Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 04.01.1996, Az.: 5 U 110/90

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
04.01.1996
Aktenzeichen
5 U 110/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 32406
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 10.04.1990 - AZ: 17 O 464/89

In dem Rechtsstreit
...
wegen Schadensersatzes
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 1995 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10. April 1990 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise geändert und wie folgt neu gefaßt:

    1. 1.

      Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 48 585,66 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 19. Dezember 1989 zu zahlen.

    2. 2.

      Es wird festgestellt, daß die Beklagte der Klägerin alle Aufwendungen, die sie für den am ...1984 verunglückten Hilfspolier ... erbringen muß, in dem Umfange zu ersetzen hat, in dem entsprechende zivilrechtliche Ersatzansprüche ... auf sie (die Klägerin) übergegangen sind. Dabei ist von einer Haftung der Beklagten in Höhe von 50 % auszugehen.

    3. 3.

      Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. II.

    Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

  3. III.

    Die bis zum 11. Juni 1992 angefallenen Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Von den später entstandenen Kosten tragen die Klägerin 25 % und die Beklagte 75 %.

  4. IV.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  5. V.

    Wert der Beschwer der Parteien: unter 60.000 DM.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg. Die Klägerin hat zwar ihr gegenüber Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen, die sie für den am ... 1984 in Bremen verunglückten Hilfspolier ... erbracht hat, denn als Ausgleich für ihre Leistungen sind entsprechende zivilrechtliche Ersatzsansprüche ... gemäß § 116 Absatz 1 SGB X auf sie übergegangen. Der Anspruch besteht jedoch nicht in der geltend gemachten Höhe.

I.

1. Durch die erneute Beweisaufnahme des Senats ist geklärt worden, daß die Arbeitgeberin ... die Baufirma ... nachdem die von ihr (im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft) gebaute Straßenbrücke über die elektrifizierte zweigleisige Eisenbahnstrecke Bremen - Oldenburg fertiggestellt worden war, in der Nacht vom ... zum ... 1984 mit dem Abbau des Brückenbau-Lehrgerüsts begonnen hatte und daß dabei auch im Bereich über der Bahnstrom-Speiseleitung, die unter der Brücke hindurchführte, gearbeitet worden war. Aufgrund dieser Arbeiten war eine Holzbohle senkrecht nach unten gefallen und auf der Speiseleitung, die unter Strom stand, liegen geblieben. Als ... auf Geheiß des Poliers ... die Bohle entfernen wollte, kam es zu einem Stromschlag und Kurzschluß. ... stürzte vom Gerüst ab und erlitt schwere Verletzungen.

2. Aufgrund dieses Sachverhalts ist die Beklagte gegenüber ... zum Schadensersatz verpflichtet. Die Ersatzpflicht ergibt sich aus § 2 Absatz 1 des Haftpflichtgesetzes (HPflG), weil ... durch die Wirkung von Elektrizität, die von einer Stromleitung der Beklagten ausging, an Körper und Gesundheit geschädigt worden ist.

Ein Fall höherer Gewalt, der gemäß § 2 Absatz 3 Nr. 3 HPflG die Haftung der Beklagten ausschließen würde, hat nicht vorgelegen. Auch ein Mitverschulden ... (§§ 4 HPflG, 254 BGB) ist nicht erkennbar. Er konnte darauf vertrauen, daß seine Vorgesetzten für die Abschaltung der Speiseleitung gesorgt hatten.

Eine Minderung der Ersatzansprüche ... ergibt sich jedoch aus folgendem: Für die Folgen seines Unfalls ist nicht nur die Beklagte haftbar. Auch die Firma ... ist nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts dafür ersatzpflichtig, und zwar sowohl aufgrund des mit ... abgeschlossenen Arbeitsvertrages als auch gemäß § 831 BGB. Desgleichen sind Ersatzansprüche gegen Arbeitskollegen denkbar (§ 823 BGB). Allerdings sind alle Ansprüche ... gegen seine Arbeitgeberin und gegen seine Arbeitskollegen, die seinen Personenschaden betreffen, gemäß den §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen, weil er zur Zeit des Unfalls unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand. Das wiederum führt dazu, daß die Beklagte bei den Mitschädigern nicht mehr Rückgriff nehmen kann. Da es aber nicht der Sinn der genannten Haftungsbeschränkung sein darf, daß sie (die Beklagte) den gesamten Schaden ... allein trägt, muß auch ihre Haftung eingeschränkt werden. Das geschieht in der Weise, daß sie gegenüber ... noch in dem Umfange ersatzpflichtig ist, in welchem sie den Schaden im Innenverhältnis aller Schädiger endgültig tragen müßte.

3. Auch der in § 116 Absatz 1 SGB X festgelegte gesetzliche Forderungsübergang auf die Klägerin - als die für ... zuständige Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung - vollzieht sich nur in dem vorstehend dargelegten Umfange.

II.

Entscheidend für den Umfang, in dem die Beklagte der Klägerin gegenüber Ersatzleistungen zu erbringen hat, ist nach allem, in welchem Verhältnis die Verursachungsanteile der einzelnen Schadensurheber, der Beklagten einerseits und der Firma ... andererseits, zueinander stehen. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, ob und inwieweit einem Beteiligten ein schuldhaftes Verhalten angelastet werden kann.

