Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 25.10.2017, Az.: 3 A 5931/16
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 25.10.2017
- Aktenzeichen
- 3 A 5931/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 54009
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 AsylVfG
- § 4 AsylVfG
- § 60 Abs 7 AufenthG
- § 60 Abs 5 AufenthG
- § 7 AsylVfG
- § 30 Abs 3 Nr 2 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Das eritreische Staatsangehörigkeitsgesetz von 1992 sieht in Art. 2 Abs. 1 den Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit nach dem Abstammungsprinzip vor. Die Staatsangehörigkeit wird durch Geburt erworben. Eines Antrags bei den eritreischen Behörden bedarf es hierfür nicht.
2. Staatsangehörige Äthiopiens erhielten 1993 mit der Unabhängigkeit Eritreas die eritreische Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes, wenn sie von Personen eritreischer Herkunft i.S.d. § 2 Abs. 2 des eritreischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1992 abstammten. Sie verloren zugleich nach Art. 11 lit. a) des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1930 die äthiopische Staatsangehörigkeit.
3. Eine Täuschung über die Staatsangehörigkeit i.S.v. § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylG kommt nicht in Betracht, wenn das Vorliegen der behaupteten Staatsangehörigkeit einzig von der Auslegung von Rechtsnormen abhängt.
4. Eritreischen Staatsangehörigen, die sich noch nie in Eritrea aufgehalten haben, droht in Eritrea nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung aufgrund einer Entziehung vom Nationaldienst.
5. Jungen Müttern droht in Eritrea nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Heranziehung zum Nationaldienst.
6. Geht das Bundesamt rechtsirrig von einer falschen Staatsangehörigkeit eines Antragstellers aus, hindert dies das Gericht nicht daran, das Vorliegen von Abschiebungsverboten in Bezug auf den Staat festzustellen, deren Staatsangehörigkeit der Antragsteller tatsächlich besitzt.
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 04. August 2016 wird zu 1. des Tenors hinsichtlich der Offensichtlichkeitsfeststellung und zu der Nr. 4., 5. und 6. des Tenors insgesamt aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, für die Klägerin das Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG in Bezug auf Eritrea und Äthiopien festzustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 2/3, die Beklagte zu 1/3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin ist nach eigenen Angaben am E. in F., Äthiopien, geboren, und behauptet, eritreische Staatsangehörige mit der Volkszugehörigkeit Tigrinya zu sein. Sie verließ nach ihren Angaben Äthiopien im Jahre 2000, lebte bis 2012 im Sudan, anschließend bis 2015 in Libyen und reiste über Italien und vermutlich Österreich am 10.02.2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie stellte am 01.04.2016 persönlich in der Außenstelle Friedland einen förmlichen Asylantrag.
Im Rahmen ihrer Anhörung am 29.06.2016 gab sie gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) im Wesentlichen an, dass sie zwar in Äthiopien geboren worden und aufgewachsen sei, ihre Eltern aber eritreische Staatsangehörige gewesen seien und vor ihrer Geburt auf dem Staatsgebiet des heutigen Eritreas gelebt hätten. Sie selbst sei noch nie in Eritrea gewesen. Zu ihrer Mutter habe sie seit ihrem dritten Lebensjahr keinen Kontakt mehr, diese habe damals die Familie verlassen. Ihr Vater habe ihr erzählt, dass sie alleine zurück nach Eritrea gegangen sei. Die Schule habe sie nur bis zur sechsten Klasse besucht. Dort sei ihr stets gesagt worden, dass sie Eritreerin sei. Einige Zeit nach dem Ausbruch des Krieges zwischen Eritrea und Äthiopien sei ihr mitgeteilt worden, dass sie die Schule nicht weiter besuchen dürfe. Im Zuge des Krieges sei ihr Vater im Jahre 1999 von äthiopischen Soldaten mitgenommen worden, seither habe sie ihn nicht wiedergesehen. Ihm sei vorgeworfen worden, dass er Eritrea unterstütze. Auch danach seien die Soldaten noch bei ihnen zuhause gewesen, hätten die Wohnung durchsucht und sie und ihren fünf Jahre älteren Bruder misshandelt und bedroht. Sie selbst sei bei einer der Durchsuchungen vergewaltigt worden. Ihr Bruder und sie hätten sodann Freunde ihres Vaters kontaktiert. Diese hätten kurz darauf die Ausreise in den Sudan auf dem Landweg organisiert. Im Sudan habe sich eine eritreische Frau einige Monate um sie gekümmert und ihrem Bruder einen Arbeitsplatz vermittelt. Im Sudan habe sie Tigrinya gelernt. 2011 habe sie in Khartum ihren äthiopischen Mann geheiratet. 2012 seien sie nach Libyen gereist, in der Hoffnung, dass das Leben dort besser sei. Ihr Bruder sei auf dem Weg nach Libyen gestorben. Sie selbst sei in Libyen ein Jahr und acht Monate inhaftiert gewesen, nachdem sie sich gegen eine versuchte Vergewaltigung mit einem Messer zur Wehr gesetzt habe. Im Januar 2015 habe sie Libyen ohne ihren Mann verlassen. Sie gab an, dass sie den Nationaldienst in Eritrea fürchte. Auch nach Äthiopien wolle sie nicht zurück, dort werde sie als Eritreerin behandelt und habe keine Freunde oder Verwandten mehr.
Am G. brachte sie in der Bundesrepublik Deutschland ihren Sohn zur Welt. Ihr Ehemann hält sich inzwischen bei der Familie auf und besitzt in der Bundesrepublik eine Duldung. Ihm wurde in Italien der Flüchtlingsstatus zuerkannt. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung war die Klägerin erneut schwanger.
Mit Bescheid vom 04.08.2016 lehnte das Bundesamt ihren Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter Ziffer 1. und ihren Antrag auf Asylanerkennung unter Ziffer 2. als offensichtlich unbegründet ab. Unter 3. lehnte es ihren Antrag auf subsidiären Schutz ab. Unter Ziffer 4 stellte es fest, dass Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen. Unter 5. forderte es die Klägerin binnen einer Woche zur Ausreise nach Äthiopien auf und drohte die Abschiebung dorthin an. Unter 6. befristete es das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate.
Zur Begründung führte das Bundesamt an, dass die Klägerin nach den dortigen Erkenntnissen äthiopische Staatsangehörige sei. Dokumente, die etwas anderes beweisen, habe die Klägerin nicht vorlegen können. Sie sei in Äthiopien geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Ein eritreischer Abkömmling könne sie bereits deshalb nicht sein, da sie andernfalls schon 1998 vom Schulbesuch ausgeschlossen und nach Eritrea deportiert worden wäre. Es sei auch nicht glaubhaft, dass bei der behaupteten eritreischen Abstammung in ihrem Familienverband trotzdem amharisch gesprochen worden sei und keine Sprachkenntnisse in Tigrinya vorlägen.
Aber auch bei Wahrunterstellung des vorgetragenen Sachverhaltes ergebe sich aus den Staatsangehörigkeitsgesetzen und den diese ergänzenden Rechtsgrundlagen der Staaten Äthiopien und Eritrea, dass die Klägerin zumindest auch die äthiopische Staatsangehörigkeit besitze. Insbesondere ist das Bundesamt der Auffassung, die Klägerin habe eine eritreische ID-Karte beantragen müssen, um die eritreische Staatsangehörigkeit zu erwerben, was sie aber nie getan habe. Selbst wenn sie die eritreische Staatsangehörigkeit erworben hätte, läge daneben aber weiterhin die äthiopische Staatsangehörigkeit vor.
Für die Prüfung der Anträge der Klägerin sei daher auf ihre Situation in Äthiopien abzustellen. Dort drohe ihr keinerlei Verfolgung und kein ernsthafter Schaden. Deportationen nach Eritrea fänden von dort nicht statt.
Die Anträge seien überdies als offensichtlich unbegründet abzulehnen, weil ihr gesamtes Vorbringen oberflächlich und nicht geeignet sei, ein Verfolgungsschicksal darzutun und sie außerdem über ihre tatsächliche Staatsangehörigkeit getäuscht habe.
Abschiebungsverbote lägen nicht vor, da die derzeitigen humanitären Bedingungen in Äthiopien nicht zu der Annahme führten, dass eine Verletzung von Art. 3 EMRK in Betracht käme. Insbesondere habe die Klägerin nicht glaubhaft dargelegt, dass sie keine Bezugspersonen in Äthiopien habe. Schon der Umstand, dass ihr Mann aus Äthiopien stamme, lasse vermuten, dass sie in Äthiopien mit Unterstützung von seinen Verwandten und Freunden rechnen könne.
Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, die den Satz enthielt: „Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein.“
Die Beklagte verschickte den Bescheid am 08.08.2016 per Postzustellungsurkunde an die Klägerin. Am 10.08.2016 wurde ein erfolgloser Zustellungsversuch unternommen. Auf der Postzustellungsurkunde wurde vermerkt: „ A. unbekannt. Soll D. Empf. sein?“. Eine Reaktion des Bundesamtes hierauf erfolgte nicht. Aus dem Verwaltungsvorgang ist ersichtlich, dass die Klägerin bis zum 29.02.2016 unter dem Namen D. geführt wurde.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 10.10.2016 Klage erhoben sowie Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
Sie begründet ihre Klage im Wesentlichen damit, dass die Beklagte verkannt habe, dass sie ausschließlich eritreische Staatsangehörige sei. Der Entscheidung der Beklagten liege eine unzutreffende Auslegung der Staatsangehörigkeitsgesetze Eritreas und Äthiopiens zugrunde. Sie - die Klägerin - habe mit der Unabhängigkeit Eritreas die eritreische Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes erworben und zugleich ihre äthiopische Staatsangehörigkeit verloren. Diese habe sie zu keinem Zeitpunkt zurückerlangt. Der hierzu vorgetragene Sachverhalt sei glaubhaft, insbesondere spreche sie Tigrinya, welches sie von ihrem Vater erlernt habe. Die ersten Gespräche mit der Beklagten seien auch auf Tigrinya geführt worden, sodass unklar sei, weshalb die Beklagte in dem Bescheid davon ausgehe, dass sie kein Tigrinya beherrsche. Da der Sachverhalt wahrheitsgemäß vorgetragen worden sei, komme auch eine Täuschung nicht in Betracht.
