Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 31.01.1996, Az.: 3 U 24/95
Zahlungspflicht hinsichtlich einer Dreier-Grabstätte, Trauerkleidung sowie eines Grabsteins aus unerlaubter Handlung wegen Tötung einer Person; Bewertung der Ersatzpflicht bei lediglich mittelbarer Schädigung der Ersatzberechtigten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 31.01.1996
- Aktenzeichen
- 3 U 24/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 17196
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1996:0131.3U24.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden (Aller) - 23.11.1994 - AZ: 8 O 579/93
Rechtsgrundlagen
- § 7 StVG
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 1922 BGB
- § 1967 BGB
Fundstelle
- NZV 1997, 232-233 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Schadensersatz aus Verkehrsunfall
In dem Rechtsstreit
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 1995
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. November 1994 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 25.500 DM abzuwenden, sofern nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Sicherheit kann von beiden Parteien durch eine selbstschuldnerische, unwiderrufliche und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank, einer Volksbank oder öffentlichen Sparkasse geleistet werden.
Der Wert der Beschwer beträgt über 60.000 DM.
Tatbestand
Die Kläger sind die Eltern des am 26.06.1974 geborenen ... der in ... am 05.11.1991 ums Leben kam, als er abends bei Dunkelheit auf seinem nur mit Standlicht beleuchteten Kleinkraftrad gegen die rechte Seite des nach links in eine Nebenstraße einbiegenden, von der Beklagten zu 1 gesteuerten Pkw, Marke Ford-Sierra, stieß. In der Berufungsinstanz ist eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu 75 % nicht mehr im Streit. Widerstreitend sind die Auffassungen der Parteien darüber, ob die Beklagten ohne Abzüge bezüglich der Haftungsquote für die Dreier-Grabstätte, für die in Rechnung gestellte Trauerkleidung sowie den Grabstein aufzukommen haben. Hauptstreitpunkt der Parteien ist der Feststellungsantrag der Kläger auf Ersatz zukünftiger entgangener Dienste des Sohnes auf familienrechtlicher Grundlage. Uneinig sind die Parteien auch bezüglich des Ersatzes für Aushilfstätigkeiten des Sohnes auf dem vom Kläger von seiner Schwiegermutter gepachteten Hof bis zum Abschluß der landwirtschaftlichen Lehre des ...
Ausweislich des Pachtvertrages vom 20.09.1990 hatte der Hof 17,9 ha Eigenland, mit Zupachtungen etwa 35 ha. Die Hälfte der Flächen waren Wiesen und Weiden, der Rest Ackerland. Die Großmutter ... war im April 1990 aufgrund Hoffolgezeugnisses Eigentümerin geworden; sie erhielt vom Kläger eine jährliche Pacht von 14.000 DM, wovon 4.000 DM auf Verpflegung und Unterkunft angerechnet wurden. Nur durch die Zusatztätigkeit des Klägers als Kraftfahrer konnte der Hof gehalten und die Familie ernährt werden. Familienfremde Arbeitskräfte gab und gibt es auf dem Hof nicht. ... hatte eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder, die nach Darstellung der Kläger als Hoferben nicht in Betracht kamen. Er befand sich seit dem 01.08.1991 im zweiten praktischen Ausbildungsjahr auf dem ca. 30 km entfernt gelegenen Hof des Landwirts ... in ....
Auf die bezifferten Ansprüche haben die Beklagten 12.406,86 DM geleistet. Die Berufsgenossenschaft zahlte weitere 2.575,20 DM. Von den geltend gemachten Auslagen - ohne Quote - halten die Beklagten für erstattungsfähig bei der Grabstelle den Ersatz von nur 960 DM statt 1.755 DM, bei der Trauerkleidung von 500 DM statt 852 DM, und bei dem Grabmal von 5.000 DM statt 7.764,95 DM. Als Ersatz für Aushilfstätigkeiten von ... bis zum Abschluß der Lehre halten die Beklagten unter Anrechnung der Ersparnisse einen Ersatz von 2.314,96 DM (75 % = 1.736,22 DM) für angemessen, statt 4.877,68 DM, wie sie das Landgericht ohne Quotelung als vollen Betrag angesetzt hat.