1. Ein solches schuldhaftes Verhalten ist auf Seiten der Beklagten nicht mit der gebotenen Sicherheit festzustellen.

a) Durch das Gutachten des Sachverständigen ... ist geklärt worden, daß beim Abbau des Lehrgerüstes kein Zwang bestand, zuvor alle unter der Brücke hindurchführenden Stromleitungen abzuschalten. Es konnte auch abschnittsweise vorgegangen werden. Wenn also im Bereich der Speiseleitung nicht gearbeitet werden sollte, durfte sie unter Strom bleiben. Die Beklagte war daher in der Nacht vom ... zum ... 1984 nicht gehalten, von sich aus und ohne Rücksicht auf die Arbeitspläne und Abschaltwünsche der Baufirma auch die Speiseleitung abzuschalten.

b) Eine Absprache der Beklagten mit der Baufirma, die zum Abschalten der Speiseleitung hätte führen müssen, ist ebenfalls nicht feststellbar. Nach den Angaben des Zeugen ..., der seitens der Beklagten das Brückenbauvorhaben zu betreuen hatte, war sogar ausdrücklich vereinbart worden, daß in der Nacht vom ... zum ... 1984 nicht in dem Bereich, in dem die Speiseleitung verlief, gearbeitet werden sollte. Diese Aussage begegnet zwar gewissen Bedenken, da sie nicht mit den Angaben des Poliers ... übereinstimmte und möglicherweise auch von dem abweicht, was ... nach dem Unfall dem ...bahnoberinspektor ... erklärt hat (Bl. 255 d.A.). Sie ist aber gleichwohl nicht widerlegt, so daß aus Beweislastgründen zugunsten der Beklagten von ihrer Richtigkeit ausgegangen werden muß.

c) Unter diesen Umständen wäre der Beklagten ein Verschulden auf ihrer Seite nur noch dann anzulasten, wenn ihr Werkmeister ..., der in der Unfallnacht an der Brückenbaustelle eingesetzt war, rechtzeitig erkannt hätte, daß auch im Bereich der Speiseleitung Gerüstabbauarbeiten vorgenommen wurden, wenn er aber hiergegen nicht eingeschritten wäre. ... will indessen (nach seinen Angaben vor dem Senat) derartige Arbeiten nicht bemerkt haben. Das ist nicht widerlegbar, vor allem deshalb nicht, weil die Abbauarbeiten mit Hilfe von Radladern vorgenommen wurden, die zwischen den beiden Gleisen standen und sich damit außerhalb der durch die Speiseleitung geschaffenen Gefahrenzone befanden. Daß von diesen Radladern aus dann doch die Gerüstträger über der Speiseleitung bearbeitet wurden (mit der Folge, daß eine Bohle auf die Leitung fiel), mag dem Zeugen entgangen sein.

2. Auf Seiten der Baufirma wäre schon eher an ein Verschulden zu denken. Es könnte entweder darin zu sehen sein, daß die von dem Zeugen ... bekundete Absprachen (falls man sie für erwiesen hält) nicht eingehalten wurde, oder (wenn man dem Zeugen nicht folgt) darin liegen, daß nicht für eine klare Absprache mit der Beklagten über das Abschalten der stromführenden Leitungen gesorgt worden war. Auch insoweit bestehen jedoch gegen eine abschließende Verschuldensfeststellung gewichtige Bedenken. Die Beweisaufnahme des Senats hat nämlich ergeben, daß die Bediensteten der Baufirma keine klare Vorstellung von den Begriffen "Oberleitung", "Fahrleitung" und "Speiseleitung" hatten und sich offenbar aus diesem Grunde mit Absprachen begnügt haben, die aus nachträglicher Sicht objektiv unzulänglich waren und Mißverständnisse zur Folge hatten. Es wäre Aufgabe der Beklagten gewesen, die Bediensteten der Baufirma insoweit sachgerecht aufzuklären. Das ist mit einiger Wahrscheinlichkeit unterblieben. Die unzulänglichen Absprachen gehen dann aber möglicherweise auf die Beklagte zurück.

3. Entfällt eine Verschuldensfeststellung, so wiegen die Verursachungsbeiträge sowohl der Beklagten als auch der Firma ... Ergebnis bedeutet dies, daß die Ersatzpflicht der Beklagten gegenüber dem Geschädigten ... und gegenüber der hinter ihm stehenden Klägerin auf 50 % des unfallbedingten Schadens zu beschränken ist.

III.

Die Aufwendungen der Klägerin für ... die im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemacht werden, sind (nach Abzug von 380,00 DM - vgl. Seite 10 des Senatsurteils vom 11.06.1992 = Bl. 342 d.A.) mit 97.171,31 DM der Höhe nach unstreitig. Es ist auch nicht erkennbar, daß sie anderen Zwecken als der Behebung des Unfallschadens gedient hätten. Entsprechend den obigen Ausführungen sind sie demgemäß in Höhe von 48.585,66 DM (= 50 %) von der Beklagten zu ersetzen (nebst den verlangten Zinsen).

Auch dem Feststellungsantrage der Klägerin ist im Rahmen der festgelegten Haftungsquote zu entsprechen. Dabei ist allerdings klarzustellen, daß ihre Aufwendungen für den Geschädigten ... nicht schlechthin, sondern nur nach Maßgabe des in § 116 SGB X geregelten Forderungsübergangs zu ersetzen sind.

IV.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 92, 97 Absatz 1 ZPO (Prozeßkosten einschließlich der Kosten der Revisionsinstanz) , 708 Nr. 10, 713 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils) und 546 Absatz 2 Satz 1 ZPO.(Festsetzung der Beschwerdewerte).