Die Klage sei überdies auch fristgerecht erhoben, da die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt worden sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.08.2016 zu verpflichten,
ihr die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,
ihr subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren,
hilfsweise Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufentG im Hinblick auf Eritrea und Äthiopien festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
Die Kammer hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu ihrer Lebensgeschichte angehört. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte, obwohl die Beklagte der mündlichen Verhandlung ferngeblieben ist, verhandeln und entscheiden, weil in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
A.
Die Klage ist zulässig; insbesondere ist sie fristgerecht erhoben worden. Die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig erteilt worden, sodass nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig ist. Mit der Formulierung „in deutscher Sprache abgefasst" wird dem Betroffenen unrichtiger Weise nahelegt, die Klage müsse schriftlich erhoben werden (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 18. April 2017 – A 9 S 333/17 –, juris). Dem in diesem Satzteil verwendeten Verb „abfassen" kommt ganz überwiegend die Bedeutung einer schriftlichen Äußerung zu. Es ist gleichbedeutend mit anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen, niederlegen (VG Düsseldorf, Gerichtsbesch. v. 28.06.2016 – 22 K 4119/15.A –, juris Rn. 54 f. unter Verweis auf den Duden, Das Synonymwörterbuch, 4. Aufl., zum Stichwort "abfassen", Ziff 1). Äußert sich die Rechtsbehelfsbelehrung – wie hier – über die notwendigen Angaben nach § 58 Abs. 1 VwGO hinaus auch über die Form des Rechtsbehelfs, so sind alle Möglichkeiten der Erhebung des Rechtsbehelfs, insbesondere die Möglichkeit, Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben, zu benennen. Dies ist unterblieben mit der Folge, dass ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen und/oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf einzulegen bzw. rechtzeitig einzulegen (VG Gelsenkirchen, Urt. v. 24.06.2016 – 3a K 4187/15.A –, juris Rn. 17; VG Augsburg, Beschl. v. 03.12.2014 – Au 7 S 14.50321 –, juris Rn. 26). Klage und Antrag sind am 10. Oktober 2016 und damit innerhalb der Jahresfrist erhoben bzw. gestellt worden.
B.
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Hinsichtlich des Hauptantrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG (dazu I.) und des Antrags auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 60 Abs. 2 AufenthG, § 4 AsylG (dazu II.) ist die Klage unbegründet. Soweit darüber hinaus hilfsweise begehrt wird, die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote festzustellen, ist die Klage begründet. Die Ablehnung des Begehrens in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG (dazu III.), so dass die Beklagte insoweit zu verpflichten war, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Aufgrund des Anspruchs der Klägerin sind auch die Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist sowie die Bestimmung der Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG.
1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, denn der Klägerin droht in ihrem Herkunftsland keine Verfolgung in diesem Sinne.
a) Die Klägerin befindet sich außerhalb ihres Herkunftslandes. Abzustellen ist hierbei, entgegen der Auffassung des Bundesamtes, auf Eritrea, denn die Klägerin besitzt zur Überzeugung der erkennenden Kammer allein die eritreische, nicht aber die äthiopische Staatsangehörigkeit. Allein auf die Verhältnisse in Eritrea kommt es bei der Prüfung der Voraussetzung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach der Legaldefinition in § 3 Abs. 1 AsylG deshalb an.
aa) Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, denn Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit werden grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2003 - A 9 S 397/00 -, juris, Rn. 24).
Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit findet der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung Anwendung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dementsprechend existiert eine Beweisregel des Inhalts, dass der Nachweis der Staatsangehörigkeit eines Staates nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates geführt werden kann, nicht. Es ist nämlich gerade Sinn und Zweck der freien richterlichen Beweiswürdigung, das Gericht nicht an starre Regeln zu binden, sondern ihm zu ermöglichen, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2005 - 1 C 29/03 -, juris, Rn. 18).
Die danach maßgebliche staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtslage ergibt sich für Äthiopien aus Art. 33 der Verfassung vom 21. August 1995 („Constitution of the Federal Democratic Republic of Ethiopia“, 21 August 1995, zitiert nach: http://www.refworld.org/docid/3ae6b5a84.html), dem früheren Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1930 („Ethiopian Nationality Law of 1930“, 22 July 1930, zitiert nach http://www.refworld.org/docid/3ae6b52ac.html, i.F. StAG Äthiopien 1930), das durch Art. 25 des nachfolgenden Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 23. Dezember 2003 aufgehoben wurde, und jenem Staatsangehörigkeitsgesetz vom 23. Dezember 2003 (Proclamation on Ethiopian Nationality, No. 378 of 2003 [Ethiopia], 378/2003, 23 December 2003, zitiert nach: http://www.refworld.org/docid/409100414.html, i.F. StAG Äthiopien 2003), das nach seinem Art. 27 am selben Tag in Kraft trat. Darüber hinaus hat die äthiopische Regierung unterhalb der Ebene des formellen Gesetzes die Direktive der äthiopischen Regierung zur Bestimmung des Aufenthaltsstatus von Eritreern in Äthiopien vom 16. Januar 2004 erlassen („Directive Issued to Determine the Residence Status of Eritrean Nationals Residing in Ethiopia“, January 2004, verfügbar unter: http://www.unhcr.org/refworld/docid/48abd56c0.html) sowie einen Erlass im Mai 2009 herausgegeben. Letzterer richtet sich allerdings an eritreische Staatsangehörige und gibt daher keine Auskunft über die vorgelagerte Frage nach der Staatsangehörigkeit.
Für Eritrea ergibt sich die maßgebliche staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtslage aus der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992, die nach ihrem Art. 13 am Tag ihrer Veröffentlichung (6. April 1992) in Kraft treten sollte bzw. am 24. Mai 1993, dem Tag der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas, in Kraft trat (Eritrean Nationality Proclamation (No. 21/1992), 6 April 1992, zitiert nach: http://www.refworld.org/docid/3ae6b4e026.html, i.F. StAG Eritrea 1992) sowie aus der eritreischen Verfassung, insb. Art. 3 (Constitution of Eritrea, 23 May 1997, zitiert nach http://www.refworld.org/docid/3dd8aa904.html). Durch die völkerrechtliche Anerkennung der Unabhängigkeitserklärung Eritreas sind auch die Rechtsnormen des Staates in Rechtskraft erwachsen, darunter insbesondere diejenigen, die im Vorfeld der Anerkennung die Voraussetzungen der Staatlichkeit Eritreas regeln sollten, wie etwa das Staatsangehörigkeitsgesetz. Aus diesem ergibt sich völkerrechtlich verbindlich, welche Menschen das eritreische Staatsvolk bilden, das neben der anerkannten Staatsgewalt und dem Staatsgebiet seinerseits eine notwendige Voraussetzung für den Bestand des Staates ist (vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Auflage 1914, S. 406 ff.)
bb) Die Anwendung dieser Rechtsnormen ergibt, dass die Klägerin eritreische Staatsangehörige ist.
(1) Die Klägerin besaß, wie das Bundesamt zutreffend festgestellt hat, bei ihrer Geburt die äthiopische Staatsangehörigkeit. Zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin, am E., gab es den Staat Eritrea noch nicht, sodass sowohl ihre im damaligen Äthiopien geborenen Eltern als auch sie selbst äthiopische Staatsangehörige waren.
(2) Die Klägerin hat jedoch durch die Unabhängigkeit Eritreas und dessen völkerrechtliche Anerkennung als souveräner Staat als Mitglied des Staatsvolkes Eritreas nach Maßgabe des eritreischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1992 die eritreische Staatsangehörigkeit erworben und zugleich unter Heranziehung des äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1930 die äthiopische Staatsangehörigkeit verloren.
(a) Art. 2 StAG Eritrea 1992 regelt die Staatsangehörigkeit durch Geburt, also nach dem Abstammungsprinzip. Nach Art. 2 Abs. 1 StAG Eritrea 1992 ist jede Person eritreische Staatsangehörige durch Geburt, deren Vater oder Mutter eritreischer Herkunft ist. Auf den Geburtsort kommt es nicht an („Any person born to a father or a mother of Eritrean origin in Eritrea or abroad is an Eritrean national by birth.“). Dies legt nahe, dass die Staatsangehörigkeit Eritreas kraft Gesetzes erworben wird, denn „ist“ beschreibt einen Zustand, der hier in der Staatsangehörigkeit besteht, und nicht ein Anrecht auf den Erwerb dieser Staatsangehörigkeit. Dies bestätigt Art. 2 Abs. 4 StAG Eritrea 1992, der anordnet, dass jede Person, die Eritreer durch Geburt oder Herkunft ist, auf Antrag eine Bescheinigung über ihre Nationalität erhält („Any person who is an Eritrean by origin or by birth shall, upon application, be given a certificate of nationality by the Department of Internal Affairs.“). Auch dieser Wortlaut zeigt, dass im Zeitpunkt der Antragstellung nach Art. 2 Abs. 4 StAG 1992 die Staatsangehörigkeit schon kraft Gesetzes vorliegt, denn eine Bescheinigung („certificate“) ist der Begriffsbedeutung nach der Nachweis für einen (rechtlichen) Zustand und nicht die Veränderung eines solchen. Die Bescheinigung über die Staatsangehörigkeit setzt deren Bestehen deshalb denknotwendig voraus und verleiht sie nicht erst.
