Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 19.06.2008, Az.: L 7 AS 613/06

Anspruch auf Leistungen für die durch die Teilnahme an der Beerdigung des Vaters entstandenen Beerdigungskosten eines an Wirbelsäulenleiden und migräneartigen Kopfschmerzen Erkrankten; Erstattungsfähigkeit von Fahrtkosten zur Beerdigung nach den Regelungen des Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II); Anspruch auf Leistungen für die durch die Beauftragung eines Unternehmens entstehenden Kosten für die Reinigung des Gehwegs vor dem bewohnten Haus eines Erkrankten; Erstattungsfähigkeit eines Kranzes

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
19.06.2008
Aktenzeichen
L 7 AS 613/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 23007
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2008:0619.L7AS613.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 12.09.2006 - AZ: S 49 AS 227/05

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Zu den Kosten der Unterkunft zählen bei Mietverhältnissen auch die tatsächlichen Nebenkosten.

  2. 2.

    Die Reisekosten zur Teilnahme an einer Beerdigungsfeier von Angehörigen und auch die Kosten für einen Kranz sind keine Bestattungskosten im Sinne des § 74 SGB XII.

  3. 3.

    Eine Entfernung von etwa 300 Kilometern zur Beerdigung eines Angehörigen übersteigt die im Regelfall anlässlich eines derartigen Ereignisses zurückzulegende Entfernung und rechtfertigt die Annahme einer besonderen Bedarfslage im Sinn des § 73 SGB XII.

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 12. September 2006 wird geändert. Die Beigeladene wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 19. März 2005, ihm die durch die Teilnahme an der Bestattung seines Vaters entstandenen Fahrkosten zu erstatten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 12. September 2006 zurückgewiesen. Kosten nach § 192 SGG fallen nicht an. Die Beigeladene hat ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1944 geborene Kläger beansprucht Leistungen des Beklagten für die durch die Teilnahme an der Beerdigung seines Vaters entstandenen Beerdigungskosten in Höhe von 196,00 EUR, für die durch die Beauftragung eines Unternehmens entstehenden Kosten für die Reinigung des Gehwegs vor dem von ihm bewohnten Haus sowie höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01. Juli bis 31. Dezember 2005.

2

Der Kläger bezog bis zum 31. Dezember 2004 von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosenhilfe. Beim Kläger ist ein Grad der Behinderung von 60 wegen eines Lenden- und Brustwirbelsäulenleidens und migräneartigen Kopfschmerzes festgestellt. Seit 01. Dezember 2007 bezieht der Kläger eine Rente in Höhe von 685,74 EUR.

3

Seit 01. Oktober 1989 bewohnt der Kläger eine Dachgeschosswohnung mit einer Wohnfläche von 50,22 m² in der H. in I ... Die Regelungen im Mietvertrag vom 22. September 1989 verpflichten ihn, die zur gemeinsamen Nutzung bestimmten Räume, Einrichtungen und Anlagen zu reinigen und die Schneebeseitigung und das Streuen bei Glatteis entsprechend der Ortssatzung der Stadt I. durchzuführen. Nach der Hausordnung obliegen das Reinigen der Bürgersteige sowie die Schneebeseitigung und das Streuen bei Glätte den Mietern im wöchentlichen Wechsel. Danach ist der Kläger alle fünf Wochen zu diesen Reinigungstätigkeiten verpflichtet. Er hat hiermit am 27. Juni 2002 das Unternehmen "J." gegen ein monatliches Entgelt von 9,50 EUR beauftragt.

4

Durch Bescheid vom 01. Dezember 2004 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen mit Wirkung ab 01. Januar 2005 zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 583,88 EUR monatlich. Den Widerspruch des Klägers hiergegen mit der Begründung, dass er, wie bisher, Anspruch auf Alhi habe, wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 07. Januar 2005 als unbegründet zurück. Den gerichtlichen Eilantrag des Klägers auf Verpflichtung des Beklagten, ihm höhere Leistungen zu bewilligen, lehnte das Sozialgericht (SG) Oldenburg durch Beschluss vom 20. Januar 2005 ab (S 47 AS 17/05 ER). Seine Klage hiergegen und die Berufung blieben ebenfalls erfolglos (Aktenzeichen S 47 AS 68/05 des SG Oldenburg und L 7 AS 300/05 des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen).