Die Kläger haben behauptet, ... hätte nach Beendigung der Lehre bis zu seinem 25. Lebensjahr (26.06.1999) auf familienrechtlicher Basis gearbeitet. Für 83 Monate wäre seien Hilfe mit monatlich 3.264 DM zu bemessen.
Die Kläger haben beantragt,
- 1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger 8.484,55 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 06.01.1992 zu zahlen,
- 2.
festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger zu 1 sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihm anläßlich des Todes seines Sohnes vom 01.08.1992 an bis zum 26.06.1999 entstanden ist bzw. noch entstehen wird, soweit der Ersatzanspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben die vorgenommenen Kürzungen der absoluten Beträge bei den streitigen Auslagen begründet und sind der Darstellung über eine unentgeltliche Dienstleistung bis zum Juni 1999 entgegengetreten.
Nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin ... hat das Landgericht die Beklagten verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 2.920,49 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 06.01.1992 zu zahlen; das Landgericht hat ferner festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger zu 1 3/4 des Schadens zu ersetzen, der ihm anläßlich des Todes seines Sohnes ... in der Zeit vom 01.08.1992 bis zum 26.06.1999 entstanden ist bzw. noch entstehen wird, soweit der Ersatzanspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.
Dagegen richtet sich die Berufung, die unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens hervorhebt, daß die Annahme, ... hätte bis zu seinem 25. Lebensjahr ohne Arbeitsverdienst und soziale Absicherung für den Kläger gearbeitet, auch angesichts der Ertragslage des Hofes lebensfremd sei. Auf der Basis des Lohnes eines landwirtschaftlichen Gehilfen hätte ... in dieser Zeit auf einen Verdienst von rund 270.000 DM verzichtet.
Die Beklagten beantragen,
die Klage in vollem Umfang abzuweisen und den Beklagten die Beibringung einer etwaigen Vollstreckungssicherheit auch durch Bürgschaft einer Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse zu gestatten.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
ihnen zu gestatten, Sicherheit durch die übliche Bankbürgschaft zu leisten.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil und betonen, daß ... entschlossen gewesen sei, nach Abschluß der Lehre den Hof zu bewirtschaften und dort zu arbeiten.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf das angefochtene Urteil einschließlich seiner Verweisung, wegen des Parteivorbringens im übrigen auf den vorgetragenen Inhalt der zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat Erfolg.
I.
A.
1)
Soweit die Kläger bezifferte Forderungen geltend gemacht haben, sind sie überzahlt. Weitere Ansprüche aus § 7 StVG, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 1922, 1967 BGB, sowie aus § 844 BGB, im Verhältnis zur Beklagten zu 2) aus § 3 PflVG, stehen den Klägern nicht zu.
Unstreitig zur vollen Höhe der Aufwendungen war ein Betrag von 6.471,84 DM. Allerdings war darin die Kürzung bezüglich der Dreier-Grabstelle mit einer Nutzungsdauer bis zum Jahre 2021 auf 960 DM enthalten. Die Kürzung der Gesamtrechnung von 1.755 DM ergibt sich aus dem Abzug von 75 DM für die nicht zu erstattende Friedhofsunterhaltungsgebühr und zwei Grabplätze zu je 360 DM.
2)
Grob wahrheitswidrig ist der Vortrag der Kläger zum Grabstein, Zu dem sie behauptet haben, er sei allein für das Einzelgrab bestimmt und werde bei weiterer Belegung zu ersetzen sein. Der Stein ist schon nach den Ausmaßen für die Dreier-Grabstelle ausgerichtet und trägt die Überschrift "Familie ... ...". Der Aufwand dafür mit 7.764,95 DM wäre auf die Hälfte, also 3.882,48 DM zu kürzen. Die Beklagten haben stattdessen sogar 5.000 DM dafür angesetzt.
