Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 12.08.2010, Az.: 10 B 3503/10

Verhältnismäßigkeit eines Versammlungsverbots infolge der Ankündigung gewaltbereiter Gegendemonstrationen bei nicht ausreichend vorhandenen Polizeieinsatzkräften

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
12.08.2010
Aktenzeichen
10 B 3503/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 32481
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2010:0812.10B3503.10.0A

Verfahrensgegenstand

Versammlungsrechtliche Auflagenbescheid und Versammlungsverbot - Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO -,

Hinweis

Hinweis: Verbundenes Verfahren

Verbundverfahren:
VG Hannover - 12.08.2010 - AZ: 10 B 3412/10

In den Verwaltungsrechtssachen
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer -
am 12.08.2010
beschlossen:

Tenor:

Die Verfahren 10 B 3412/10 und 10 B 3503/10 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und unter Aktenzeichen 10 B 3503/10 fortgeführt.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 11.08.2010 gegen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 11.08.2010 wird wiederhergestellt.

Für den vom Antragsteller angemeldeten Aufzug sind der in dem Bescheid des Antragsgegners vom 26.07.2010 festgelegte Streckenverlauf sowie die in demselben Bescheid verfügten Auflagen maßgebend mit Ausnahme des 3. und des 5. Absatzes der Auflage Nr. 1.

Der 3. und der 5. Absatz der Auflage Nr. 1 werden wie folgt gefasst:

Ein Lautstärkepegel von 90 dB(A), gemessen in einem Meter Abstand von der Emissionsquelle (Lautsprecher), darf durch zum Einsatz kommende Lautsprecherwagen nicht überschritten werden. Die Anlage ist entsprechend einzustellen und zu plombieren.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Von den Kosten des verbundenen Verfahrens trägt der Antragsteller 1/4 und der Antragsgegner 3/4.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das verbundene Verfahren auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller meldete unter dem 29.01.2010 für den kommenden Samstag, den 14.08.2010, einen Aufzug in Bad Nenndorf als "Trauermarsch" unter dem Motto "Gefangen, Gefoltert, Gemordet - Damals wie heute - Besatzer raus" an. Die Anmeldung dieser Versammlung hatte der Antragsgegner zunächst mit Bescheid vom 26.07.2010 unter Verfügung von Auflagen und einer verkürzten Aufzugsstrecke bestätigt.

2

Gegen die Verkürzung der Aufzugsstrecke sowie vier weitere Auflagen hat der Antragsteller am 05.08.2010 Klage (10 A 3410/10) erhoben und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht (10 B 3412/10).

3

Mit Bescheid vom 29.07.2010 hatte der Antragsgegner auch die Anmeldung eines vom deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ebenfalls für den 14.08.2010 beabsichtigten Aufzugs unter Auflagen und einer ebenfalls verkürzten Aufzugsstrecke bestätigt.

4

Mit Bescheiden vom 11.08.2010 verbot der Antragsgegner unter Aufhebung seiner Bescheide vom 26.07. und 29.07.2010 die Versammlungen des Antragstellers sowie des DGB. Zur Begründung führte er in dem an den Antragsteller gerichteten Bescheid im Wesentlichen aus, die aktuelle Lageentwicklung seit Erlass der Versammlungsbestätigung habe zu einer Neubewertung der bisherigen Gefahrenprognose geführt. Danach lägen die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes vor, denn der Polizei stünden am Samstag nicht genügend Kräfte zur Verfügung, um die Einsatzlage zu bewältigen. Eine neue Kräftebedarfseinschätzung ergebe einen zusätzlichen Bedarf von fünf Einsatzhundertschaften, welcher vom Ministerium für Inneres auch nach einer erfolgten Bund-Länder-Abfrage nicht gedeckt werden könne. Die Mobilisierungen im rechts- und linksextremistischen Spektrum hätten deutlich zugenommen, so dass nicht nur von einer deutlich höheren Anzahl von Teilnehmern insgesamt, sondern auch von einem erheblich größeren Anteil gewaltbereiter Teilnehmer auszugehen sei. Nach den gegenwärtig erkennbaren Umständen würde es bei der Durchführung der Versammlung des Antragstellers zu schweren Ausschreitungen und damit zu Körperverletzungen und Sachbeschädigungen kommen. Ein alleiniges Verbot der Gegenveranstaltung sei kein geeignetes Mittel der Gefahrenverhinderung, weil dies im Hinblick auf das Störerpotential der Linksextremisten nichts ändern würde. Wenngleich diesen die Möglichkeit genommen wäre, sich im Schutze einer angemeldeten friedlichen Versammlung zu betätigen, so würde die Menge der gewaltbereiten Störer mindestens gleich bleiben. Mit der Anreise der Linksautonomen wäre auch bei einem Verbot der DGB-Versammlung zu rechnen, so dass sich an der Gefahrenlage nichts ändern würde und das Verbot keinen wesentlichen Einfluss auf den Kräfteeinsatz hätte.

