Landgericht Aurich
Urt. v. 22.12.2023, Az.: 6 O 157/20

Geltendmachung eines Handelsvertreterausgleichsanspruchs durch einen Tankstellenpächter gegenüber einem Betreiber mehrer Tankstellen unter einem Label

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
22.12.2023
Aktenzeichen
6 O 157/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 53278
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGAURIC:2023:1220.6O157.20.00

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Oldenburg - AZ: 8 U 5/24

In dem Rechtsstreit
R. v.d. G., B. Weg, V.
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte G. v.W. und Partner, P. ,H.,
gegen
S.-T.GmbH vertr.d.d. GF , P Str., E.
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte H. S., S., H.
hat das Landgericht Aurich - 6. Zivilkammer (Kammer für Handelssachen) - durch den Vizepräsidenten des Landgerichts H., den Handelsrichter H. und den Handelsrichter W. auf die mündliche Verhandlung vom 22.11.2023 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 74.586,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2018.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. 2.

    Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 16% und die Beklagte 84%.

  3. 3.

    Das Urteil ist für die Klägerin und die Beklagte jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 89.066,03 €.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten einen Handelsvertreterausgleichs-anspruch geltend.

Die Klägerin pachtete von der Beklagten das Tankstellengelände in V.. Die Beklagte betreibt Tankstellen unter dem Markennamen "S.". Die Klägerin betrieb bereits seit 2001 eine Tankstelle der Beklagten in V.. Die dem Rechtsverhältnis zugrundeliegenden Regelungen sind in dem "Tankstellenvertrag" vom 10.10.2017 niedergelegt. Zuvor waren die Parteien bereits durch einen Tankstellenvertrag vom 13.09.2007 miteinander verbunden. In dem Vertrag vom 10.10.2017 heißt es:

"...

§ 2 Pachtzweck

(1) S. überlässt dem Partner das Pachtobjekt nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Vertrages zur Lagerung und zum Verkauf von Kraftstoffen, Schmierstoffen, Shopwaren und ggfs. zum Betrieb einer Waschanlage, Werkstatt, Fahrzeugaufbereitung und -pflege.

(2) Im Einzelnen gestattet S. dem Partner folgende Nutzung des Pachtobjekts:

...

§ 5 Pachtdauer

(1) ...

(2) Das Vertragsverhältnis beginnt am 01.01.2017 und ist auf unbefristete Zeit geschlossen.

§ 6 Pachthöhe / Pachtzahlung

(1) Für das gesamte Pachtobjekt gemäß Ziffer 1 hat Partner an S. einen monatlichen Pachtzins in Höhe von € 5.750,00 zzgl. MWSt. zu zahlen.

(2) ...

§ 8 Sicherheit

(1) Der Partner ist verpflichtet, innerhalb von 4 Wochen nach Abschluss des Pachtvertrages S. eine Sicherheit in Höhe von EUR 30.000,00 (in Worten: Euro Dreißigtausend) zu stellen.

(2) ...

§ 13 Betriebspflicht

(1) ... . Der Partner verpflichtet sich daher, die Tankstelle während der nachfolgend aufgeführten Öffnungszeiten ununterbrochen zu betreiben:

Werktags:von 06.00 bis 22.00 Uhr
Sonnabendsvon 06.00 bis 22.00 Uhr
Sonn- und feiertagsvon 06.00 bis 22.00 Uhr

...

§ 24 Kraftstoff- und Schmierstoffverkauf

(1) Der Partner übernimmt als selbständiger Kaufmann im Namen und für Rechnung von S. den Verkauf von S. Kraftstoffen auf dem Pachtobjekt zu den von S. festgesetzten Preisen.

(2) Der Verkauf von S. Kraftstoffen findet im Wege der Selbstbetankung statt. ...

(3) Partner erhält von S. für die im vorstehenden Rahmen getätigten Geschäfte 1,10 Cent/Ltr. zzgl. MWSt. für verkaufte S. Kraftstoffe.

...