5

Der Kläger beantragte unter dem 28. Dezember 2004 die Erhöhung der Leistungen für die Kosten der Unterkunft um den Betrag von monatlich 9,50 EUR, der durch die Beauftragung der Firma J. entstehe. Es handele sich hierbei um Kosten, die zu den Mietkosten gehörten, weil er nach dem Mietvertrag verpflichtet sei, die Reinigungstätigkeiten auszuführen. Aus gesundheitlichen Gründen sei er aber schon längere Zeit nicht mehr in der Lage, dies zu tun. Der Beklagte forderte den Kläger unter dem 16. Februar, 03. und 17. März 2005 auf, seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung zu belegen. Dem kam der Kläger jedoch nicht nach. Danach veranlasste der Beklagte eine ärztliche Untersuchung des Klägers bei dem Gesundheitsamt der Stadt I ... Den wiederholten Einladungen des Gesundheitsamts zu einer ärztlichen Untersuchung kam der Kläger ebenfalls nicht nach. Daraufhin lehnte der Beklagte den Antrag vom 28. Dezember 2004 auf Bewilligung der Übernahme der Kosten der Gehwegreinigung durch Bescheid vom 25. Juli 2005 gemäß §§ 60 und 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ab. Der Widerspruch des Klägers vom 04. August 2005 hiergegen blieb ebenfalls erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2005). Der Kläger habe bisher weder Nachweise vorgelegt noch sei er zu einer ärztlichen Untersuchung erschienen.

6

Unter dem 22. Februar 2005 beantragte der Kläger bei dem Beklagten, Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 96,00 EUR nach Waltrop zur Beerdigung seines Vaters sowie die Kosten für einen Kranz in Höhe von 100,00 EUR zu übernehmen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 12. April 2005 ab, weil eine Beihilfe für einen Kranz bzw. die Fahrtkosten zur Beerdigung nach den Regelungen des § SGB II nicht erstattungsfähig seien. Der Widerspruch des Klägers vom 14. April 2005 hiergegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2005).

7

Mit Schreiben vom 07. März wandte sich der Kläger mit dem gleichen Anliegen an das Sozialamt der Beigeladenen. Diese leitete den Antrag an die Stadt Waltrop weiter in der Annahme, dass der Kläger die Kosten der Beerdigung seines Vaters beanspruche. Nachdem die Stadt Waltrop den Antrag der Beigeladenen "zuständigkeitshalber" zurückgesandt hatte, leitete diese den Antrag an die Beklagte weiter und informierte den Kläger hierüber durch Schreiben vom 30. März 2005.

8

Durch Bescheid vom 09. Juni 2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II mit Wirkung ab 01. Juli bis 31. Dezember 2005 in Höhe von insgesamt 583,88 EUR monatlich. Als Regelleistungen legte der Beklagte 345,00 EUR monatlich und als Kosten für Unterkunft und Heizung 238,88 EUR monatlich zugrunde. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch vom 30. Juni 2005 rügte der Kläger u.a. einen Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG sowie gegen den Eigentumsschutz gemäß Art. 14 i.V.m. Art. 20 und 28 Abs. 1 GG. Den Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 06. Juli 2005 als unbegründet zurück.

9

Der Kläger hatte zuvor bereits mit Schriftsatz vom 20. April 2005 am 22. April 2005 Klage zum Az. S 49 AS 227/05 des SG Oldenburg erhoben, mit der er die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Kosten für die Gehwegreinigung verfolgte. Einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom gleichen Tag mit dem Ziel, den Beklagten zu verpflichten, die Kosten der Gehwegreinigung zu erstatten, lehnte das SG Oldenburg durch Beschluss vom 05. Juli 2005 ab (S 47 AS 228/05 ER). Seine Beschwerde hiergegen blieb ebenfalls erfolglos (Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. September 2005 - L 7 AS 222/05 ER -).