5

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 11.08.2010 Klage erhoben (10 A 3502/10) und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht er geltend, der Antragsgegner gehe bei seiner Verbotsverfügung zu Unrecht davon aus, bei Durchführung der von ihm angemeldeten Versammlung drohe ein polizeilicher Notstand. Einem solchen Notstand könne durch Verbot der Gegendemonstration hinreichend begegnet werden.

6

Auch der Anmelder der vom DGB getragenen Versammlung hat sich gegen die seine Versammlung betreffende Verbotsverfügung mit Klage und Eilantrag gewandt.

7

Der Antragsteller beantragt hinsichtlich beider - verbundener - Verfahren,

die aufschiebende Wirkung seiner Klagen wiederherzustellen.

8

Der Antragsgegner beantragt in beiden - verbundenen - Verfahren,

den Antrag abzulehnen.

9

Er legt unter anderem eine Kräftekonzeption der Polizeidirektion Göttingen vom 11.08.2010 vor.

10

II.

Der Antrag des Antragstellers ist zulässig und mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe auch begründet.

11

Da der Antragsgegner seine Verfügungen jeweils mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versehen hat, ist der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klagen gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.

12

Bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, müssen die Verwaltungsgerichte im Eilverfahren dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der angegriffenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen, im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 363f.), in die wiederum die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit einzubeziehen sind.

13

Diese Interessenabwägung ergibt im Falle des Antragstellers zunächst, dass die aufschiebende Wirkung seiner gegen die Verbotsverfügung gerichteten Klage wiederherzustellen ist, da sich das ihm gegenüber verfügte Versammlungsverbot voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird.

14

Der Antragsgegner stützt das angegriffene Verbot auf die Feststellung, es lägen die Voraussetzungen für die Annahme eines polizeilichen Notstandes vor und begründet dies dahingehend, dass sich aufgrund der aktuellen Lageentwicklung ein zusätzlicher Bedarf von insgesamt fünf Einsatzhundertschaften ergebe, welcher nicht gedeckt werden könne.

15

Ein polizeilicher Notstand in Bezug auf das Versammlungsrecht liegt vor, wenn gegen eine nichtstörende Versammlung eingeschritten wird, weil eine erhebliche Gefahr nicht auf andere Weise abgewehrt werden kann und die Verwaltungsbehörde nicht über ausreichende eigene und durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte Mittel und Kräfte verfügt, um die gefährdeten Rechtsgüter zu schützen.

16

Indem der Antragsgegner sich zur Begründung seiner Verbotsverfügung auf das Vorliegen eines polizeilichen Notstands beruft, ordnet er den Antragsteller und die von diesem beabsichtigte Versammlung als nicht störend im Sinne des Versammlungsrechts ein. Diese Einschätzung kann die Kammer selbst unter Berücksichtigung ihres Beschlusses vom 17.04.2009 - 10 B 1485/09 - und des Beschlusses des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27.04.2009 - 11 ME 225/09 - insbesondere mit Blick auf die Tatsache, dass es offensichtlich in den vergangenen Jahren bei den jeweiligen "Trauermärschen" nicht zu Ausschreitungen der Versammlungsteilnehmer gekommen ist und die sogenannten "Autonomen Nationalisten" im letzten Jahr aufgrund der polizeilichen Kontrollen wieder abgereist waren, nur übernehmen.