Eritreischer Herkunft ist nach Art. 2 Abs. 2 StAG Eritrea 1992, wer 1933 in Eritrea, genauer gesagt: auf dem Territorium des heutigen Eritreas, gelebt hat („A person who has "Eritrean origin" is any person who was resident in Eritrea in 1933.“). Damit wären nach dem Wortlaut zwar auch bei Zugrundelegung des Vortrages der Klägerin ihre Eltern nicht eritreischer Herkunft, denn es ist - auch wenn ihr genaues Alter nicht bekannt ist - davon auszugehen, dass die Eltern 1933 jedenfalls noch nicht geboren waren. Allenfalls könnten die Groß- oder Urgroßeltern der Klägerin 1933 auf dem heutigen Staatsgebiet Eritreas gelebt haben, sodass man bei diesen von eritreischer Herkunft im Sinne des Art. 2 Abs. 2 StAG Eritrea 1992 ausgehen könnte. Deren Kinder - die Großeltern oder Eltern der Klägerin - wären dann aber im Zeitpunkt der Entstehung Eritreas als Staat aufgrund des in Art. 2 Abs. 1 StAG Eritrea 1992 geregelten Abstammungsprinzips Eritreer geworden. Für die Kinder von gebürtigen Eritreern i.S.v. Art. 2 Abs. 1 StAG Eritrea 1992 enthält das Staatsangehörigkeitsgesetz hingegen keine Regelung. Hierbei handelt es sich um eine ersichtlich planwidrige Regelungslücke, da das Resultat dieser Rechtslage wäre, dass lediglich die Kinder der 1933 im heutigen Staatsgebiet Eritreas ansässigen Menschen nach dem eritreische Staatsangehörigkeitsgesetz Eritreer wären, deren Kinder aber nicht mehr, was gerade vor dem Hintergrund des Inkrafttretens des Gesetzes im Jahr 1993 eine sinnlose Regelung wäre. Art. 2 Abs. 1 StAG Eritrea 1992 kann daher nur so zu verstehen sein, dass nicht nur die Kinder von „Herkunftseritreern“, sondern auch diejenigen von „Abstammungseritreern“ durch Geburt eritreische Staatsangehörige sind.
(b) Nichts anderes ergibt sich aus Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea 1992.
Danach kann eine Person, die Eritreer durch Geburt ist, im Ausland lebt und eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, einen Antrag beim Innenministerium stellen, wenn sie die fremde Staatsangehörigkeit ablegen und die eritreische annehmen oder eine doppelte Staatsangehörigkeit bestätigt wissen möchte („Any person who is Eritrean by birth, resides abroad and possesses foreign nationality shall apply to the Department of Internal Affairs if he wishes to officially renounce his foreign nationality and acquire Eritrean nationality or wishes, after providing adequate justification, to have his Eritrean nationality accepted while maintaining his foreign nationality“). Nach dem Wortlaut dieser Norm würde in solchen Fällen die Staatsbürgerschaft demnach nicht kraft Gesetzes, sondern erst auf Antrag erlangt.
Die Auslegung des eritreischen Rechts ergibt im vorliegenden Fall jedoch, dass damit nicht Fälle der vorliegenden Art gemeint sein können.
(aa) Der Regelungsgehalt der Norm und ihr Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 bis 4 StAG Eritrea 1992 ist auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechtes nicht abschließend widerspruchsfrei zu klären, denn beide Normen setzen eine Person, die Eritreer „durch Geburt“ („by birth“) ist, voraus, knüpfen an diese Eigenschaft aber unterschiedliche Rechtsfolgen. Art. 2 Abs. 4 StAG Eritrea 1992 geht davon aus, dass diese Person die eritreische Staatsangehörigkeit hat, während Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea 1992 es ihr ermöglicht, konstitutiv die eritreische Nationalität zu erwerben.
Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea 1992 namentlich nicht um die speziellere Vorschrift, welche die Anwendung von Art. 2 Abs. 1, 4 StAG Eritrea 1992 sperrt. Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea 1992 setzt zwar zusätzlich voraus, dass die Person im Ausland lebt und eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt. Hieraus folgt aber nicht, dass es sich insoweit um engere und damit speziellere Voraussetzungen handelt. Gerade die Prüfung des Merkmals der „anderen Staatsangehörigkeit“ führt z.B. im vorliegenden Fall nicht weiter, weil es sich als zirkulär erweist. Der zu der Zeit des Inkrafttretens des eritreischen Staatsangehörigkeitsgesetzes maßgebliche Art. 11 (a) StAG Äthiopien 1930 ordnete nämlich den Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit an, wenn ein Äthiopier eine andere Staatsangehörigkeit erwirbt („11. Loss of Ethiopian nationality: (a) Ethiopian subject who acquires another nationality”). Richtet sich der Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit für die Klägerin nach Art. 2 Abs. 1 StAG Eritrea 1992, dann hätte sie folglich ihre äthiopische Staatsangehörigkeit verloren und würde die Voraussetzungen von Abs. 5 nicht mehr ausfüllen. Richtet sich der Erwerb hingegen nach Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea 1992, hätte sie mangels Antrags ihre äthiopische Staatsangehörigkeit behalten und würde den Tatbestand erfüllen. Um eine Spezialvorschrift kann es sich bei Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea 1992 somit nicht handeln, denn ihre Anwendung setzt den Ausschluss einer Anwendbarkeit von Absatz 1 der Norm bereits voraus, vermag ihn also nicht erst zu begründen.
(bb) Unabhängig davon ergibt sich die Nichtanwendung des Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea 1992 bei einer tatbestandlichen Kollision mit den Absätzen 1 und 4 der Norm aus einer verfassungskonformen Anwendung unter Berücksichtigung des Art. 3 Abs. 1 der eritreischen Verfassung von 1997.
(i) Auch nach der eritreischen Rechtsordnung ist eine verfassungskonforme Auslegung Teil der Methodik, denn Art. 2 Abs. 3 der eritreischen Verfassung von 1997 ordnet an, dass die Verfassung höchstrangiges Recht ist, und alle Gesetze, die im Widerspruch zu ihr stehen, „null und nichtig“ sind („This Constitution is the supreme law of the country and the source of all laws of the State, and all laws, orders and acts contrary to its letter and spirit shall be null and void“).
(ii) Art. 3 Abs. 1 der eritreischen Verfassung von 1997 ordnet an, dass jede Person, die einen eritreischen Vater oder eine eritreische Mutter hat, Eritreer durch Geburt ist (Any person born of an Eritrean father or mother is an Eritrean by birth). Der Artikel hat somit den nahezu gleichen Wortlaut wie Art. 2 Abs. 1 StAG Eritrea 1992 und gewährleistet die Staatsangehörigkeit kraft Geburt für alle Kinder einer Eritreerin oder eines Eritreers, legt somit dem Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit das Abstammungsprinzip zu Grunde. Auch differenziert die eritreische Verfassung nicht nach dem Geburtsort der Person, sondern sieht die Gewährleistung unterschiedslos für alle Personen vor. Art. 2 Abs. 1 StAG Eritrea 1992 stellt insoweit nur klarstellend fest, dass die eritreische Staatsangehörigkeit durch Geburt unabhängig davon, ob die Person in Eritrea oder außerhalb („in Eritrea or abroad“) geboren worden ist, vermittelt wird.
Auch die Abweichung zwischen dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 der eritreischen Verfassung von 1997 („Eritrean by birth“) und Art. 2 Abs. 1 StAG Eritrea 1992 („Eritrean national by birth“) hat diesbezüglich nach Überzeugung der Kammer keine Folgen, denn beide Begriffe bezeichnen synonym einen eritreischen Staatsangehörigen. Dies ergibt sich einerseits daraus, dass Art. 3 der eritreischen Verfassung von 1997 bereits mit „Citizenship“ überschrieben ist, sodass systematisch naheliegt, dass die zentrale Regelung in Art. 2 Abs. 1 StAG Eritrea 1992 mit dem darin enthaltenen Abstammungsprinzip den Ausgangspunkt für die Staatsangehörigkeit in Eritrea bilden soll. Gleichzeitig ist aber auch in Art. 2 Abs. 4 StAG Eritrea 1992 wie gezeigt davon die Rede, dass ein Eritreer durch Herkunft oder Geburt („…Eritrean by origin or by birth...“) die Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes bereits besitzt, und nimmt dabei ersichtlich Bezug auf die in den Absätzen 1 und 2 definierten Fallgruppen „Eritrean origin“ und „Eritrean national by birth“.
Somit verbleibt aber auch kein Raum mehr dafür, Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea so zu verstehen, dass Personen, die außerhalb des späteren Staatsgebietes Eritreas als Kind eritreischer Eltern zur Welt kommen und eine fremde Staatsangehörigkeit besitzen, gerade keine eritreischen Staatsangehörigen sind und die Staatsangehörigkeit erst beantragen müssen. Eine solche Anwendung der Norm würde das Abstammungsprinzip für sämtliche Personen, die 1992 nicht auf dem sich konstituierenden Staatsgebiet Eritreas lebten - und aufgrund der Nichtexistenz Eritreas eine andere Staatsangehörigkeit besessen haben - wieder aushebeln und damit Art. 3 Abs. 1 der eritreischen Verfassung von 1997 widersprechen. Auch die an erster und damit exponiertester Stelle des Staatsangehörigkeitsrechts stehenden Entscheidungen in Art. 2 Abs. 1 und 2 StAG Eritrea 1992, dass sich das Staatsvolk Eritreas - unabhängig vom Geburtsort dem Abstammungsprinzip folgend - von den Personen ableitet, die 1933 auf dem Territorium des späteren Staates sesshaft waren, wäre weitgehend ausgehöhlt.