§ 38 Neufassung der Vertragsbestimmungen

(1) Die Parteien verbindet der Tankstellenvertrag vom 13.09.2007. Mit Wirkung ab dem 01.01.2017 (Stichtag, ab dem die Bedingungen gelten sollen) gelten für das als solches fortbestehende Vertragsverhältnis zwischen den Parteien die in dieser Urkunde enthaltenen Bestimmungen. Sie ersetzen ab dem genannten Datum vollständig die Bestimmungen des Vertragstextes vom 13.09.2007 nebst allen Nachträge und Zusatzvereinbarungen. ...

(2) ..."

Im Übrigen wird auf den Vertrag vom 10.10.2017 (Anlage K1) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 12.03.2018 kündigte die Klägerin das Rechtsverhältnis aus altersbedingten Gründen zum 01.10.2018.

Die Provisionseinnahmen der Klägerin in der Zeit vom 01.10.2013 bis 30.09.2018 betrugen 374.227,00 € netto. Der Jahresdurchschnitt betrug mithin netto 74.845,40 € und brutto 89.066,03 €.

Die Klage wurde am 24.03.2020 zugestellt.

Die Klägerin behauptet, dass die Provisionseinnahmen des letzten Vertragsjahres 64.380,00 € betrugen.

Die Klägerin behauptet, der Stammkundenanteil der von der Klägerin gepachteten Tankstelle habe 87,78% betragen. Bei der Ermittlung des Stammkundenanteils sei auch zu berücksichtigen, dass ein Teil der Kunden mit wechselnden Zahlungsmitteln zahle, so dass entsprechend der Studie der Fa. D. 17,91% der nicht als Stammkunden ermittelten Kunden doch als Stammkunden zu berücksichtigen seien, so dass die über die Kartenzahler ermittelte Stammkundenquote um diesen Anteil zu erhöhen sei.

Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe von dem Nachfolgepächter eine Einstandszahlung in Höhe von 80.000,00 € für die Übernahme der Tankstelle erhalten. Sie ist der Ansicht, dass diese Einstandszahlung für den von der Klägerin geworbenen Kundenstamm gezahlt worden sei und deshalb bei der Bestimmung des Ausgleichanspruchs berücksichtigt werden müsse.

Sie stellt eine Sogwirkung der Marke der Beklagten in Abrede. Der Lagevorteil sei bei der Sogwirkung nicht zu berücksichtigen, da die Klägerin für die Tankstelle eine monatliche Pacht gezahlt habe.

Die Klägerin stellt die Notwendigkeit der Abzinsung des Ausgleichsanspruchs angesichts der Niedrigzinsphase in Abrede.

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB in der Größenordnung von 89.066,03 € nebst 5 Prozentpunkten Fälligkeitszinssatz seit dem 1. Oktober 2018 sowie Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2019 zu zahlen.,

  2. 2.

    Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht die Darlegungen der Klägerin zur Ausgleichshöhe für unzureichend halten sollte, im Verhältnis zum Klageantrag zu zwei:

    1. a)

      die Beklagte auf erster Stufe des Antrages zu Ziffer zwei zu verurteilen, der Klägerin in kontrollfähiger Form sämtliche bei ihr vorhandenen und für die Berechnung ihres Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB erforderlichen Informationen zu erteilen, insbesondere, welche Provisionen im letzten Vertragsjahr mit mehrfach Kunden, d. h. mit solchen Kunden, die innerhalb eines Jahres mindestens vier Tankvorgänge bei der Klägerin durchgeführt haben, erzielt wurden,

    2. b)

      auf zweiter Stufe nach Erteilung der Auskunft gemäß Ziffer 2a:

      die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Ausgleichsanspruch in zu beziffern der Größenordnung nebst fünf Prozentpunkten Fertigkeitszinssatz auf diesen Betrag seit dem 1.10.2018 sowie Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den gesamten Betrag seit dem 18. Juli 2019 zu zahlen,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3901,07 € nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass der Stammkundenanteil der Klägerin nicht mehr als 66,63% betragen hätte.

Sie der Ansicht, dass bei der Bemessung des Ausgleichanspruchs die sogenannte Sogwirkung der Marke der Beklagten als anspruchsmindern zu berücksichtigen sei. Auf der Grundlage des eingeholten M.gutachtens würden nur 24,7% der Kunden durch von der Klägerin beinflussbare Aspekte zum Kauf bei der streitgegenständlichen Tankstelle motiviert, so dass vom Gesamtprovisionsverlust 75,3% in Abzug zu bringen seien.