10

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2005 hat der Kläger am 06. Juni 2005 Klage zum Az. S 49 AS 419/05 des SG Oldenburg erhoben. Zudem hat der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 06. Juli 2005 unter dem 21. Juli 2005 Klage zum Az. S 49 AS 599/05 des SG Oldenburg erhoben. Schließlich hat der Kläger auch gegen den Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2005 unter dem 03. November 2005 Klage zum Az. S 47 AS 952/05 des SG Oldenburg erhoben.

11

Nachdem das SG die vier Klagen durch Beschluss vom 22. August 2006 verbunden hat, hat es diese durch Urteil vom 12. September 2006 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Bewilligung der durch die Gehwegreinigung entstehenden Kosten, weil er sich weigere, entsprechende ärztliche Bescheinigungen vorzulegen oder sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Er habe auch keinen Anspruch auf die Erstattung der Fahrtkosten zur Beerdigung seines Vaters und die Kosten für einen Kranz. Allenfalls komme die Gewährung eines Darlehens nach § 23 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Betracht. Diese verlange der Kläger jedoch nicht. Schließlich habe der Kläger auch keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den streitigen Zeitraum vom 01. Juli bis zum 31. Dezember 2005. Die Regelungen des SGB III seien, entgegen der Auffassung des Klägers, nicht verfassungswidrig.

12

Gegen das am 20. September 2006 zugestellte Urteil führt der Kläger am 11. Oktober 2006 Berufung. Zur Begründung rügt er, dass die festgesetzten Grundsicherungsleistungen verfassungswidrig zu niedrig festgesetzt seien. Hinsichtlich der Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Kosten der Gehwegreinigung sei festzustellen, dass er eine Untersuchung ablehne, die nach seiner Erfahrung keine wirkliche Untersuchung sei, sondern lediglich als Alibi dazu dienen solle, ihm seine berechtigten und begründeten Leistungen zu verweigern. Das bedeute, dass er Untersuchungen und Begutachtungen durch amtliche Stellen und von Ämtern bestellten Gutachtern ablehnen müsse, weil derartige Gutachten bisher ausschließlich willkürlich, eindeutig falsch bzw. absolut mangelhaft und allein zu seinem eindeutigen Nachteil erstellt worden seien. Die Verweigerung der ihm durch die Teilnahme an der Beerdigung seines Vaters entstandenen Kosten bedeute einen Verstoß gegen das Gebot der Menschenwürde und gegen das Sozialstaatsgebot des GG.

13

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 12. September 2006 aufzuheben,

  2. 2.

    den Bescheid des Beklagten vom 12. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm die durch die Teilnahme an der Beerdigung seines Vaters entstandenen Kosten in Höhe von 196,00 EUR zu erstatten,

  3. 3.

    den Bescheid des Beklagten über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 09. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Juli 2005 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm mit Wirkung ab 01. Juli bis 31. Dezember 2005 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu bewilligen,

  4. 4.

    den Bescheid des Beklagten vom 25. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm zusätzliche Alg II-Leistungen in Höhe von 9,50 EUR monatlich für die Kosten der Gehwegreinigung zu bewilligen.

14

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

15

Er hält die Berufung aus den im angefochtenen Urteil des SG Oldenburg angegebenen Gründen für unbegründet und betont, dass sich der Kläger in der Vergangenheit stets geweigert habe, ein ärztliches Gutachten vorzulegen, das seine Unfähigkeit belege, den Gehweg selbst zu reinigen. Daher habe eine weitere Aufklärungspflicht nicht bestanden. Im Übrigen sei den vom Gericht eingeholten Befundberichten nicht zu entnehmen, dass der Kläger nicht in der Lage sei, alle 5 Wochen einmal den Gehweg zu reinigen.