17

Mit dem Antragsgegner sieht auch die Kammer weiterhin für den Fall, dass beide angemeldeten Versammlungen am kommenden Samstag wie zunächst bestätigt stattfänden, eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben von Personen sowie Sachen von bedeutendem Wert. Insbesondere aufgrund der inzwischen erwarteten Zahl von Linksautonomen, die in Kleingruppen oder aus der Versammlung des DGB heraus versuchen würden, dessen Versammlung und den "Trauermarsch" zu stören oder anzugreifen, aber auch mit Blick auf die im "Trauermarsch" zu erwartenden rechtsextremen Demonstranten besteht die konkrete Gefahr, dass es zu massiven Übergriffen auf Demonstranten, Polizisten und unbeteiligte Passanten kommen würde; auch wären Sachbeschädigungen entlang der Demonstrationsrouten unter anderem an geparkten Kraftwagen und anliegenden Häusern zu erwarten. Dabei legt die Kammer weiterhin die Feststellung des Antragsgegners zugrunde, dass aufgrund der nunmehr zu erwartenden Zahl an Teilnehmern für beide Versammlungen und der ebenfalls gestiegenen Zahlen an erwarteten links- und rechtsextremen Teilnehmern ein gegenüber der zunächst zugrunde gelegten Zahl an notwendigen Einsatzkräften wesentlich erhöhter Bedarf an Kräften besteht. Diesen beziffert der Antragsgegner unter Übernahme der von der Polizeidirektion Göttingen unter dem 11.08.2010 aufgestellten Kräftekonzeption mit fünf weiteren Hundertschaften an Einsatzkräften (2 zusätzliche Hundertschaften für den Aufzug des Antragstellers, 1 zusätzliche Hundertschaft für den "Trauermarsch" und 2 zusätzliche Hundertschaften für Vorkontrollen und Voraufsicht). Da diese Kräftekonzeption ebenso wie die ursprüngliche Kräftebedarfsberechnung nachvollziehbar ist und die Kammer im Eilverfahren aus Zeitgründen keine Möglichkeit weiterer Aufklärung sieht, legt sie ihrer Entscheidung diese Annahmen des Antragsgegners zugrunde.

18

Allerdings geht die Kammer im Weiteren davon aus, dass der polizeiliche Notstand mit dem Verbot nur einer der beiden angemeldeten Versammlungen aufgelöst werden kann:

19

Ausweislich einer zunächst erstellten Gefahrenprognose vom 09.07.2010 ging die zuständige Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg für die mit Bescheiden vom 26.07. und 29.07.2010 bestätigten Aufzüge von einem Kräftebedarf von insgesamt 2.000 Einsatzkräften, darunter 16 Einsatzhundertschaften, aus. Darin waren im Einzelnen ein Streckenschutz für den "Trauermarsch" mit 6 Einsatzhundertschaften und ein Raumschutz hinsichtlich der Demonstration des Antragstellers mit 7 Einsatzhundertschaften vorgesehen. Weitere Einsatzhundertschaften entfielen auf die Voraufsicht, die Vorkontrollen und Reserven. Dieser Bedarf kann durch eine Kräftezuweisung des Landespräsidiums für Polizei, Brand- und Katastrophenschutz gedeckt werden. Mit der neuen Lagebeurteilung und der daraus resultierenden Berechnung eines zusätzlichen Kräftebedarfs ergibt sich sodann ein nicht mehr zu deckender Bedarf von weiteren 5 Hundertschaften.

20

Unter Berücksichtigung dieses Zahlenwerkes fehlt es an nachvollziehbaren Gründen, warum nicht bei dem Verbot lediglich einer der beiden Versammlungen genügend Einsatzhundertschaften, welche ursprünglich für den Strecken- bzw. Raumschutz der verbotenen Versammlung vorgesehen waren, frei würden, um den nach neuer Lagebeurteilung nötigen zusätzlichen Kräftebedarf zu decken. Dies muss umso mehr gelten, als mit dem Verbot eines der Aufzüge auch der zusätzliche Bedarf geringer ausfällt. Dieser ist nämlich mit einer Hundertschaft für den Streckenschutz des Aufzugs "Trauermarsch" und 2 Hundertschaften für den Raumschutz der Gegendemonstration des Antragstellers berechnet und würde sich also bei einem Verbot einer der Versammlungen verringern.