Die Beklagte ist weiter der Ansicht, dass der nach Berücksichtigung der Sogwirkung verbleibende Betrag um 5% auf vier Jahre abzuzinsen sei.

Die Beklagte behauptet, dass mit der Klägerin im Jahr 2007 eine Einstandszahlung in Höhe von 70.000,00 € vereinbart worden sei, welche gestundet worden sei und mit welcher die Aufrechnung erklärt werde.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Instituts für i. M.-und M. GmbH sowie des Sachverständigen Dr. K. W. des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gutachten vom 30.11.2021 und vom 29.9.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Handelsvertreterausgleich gemäß § 89b HGB in Höhe von 74.586,43 €.

a) Die Klägerin ist Handelsvertreterin der Beklagten im Sinne des § 89b HGB. Sie war aufgrund § 2 Abs. 1, § 13 Abs. 1 und § 24 Abs. 1 des Vertrages vom 10.10.2017 verpflichtet, für die Beklagte die von ihr angepachtete streitgegenständliche Tankstelle zu vorgegebenen Zeiten geöffnet zu halten, Kraft- und Schmierstoffe der Beklagten zu von der Beklagten vorgegebenen Preisen anzubieten und zu verkaufen und hierdurch Kunden zu werben. Als stationäre Tankstellenhandelsvertreterin unterfällt sie damit nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dem Anwendungsbereich des § 89b HGB (vgl. BGH VIII ZR 194/06; VIII ZR 159/07; VIII ZR 249/08; VIII ZR 171/08; VIII ZR 108/09).

b) Der Handelsvertreterausgleichsanspruch der Klägerin ist entstanden. Nach § 89b Abs. 1 HGB kann ein Handelsvertreter von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung auch nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses noch erhebliche Vorteile hat und die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäfte mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Die Voraussetzungen für die Entstehung eines Handelsvertreterausgleichsanspruchs gemäß § 89b HGB liegen vor. Denn das Vertragsverhältnis wurde mit Wirkung zum 30.09.2018 beendet und der Beklagten verblieben aufgrund der langjährigen Bewirtschaftung der Tankstelle durch die Klägerin über das Ende der Vertragslaufzeit hinaus erhebliche Vorteile aus Geschäftsverbindungen mit Stammkunden, da selbst die Beklagte von einem Stammkundenanteil von über 66% ausgeht. Dementsprechend entgingen der Klägerin aufgrund der Beendigung des Vertragsverhältnisses in erheblichem Umfang Provisionen, so dass es der Billigkeit entspricht, ihr einen Ausgleich zu gewähren.

c) Die Fälligkeit des Handelsvertreterausgleichsanspruchs tritt mit dem Ende der Vertragsbeziehung am 01.10.2018 ein. Gründe, die einem Handelsvertreterausgleichs-anspruch der Klägerin entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Die Ausschlussgründe aus § 89b Abs. 3 HGB sind nicht erfüllt. Zwar hat die Klägerin das Vertragsverhältnis durch eigene Kündigung beendet. Da die Kündigung altersbedingt erfolgte und die Klägerin im Jahr 2018 66 Jahre alt wurde, unterfällt die Kündigung nicht dem Ausschluss des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB. Auch hat die Klägerin den Anspruch aus § 89b HGB der Beklagten gegenüber am 12.07.2019 und damit innerhalb der Jahresfrist aus § 89b Abs. 4 HGB geltend gemacht.

d) Die konkrete Berechnung des Ausgleichs führt zu einem Anspruch in Höhe von 74.586,43 €.