Art. 2 Abs. 5 StAG kann daher in verfassungskonformer Auslegung nur als eine Auffangnorm gegenüber den Kernregelungen in Art. 2 Abs. 1, 2 und 4 StAG Eritrea 1992 zu verstehen sein und soll Fälle erfassen, die über das Abstammungsprinzip nicht gelöst werden können, entweder, weil das Staatsangehörigkeitsrecht des Staates der bestehenden Staatsangehörigkeit den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nicht zulässt, oder im Falle des Erwerbes einer weiteren Staatsangehörigkeit die doppelte Staatsangehörigkeit vorsieht. Im ersteren Fall räumt Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea 1992 die Möglichkeit ein, auf Antrag die eritreische Staatsangehörigkeit zu erwerben und die ausländische abzulegen (Var. 1) oder unter Beibringung hinreichender Gründe eine Anerkennung der doppelten Staatsangehörigkeit durch die eritreischen Behörden zu erreichen (Var. 2). Beide Varianten sind im Falle der Klägerin nicht einschlägig, da wie gezeigt das äthiopische Staatsangehörigkeitsgesetz den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit nur unter gleichzeitigem Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit zulässt.
Diese Rechtslage verkennt das Bundesamt, wenn es meint, dass die Klägerin die eritreische Staatsangehörigkeit schon deshalb nicht habe erwerben können, weil sie die Ausstellung einer eritreischen ID-Karte nicht beantragt hat. Die Ausgabe einer solchen ID-Karte ist nach dem zuvor Gesagten nicht konstitutiv für den Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit, weil die Staatsangehörigkeit im Regelfall des Art. 2 Abs. 1, 4 StAG Eritrea 1992 nicht auf Antrag verliehen, sondern durch Geburt vermittelt wird. Die Staatsangehörigkeit ist vielmehr Voraussetzung dafür, dass eine ID-Karte ausgestellt wird. Vor diesem Hintergrund ist klar zu unterscheiden zwischen dem Bestehen der Staatsangehörigkeit und dem Nachweis der eritreischen Abstammung und der daraus folgenden Staatsangehörigkeit. So dürfte auch die Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu verstehen sein, die missverständlich von der „Aktivierung“ der „zuerkannten“ eritreischen Staatsangehörigkeit durch Registrierung bei einer eritreischen Botschaft und Nachweis der Abstammung spricht (Auskunft der SFH-Länderanalyse: Eritrea: Staatsangehörigkeit, 23.08.2016, S. 3), im Ergebnis aber davon auszugehen scheint, dass die eritreische Staatsangehörigkeit grundsätzlich gegeben ist.
(cc) Dieses Ergebnis wird schließlich dadurch bestätigt, dass die eritreischen Behörden selbst in derartigen Konstellationen von einer bestehenden eritreischen Staatsangehörigkeit ausgehen und Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea 1992 nicht anwenden.
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.11.2001 an den VGH Mannheim hat das zuständige „Department for Immigration and Nationality“ Eritreas auf mündliche Nachfrage erklärt, dass im Ausland lebende Eritreer, die eine fremde Staatsangehörigkeit innehaben, keinen förmlichen Antrag im Sinne von Art. 2 Abs. 5 StAG Eritrea 1992 stellen müssen, um als eritreische Staatsangehörige anerkannt zu werden. Faktisch würde jeder im Ausland lebende Eritreer, auch wenn er eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, als eritreischer Staatsangehöriger anerkannt, wenn er seine Abstammung nachweisen kann. Es wurde ausdrücklich bestätigt, dass dies auch für Eritreer gelte, die vorher in Äthiopien lebten und möglicherweise die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzen oder besaßen. Auch aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 02.02.2001 an das VG Gießen ergibt sich, dass nach den dort vorliegenden Erkenntnissen es hinsichtlich des Erwerbs der Staatsangehörigkeit Eritreas keine Sonderregelungen für im Ausland lebende Personen gibt und kein Fall bekannt sei, in denen von Äthiopien nach Eritrea deportierte, nachweislich eritreisch-stämmige Personen nicht als eritreische Staatsangehörige anerkannt wurden. Die gleiche Auskunft erhielt das VG Stuttgart vom Auswärtigen Amt am 01.03.2001. Auch hiernach wird eine in Äthiopien geborene Person unter der Voraussetzung, dass sie von eritreischen Eltern abstammt, von den eritreischen Behörden als eritreischer Staatsangehöriger behandelt. Die SFH befragte hierzu mehrere Experten, die im Falle eines 1990 im Sudan geborenen eritreisch-stämmigen Äthiopiers ebenfalls einhellig davon ausgingen, dass ihm mit der Souveränität Eritreas auch die Staatsangehörigkeit zufiel (SFH, Auskunft der SFH-Länderanalyse, Eritrea: Staatsangehörigkeit, m.w.N.).
Diese Verwaltungspraxis der eritreischen Behörden ist beachtlich, da - wie gezeigt - die Nichtanwendung von Art. 2 Abs. 5 StAG 1992 in derartigen Fällen nicht nur eine vertretbare, sondern auch aus verfassungsrechtlicher und systematischer Sicht die vorzugswürdige Auslegung darstellt (vgl. allg. zur Beachtlichkeit der Verwaltungspraxis VG Münster, Urteil vom 22. Juli 2015 - 9 K 3488/13.A -, juris, Rn. 37; im Ergebnis so wohl auch SFH, Auskunft der SFH-Länderanalyse: Eritrea: Staatsangehörigkeit. 23.08.2016, S. 2, die auf Art. 3 der eritreischen Verfassung abstellt und Art. 2 Abs. 5 des StAG Eritrea 1992 übergeht).
(b) Die Klägerin unterfällt nach diesen Maßgaben dem Art. 2 Abs. 1, 4 StAG Eritrea 1992 und ist deshalb eritreische Staatsangehörige.
Die erkennende Kammer geht im vorliegenden Fall davon aus, dass die Eltern der Klägerin gebürtige Eritreer sind. Beide Elternteile sind als Kinder jeweils eritreischer Eltern - den Großeltern der Klägerin - in H., Eritrea, zur Welt gekommen. Dies hat die persönliche Befragung der Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung gezeigt. Die Klägerin hat im Rahmen der ausführlichen Befragung ihre Angaben aus der Anhörung vor dem Bundesamt wiederholt, bestätigt und in glaubhafter Weise vertieft, sodass die Kammer keinen Anlass sieht, an der Richtigkeit dieser Angaben in tatsächlicher Hinsicht zu zweifeln.
(c) Hat die Klägerin als bis dato äthiopische Staatsangehörige wie vorstehend ausgeführt die eritreische Staatsangehörigkeit nach Art. 2 Abs. 1-4 der Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 mit der (völkerrechtlich anerkannten) Unabhängigkeitserklärung Eritreas am 24. Mai 1993 erworben, verlor sie gleichzeitig kraft Gesetzes die bis dahin innegehabte äthiopische Staatsangehörigkeit. Dies ergibt sich aus Art. 11 lit. a) des StAG Äthiopien 1930, wonach ein äthiopischer Staatsangehöriger die äthiopische Staatsangehörigkeit verliert, wenn er eine andere Staatsangehörigkeit erwirbt.
Dass die äthiopische Regierung bis zum Ausbruch des äthiopisch-eritreischen Krieges im Mai 1998 ehemalige äthiopische Staatsbürger, die die eritreische Staatsangehörigkeit nach Art. 2 Proklamation Nr. 21/1992 Eritrea erlangt und dementsprechend die äthiopische Staatsangehörigkeit nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 verloren hatten, u. a. aus (außen)politischen Opportunitätsgründen faktisch weiterhin als äthiopische Staatsbürger behandelte bzw. de facto eine doppelte Staatsangehörigkeit dieses Personenkreises hinnahm (vgl. dazu etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Äthiopien: Gemischt eritreisch-äthiopische Herkunft, 29. Januar 2013, Seite 1 f.: „Bis Mai 1998 akzeptierten die äthiopischen Behörden die faktische Doppelstaatsbürgerschaft bei Eritreern“), steht dem Verlust der äthiopischen Staatsangehörigkeit nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 nicht entgegen.
Abzulehnen ist insoweit die Auffassung, dass in solchen Konstellationen die äthiopische Staatsangehörigkeit fortbestanden habe. Diese Auffassung stellt allein darauf ab, dass für die äthiopischen Behörden seinerzeit Fragen von Bedeutung gewesen seien, wie die, ob die betreffende Person am eritreischen Unabhängigkeitsreferendum vom 24. Mai 1993 teilgenommen, Geldzahlungen an den eritreischen Staat erbracht oder diesen sonst unterstützt hatte. Im Übrigen seien nach dem Unabhängigkeitsreferendum in Äthiopien residierende Personen eritreischer Abstammung durch den äthiopischen Staat weiterhin als äthiopischen Staatsangehörige behandelt worden, einschließlich der Personen, die Inhaber eritreischer ID-Karten und damit Doppelstaatler wurden, sodass von einem Verlust der Staatsangehörigkeit nicht auszugehen sei (VG Düsseldorf, Urteil vom 23. Mai 2013 – 6 K 3576/13.A –, Rn. 44, juris; Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 K 536/14 –, Rn. 27, juris).