21

Die Kammer verkennt nicht, dass bei einem Verbot einer der Versammlungen - wie vom Antragsgegner ausgeführt - trotzdem mit - militanten - Teilnehmern der verbotenen Versammlung zu rechnen wäre, die trotz des Verbotes anreisen würden. Dem müsste sicherlich mit dem Einsatz weiterer Kräfte bei den Vorkontrollen, der Voraufsicht und dem Strecken- bzw. Raumschutz Rechnung getragen werden. Trotzdem ist für die Kammer nicht zu erkennen, dass die am 14.08.2010 zur Verfügung stehenden ca. 2.000 Polizeikräfte nicht in der Lage wären, zumindest einen der beiden Aufzüge zu schützen und auch die Gefahrenlage im Übrigen zu beherrschen. Insoweit ist der angefochtenen Verfügung und den ansonsten übermittelten Unterlagen keine nachvollziehbare Alternativberechnung des Kräftebedarfs zu entnehmen. Die Darlegung und der Nachweis eines polizeilichen Notstandes auch für den Fall nur eines Aufzugs hätte jedoch beim Antragsgegner gelegen (vgl. zu dieser Beweislast VG Würzburg, Beschluss vom 27.04.2010 - W 5 S 10.345 -, [...]; bestätigt durch Bay. VGH, Beschluss vom 29.05.2010 - 10 CS 10.1040 -, [...]).

22

Die damit zu treffende Auswahl der zu verbietenden Versammlung kann ermessensfehlerfrei nur auf den Aufzug des DGB fallen, weshalb sich die an dessen Veranstalter gerichtete Verbotsverfügung als rechtmäßig erweist.

23

Für die Durchführung des vom Antragsteller des vorliegenden Verfahrens angemeldeten "Trauermarsches" spricht zunächst das sogenannte Erstanmelderprivileg (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.05.2005 - 1 BvR 961/05 -, DVBl. 2005, 969). Darüber hinaus und entscheidend ist aber zu berücksichtigen, dass für den 14.08.2010 offenkundig deutlich mehr gewalttätiges Potential aus dem linksautonomen Spektrum zu erwarten ist als auf Seiten der sogenannten "Autonomen Nationalisten". Insoweit wird zur Ergänzung auf die Aufführungen des Antragsgegners in dem angegriffenen Bescheid Bezug genommen. Die Polizeidirektion Göttingen schätzt in ihrer Kräfteberechnung vom 11.08.2010 die Zahl der zu erwartenden Linksextremisten auf 400 - 500 ein und die Zahl der gewaltbereiten "Autonomen Nationalisten" auf 250. Außerdem war in Bad Nenndorf im letzten Jahr zu beobachten, dass angereiste "Autonome Nationalisten" an dem "Trauermarsch" gar nicht teilnahmen, sondern wieder abreisten, weil sie nicht bereit waren, sich polizeilichen Vorkontrollen zu unterziehen. Polizeilichen Kontrollen sollen auch in diesem Jahr wieder stattfinden. Weiterhin ist es bei den "Trauermärschen" in den vergangenen Jahren zu keinerlei Ausschreitungen der Versammlungsteilnehmer gekommen. Schließlich ist dem Veranstalter des Aufzugs des DGB entgegen zu halten, dass mittlerweile sogar aus dem sogenannten bürgerlichen Spektrum zu Sitzblockaden aufgerufen wird (vgl. unter anderem die HAZ von heute, S. 6). Diese Blockaden wären zwar möglicherweise nicht als strafbare Nötigung zu werten, stellen aber zumindest als Mittel zur Hinderung Dritter an der Abhaltung einer angemeldeten und bestätigten Versammlung einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 VersG dar (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 30.04.2010 - 1 L 112.10, [...] unter Bezugnahme auf OVG Berlin, Urteil vom 20.11.2008 - 1 B 5.06 -). Von entsprechenden Aufrufen hat sich der Veranstalter der vom DGB getragenen Versammlung zu keiner Zeit in ausreichender Form distanziert. Im Erörterungstermin vor der Kammer hat er durch seinen Prozessbevollmächtigten nur auf die fehlende Strafbarkeit von Blockaden hingewiesen.