Der Ausgleichsanspruch soll die Provisionsansprüche der Klägerin umfassen, die sie mit den von ihr geworbenen Stammkunden noch erzielt hätte, wenn der Vertrag fortgesetzt worden wäre. Entstehung und Bemessung sind weitgehend durch Billigkeit bestimmt (Baumbach/Hopt, HGB, § 89b Rn. 3).

aa) Ausgangspunkt für die Berechnung sind zunächst die Provisionseinnahmen des letzten Vertragsjahres (std. Rspr. des BGH; z.B. VIII ZR 168/09; Baumbach/Hopt, HGB, 38. Auflage § 89b Rn. 26). Diese betragen 55.802,77 €. Dieser Wert ergibt sich aus der Summe der Provisionsbuchungen der Beklagten für die Monate Oktober 2017 bis September 2018 gemäß dem von der Beklagten als Anlage B1 vorgelegten Provisionsbuchungskontoauszug der Beklagten. Soweit die Beklagte geltend macht, dass die Übergabe der Tankstelle bereits vorzeitig am 25.09.2018 und nicht erst am 30.09.2018 erfolgt sei, ist das unerheblich, da die Kammer gemäß § 287 ZPO schätzt, dass die von der Beklagten für den September 2018 tatsächlich gebuchten Provisionen, soweit sie auch den Zeitraum vom 25.09. - 30.09.2018 umfassen, in gleicher Höhe von der Klägerin erwirtschaftet worden wären.

bb) Von diesem Ausgangsbetrag sind 10% für verwaltende Tätigkeit in Abzug zu bringen, so dass 50.222,49 € (55.802,77 € - 5.580,28 €) verbleiben. Diesen prozentualen Abzug hat die Klägerin selbst anerkannt. Er ist von der Beklagten nicht angezweifelt worden. In der Rechtsprechung wird die Schätzung dieses Anteils auf 10% nicht angezweifelt (vgl. BGH VIII ZR 58/00).

cc) Bei einer zugrunde zu legenden Stammkundenquote von 72,8% betragen die Provisionen der Klägerin für Stammkunden im letzten Jahr vor der Beendigung der Tätigkeit 36.561,97 €. Einen Ausgleich gemäß § 89b HGB kann die Klägerin nur für von ihr geworbene Stammkunden verlangen (vgl. BGH VIII ZR 58/00). Dabei zählen als zu berücksichtigende Stammkunden die Kunden, die mehr als viermal im Jahr an der Tankstelle der Klägerin getankt haben (std. Rspr. des BGH; z.B. VIII ZR 108/09). Diesbezüglich gilt zugunsten der Klägerin der Anscheinsbeweis, dass der bei Vertragsende bestehende Stammkundenkreis von dem jahrelang tätigen Handelsvertreter neu geworben wurde, und die widerlegbare Vermutung, dass diese Geschäftsbeziehungen über das Ende des Handelsvertretervertrages fortbestehen (Baumbach/Hopt, HGB, § 89b Rn. 22; BGH NJW-RR 1991, 156 [BGH 11.10.1990 - I ZR 32/89]).

Die Überzeugung der Kammer, dass die vorliegend zugrunde zu legenden Stammkundenquote bei 72,8% liegt, gründet sich auf das gerichtlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. K.. Dieser hat die von der Klägerin vorgelegten Kassenjournaldaten, die von der Fa. D. ausgewertet wurden, und die von der Beklagten vorgelegten Kassenjournaldaten der Fa. W. zunächst abgeglichen und dabei festgestellt, dass die Daten zu 99,8% übereinstimmen, da in 99,8% der Datensätze einem D.-Datensatz genau ein W.-Datensatz zugeordnet werden konnte, so dass eine hinreichende Datengrundlage zur Ermittlung der Stammkundenquote vorlag. Der Sachverständige hat daher die zu 99,8% übereinstimmenden Daten für die eigene Auswertung verwendet. Auf den Streit der Parteien, welcher der beiden Datensätze die Umsätze des letzten Vertragsjahres korrekt wiedergibt, kommt es deshalb nicht mehr an.

Weiter hat der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt, dass der von der Klägerin geltend gemachte und von der Fa. D. ermittelte Stammkundenanteil von 87,78% nicht zutreffen könne, da die Fa. D. lediglich die letzten vier Ziffern der Kartenzahlvorgänge bei der Ermittlung der Stammkundenquote ausgewertet habe, somit lediglich 10.000 Kunden unterscheidbar wären und es folglich aufgrund der zufälligen Übereinstimmungen der lediglich 4 Endziffern zur fehlerhaften Einordnung von Kunden als Stammkunden kommen könne und auch würde.

Die von der Kammer zugrunde gelegte Stammkundenquote von 72,8% errechnet sich in vier Schritten.