16

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie vertritt die Auffassung, dass der Kläger Leistungen nach dem SGB XII gegen sie nicht beanspruchen könne. Soweit er Fahrtkosten für rund 800 km für die Fahrt zur Beerdigung seines Vaters beanspruche, übersteige diese Entfernungsangabe die tatsächliche Entfernung zwischen I. und K ... Diese betrage lediglich 515 km. Im Übrigen habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Leistungen dem Grunde nach. Zwar sehe § 31 SGB XII Einmalbedarfe vor. Der vom Kläger geltend gemachte Bedarf gehöre jedoch nicht hierzu. Die übrigen Einmalbedarfe seien pauschaliert im Regelsatz enthalten. Hierzu gehörten auch die Bedarfe anlässlich besonderer Ereignisse, wie z.B. der Beerdigung des Vaters des Klägers. Zudem habe der Kläger die Leistungsgewährung zuvor nicht gemäß § 18 Abs. 1 SGB XII beantragt. Daher komme allenfalls die Gewährung eines Darlehns in Betracht, wobei nicht gesehen werde, inwiefern dieser Bedarf noch bestehe.

17

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakte Bezug genommen. Die weiteren Prozessakten zur den Az. S 47 AS 228/05 ER, S 49 AS 599/05, S 49 AS 419/05 und S 49 AS 952/05 des SG Oldenburg liegen vor und sind ebenfalls Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gewesen. Schließlich liegen die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten vor, die ebenfalls Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

18

Der Senat hat Befundberichte des Rheumatologen, Chiropraktiker und Osteologen Dr. L. vom 01. April 2008, des Facharztes für Neuro-Chirurgie M. vom 11. April 2008 und des Facharztes für Neurologie Dr. N. vom 03. Juni 2008 eingeholt. Außerdem haben vorgelegen Arztbriefe der Fachärztin für Innere Medizin/Rheumatologie Dr. O. vom 01. März 2007, des Arztes für Orthopädie, Chirotherapie, Sportmedizin, spezielle Schmerztherapie P. vom 22. April 2006, des Radiologen Q. vom 03. April 2008, des Radiologen Dr. R. vom 11. Juni 1982, des Radiologen S. vom 01. Dezember 1998 und des Zahnarztes Dr. T. vom 24. Januar 2005. Auf die darin enthaltenen Feststellungen wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

19

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist zum Teil begründet.

20

Das SG Oldenburg hat die Klage vom 20. April 2005, mit dem der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Übernahme der Kosten für die Gehwegreinigung beansprucht, zu Recht abgewiesen. Diese ist unzulässig, weil das vor Klageerhebung erforderliche Vorverfahren nicht durchgeführt worden ist (§ 78 SGG). Den Antrag des Klägers vom 28. Dezember 2004 auf Übernahme der Gehwegreinigungskosten hat der Beklagte erst durch Bescheid vom 25. Juli 2005/Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2005 beschieden. Die Klage kann nicht als Untätigkeitsklage im Sinne des § 88 Abs. 1 SGG verstanden werden, weil der Kläger nicht ein Tätigwerden des Beklagten, sondern ausdrücklich die entsprechenden Leistungen beantragt hat. Eine Untätigkeitsklage wäre zudem unbegründet, weil der Beklagte über den Antrag des Klägers vom 28. Dezember 2004 bis zu diesem Zeitpunkt aus einem zureichenden Grund im Sinne des § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG noch nicht entschieden hatte. Der Beklagte hatte den Kläger nach dessen Antrag vom 28. Dezember 2004 wiederholt aufgefordert, eine ärztliche Bescheinigung über seine gesundheitliche Beeinträchtigung vorzulegen bzw. sich einer ärztlichen Untersuchen zu unterziehen; der Beklagte war daher nicht untätig geblieben im Sinn des § 88 SGG.