24

Die Kammer hat dementsprechend den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die an den Veranstalter des DGB-Aufzugs gerichtete Verbotsverfügung mit Beschluss vom heutigen Tag abgelehnt (10 B 3508/10).

25

Mit der Entscheidung der Kammer, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 11.08.2010 wiederherzustellen, entfaltet die Klage auch insoweit aufschiebende Wirkung, als mit der Verbotsverfügung zugleich auch der Bescheid vom 26.07.2010 aufgehoben wurde. Damit ist im Hinblick auf das vom Antragsteller insoweit angestrengte Eilverfahren zugleich über die in jenem Bescheid verfügte Aufzugsstrecke sowie die vom Antragsteller insoweit angegriffenen Auflagen zu entscheiden:

26

1. (Aufzugsroute)

27

Da die ursprüngliche Kräfteberechnung vom 09.07.2010 lediglich verkürzte Aufzugsstrecken der beiden angemeldeten Versammlungen zugelassen hatte, wird der Antragsteller lediglich im Verlauf der ihm mit Bescheid vom 26.07.2010 zugesprochenen Strecke demonstrieren können. Dabei geht die Kammer davon aus, dass mit den zur Verfügung stehenden Kräften nur die verkürzte Strecke hinreichend gesichert werden kann. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass mit Blockaden der Aufzugsstrecke zu rechnen ist, die einen Polizeieinsatz erforderlich machen.

28

2. (Zeitraum 12.00 Uhr bis 18.00 Uhr, statt wie angemeldet 11.00 Uhr bis 21.30 Uhr)

29

Die Auflage stellt sich voraussichtlich als rechtmäßig dar, denn sie macht eine Meinungskundgebung nicht unmöglich, sondern schränkt sie lediglich zeitlich ein. Die zeitliche Einschränkung erscheint insbesondere mit Blick auf die stark verkürzte Aufzugsstrecke und der Notwendigkeit, während des gesamten Zeitraums genügend Polizeieinsatzkräfte zum Schutz der Demonstrationsteilnehmer bereithalten zu müssen, nicht unangemessen. Soweit der Antragsteller vorträgt, nur der beantragte Zeitraum beinhalte einen genügenden Puffer, um rechtswidrige 100% Kontrollen der Polizei und oder Blockadeversuche der Gegner aufzufangen, geht das Gericht davon aus, dass die Kontrollen der Versammlungsteilnehmer auf Grund eines entsprechenden Kräfteeinsatzes zügig durchgeführt werden, so dass es hierdurch nicht zu einem verzögerten Versammlungsbeginn kommt. Auch geht das Gericht davon aus, dass die Polizei - so wie von ihr beabsichtigt -Blockadeversuche unterbinden wird.

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Soweit der Antragsgegner angeordnet hat, dass der Versammlungsleiter die Ordner bereits um 11.00 Uhr am Versammlungsort dem Einsatzleiter der Polizei vorzustellen habe, steht dies nicht im Widerspruch zu dem verfügten Versammlungsbeginn, da es gerade sinnvoll erscheint, solche organisatorischen Dinge vor dem eigentlichen Versammlungsbeginn zu erledigen. Auf diese Weise dürfte auch gewährleistet sein, dass sich der Versammlungsbeginn nicht nach hinten verschiebt. Die Vertreter des Antragsgegners haben im Erörterungstermin vom 10.08.2010 nachvollziehbar dargelegt, die eine Stunde Vorlaufzeit zu benötigen, um die Liste der vom Antragsteller angemeldeten Ordner mit den vor Ort erschienenen Personen abzugleichen und die Erschienenen in ihre Aufgaben einzuweisen.