Zunächst hat der Sachverständige die Datensätze der Kartenzahler ausgewertet. Dabei hat er zunächst eine "technisch" minimale Stammkundenquote von 61,2% ermittelt. Dem lag zugrunde, dass Kartenzahlerdaten, für die zwischen den beiden Datensätzen keine Übereinstimmung festgestellt werden konnte, unberücksichtigt blieben, dass Bons von Kartenzahlern mit mehreren Tankpositionen auf einem Bon nur einfach gezählt wurden und dass Flottenkarten mangels Auswertbarkeit zunächst unberücksichtigt blieben.

In einem zweiten Schritt hat der Sachverständige die nicht endgültig aufklärbaren und im ersten Schritt unberücksichtigten Kartenzahlungen unter Zugrundelegung plausibler Annahmen zur Ermittlung der Stammkundenquote für alle Kartenzahler einbezogen und ist so nachvollziehbar zu einer Stammkundenquote für alle Kartenzahler von 67,0 % gelangt. Für die beim Abgleich der Datensätze nicht übereinstimmenden Kartenzahlerdaten hat er nachvollziehbar die durchschnittliche Stammkundenquote angenommen, so dass sich der Ausgangswert um 0,13 % erhöht. Da bei mehreren Tankvorgängen auf einem Kassenbon mangels zeitlicher Wiederkehr des Kunden nicht auf die Stammkundeneigenschaft geschlossen werden kann, hat der Sachverständige diese Bons mit mehrfachen Tankvorgängne nur einfach berücksichtigt, so dass es nicht zu einer weiteren Erhöhung der Stammkundenquote kommt. Für die im ersten Schritt unberücksichtigten Flottenkartenzahlungen, die aufgrund ihrer gewerblichen Prägung auch potentielle Stammkunden sein können, hat der Sachverständige in Ermangelung eigener Aufklärungsmöglichkeiten den Durchschnitt der Stammkundenquote anderer Kartentypen von 67 % zugrunde gelegt.

In einem dritten Schritt ist der Sachverständige unter Zugrundelegung des gesamten Datensatzes zu einer Stammkundenquote von 70,3% gelangt. Dabei hat der Sachverständige den Stammkundenanteil der Kartenzahler von 67 % auf den Barzahlerumsatz übertragen, was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zulässig ist (vgl. BGH VIII ZR 249/08), und den Anteil der Stationskreditumsätze, die als regelmäßige Kunden der Klägerin anzusehen sind, nachvollziehbar zu 100% als Stammkunden berücksichtigt. Setzt man 67% der Kartenzahlerumsätze, 67 % der Barzahlerumsätze und 100% der Stationskreditumsätze ins Verhältnis zu den Gesamtumsätzen, so gelangt man zur Stammkundenquote von 70,3 %.

In einem vierten Schritt ist dieser Wert im Wege einer Korrektur angemessen zu erhöhen. Diese Korrektur bemisst die Kammer mit 2,5%, so dass insgesamt eine Stammkundenquote von 72,8% anzunehmen ist. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde. Bei den 29,7% Kunden, die für den Sachverständigen nach den obigen Ausführungen nicht als Stammkunden zu erkennen waren, gibt es einen - nicht sicher ermittelbaren - Anteil, der aufgrund der Nutzung wechselnder Zahlungsmittel, sei es das Abwechseln von Barzahlung und Kartenzahlung, sei es das abwechselnde Nutzen verschiedener Zahlkarten, nicht als Stammkunde erkennbar ist. Dieser Anteil ist größer als 0%, aber entspricht zur Überzeugung der Kammer auch nicht den von der Fa. D. in einer Studie ermittelten 17,91% der Laufkundschaft, denn der von der Klägerin geltend gemachte Korrekturfaktor von 17,91% basiert auf einer Studie von Tankstellen mit Bonuskartennutzern. Da die Beklagte jedoch keine Bonuskarten ausgibt, die den Zweck haben, eine höhere Kundenbindung zu bewirken, kann das Ergebnis der Studie nicht maßgebend sein. Da eine vollständige Berücksichtigung des D.-Faktors von 17,91 % nach den Ausführungen des Sachverständigen zu einer Erhöhung der Stammkundenquote auf 75,3% führen würde, aber aus den vorgenannten Gründen zu hoch erscheint, erfolgt eine Schätzung der Kammer gemäß § 287 Abs. 2 ZPO dahingehend, dass eine Korrektur der ermittelten Stammkundequote um 2,5% nach oben zu erfolgen hat. Dabei hat die Kammer die D.-Studie insoweit berücksichtigt, dass aus ihr zumindest die ohnehin plausible Einschätzung abgeleitet werden kann, dass es einen nennenswerten Anteil von Stammkunden geben wird, der aufgrund des wechselnden Zahlungsverhaltens nicht von den vom Sachverständigen angewandten Kategorien umfasst wird, aber dass aufgrund des der D.-Studie zugrunde liegenden Bonussystems auch nicht die von der Fa. D. ermittelte Quote erreicht werden wird.