21

Soweit das SG mit dem angefochtenen Urteil vom 12. September 2006 die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 25. Juli 2005/Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2005 abgewiesen hat, mit dem der Beklagte den Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für die Gehwegreinigung abgelehnt hat, ist dies zu Recht geschehen. Der Senat stellt in diesem Zusammenhang klar, dass er an einer inhaltlichen Überprüfung dieser Bescheide gehindert ist. Denn der Beklagte hat im Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2005 festgestellt, dass die Ablehnung nicht nur auf eine fehlende Mitwirkung des Klägers nach § 66 SGB I gestützt wird, sondern auch darauf, der Kläger habe ansonsten auch nicht nachgewiesen, dass die Übernahme der Kosten für die Fußwegreinigung aus medizinischen Gründen erforderlich sei.

22

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Zu den Kosten der Unterkunft zählen bei Mietverhältnissen, wie dies beim Kläger der Fall ist, auch die tatsächlichen Nebenkosten. Hierunter fallen insbesondere die Mietnebenkosten, die sich aus dem Mietvertrag ergeben. Hierzu gehören unter anderem auch die Kosten für die Straßenreinigung. Eine Verpflichtung des Klägers aus dem Mietvertrag vom 22. September 1989 zur Zahlung der Kosten für die Straßenreinigung besteht zwar nicht, weil der Vermieter seine Kehrpflicht nicht durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer übertragen hat, sondern zulässigerweise auf seine Mieter, die dieser Verpflichtung entweder persönlich oder aber ihrerseits durch Übertragung auf einen privaten Unternehmer nachkommen müssen. Ist die Ausübung der Kehrpflicht durch den Mieter selbst etwa aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht mehr möglich und zumutbar, wie dies vom Kläger behauptet wird, und beauftragt der Mieter daher mit der Erfüllung dieser Pflicht einen privaten Unternehmer gegen Entgelt, gehört das hierfür zu leistende Entgelt zu den Kosten der Unterkunft im Sinn des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

23

Der Kläger hat hier jedoch nicht nachgewiesen, aus gesundheitlichen Gründen zur Ausübung der Kehrpflicht persönlich nicht mehr in der Lage zu sein. Zwar ist sämtlichen eingeholten Befundberichten und Arztbriefen zu entnehmen, dass der Kläger unter chronifizierten Gelenkschmerzen leidet, deren Ursachen ohne neurologische Klärung ist. Zudem hat der Facharzt für Neurochirurgie M. degenerative Wirbelsäulen- und Gelenkveränderungen festgestellt. In seinem Arztbrief vom 03. April 2008 berichtet der Radiologe U. jedoch, dass es sich um keine wesentlichen degenerativen Veränderungen handelt. Knöcherne Verletzungen und Weichteilverkalkungen seien nicht festzustellen. Es beständen keine gröberen degenerativen Veränderungen, sondern lediglich eine diskrete Arthrose im Daumensattelgelenk beiderseits. Im CT der Lendenwirbelsäule fanden sich nach den Feststellungen des Neurochirurgen V. Spondylarthrosen, bei einer Röntgenaufnahme der Beckenübersicht fanden sich leichtgradige Hüftarthrosen, im Röntgenbild des Knies leichtgradige Kniearthrosen. Von Schonungszeichen, wie etwa einer Verschmächtigung der Muskulatur, die auf eine Schonhaltung zurückgeführt werden könnte, wird in den ärztlichen Stellungnahmen nicht berichtet. Das bedeutet, dass der Kläger nicht nachgewiesen hat, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr dazu in der Lage zu sein, die ihm durch den Mietvertrag auferlegte Pflicht zur Gehwegreinigung zu übernehmen. Die Übernahme der Kosten durch den Beklagten aufgrund der Beauftragung eines privaten Unternehmers für die Gehwegreinigung kann der Kläger daher nicht verlangen.

24

Das SG Oldenburg hat die Klage auch zu Recht abgewiesen, soweit der Kläger die Erstattung der ihm durch die Teilnahme an der Beerdigung seines Vaters entstandenen Beerdigungskosten von dem Beklagten verlangt. Eine Rechtsgrundlage für die Erstattung der Beerdigungskosten als Zuschuss sieht das SGB II nicht vor. Der Beklagte hat auch zu Recht festgestellt, dass die Erstattung derartiger Kosten in Form eines Darlehens auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht in Betracht kommt, weil es sich hierbei nicht um einen den Umständen nach unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhals handelt.