Diese damalige faktische Handhabung durch die äthiopischen Behörden stand aber im Widerspruch zum damals geltenden StAG Äthiopien 1930 bzw. dem Wortlaut von dessen Art. 11 lit. a). Eine in evidentem Widerspruch zu der eigenen Rechtslage stehende Rechtspraxis ist jedoch für die erkennende Kammer als deutsches staatliches Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit gerade nicht verbindlich (VG Münster, a.a.O.). Die Richtigkeit dieser Bewertung zeigt sich letztlich auch daran, dass die Gegenauffassung in Erklärungsnot hinsichtlich der Frage gerät, ob in der ab 1998 eingetretenen Aufgabe der Behördenpraxis und der Deportation von etwa 70.000 Eritreern aus Äthiopien (vgl. zur äthiopischen Behördenpraxis im Detail Äthiopien/Eritrea: Umstrittene Herkunft, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 22.01.2014, S. 5) konsequenterweise die konkludente Entziehung der Staatsangehörigkeit zu sehen ist.
(d) Entgegen der Auffassung des Bundesamtes hat die Klägerin die äthiopische Staatsangehörigkeit auch nicht mit der Konsequenz zurückerlangt, dass sie als doppelte Staatsangehörige zu behandeln ist.
(aa) Dadurch, dass nach seinem Art. 27 das äthiopische Staatsangehörigkeitsgesetz vom 23. Dezember 2003 am selben Tag in Kraft trat, womit es gemäß seinem Art. 25 das frühere äthiopische Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1930 aufhob, hat sich der staatsangehörigkeitsrechtliche Status von Personen eritreischer Volkszugehörigkeit von Rechts wegen nicht geändert. Sofern diese Personen bereits vor Inkrafttreten des StAG Äthiopien 2003 ihre frühere äthiopische Staatsbürgerschaft nach Art. 11 lit. a) StAG Äthiopien 1930 verloren hatten, so erhielten sie durch das StAG Äthiopien 2003 die verlorene äthiopische Staatsangehörigkeit nicht kraft Gesetzes wieder zurück.
Auf die Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 1 des StAG Äthiopien 2003 kommt es dabei nicht an. Dieser regelt, ebenso wie Art. 2 des StAG Eritrea 1992, die Staatsangehörigkeit durch Geburt. Die Klägerin hat glaubhaft vorgetragen, dass beide ihrer Elternteile Eritreer gewesen seien, somit beide nach dem StAG Eritrea 1992 die Staatsangehörigkeit Eritreas erlangt, die äthiopische nach obigen Grundsätzen aber verloren hatten und deshalb zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des StAG Äthiopien 2003 als Eltern keine äthiopische Staatsangehörigkeit kraft Geburt mehr vermitteln konnten.
Das StAG Äthiopien 2003 enthält darüber hinaus nach Art. 5-12 und unter den in Art. 22 normierten Voraussetzungen die Möglichkeiten des Erwerbs der äthiopischen Staatsbürgerschaft. Während Art. 5 bis 12 StAG Äthiopien 2003 hier nicht einschlägig sind, kommt nach Art. 22 StAG Äthiopien eine Möglichkeit der konstitutiven Wiederaufnahme bzw. Wiederzulassung in die äthiopische Staatsangehörigkeit für Personen in Betracht, die zuvor eine fremde Staatsangehörigkeit angenommen und damit ihre äthiopische Staatsangehörigkeit verloren haben. Wie dargestellt hat die Klägerin ihre äthiopische Staatsangehörigkeit nach Art. 11 StAG Äthiopien 1930 verloren, sodass sie in den Anwendungsbereich der Norm fällt. Daraus folgt aber zugleich, dass sie nicht kraft Gesetzes die Staatsangehörigkeit zurückerlangt, sondern erst, wenn sie die in dem Art. 22 StAG Äthiopien 2003 vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt, insbesondere auch einen Antrag hierauf stellt. Von den dort genannten Voraussetzungen hat die Klägerin keine einzige erfüllt, sodass eine Rückerlangung der äthiopischen Staatsangehörigkeit nach dem StAG Äthiopien 2003 ausscheidet.
(bb) Die Klägerin hat die äthiopische Staatsangehörigkeit ebenso wenig durch die Direktive der äthiopischen Regierung zur Bestimmung des Aufenthaltsstatus von Eritreern in Äthiopien vom 16. Januar 2004 zurückerlangt. In Betracht kommt allenfalls die Regelung in 4.2. der Regierungsdirektive, die anordnet, dass eine Person eritreischer Abstammung, die nicht die Option einer eritreischen Staatsangehörigkeit wahrgenommen hat, so behandelt werden soll, als hätte sie sich dazu entschieden, ihre äthiopische Staatsangehörigkeit zu behalten („4.2. A person of Eritrean origin who has not opted for Eritrean nationality shall be deemed as having decided to maintain his or her Ethiopian nationality.“) Es ergibt sich bereits aus Nr. 2 der Direktive, dass die Klägerin von dieser Regelung nicht profitieren kann. Aus der Norm folgt, dass staatsangehörigkeitsrechtliche Unklarheiten von Personen beseitigt werden sollen, die in Äthiopien lebten, als Eritrea unabhängig wurde, und bis zum Erlass der Direktive weiterhin dort lebten. Letztere Voraussetzung erfüllt die Klägerin aber nicht, da sie das Land im Jahr 2000 verlassen hatte.
Die Regelung geht darüber hinaus - entgegen ihrer Zielsetzung, Unklarheiten zu beseitigen - an den Fällen, die nach Art. 2 Abs. 1 bis 4 StAG Eritrea 1992 zu behandeln sind, vorbei, da, wie gezeigt, diese Normen in Konstellationen wie derjenigen der Klägerin die Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes vermittelt haben, und es für die Klägerin deshalb nicht darauf ankam, ob sie diese annehmen wollte. Die Direktive ist nach ihrem Wortlaut daher überhaupt nicht auf die Klägerin anzuwenden. Selbst wenn man diese Regelungslücke in der Direktive schließen und die Direktive so verstehen würde, dass auch gebürtige Eritreer erfasst sein sollen, steht der Erlass der äthiopischen Behörden jedoch im Widerspruch zur bereits dargestellten und normativ höherrangigen formellen äthiopischen Gesetzeslage (bis 23. Dezember 2003: StAG 1930; danach StAG 2003), nach der die Klägerin gerade keine äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt, und ist aus diesem Grund für das Gericht nach dem vorstehend Ausgeführten als deutsches staatliches Gericht im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit nicht verbindlich (so VG Münster a.a.O.).
Dies entspricht nach Erkenntnissen der SFH auch der äthiopischen Behördenpraxis, nach welcher in Drittstaaten lebende Personen eritreischer Herkunft nicht als äthiopische Staatsangehörige anerkannt werden (SFH, a.a.O., S.4).
(cc) Die Klägerin hat im Jahr 2011 im Sudan ihren Ehemann geheiratet, der nach bisheriger Kenntnislage äthiopischer Staatsangehöriger ist. Auch dies führt gemäß Art. 6 StAG Äthiopien 2003 nicht zum Erwerb der äthiopischen Staatsangehörigkeit. Denn danach kann derjenige, der einen äthiopischen Staatsangehörigen heiratet, die äthiopische Staatsangehörigkeit nur auf Antrag erlangen („A foreigner who is married to an Ethiopian national may acquire Ethiopian nationality by law, if…“). Einen solchen Antrag hat die Klägerin aber nicht gestellt.
b) Die Klägerin befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG außerhalb Eritreas. Die Gefahr einer Verfolgung in Eritrea ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, erreicht im vorliegenden Fall aber nicht das Maß der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, welche die Furcht vor Verfolgung begründet erscheinen lassen.
aa) Als Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder der Ausländer von einem Zusammentreffen unterschiedlicher Maßnahmen in ähnlich gravierender Weise betroffen ist. Für die Annahme einer Verfolgungsmaßnahme ist weiterhin erforderlich, dass der Flüchtling aus den genannten Gründen gezielten Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität nach aus der staatlichen Friedensordnung ausgrenzen. Vor Rechtsverletzungen, die nicht gezielt in Anknüpfung an persönliche, asylrelevante Merkmale zugefügt werden, sondern ihn als Folge der allgemeinen im Herkunftsstaat herrschenden Zustände treffen, schützt das Asylrecht nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 32 m.w.N.). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG) und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Gemäß § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
bb) Die Klägerin hat sich nach ihren eigenen Angaben noch nie in Eritrea aufgehalten und ist folglich dort nicht Opfer von Verfolgungshandlungen geworden.
Eine begründete Furcht vor Verfolgung in Eritrea kann daher nur daraus resultieren, dass die eritreischen Behörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit das Verhalten der Klägerin so auslegen, dass sie sich durch ihre Ausreise aus Äthiopien in den Sudan und später nach Deutschland sowie die Stellung eines Asylantrags dem eritreischen Nationaldienst entzogen und ihre Ablehnung des Regimes in Eritrea kundgetan hat. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer, dass Personen, die sich in Eritrea der Ableistung des Nationalen Dienstes entziehen, politisch verfolgt werden, sodass diesen Personen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (vgl. hierzu VG Hannover, Urteil vom 26.10.2016 - Az. 3 A 5251/16 -, juris).
Im vorliegenden Fall ist aber nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Klägerin sich dem Nationaldienst in einer Weise entzogen hat, die der eritreische Staat als oppositionelle Handlung einstufen würde, und sie deshalb eine Verfolgung zu befürchten hat.