dd) Die Kammer ist überzeugt, dass die Klägerin mindestens den doppelten Betrag in den Folgejahren als Provision, mithin 73.123,94 €, eingenommen hätte, wenn sie ihre Tätigkeit fortgesetzt hätte. Da aufgrund der Beendigung der Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte nicht feststellbar ist, in welchem Umfang ihr im Falle der Fortsetzung der Tätigkeit Stammkunden verblieben wären, ist die entgangene Provision unter Berücksichtigung einer zu erwartenden Stammkundenabwanderung zu schätzen. Die Kammer legt diesbezüglich die vom Bundesgerichtshof (vgl. VIII ZR 58/00; VIII ZR 194/06) gebilligte Annahme zugrunde, dass jährlich 20% der festgestellten Stammkunden abwandern, so dass im ersten Folgejahr noch 80% der Stammkunden der Tankstelle verbleiben, im 2. Folgejahr noch 60%, im dritten Folgejahr noch 40% und im vierten Folgejahr noch 20%. Nach 5 Jahren ist dann rechnerisch eine Abwanderung von 100% erreicht. In der Summe entgehen der Klägerin 200% der um 10% verminderten Provisionseinnahmen, mithin 73.123,94 €.

ee) Aus Billigkeitsgründen hält die Kammer aufgrund der Sogwirkung von Marke, Preisbildung und Lage der Tankstelle einen Abzug von 10% für geboten, aber auch ausreichend, so dass unter Berücksichtigung der Sogwirkung ein Provisionsverlust der Klägerin von 65.811,55 € anzunehmen ist.

Die Abwägung der Ursächlichkeit von werbender Tätigkeit des Handelsvertreters einerseits und der "Sogwirkung" der Marke, die der Verkaufsförderung durch den Unternehmer selbst zuzurechnen ist, gehört zum Kernbereich tatrichterlichen Schätzungsermessens im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB (vgl. BGH VIII ZR 58/00 - NJW-RR 2002, 1548, beck-online). Dabei ist zugrunde zu legen, dass sämtliche Verträge von dem Tankstellenpächter geschlossen werden, so dass sein Handeln für jeden Vertragsschluss zumindest mitursächlich ist. Die Verkaufsbemühungen des Tankstellenpächters werden durch eine Sogwirkung also gefördert, nicht ersetzt. Zwar wird in Teilen der Kommentarliteratur die Berücksichtigung einer Sogwirkung bei der Tankstellenpacht abgelehnt, da dies bereits bei der Vereinbarung der Provision berücksichtigt werden würde (vgl. Ebenroth/Boujong, HGB, § 89b Rn. 184). Dem folgt die Kammer jedoch nicht, da in der Rechtsprechung ein Billigkeitsabzug für besondere Umstände anerkannt ist, die auf Lage, Preisbildung oder der Marke beruhen (vgl. BGH VIII ZR 194/06; BGH VIII ZR 249/08; Baumbach/Hopt, HGB, § 89b Rn. 35 mwNw) und die damit einen positiven Einfluss auf den Kraftstofferwerb der Kunden an einer Tankstelle haben können. Die Einschätzung des positiven Einflusses dieser Faktoren obliegt dem Tatrichter. In der Rechtsprechung finden sich diesbezüglich Billigkeitsabschläge in einer Spannbreite von 10 % bis 33% (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, § 89b Rn. 35 mwNw).