31

3. (Beschränkung der Musikbeschallung auf 5-7 Minuten)

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Die Auflage begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. Urteil der Kammer vom 31.05.2010 - 10 A 3461/09 -, Nds. OVG, Beschluss vom 11.09.2009 - 11 ME 447/09 - in dem zu dem Klageverfahren gehörenden Eilverfahren; auch schon Beschluss der Kammer vom 26.07.2007 - 10 B 3679/07 zu Bad Nenndorf). Der Vortrag des Antragstellers, die Länge einer Musikdarbietung müsse im Einzelfall anhand der konkreten Länge des Musikstücks bestimmt werden, führt schon deshalb zu keiner anderen Bewertung, weil es dann der Antragsteller durch die Auswahl der Musikstücke in der Hand hätte, die Dauer der ununterbrochenen Beschallung zu bestimmen.

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3. (Schallpegelbegrenzung auf 70 dB(A) und 55 dB(A) am Ort der Zwischenkundgebung)

34

Die Kammer hält lediglich eine Auflage entsprechend der tenorierten Maßgabe für rechtlich geboten, um eine wirksame, praktikable und kontrollierbare Schallpegelbegrenzung zu erreichen. Dabei verkennt sie nicht, dass die diesjährig vom Antragsgegner verfügte Auflage die Konsequenz ihrer Rechtsprechung des letzten Jahres ist. Die Kammer hatte im letzten Jahr in einem den "Trauermarsch" in Bad Nenndorf betreffenden Eilverfahren entschieden, dass zwar 70 dB(A) rechtlich nicht zu beanstanden, die festgesetzten 45 dB(A) für die Zwischenkundgebung vor der Rheumaklinik aber auf 55 dB(A) zu erhöhen seien (Beschluss vom 31.07.2009 - 10 B 2925/09 -). Im zugehörigen Klageverfahren (entschieden durch Urteil vom 31.05.2010 - 10 A 2924/09 -) war der Rechtsstreit im Hinblick auf die Lärmauflage von der Klägerseite für erledigt erklärt und deshalb nicht mehr streitig entschieden worden.

35

Aufgrund neuerer Erkenntnisse durch weitere versammlungsrechtliche Verfahren hat die Kammer - mit dem Antragsteller - durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Lärmbegrenzung. Entsprechende Zweifel sind auch dem Verwaltungsvorgang des Antragsgegners zu entnehmen. Dort führt POR Karl Menger unter dem 09.07.2010 (Blatt 161) unter anderem aus, dass bei etwa 800 Teilnehmern ein Wert von etwa 95 dB(A) in der Nähe der Emissionsquelle erreicht werden müsse, damit die Durchsagen auch vom letzten Versammlungsteilnehmer noch wahrgenommen werden könnten. Weiter ist der Stellungnahme zu entnehmen, dass bei einer Auflage wie der vom Antragsgegner verfügten die Lautsprecheranlage immer individuell am nächst gelegenen Fenster eingemessen werden müsste, was faktisch unmöglich sei. Außerdem führe die Auflage dazu, dass untere anderem die eingesetzten Polizeikräfte dann einer immensen Lärmquelle ausgesetzt würden, wenn sich Wohnraumfenster nur in einem größeren Abstand zur Lautsprecheranlage befänden.

36

Aus der Gesamtschau dieser Erkenntnisse dürfte sich voraussichtlich nur eine Schallpegelbegrenzung als rechtmäßig erweisen, welche am Emissionsort ansetzt. Dabei erscheinen der Kammer vorläufig 90 dB(A) als angemessen, aber auch ausreichend, um sich den Versammlungsteilnehmern und interessierten Dritten gegenüber verständlich zu machen (vgl. Beschluss der Kammer vom 06.08.2010 - 10 B 3418/10 -). Gegebenenfalls ist vom Veranstalter der Einsatz einer weiteren gleichermaßen limitierten Lautsprecheranlage in Erwägung zu ziehen.

37

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1VwGO und berücksichtigt den Umfang des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG. Weder der für den angegriffenen Auflagenbescheid anzusetzende Auffangstreitwert noch der bei einem Versammlungsverbot anzusetzende Auffangstreitwert ist für das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren zu reduzieren, da mit der Entscheidung Vorwegnahmen der Entscheidungen in den Hauptsachen einhergehen. Die beiden Auffangstreitwerte sind zu addieren.

38

Rechtsmittelbelehrung

39

Der Verbindungsbeschluss ist unanfechtbar.

40

...

Reccius
Kärst
Matthies