Zwar ist es für Eritrea kennzeichnend, dass Strafen im Hinblick auf eine Dienstentziehung nicht in einem rational nachvollziehbaren formalisierten Verfahren ausgesprochen, sondern vielmehr in wenig vorhersehbarer Weise von einzelnen Entscheidungsträgern vor Ort verhängt werden (VG Schwerin, Urt. v. 29.02.2016 – 15 A 3628/15 As SN –, juris Rn. 62). Ein gerichtliches Verfahren findet in aller Regel nicht statt. Stattdessen werden die Strafen durch Angehörige des Militär- und Sicherheitsapparates verhängt. Das Verhalten des eritreischen Regimes und seines Sicherheitsapparates ist insoweit willkürlich und wenig berechenbar. Auch nach den Erkenntnissen von Amnesty International stehen die eritreischen Behörden grundsätzlich jeder Person, die in einem Drittland einen Asylantrag gestellt hat, misstrauisch gegenüber, sodass für den dortigen Fall eines im Sudan geborenen Eritreers die Einschätzung abgegeben wurde, dass nicht auszuschließen sei, dass seine bloße Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland als Landesverrat erachtet und verfolgt wird (Auskunft an VG Schwerin, a.a.O.). Nach den Informationen des Auswärtigen Amtes über das Schicksal abgeschobener Asylbewerber müssen diese damit rechnen, von den eritreischen Sicherheitsbehörden auf unbestimmte Zeit und ohne rechtsstaatliches Verfahren in Haft genommen zu werden, wenn sie sich nach eritreischen Vorschriften, insbesondere wegen illegaler Ausreise, Fahnenflucht oder Entziehung aus der Dienstpflicht, strafbar gemacht haben (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand August 2015).
Die eritreische Proklamation, die den Nationaldienst regelt (Eritrean Proclamation on National Service No. 82/1995 of 1993, 23 October 1995, verfügbar unter: http://www.refworld.org/docid/3dd8d3af4.html), enthält in Artikel 37 Abs. 1 und 4 zwar Tatbestände, die es ermöglichen würden, Sachverhalte wie den vorliegenden unter Strafe zu stellen. So sieht Art. 37 Abs. 4 der Proklamation eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren für jeden vor, der es versucht, den Nationaldienst durch „verschiedene Mittel“ zu vermeiden oder seine Registrierung durch „ungerechtfertige Motive oder selbst geschaffene Hindernisse“ verzögert („[…] anyone that attempted to avoid national Service by various device or delayed his registration by unjustified motives or created obstacles […] is liable to punishment under the provisions of Subarticle l of this provision.“). Durch die Unbestimmtheit der in Frage kommenden Tathandlungen erscheint es somit denkbar, dass auch das bloße Unterlassen einer freiwilligen Rückkehr und Registrierung mit Eintritt der Volljährigkeit oder das Bemühen um einen Flüchtlingsstatus in der Bundesrepublik als strafbar geahndet werden könnten.
Dennoch erscheint fernliegend, dass der Umstand, dass die Klägerin sich in 17 Jahren Emigration zu keinem Zeitpunkt um eine Einwanderung nach Eritrea bemüht und inzwischen einen Asylantrag in Deutschland gestellt hat, in Eritrea als oppositionelle Handlung aufgefasst und die Klägerin dort deshalb politische Verfolgung zu befürchten hat.
Im vorliegenden Sachverhalt fehlt es in der Person der Klägerin an der typischerweise mitverwirklichten illegalen Ausreise aus Eritrea, die nach den verfügbaren Erkenntnissen für die eritreischen Behörden den wesentlichen Anknüpfungspunkt für die Annahme einer regimefeindlichen Gesinnung und deren asylrelevante Ahndung bietet. Das bloße Stellen eines Asylantrages dagegen steht nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes nicht unter Strafe und löst keine Verfolgungsmaßnahmen aus, wenn die Antragsteller etwa freiwillig zu Besuchen nach Eritrea reisen. Solche Reisen werden meist mit eritreischen Reiseausweisen durchgeführt, für deren Ausstellung in der Regel ein Schreiben des Bedauerns der Flucht sowie die Begleichung der sogenannten „Aufbausteuer“ in Höhe von 2% des Jahreseinkommens ausreicht (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand August 2015).
Es liegt nahe, dass diese Praxis erst recht auf die Klägerin angewendet werden dürfte, auch wenn dies angesichts der Willkür der eritreischen Behörden nicht mit letzter Sicherheit gewährleistet ist. Freilich besteht für den eritreischen Staat ein beachtlicher fiskalischer Anreiz, regelmäßig wiederkehrende, anerkannte Asylberechtigte mit vergleichsweise hohen Einkünften im Ausland mit der Diasporasteuer zu belegen. Dieser Anreiz entfällt bei Personen, die dauerhaft zurückkehren und deren Einkünfte sich auf eritreischem Niveau bewegen werden. Die SFH betont, dass es hinsichtlich dieser sog. „Bereinigung“ der Verhältnisse mit dem eritreischen Regime sowohl an Rechtssicherheit als auch an Erfahrungswerten bei permanenter Rückkehr nach Eritrea fehle (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 15. August 2016 zu Eritrea: Rückkehr, S. 1). Auch das Schweizerische Staatssekretariat für Migration (SEM) stellt fest, dass „Unklar ist, wie mit Personen verfahren wird, die als Minderjährige ausgereist oder im Ausland aufgewachsen sind und erst im dienstpflichtigen Alter nach Eritrea (zurück)reisen.“ (SEM, Focus Eritrea: Update Nationaldienst und illegale Ausreise, Stand 10.08.2016, S. 44). Amnesty International stellt in einer aktuellen Stellungnahme fest, dass praktisch keine Fälle denkbar seien, in denen es zur Asylantragstellung ohne vorherige illegale Ausreise gekommen sei, sodass unbekannt sei, wie die eritreischen Behörden reagieren würden (Amnesty International, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea, 28.07.2017).
Dennoch zeigen die o.g. Konstellationen, dass das eritreische Regime mit Rückkehrern nicht unterschiedslos umgeht und nicht allen gegenüber Strafen verhängt. Eine Überprüfung der individuellen Hintergründe findet somit durchaus statt und ist insbesondere bei Einreisen über den Flughafen in der Hauptstadt, in der die Staatlichkeit noch verhältnismäßig stark ausgeprägt ist, zu erwarten.
In der Gesamtbetrachtung erscheint es somit wahrscheinlicher, dass die eritreischen Behörden die Ausreise der Klägerin aus Äthiopien in den Sudan und dann über weitere Länder nach Deutschland und die hiesige Asylantragstellung nicht als Entziehung aus der Nationaldienstpflicht einstufen würden, da sich die Klägerin schlicht zu keinem Zeitpunkt im Einflussbereich Eritreas aufgehalten hat und daher aus Sicht der eritreischen Sicherheitsbehörden niemals für eine Heranziehung zum Nationaldienst auch nur in Betracht kam (so i.E. auch VG Münster, a.a.O.). Die objektiven Anforderungen an die Gefahrenlage, die eine Furcht vor Verfolgung als begründet erscheinen lassen, sind damit vorliegend nicht erfüllt. Aus den der Kammer vorliegenden Erkenntnismitteln sind keine Fälle ersichtlich, in denen der eritreische Staat außerhalb Eritreas geborene eritreische Staatsangehörige, obwohl eine Vielzahl von Personen insbesondere in Äthiopien dieses Kriterium erfüllt, als nationaldienstpflichtig angesehen und ihr Verweilen außerhalb des Landes als oppositionelle Handlung angesehen hat. Auch die bereits erörterte Praxis der eritreischen Behörden (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an VGH Mannheim vom 21.11.2001, VG Gießen vom 02.02.2001 und VG Stuttgart vom 01.03.2001), die Staatsangehörigkeit von im Ausland geborenen und aufgewachsenen Eritreern ohne Weiteres anzuerkennen, ist Indiz dafür, dass diese Personengruppe nicht als oppositionell eingestuft wird, denn in aller Regel könnte auch bei diesen Personen aus Altersgründen zumindest von einer vorübergehenden Entziehung vom Nationaldienst auszugehen sein. In der vorliegenden Konstellation ist auch fernliegend, dass die eritreischen Behörden den Vortrag der Klägerin, die abgesehen von ihrer Staatsangehörigkeit keinerlei tatsächlichen Bezug zum eritreischen Staat aufweist, vorwiegend amharisch spricht und deren Lebensweg nach den hiesigen Erkenntnissen bei eritreischstämmige Menschen in Äthiopien verbreitet ist, als nicht glaubhaft erachten könnten.
cc) Die Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist allerdings insoweit rechtswidrig, als der Antrag der Klägerin als „offensichtlich“ unbegründet abgelehnt worden ist.
Die Klägerin hat nicht über ihre Staatsangehörigkeit getäuscht, sondern zutreffend angegeben, eritreische Staatsangehörige zu sein. Die tatsächlichen Umstände, auf denen die Einordnung der Staatsangehörigkeit der Klägerin durch die Kammer beruht, hat sie glaubhaft geschildert. Die Kammer hat an der Richtigkeit ihrer Angaben keine Zweifel, sodass eine Täuschung - anders als das Bundesamt meint - bereits in Ermangelung einer Angabe unrichtiger Tatsachen ausscheidet.
Auch teilt die Kammer nicht die Auffassung des Bundesamtes, dass das gesamte Vorbringen der Klägerin zu ihrem Asylbegehren oberflächlich und nicht geeignet sei, ein Verfolgungsschicksal darzutun. Dass der Klägerin kein Flüchtlingsstatus zugesprochen wird, beruht lediglich auf dem Umstand, dass es an Erkenntnissen mangelt, welche die Möglichkeit einer Verfolgung von einreisenden Auslandseritreern durch das eritreische Regime hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen.