Dieses zugrunde gelegt schätzt die Kammer gemäß § 287 Abs. 2 ZPO die für einen Billigkeitsabzug zu berücksichtigenden Einflüsse unter Berücksichtigung der konkreten Umstände auf 10% ein. Hinsichtlich der bei der streitgegenständlichen Tankstelle maßgebenden von der Beklagten beeinflussten Faktoren hat sich die Kammer sachverständig beraten lassen und ein Marktforschungsgutachten eingeholt. Der in dem Zusammenhang erfolgten Umfrage ist zu entnehmen, dass für Stammkunden der Klägerin die Nähe zu Wohnort, zur Arbeitsstelle und zu Supermärkten wie auch die günstigen Preise als erhebliche Faktoren für die Kundengewinnung anzusehen sind, während die Marke der Beklagten als unerheblich für die Kundengewinnung zu bewerten ist. Da einerseits die Preisgestaltung der Kraftstoffpreise allein in der Verantwortung der Beklagten lag und der Lagevorteil aufgrund der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten, gerade dieses Tankstellengelände zu verpachten, ebenfalls der Beklagten zuzurechnen ist, und andererseits die Marke der Beklagten für die Kaufentscheidung der Befragten praktisch bedeutungslos war, erscheint die Berücksichtigung der Sogwirkung eher im unteren Bereich mit 10% angemessen. Denn der in anderen Fällen für den positiven Einfluss auf die Kundenentscheidung so relevante Aspekt des "Markenprodukts" ist gerade in Bezug auf die Marke der Beklagten nicht von Erheblichkeit. Darüber hinaus war bei der Abwägung zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits über 10 Jahre als Tankstellenpächterin für die Beklagte tätig war, so dass der Wert ihrer werbenden Tätigkeit in Verden und damit auch der Umsatzerfolg für die Beklagte als sehr hoch einzuschätzen ist. Nicht zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen ist hingegen, dass die Klägerin für die Tankstelle Pacht zahlte (vgl. BGH VIII ZR 58/00).

Soweit die Beklagte geltend macht, dass zugunsten der Beklagten eine Sogwirkung von 75,3% zu berücksichtigen sei, da ausweislich des Marktforschungsgutachtens der Einfluss der Klägerin auf die Kaufentscheidung der Kunden lediglich bei 24,7% liegen würde, ist ihr Verständnis von den Voraussetzungen eines Billigkeitsabzugs wegen Besonderheiten des Vertragsverhältnisses nicht nachvollziehbar und nicht mit der von der Rechtsprechung gewollten tatrichterlichen Abwägung vereinbar. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind nicht alle Faktoren zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, die nicht von der Klägerin beeinflusst werden, sondern es ist der positive Einfluss der von der Beklagten gesetzten Faktoren zu berücksichtigen, wenn diese als nicht unerheblich für die Kaufentscheidung der Kunden anzusehen sind. Sogwirkung bedeutet positive Einflussnahme aus der Sphäre des Verpächters auf die Kaufentscheidung des Kunden und nicht Mangel der Einflussnahme des Pächters.

ff) Der verbleibende Betrag ist auf den Barwert abzuzinsen. Nach Abzinsung stehen der Klägerin rechnerisch 62.677,67 € zu.

Der der Klägerin entgangene Provisionsbetrag ist auf den Barwert abzuzinsen, da ein Handelsvertreter die Provision bei Fortsetzung der Tätigkeit über mehrere Jahre verteilt verdient hätte (vgl. BGH VIII ZR 194/06). Dabei ist es Sache des Tatrichters, unter Nutzung einer anerkannten Abzinsungstabelle (Baumbach/Hopt, HGB, § 89b Rn. 48), den abgezinsten Barwert zu ermitteln. Dabei ist unmaßgeblich, dass die Zahlung des Handelsvertreterausgleichs erst nach mehreren Jahren Prozessdauer erfolgt (vgl. Ebenroth/Boujong, HGB § 89b Rn. 286).

