VG Mainz auf § 54 SGB VIII geht in diesem Zusammenhang fehl. Diese Vorschrift normiert lediglich einen präventiven Erlaubnisvorbehalt für die Übernahme von Pfleg- oder Vormundschaften durch einen rechtsfähigen Verein. Sie knüpft damit an die Regelungen in §§ 1773ff., 1791a BGB an, in denen die Vormundschaft und die Voraussetzungen ihrer Übertragung auf einen Verein normiert sind. Die Führung einer Vereinsvormundschaft wird aber dadurch nicht zu einer Aufgabe der Jugendhilfe. Bei der Vormundschaft handelt es sich vielmehr um ein originär familienrechtliches Rechtsinstitut. Ihre Führung wird nur bei Einrichtung bzw. Eintritt einer - ausschließlich vom Jugendamt selbst wahrzunehmenden - Amtsvormundschaft nach §§ 1791b, 1791c BGB zugleich zu einer Aufgabe der Jugendhilfe. In Bezug auf Vereinsvormundschaften besteht eine Aufgabe der öffentlichen Jugendhilfe hingegen - wie sich aus § 2 Abs. 3 Nr. 10 SGB VIII eindeutig entnehmen lässt - nur insoweit, dass die Jugendämter die (generelle) Eignung des Vereins zur Übernahme von Vormundschaften präventiv und repressiv zu überwachen haben.

e) Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob und in welchem Umfang die Klägerin vom Freistaat Bayern finanzielle Zuweisungen erhalten hat, die (auch) der Refinanzierung der im vorliegenden Fall streitbefangenen Aufwendungen der Klägerin dienten.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Berufung ist gemäß §§ 124a Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Frage, ob zur Finanzierung einer Vereinsvormundschaft aufgewendete Kosten gemäß    § 89d Abs. 1, 3 (a.F.) SGB VIII erstattungsfähig sind, grundsätzliche Bedeutung hat.