II.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiärer Schutzberechtigung.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die Einberufung in den Nationaldienst Eritreas unter den bereits erläuterten Bedingungen erfüllt die Voraussetzungen eines ernsthaften Schadens i.S.v. § 4 Abs. 1 AslyG. Bei dem eritreischen Nationaldienst handelt es sich um einen unbefristeten Arbeitsdienst unter menschenrechtsverachtenden Bedingungen, welcher als Zwangsarbeit und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu qualifizieren ist, im Gegensatz zu der Verfolgung wegen Desertion bzw. Dienstverweigerung jedoch alle dienstpflichtigen Eritreer unterschiedslos und ohne Anknüpfung an einen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe trifft. Die Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea führt dazu zutreffend aus, dass obligatorischer Militär- bzw. Nationaldienst zwar nicht zwangsläufig eine Menschenrechtsverletzung sei, sich der eritreische Nationaldienst jedoch von dem Militärdienst anderer Staaten unterscheide durch die unbegrenzte und willkürliche Dauer, die die gesetzlich vorgesehene Dauer von 18 Monaten regelmäßig um mehr als ein Jahrzehnt überschreite, durch die Heranziehung der Dienstpflichtigen in Form von Zwangsarbeit für ein weites Spektrum an wirtschaftlichen Tätigkeiten und durch die Begehung von Vergewaltigungen und Folter in den Militärlagern sowie das Vorhandensein weiterer häufig unmenschlicher Bedingungen. In ihrem ausführlichen Bericht weist die Commission of Inquiry auf die äußerst schwierigen sanitären und gesundheitlichen Bedingungen sowie mangelnde Ausstattung mit Lebensmitteln und Wasser während des militärischen Teils des Nationaldienstes hin, auf harte und willkürliche körperliche Strafen und die Heranziehung zum Dienst bzw. Bestrafung wegen Dienstverweigerung trotz nachgewiesener Erkrankungen (UNHCR, Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea - A/HRC/32/47, Conclusions). Das Auswärtige Amt verweist in seinem Lagebericht auf Berichte über sexuelle Nötigung bis hin zu Vergewaltigung weiblicher Rekruten; Beischlaf werde durch Androhung der Verschärfung der Dienstbedingungen oder die Verweigerung von Heimreisen erzwungen, die Weigerung führe zu Internierung, Misshandlungen und Folter, z.B. Nahrungsentzug oder dem Aussetzen extremer Hitze (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 21.11.2016, S. 12; vgl. auch VG Hamburg, Beschluss vom 05. Oktober 2016 – 4 A 3618/16 –, Rn. 25, juris).
Im Falle der Klägerin ist jedoch nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen davon auszugehen, dass eine Einberufung der Klägerin in den Nationaldienst voraussichtlich nicht erfolgen würde. Sollte sie unter Feststellung ihrer eritreischen Staatsangehörigkeit nach Eritrea abgeschoben werden, unterfällt sie zwar wie jeder Erwachsene zwischen 18 und 50 Jahren grundsätzlich der Nationaldienstpflicht. Frauen werden aber in der Regel bei Heirat oder Schwangerschaft aus dem Militär bzw. dem „national service“ entlassen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 21.11.2016). Nach Erkenntnissen von Amnesty International erfasst o.g. Befreiung auch Mütter (Amnesty International, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea, 28.07.2017). Dies deckt sich mit den Erkenntnissen des EASO (EASO, Country of Origin Information Report Eritrea: National service and illegal exit, S. 23). Auch der PFDJ Vertreter Yemane Gebreab gab an, dass junge Mütter nicht eingezogen würden (EASO, a.a.O., S. 22), wobei das Gericht nicht verkennt, dass den Aussagen von Funktionären des Regimes nur geringe Bedeutung zugemessen werden kann. Die Anwendung der vermeintlichen Regeln erfolgt mitunter auch arbiträr, sodass der Klägerin ihre Eigenschaft als Mutter eines kleinen Kindes die Freistellung vom Nationaldienst daher nicht garantiert. Es sind auch (regional begrenzte) Fälle bekannt, in denen Mütter zum Nationaldienst einberufen worden sind (Amnesty International, Just Deserters, Dezember 2015, S. 36). Diese wurden zwar regelmäßig vom militärischen Teil des Nationaldienstes befreit, müssen aber trotzdem Aufgaben im zivilen Sektor übernehmen (Amnesty International, Eritrea - 20 Years of Independence, but still no freedom, 09.05.2013).
Die Erkenntnismittel stimmen jedoch darin weitgehend überein, dass Mütter in aller Regel keinen Nationaldienst mehr absolvieren müssen, sodass auch die Klägerin hiervon profitieren dürfte (so auch VG Düsseldorf, Urteil vom 16. März 2017 – 6 K 12164/16.A –, juris, Rn. 35; VG Aachen, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 7 K 2230/16.A –, juris, Rn. 29) und eine nachträgliche Einberufung in den Nationaldienst in ihrem Fall nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre.
III.
Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf die Aufhebung der unter Ziffer 4. des angegriffenen Bescheides getroffenen Regelung und die Verpflichtung des Bundesamtes zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG hinsichtlich Eritreas und Äthiopiens.
1. Dieser Verpflichtung steht nicht entgegen, dass das Bundesamt hinsichtlich Eritreas bisher keine Prüfung vorgenommen hat. Bei den maßgeblichen Normen, §§ 24, 34 AsylG und §§ 59, 60 AufenthG, handelt es sich um solche, die als Rechtsfolge gebundene Entscheidungen fordern. Aus diesem Grund ist das Gericht im vorliegenden Fall auch nicht durch § 114 VwGO oder den Grundsatz der Gewaltenteilung daran gehindert, hinsichtlich der Prüfung der Voraussetzungen zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes anders als das Bundesamt die eritreische Staatsangehörigkeit der Klägerin zugrunde zu legen und die Erfüllung der hieraus folgenden Verpflichtungen des Bundesamtes zu überprüfen. Das Gericht hat vielmehr die Pflicht, die Sache spruchreif zu machen und zu entscheiden, indem es alle seiner Überprüfung zugänglichen Rechts- und Sachfragen klärt, die das jeweilige Rechtsverhältnis aufwirft und denen nachzugehen § 86 Abs. 3 VwGO verpflichtet (OVG Lüneburg, Beschluss vom 05.11.1996 – 11 L 6022/96 –, juris, Rn. 2; Schoch/Schneider/Bier/Gerhardt VwGO § 113 Rn. 74, beck-online). Dies umfasst auch die Feststellung von Abschiebungsverboten in Staaten, die das Bundesamt pflichtwidrig nicht in Betracht gezogen hat.
Dies widerspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG, Urteil vom 04. Dezember 2001 – 1 C 11/01 –, BVerwGE 115, 267-274). Im dortigen Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass für eine Klage auf vorsorgliche Feststellung von Abschiebungshindernissen bezüglich anderer als den in der Abschiebungsandrohung benannten Staaten in der Regel kein Rechtsschutzbedürfnis besteht und folglich auch das Verpflichtungsbegehren in der Regel sachdienlich dahingehend auszulegen ist, dass nur die Feststellung hinsichtlich dieser Staaten begehrt wird. Die dortige Konstellation war jedoch dadurch gekennzeichnet, dass der ghanaische Staatsangehörige, dem die Abschiebung nach Ghana angedroht worden war, die Feststellung von Abschiebungsverboten in alle Staaten begehrt hatte, in denen eine medizinische Behandlung seines Leidens nicht möglich oder zugänglich war. Aus dem Sachverhalt gingen für den Kläger, trotz des Hinweises im Bescheid, dass eine Abschiebung auch in einen anderen Staat erfolgen kann, keinerlei Anhaltspunkte dafür hervor, dass eine Abschiebung in einen anderen Staat als Ghana überhaupt in Betracht kommt oder erwogen wird, weshalb er eine solche nicht ernsthaft zu befürchten hatte und somit auch ein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten für andere Staaten nicht vorlag. An den Entscheidungsgründen zeigt sich jedoch auch, dass das Bundesverwaltungsgericht dieses Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses für diejenige Konstellation angenommen hat, in der eine Abschiebung in einen anderen Staat objektiv tatsächlich nicht in Betracht kommt, weil das Gesetz keine Pflicht des Bundesamtes - und folglich keinen Anspruch des Asylbewerbers - auf weltweite Prüfung von Abschiebungshindernissen kennt (BVerwG, a.a.O., Rn. 13). Einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes hat der Asylsuchende hingegen hinsichtlich derjenigen Staaten, für die das Bundesamt verpflichtet ist, eine solche Feststellung zu treffen, eine nachteilige Feststellung bereits getroffen hat oder in die abgeschoben zu werden er aus berechtigtem Anlass sonst befürchten muss (BVerwG, a.a.O., Rn. 12).
Das Bundesamt hat hier über Abschiebungsverbote nach Eritrea nicht entschieden, die Abschiebung in diesen Staat nicht angedroht und auch nicht angekündigt. Hier liegt jedoch die Besonderheit vor, dass das Bundesamt rechtsirrig von einer äthiopischen Staatsangehörigkeit ausgegangen ist und seine Prüfung auf diesen Staat beschränkt hat, wohingegen die Klägerin tatsächlich eritreische Staatsangehörige ist und damit die Voraussetzungen einer Abschiebungsandrohung vorrangig in diesen Herkunftsstaat zu prüfen gewesen wären und weiterhin sind (BVerwG, a.a.O., Rn. 13).
Das Bundesamt hätte, nachdem nunmehr gerichtlich über die Staatsangehörigkeit der Klägerin entschieden worden ist, die Pflicht, die Entscheidung über eine Abschiebungsandrohung nach Eritrea nachzuholen und somit auch nach § 24 Abs. 2 AsylG über Abschiebungsverbote im Hinblick auf Eritrea zu entscheiden. Die Klägerin hat aus diesem Grund wiederum berechtigten Anlass dazu, eine Abschiebung nach Eritrea zu befürchten (a.A. wohl VG Münster, a.a.O.).
