Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 18.06.2008, Az.: L 12 B 2/08 SB
Anspruch auf Prozesskostenhilfe; Begründung der Erfolgsaussicht durch die Einholung von Befundberichten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.06.2008
- Aktenzeichen
- L 12 B 2/08 SB
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 33299
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2008:0618.L12B2.08SB.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade, S 3 SB 279/06 vom 30.10.2007
Rechtsgrundlagen
- § 73a Abs. 1 S. 1 SGG
- § 114 S. 1 ZPO
- § 118 Abs. 2 S. 2 ZPO
- § 118 Abs. 2 S. 3 ZPO
Redaktioneller Leitsatz
Zur Prüfung des PKH-Begehrens kann das Gericht Befundberichte ohne gutachtliche Stellungnahme einholen. Diese Erhebungen und Auskunftsersuchen gelten noch nicht als Beweisaufnahme, die in der Regel zur Bejahung einer hinreichenden Erfolgsaussicht ausreicht. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 30. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der 1950 geborene, zur Zeit berentete Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Bewilligung von PKH für ein auf Feststellung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen bei "außergewöhnlicher Gehbehinderung" (Merkzeichen "aG") gerichtetes Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Stade.
Seine am 27. November 2006 beim SG erhobene Klage hat er vor allem damit begründet, der Beklagte habe bei seiner bisherigen Entscheidung verkannt, dass er lediglich noch ca. 100 m gehen könne; damit erfülle er die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG". Gleichzeitig hat er die Bewilligung von PKH und die Beiordnung von Rechtsanwalt F., G., beantragt. Am 19. Dezember 2006 hat er hierzu auf Anforderung des SG eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übersandt, der auch ein aktueller Bescheid über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an seine Ehefrau beigefügt war, mit der er - gemeinsam mit seinen beiden minderjährigen Kindern - in Bedarfsgemeinschaft lebt.
Das SG holte zunächst zwei Befundberichte nebst weiteren Unterlagen zu den Gesundheitsbeschwerden des Klägers und speziell zu den Auswirkungen auf sein Gehvermögen von den den Kläger behandelnden Ärzten ein. Nach deren Eingang forderte das SG den Kläger mit Schreiben vom 10. bzw. 17. September 2007 zur Vorlage "eines aktuellen Alg II-Bescheides und Rentenbescheides" auf. Ferner solle - "bevor eine Entscheidung über den Antrag auf PKH ergehen kann" - zu dem Umstand Stellung genommen werden, dass in den beigezogenen Befundunterlagen ein intensives Gehtraining für den Kläger empfohlen werde. Der Kläger kam diesen Aufforderungen mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 14. bzw. 18. September 2007 nach.
Mit Beschluss vom 30. Oktober 2007 lehnte das SG den Antrag auf Bewilligung der PKH ab. Die Klage biete nach der gebotenen summarischen Prüfung nicht die erforderliche Erfolgsaussicht, da die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" u.a. nach den eingeholten Befundberichten und den Einlassungen des Klägers zu dem empfohlenen Gehtraining nicht vorlägen. Gegen diesen Beschluss hat der Kläger am 29. November 2007 Beschwerde beim SG eingelegt. Das SG habe die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" verkannt und insbesondere die Erschöpfungszustände, mit denen seine Gehbemühungen verbunden seien, nicht ausreichend gewürdigt. Daher könne seiner Klage eine Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden.
Der Beklagte hat zu der Beschwerde nicht Stellung genommen.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Zutreffend hat das SG darauf hingewiesen, dass die Bewilligung von PKH u.a. von der Bedürfigkeit der Parteien und einer hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung abhängig ist (§ 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Zutreffend hat das SG ferner ausgeführt, das an die Prüfung der Erfolgsaussichten vor allem zur Wahrung der Gleichbehandlung und des effektiven Rechtsschutzes auch für bedürftige Prozessbeteiligte keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Prüfung ist dabei grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts bzw., falls sich diese aus vom Kläger nicht zu vertretenden Umständen verzögert, der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags (vgl. u.a. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73a Rn. 13d m.w.N., sowie zuletzt u.a. LSG Niedersachsen-Bremen , Beschl. v. 31.3.2008 - L 13 B 168/07 AS; Beschl. v. 20.3.2008 - L 8 B 8/07 EG; Beschl. v. 8.1.2008 - L 10 B 79/07 R).