25

Die gegen die Beigeladene gerichtete Klage ist jedoch zum Teil begründet. Als Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der durch die Teilnahme an der Beerdigung seines Vaters entstandenen Kosten kommt die Regelung des § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Betracht; der Anspruch ist gegen die Beigeladene als Sozialhilfeträger gerichtet. Nach dieser Regelung können Geldleistungen als Beihilfe oder Darlehen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Diese Leistungen sind aufgrund der Regelung des § 5 Abs. 2 SGB II für Bezieher von SGB II-Leistungen nicht ausgeschlossen. Bei der Regelung des § 73 SGB XII handelt es sich um eine generalklauselartig formulierte subsidiäre Auffangvorschrift, die atypische Bedarfe in sonstigen Lebenslagen erfassen soll, für die eine spezielle gesetzliche Regelung fehlt. Die Vorschrift beinhaltet für eine atypische Bedarfssituation, die Hilfe in sonstigen Lebenslagen erfordert, gesetzliche Voraussetzungen in Form unbestimmter Rechtsbegriffe, deren Auslegung und Anwendung vollständig der sozialgerichtlichen Kontrolle unterliegen (vgl. Beschluss des Senats vom 03. Dezember 2007 - L 7 AS 666/07 ER -).

26

Aufgrund der Subsidiarität des § 73 SGB XII ist demnach zunächst zu prüfen, ob eine unbenannte und untypische Bedarfssituation vorliegt, die auch in anderen Bereichen des Sozialrechts nicht abschließend geregelt ist. Danach ist zu klären, ob diese Situation den ausdrücklichen im SGB XII geregelten leistungsbegründenden Lebenslagen vergleichbar ist, sodass ein Einsatz öffentlicher Mittel gerechtfertigt ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 73 Rdnr. 4 ff). Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers erfüllt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die beantragten Leistungen nach § 74 SGB XII, weil die Aufwendungen der Angehörigen aus Anlass des Todes, z.B. Reisekosten zur Teilnahme an der Beerdigungsfeier und auch die vom Kläger geltend gemachten Kosten für einen Kranz keine Bestattungskosten im Sinne dieser Regelung sind (Berlit in LPK-SGB XII, Kommentar, vor § 74 Rdnr. 14; Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, § 74 SGB XII Rdnr. 18). § 74 SGB XII normiert nämlich, dass der Sozialhilfeträger die Bestattungskosten zu übernehmen hat, wenn der Tote selbst mittellos ist und den auch sich zur Tragung der Bestattungskosten Verpflichteten eine Kostentragung nicht zugemutet werden kann. Auch in diesen Fällen soll eine würdige Bestattung in einfacher und angemessener Form erfolgen (vgl. z.B. VG Göttingen vom 01.08.2000 - 2 A 2523/97 -, info also 2002, 38). Um diese Bestattungskosten geht es hier aber nicht; sie sind von der Ehefrau des Vaters des Klägers übernommen worden. Vielmehr begehrt der Kläger Kosten aus Anlass der Teilnahme an der Beisetzung seines Vaters. Die hier streitigen Kosten lassen sich auch nicht den Regelungen in dem 3. bis 9. Kapitel des SGB XII zuordnen, weil es sich nicht um Aufwendungen für den allgemeinen Lebensunterhalt im Sinne § 27 SGB XII, Aufwendungen der Grundsicherung im Alter nach § 41 SGB XII oder um krankheits-/behinderungsbedingten, durch besondere soziale Schwierigkeiten veranlassten Bedarf, um Pflegebedarf oder um Haushalts-, Alten- oder Blindenhilfe handelt.