Die Kammer hat bei der Berechnung des Barwertes eine Abzinsungsdauer von 5 Jahren zugrunde gelegt, da nach obiger Prognose nach fünf Jahren die Stammkunden der Klägerin abgewandert wären, sich also die entgangenen Provisionen auf fünf Jahre verteilt hätten. Als maßgebenden Zinssatz für die Abzinsung hat die Kammer 1% angenommen, da angesichts des niedrigen Zinsniveaus im maßgebenden Zeitraum 01.10.2018 bis 30.09.2023 die Berücksichtigung eines höheren Zinses unangemessen wäre. Denn bis Juli 2022 lag der Basiszins der Europ. Zentralbank bei 0,0%, stieg am 21.07.2022 auf 0,5%, am 08.09.2022 auf 1,25%, am 28.10.2022 auf 2,0 %, am 15.12.2022 auf 2,5%, am 02.02.2023 auf 3,0%, am 16.03.2023 auf 3,5%, am 04.05.2023 auf 3,75%, am 15.06.2023 auf 4,0%, am 27.07.2023 auf 4,25%und am 14.09.2023 auf 4,5%.

Dieses zugrunde gelegt und unter Anwendung der Hoffmannschen Formel (Schuldsumme x 100 ./. (100+ (Zinssatz x Zahl der abzuzinsenden Jahre)) = abgezinster Betrag) ergibt sich der Barwert von 62.677,67 €.

gg) Unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer von 19% erhöht sich der Ausgleichsanspruch der Klägerin auf 74.586,43 € brutto.

hh) Die Höchstbetragsgrenze gemäß § 89b Abs. 4 HGB ist damit nicht erreicht, denn der Jahresdurchschnitt der letzten 5 Jahre betrug 89.066,03 €.

ii) Die Klägerin hat bei der Ermittlung ihres Ausgleichsanspruchs keinen Anspruch auf Berücksichtigung der Einstandszahlung des Nachfolgepächters, so dass es dahingestellt bleiben kann, in welcher Höhe der Nachfolgepächter eine Einstandszahlung an die Beklagte geleistet hat. Der Handelsvertreterausgleichs-anspruch ist nach der obigen Berechnungsmethode zu ermitteln und gründet sich auf einen Ausgleich für die der Klägerin entgangenen Provisionen, also für die bei Fortsetzung des Vertrages zu erwartenden Folgegeschäfte (vgl. Ebenroth/Boujong, HGB, § 89b Rn. 34). Damit ist es unerheblich, in welcher Höhe und aus welchen Gründen es der Beklagten möglich war, von dem Nachfolgepächter eine Einstandszahlung für die Übernahme der Tankstelle zu verlangen. Einerseits können - auch - andere Gründe als die Stammkundenquote der Klägerin für die Höhe der Einstandszahlung ausschlaggebend gewesen sein, andererseits erfasst gerade die obige Berechnung des Ausgleichs den Wert der Stammkunden für die Klägerin, so dass eine Berücksichtigung einer Einstandszahlung zu einer Doppelverwertung der Stammkunden für den Ausgleichsanspruch führen würde, was nicht der Billigkeit des Ausgleichsanspruchs entsprechen würde.

jj) Eine Aufrechnung oder Verrechnung mit einer der Klägerin gestundeten Einstandszahlung ist unabhängig von der Frage der Verjährung jedenfalls aufgrund des Vertrages vom 10.10.2017 unbegründet. In diesem Vertrag haben die Parteien in § 38 Abs. 1 vereinbart, dass der neue Vertrag die Bestimmungen des Vertragstextes vom 13.09.2007 nebst allen Nachträgen und Zusatzvereinbarungen ersetzt, so dass mangels Neuregelung einer gestundeten Einstandszahlung im Vertrag vom 10.10.2017 von der Beklagten eine Einstandszahlung der Klägerin nicht verlangt werden kann.

2. Der Zinsanspruch folgt für die Zeit ab dem 01.10.2018 aus § 353 HGB. Soweit die Klägerin für die Zeit ab dem 18.07.2019 Zinsen in Höhe von 9%-Punkten über dem Basiszinssatz aus §§ 286, 288 Abs. 2 BGB fordert, ist dieser Anspruch unbegründet, da das Schreiben vom 12.07.2019 mangels Fristsetzung und Betragsnennung die Beklagte nicht als verzugsbegründend anzusehen ist. Mangels Verzugs entfällt damit auch der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf vorgerichtliche Anwaltskosten.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

5. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 3 ZPO.