Als Trauerkleidung in Rechnung gestellt sind unter anderem drei Damen-Jeans mit 294 DM. Als typische, nur für den Trauerfall angeschaffte Bekleidung, noch dazu im ländlichen Umfeld ist das nicht anzuerkennen. Nähere Angaben zum Charakter als Trauerkleidung fehlen auch zu den Anschaffungen eines Herrenmantels (349 DM), einer Kinderjacke (139 DM) und eines Oberhemdes (55 DM). Die dem nur mittelbar Geschädigten Ersatz gewährenden Vorschriften der §§ 844, 845 BGB sind restriktiv auszulegen (BGH NJW 86, 984, 985; ZfS 89, 299; vgl. zu den Beerdigungskosten im übrigen Theda DAR 85, 10). Abzustellen ist auf die Ersatzpflicht eines Erben, der gemäß § 1968 die Kosten der standesmäßigen Beerdigung zu tragen hätte. Danach hätten sich vorliegend die Kläger Abzüge gefallen lassen müssen, durch die der von den Beklagten freiwillig für Trauerkleidung angesetzte Betrag von 500 DM deutlich unterschritten worden wäre.
Von der Höhe selbst nicht zu beanstanden sind die Kosten für die Grabpflege von 330,10 DM und von 263,34 DM für die Danksagung.
Daraus errechnen sich Aufwendungen von | 6.471,84 DM |
---|---|
5.000,00 DM | |
500,00 DM | |
330,10 DM | |
263,34 DM | |
insgesamt also | 12.565,28 DM |
Bei einer Haftungsquote von 75 % ergibt das einen Betrag von 9.423,96 DM. Dem stehen die bisherigen Zahlungen der Beklagten und der Berufsgenossenschaft von zusammen 14.982,07 DM gegenüber. Die Differenz beträgt 5.558,11 DM.
3)
Da der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat, daß Einzelpositionen in der Abrechnung insoweit variabel seien, als Rückforderungen bezüglich der bisherigen Zahlungen nicht beabsichtigt seien, kann es offenbleiben, welcher tarifliche Stundensatz für die gelegentliche Aushilfe des ... bis zum Abschluß der Lehre auf dem Hof in ... anzusetzen wäre; die Kläger halten 12,78 DM für zutreffend, die Beklagten 8,95 DM.
Obwohl die Großmutter ... als Zeugin bekundet hat, ... habe in der Zeit seiner Tätigkeit auf dem Lehrhof auf ihrem Hof nicht mitgearbeitet, sondern nur bei Freistellung oder Urlaub sind die Beklagten der Ersatzforderung der Kläger für wöchentlich 12 Stunden entgangener Arbeitsdienste nicht entgegengetreten. Das betrifft 456 Stunden.
Der sich bei einem - zugunsten der Kläger - angenommene Stundensatz von 12,78 DM (brutto) somit ergebende Betrag von 5.827,68 DM wäre auf einen Nettoverdienst umzurechnen, weil die Kläger keine Ersatzkraft eingestellt haben (siehe BGH NJW RR 92, 792). Bei einem Abzug für Steuern und Abgaben von 20 % ergäbe sich ein Aufwand von 4.662,14 DM. Im Urlaub und in den Freizeiten hätten die Kläger für den Unterhalt des Sohnes aufkommen müssen; der Senat schätzt eine Ersparnis von 20 DM pro Woche, verteilt auf 38 Wochen ergibt das 760 DM. Der Ersatzanspruch der Kläger erfaßt dann nur 75 % von 3.902,14 DM, also 2.926,60 DM.
Aus alledem folgt, daß die Kläger bereits über berechtigte Ansprüche hinaus entschädigt sind.
B.
Der Feststellungsanspruch aus § 845 BGB ist unbegründet.