Danach kann der Kläger PKH nicht mit Erfolg beanspruchen. Der Senat kann dabei dahin gestellt sein lassen, ob das SG über den PKH-Antrag bereits unmittelbar nach Eingang der Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses am 19. Dezember 2006 hätte entscheiden können, ob also bereits vor Einholung der Befundberichte eine Entscheidungsreife vorlag. Die mit späterer Verfügung des SG vom September 2007 nachgeforderten "Alg II-" und Rentenbescheide lagen zu diesem Zeitpunkt in ihrer aktuellen Fassung jedenfalls bereits vor (Letzterer in der Verwaltungsakte der Beklagten), sodass in wirtschaftlicher Hinsicht bereits Entscheidungsreife bestanden haben könnte. Allerdings wäre dem Kläger auch zu diesem Zeitpunkt PKH zu versagen gewesen. Denn den vom SG in seinem Beschluss ausführlich und zutreffend aufgezeigten gesetzlichen Maßstab für die Feststellung des Merkzeichens "aG" und seine Konkretisierung durch die - insbesondere - jüngere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfüllte der Kläger bereits nach seiner Klagebegründung und den seinerzeit in der Verwaltungsakte vorliegenden Unterlagen nicht. So genügte es für eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage insbesondere nicht alleine, dass der Kläger nur noch 100 m gehen konnte. Hinzukommen mussten vielmehr die weiteren, vom SG in dem angefochtenen Beschluss dargestellten Erschwernisse, für deren Vorliegen vor Einholung der Befundberichte nichts ersichtlich war.
Das SG hat sodann auch nach Beurteilung des Senats eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nach Einholung der Befundberichte zu Recht verneint. Es hat eingehend und überzeugend ausgeführt, dass und weshalb die beim Kläger bestehenden und in den beigezogenen Befundunterlagen dokumentierten gesundheitlichen Einschränkungen eine Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" voraussichtlich nicht rechtfertigen. Der Senat nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen in entsprechender Anwendung von § 153 Abs. 2 SGG Bezug.
Die Bewilligung der PKH rechtfertigt sich schließlich auch nicht allein aus der Tatsache, dass das SG vor seiner Entscheidung über den PKH-Antrag aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt hat. Der Senat schließt sich insofern vielmehr der Rechtsprechung anderer LSG an, wonach die Einholung ärztlicher Befundberichte noch nicht als Beweisaufnahme - die einen Klageerfolg als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen würde - angesehen werden kann (vgl. u.a. Bayerisches LSG, Beschl. v. 5.2.2007 - L 6 B 22/07 R PKH; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 2.6.1986 - L 14 S 3/86; anders wohl LSG Berlin-Brandenburg , Beschl. v. 13.9.2006 - L 14 B 509/06 AS). Die Anforderung von Befundberichten gehört vielmehr noch zu den Erhebungen und Auskunftsersuchen, die dem Gericht nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 118 Abs. 2 Satz 2 ZPO zur Prüfung des PKH-Begehrens eingeräumt sind (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO.). Dies gilt jedenfalls, solange das Gericht mit dem erbetenen Befundangaben keine (weitergehende) Beurteilung des ihm konkret vorliegenden Sachverhalts oder seiner einzelnen Aspekte erfragt, wie etwa - je nach Lage des Einzelfalls -, welcher Grad der Behinderung (GdB) sich aus bestimmten Gesundheitsbeschwerden ergibt, ob die (medizinischen) Voraussetzungen für ein bestimmtes Merkzeichen vorliegen, ob eine bestimmte Tätigkeit noch verrichtet werden kann etc. Erst eine solche Anfrage würde den Rahmen der auch im sozialgerichtlichen Verfahren zur Prüfung des PKH-Begehrens zunächst zulässigen Materialsammlung ggf. übersteigen (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 118 Abs.2 Satz 3 ZPO). Das SG hat zwar in seine Anforderung der Befundberichte ausweislich der Verfügung vom 13. März 2007 neben allgemeinen Fragen auch gezielte, die bestehenden Funktions- und Geheinschränkungen beim Kläger und ihr jeweiliges Ausmaß betreffende Fragen aufgenommen. Es hat jedoch auch damit lediglich Befundangaben der behandelnden Ärzte erfragt und keine (sachverständige) Beurteilung des streitgegenständlichen Sachverhalts oder seiner Teilaspekte angefordert. Dass die Auskünfte der angefragten Ärzte gleichwohl auch darüber hinausgehende Bewertungen zur gesundheitlichen Situation des Klägers enthielten (u.a. "sind Gehstrecken gesundheitlich fördernd"), ändert nichts an dem Charakter der gerichtlichen Befundanforderung als bloßer Vorerhebung, um das weitere prozessuale Vorgehen bestimmen und (hier auch) die Erfolgsaussichten der Klage beurteilen zu können. Damit aber ist nicht zu beanstanden, dass das SG seiner Entscheidung über den PKH-Antrag auch die Erkenntnisse aus den zwischenzeitlich eingeholten Befundberichten zugrunde gelegt hat.
Mit der Ablehnung der PKH kommt auch die beantragte Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht in Betracht, da ein Rechtsanwalt nur beigeordnet werden kann, wenn und soweit PKH bewilligt wurde (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 121 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.