27

Die Bestattung seines Vaters an einem weit entfernten Ort begründet für den Kläger eine besondere Lebenslage im Sinne der Regelung des § 73 SGB XII, die eine Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt. Eine derartige Bedarfslage und nicht nur ein erhöhter Bedarf im Sinn des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ist hier in der weiten Entfernung von etwa 300 Kilometern zwischen dem Wohnort des Klägers in I. und dem Ort der Bestattung seines Vaters in W. zu sehen. Der Kläger hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Teilnahme an der Bestattung seines Vaters einer verwandtschaftlichen Verpflichtung und auch der Üblichkeit entsprochen hat. Die genannte Entfernung von etwa 300 Kilometern übersteigt jedoch deutlich die im Regelfall anlässlich eines derartigen Ereignisses zurückzulegende Entfernung. Das bedeutet für den Kläger eine erhöhte, das übliche Maß übersteigende finanzielle Belastung, die die Annahme einer besonderen Bedarfslage im Sinn des § 73 SGB XII rechtfertigt.

28

Liegen demnach hinsichtlich der Fahrtkosten die gesetzlichen Voraussetzungen des § 73 SGB XII vor, hat die in Anspruch genommene Beigeladene eine Ermessensentscheidung über den geltend gemachten Anspruch zu treffen.

29

Die zu treffende Ermessensentscheidung betrifft sowohl die Entscheidung der Beigeladenen darüber, ob sie die beantragten Leistungen überhaupt bewilligen will als auch ihre Höhe und die Art der zu gewährenden Leistungen; der Ermessensspielraum der Beigeladenen ist allerdings hinsichtlich ihrer Entscheidung über das "Ob" nur noch sehr gering in Konstellationen, in denen, wie hier, eine besondere Bedarfslage in dem oben genannten Sinn vorliegt. Bei ihrer Ermessensentscheidung wird die Beigeladene zu berücksichtigen haben, ob die geltend gemachten Fahrtkosten in Höhe von 96,00 EUR tatsächlich angemessen sind und ob die Leistungen u.U. als Darlehen erbracht werden sollen (§ 73 S. 2 SGB XII).

30

Einen Anspruch auf Leistungen für die Kosten eines Kranzes in Höhe von 100,00 EUR hat der Kläger allerdings nicht gegen die Beigeladene auf der Grundlage des § 73 SGB XII, weil es sich nicht um eine sonstige Lebenslage in dem dort genannten Sinn handelt. Die Mehraufwendungen für Blumenschmuck sind als typische Bedarfslage bei Teilnahme an der Beerdigung eines nahen Angehörigen anzusehen und sind aus der Regelleistung zu bestreiten.

31

Das SG Oldenburg hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit der Kläger mit Wirkung ab 01. Juli bis 31. Dezember 2005 höhere Grundsicherungsleistungen beansprucht. Gemäß § 20 Abs. 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 2014) beträgt die monatliche Regelleistung für Personen, die wie der Kläger alleinstehend sind 345,00 EUR. Diesen Betrag hat der Beklagte in dem Bescheid vom 09. Juni 2005 auch zugrunde gelegt. Hinzutreten gemäß § 22 SGB II Leistungen für Unterkunft und Heizung in der vom Kläger geltend gemachten Höhe von insgesamt 238,88 EUR. Das bedeutet, dass der Beklagte den Gesamtbedarf des Klägers mit 583,88 EUR zutreffend ermittelt hat. In dieser Höhe hat der Kläger für den streitigen Zeitraum auch Leistungen bezogen. Die Höhe der in § 20 Abs. 2 und 3 SGB II gesetzlich festgelegten Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R -, SozR 4-4200 § 20 Nr. 3).

32

Weil die Beigeladene im Verfahren unterlegen ist, hat sie gemäß § 193 SGG den im Urteilstenor festgesetzten Anteil der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Eine darüber hinausgehende Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers kommt nicht in Betracht, weil dieser im Übrigen unterlegen ist. Die Entscheidung des Sozialgerichts über die Festsetzung von Kosten für die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist aufzuheben, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

33

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).-