Dieses Begehren scheitert schon daran, daß ... zum Unfallzeitpunkt gegenüber seinen Eltern nicht zu Dienstleistungen verpflichtet war (vgl. OLG München NJW 65, 1439; Kammergericht NJW 67, 1089; Palandt/Thomas BGB, 53. Aufl. § 845 Rdnr. 2). Er war auf dem Lehrhof arbeitsmäßig voll ausgelastet. Nach der Bekundung der Großmutter "mußte er ständig dort sein". Möglichkeiten zur Mitarbeit ergaben sich nur im Urlaub oder "wenn er frei hatte". Weder aus § 1618 a BGB, der als Leitbild oder Programmsatz zur Begründung konkreter Pflichten kaum geeignet ist, noch aus § 1619 BGB hätten die Kläger eine Dienstleistungspflicht des Sohnes begründen können. Im übrigen hätte der - dann volljährige - Sohn die Freiheit behalten, auch ohne Begründung jederzeit die familiäre Wirtschaftsgemeinschaft zu beenden. Der Bundesgerichtshof bezeichnet infolge dessen die familiäre Rechtsbeziehung als "unvollkommen" bzw. "instabil" (s. BGH NJW 72, 429 und NJW 91, 1226).
Der Senat hat zudem durchgreifende Bedenken von einer Arbeitsleistung auf familienrechtlicher Grundlage bis zum 25. Lebensjahr von ... auszugehen. Zur Unfallzeit war er nicht volljährig. Wirksame Absprachen konnte es mit ihm nicht geben. Vielmehr setzte die Familie in ihn die Hoffnung, daß er den Hof übernehmen werde. Diesem Wunsch hätte ... vermutlich entsprochen. Es mag zutreffen, daß er zur Übernahme des Hofes entschlossen war; dafür spricht die gewählte Ausbildung. Das besagt aber nichts dazu, daß er bis zum 25. Lebensjahr eigene Vorstellungen nach Selbständigkeit, nach einem geregelten Monatsverdienst und nach sozialer Absicherung zurückgestellt hätte. Eine Vermutung für den seltenen Fall - so der Bundesgerichtshof (a.a.O.) - der familienrechtlichen Ausgestaltung besteht jedenfalls nicht mehr (OLG Celle, NZV 90, 434). In den Fällen, in denen die Prognose einer familienrechtlichen Gestaltung bejaht wurde, ist diese Annahme aus der ja bereits schon beim Todeszeitpunkt eingegangenen Selbstbindung des erwachsenen Kindes hergeleitet worden. An solchen Umständen fehlt es hier.
Es ist schließlich kein Interesse des ... ersichtlich, daß ihm so weit gehende Einschränkungen in der persönlichen Lebensgestaltung hätten nahelegen können. Der Hof gehörte der Großmutter und der Kläger war nur Pächter. Als alleinige Existenzgrundlage für eine mehrköpfige Familie reichte er nicht aus. Wenn ... die Hoffnung erfüllen wollte, den Hof in der Familie zu halten, hätte aus seiner Sicht nichts näher gelegen, als den Hof dann selbst als Pächter oder sogar schon als Hof erbe im Wege vorweggenommener Erbfolge zu übernehmen. Nach dem. Vortrag der Kläger (s. Schriftsatz vom 24.02.1994, S. 4; Bl. 74 d. A.) wollte ... ohnehin nach Abschluß der Ausbildung "den Vater in der Bewirtschaftung ersetzen". Es gibt aus der Sicht des ... wenig Sinn, weshalb der Vater, der dann seine volle Tätigkeit als Berufskraftfahrer wiederaufnehmen sollte, weiterhin die formale Stellung als Pächter behalten sollte. Um den Hof zu bekommen, brauchte ... ohnehin keine besondere Gefälligkeit an den Tag zu legen. Zum einen entsprach das der Hoffnung seiner Großmutter; zum anderen kamen seine Geschwister nach dem Vortrag der Kläger als Hoferben nicht in Betracht.
II.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert der Beschwer beträgt über 60.000 DM.