In dieser Konstellation erscheint es auch nicht vorzugswürdig, der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach Eritrea mit dem Argument abzusprechen, dass ihr die Option bleibt, die Abschiebungsandrohung abzuwarten und sodann gegen diese nochmals Rechtsschutz zu suchen. Gerade vor dem Hintergrund, dass die in Rede stehenden Entscheidungen, wie gezeigt, gebundener Natur sind und das Gericht grundsätzlich die Pflicht trifft, in solchen Fällen Entscheidungsreife herzustellen, würde sich ein solches Vorgehen als bloßer Formalismus darstellen, der eine Rechtssicherheit schaffende Entscheidung hinauszögert und ein vermeidbares weiteres (Gerichts-)Verfahren nach sich ziehen kann, ohne dass es hierfür einen durchgreifenden Grund gäbe.
2. Ausgehend davon ist das Bundesamt vorliegend zu verpflichten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Eritrea festzustellen, § 24 Abs. 1, 2 AsylG i.V.m. §§ 59 Abs. 3 S. 2, 60 Abs. 5, 7 AufenthG.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestimmt, dass von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden soll, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Vorgaben sind hier aller Voraussicht nach erfüllt.
Die Klägerin hat nach eigenem Bekunden in Eritrea keine familiären Kontakte. Ihre Mutter lebt zwar womöglich noch in Eritrea, es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese nach 27 Jahren noch ausfindig gemacht werden kann. Andere soziale Bindungen hat die Klägerin nach Eritrea nicht.
Diese Angaben sind der Entscheidung zugrunde zu legen. Die Kammer hat sich von der Richtigkeit der Angaben im Rahmen der persönlichen Befragung der Klägerin überzeugt. Die Klägerin hat die bereits im Verwaltungsverfahren getätigten Angaben auch diesbezüglich glaubhaft wiederholen und vertiefen können.
Bei einer Rückkehr nach Eritrea besteht daher die Gefahr, dass die Klägerin als alleinstehende Frau ohne soziale bzw. familiäre Bindung in dem Land den dortigen Lebensbedingungen schutzlos ausgeliefert und vermutlich nicht in der Lage wäre, ihre Existenz zu sichern. Dies gilt erst recht, weil die Klägerin nur wenig Schulbildung genossen, keinen Beruf erlernt hat und zugleich ihre 2016 geborene Tochter versorgen muss, da all diese Umstände die ohnehin gravierende Lage der Klägerin in Eritrea weiter erschweren und sie daran hindern würden, zeitnah eine Erwerbstätigkeit zu finden und dieser nachzugehen.
Ihr Ehemann ist äthiopischer Staatsangehöriger und befindet sich zudem in Europa, sodass er bei lebensnaher Betrachtung ihre Lage in Eritrea kaum positiv beeinflussen und sie auch nicht dorthin begleiten würde.
3. Die Klägerin hat darüber hinaus einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes hinsichtlich Äthiopiens. Zwar kommt dieses Land nach dem Gesagten materiell-rechtlich gesehen nicht aufgrund der Staatsangehörigkeit der Klägerin als Zielstaat einer Abschiebung in Betracht. Gleichwohl ist hierüber zu entscheiden, da die Abschiebungsandrohung und die Feststellung des Fehlens von Abschiebeverboten ausdrücklich Äthiopien benennt und der Klägerin damit ein subjektives Recht auf die Überprüfung dieser Entscheidung zukommt.
Wie auch bei Eritrea ist das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG aufgrund der Vulnerabilität der Klägerin als alleinstehende Frau mit Kind festzustellen, da sie ohne soziale Kontakte, finanzielle Mittel und berufliche Bildung voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, ihre Existenz in Äthiopien zu sichern. Auch von ihrem Ehemann, der zwar äthiopischer Staatsangehöriger ist, ist nicht zu erwarten, dass er ihre Lage in Äthiopien positiv wird beeinflussen können. Zu beachten ist hierbei, dass ihrem Ehemann in Italien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, sodass die Kammer davon ausgehen muss, dass diesem in Äthiopien Verfolgung droht und er die Klägerin nicht nach Äthiopien begleiten könnte. Auch liegen keinerlei Erkenntnisse vor, dass der in Äthiopien verfolgte Ehemann der Klägerin nach mindestens 6 Jahren der Flucht noch über ausreichende Mittel oder Kontakte in Äthiopien verfügt, um die Situation der Klägerin signifikant gegenüber derjenigen einer alleinstehenden Frau ohne familiäre Beziehungen zu verbessern.
Auch für diese Angaben gilt, dass sie der Entscheidung zugrunde zu legen sind, denn auch insoweit hat die Klägerin im Rahmen ihrer persönlichen Befragung in der mündlichen Verhandlung ihre Angaben aus dem Verwaltungsverfahren zur vollen Überzeugung der Kammer glaubhaft wiederholt.
Zur Lage von alleinstehenden Frauen in Äthiopien hat das VG Lüneburg entschieden:
„Nach der Auskunftslage ist es für eine alleinstehende Frau ohne familiären Rückhalt in Äthiopien kaum möglich, das Existenzminimum zu sichern. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. Dezember 2012 ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht in allen Landesteilen und nicht zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen sind für große Teile der Landbevölkerung äußerst hart und bei Ernteausfällen lebensbedrohend. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Äthiopien, Rückkehr einer alleinstehenden jungen Frau, 13.10.2009) führt aus, dass Kinder und alleinstehende Frauen in Äthiopien, die über kein soziales Netz verfügen, sich das Existenzminimum nicht sichern können. Die Mehrzahl der Frauen, die alleine in die Stadt kommen, würde in der Prostitution oder als Bedienstete in Haushalten landen, wo sie verschiedenen Formen der Gewalt, auch sexueller Gewalt, ausgesetzt wären. Es sei schwierig, für eine alleinstehende Frau sowohl Unterkunft wie auch einen Arbeitsplatz zu finden. Für den Zugang zu einer Arbeitsstelle benötige man Geld, familiäre Kontakte oder Personen, die über Beschäftigungsmöglichkeiten bzw. über offene Arbeitsstellen informiert seien. Auch die Wohnungssuche sei ohne Unterstützung von Bekannten schwierig.
Auch eine offizielle norwegische Stelle (Landinfo Utlendingsforvaltningens fagenhet for landinformasjon, Oslo, 11.05.2016, Temanotat Etiopia: Kvinners situasjon) erachtet ein familiäres Netzwerk als wichtige Vorbedingung dafür, dass eine unverheiratete Äthiopierin ein eigenes Leben aufbauen und für sich selbst sorgen könne. Auf der anderen Seite seien geschiedene oder von ihrer Familie verstoßene Frauen besonders Menschenhandel und Prostitution ausgesetzt. Die gemeinsame Fact-Finding-Komission der Länder Deutschland, Österreich und Schweiz (D-A-CH) konstatiert damit korrespondierend, dass es für eine alleinstehende Frau sehr problematisch sei, sich [sogar] in der Hauptstadt zu etablieren. Es sei schwierig, eine Arbeit zu finden, die Löhne seien niedrig (D-A-CH Fact Finding Mission, Äthiopien/Somaliland 2010, Mai 2010, S. 16).“ (VG Lüneburg, Beschluss vom 16. Juni 2017 – 6 B 50/17 –, Rn. 7, juris).
Dieser Auffassung schließt sich die Kammer in ständiger Rechtsprechung an und hält hieran im vorliegenden Verfahren fest.
Bei Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin wird ihre Lage in Äthiopien weiter dadurch verschärft, dass sie Eritreerin ist, und, sofern sie überhaupt nach Äthiopien zurückkehren könnte, sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als eritreischer Flüchtling behandelt und unbefristet in einem Flüchtlingslager leben müsste. Eine gemeinsame Einreise mit ihrem äthiopischen Ehemann scheidet aufgrund seiner Verfolgung in Äthiopien dagegen aus.
Insbesondere die Proklamation 270/2002, die den rechtlichen Status von äthiopisch-stämmigen Personen regelt, die eine andere Staatsangehörigkeit erworben haben („Proclamation No. 270/2002 of 2002, providing Foreign Nationals of Ethiopian Origin with Certain Rights to be Exercised in their Country of Origin Proclamation“) nimmt in Art. 2.1 Eritreer von ihrem Anwendungsbereich ausdrücklich aus („… other than a person who forfeited Ethiopian nationality and acquired Eritrean nationality, …“).
Auch die Option auf eine äthiopische Staatsangehörigkeit hat die Klägerin nicht. Die äthiopische Staatsangehörigkeit richtet sich nach dem StAG Äthiopien 2003. Die Fälle des Erwerbs der Staatsangehörigkeit sind in Art. 4 i.V.m. 5 bis 12 geregelt. In Betracht käme allenfalls Art. 5 StAG Äthiopien 2003, dessen Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt sind, da nach Nr. 2 erforderlich ist, dass sich die Person in Äthiopien niedergelassen hat („have established domicile in Ethiopia“) und nach Nr. 4 ein für die Person und ihre Familie ausreichendes Einkommen verfügbar sein muss („Have sufficient and lawful source of income to maintain himself and his family“). Beide Voraussetzungen liegen nicht vor, denn die Klägerin hat keinerlei Einkommen und auch keinen Wohnsitz in Äthiopien, sodass nicht zu erwarten ist, dass sie ohne weiteres eine äthiopische Staatsangehörigkeit erwerben kann.
Auch ein Erwerb der äthiopischen Staatsangehörigkeit durch Eheschließung mit einem äthiopischen Staatsangehörigen scheidet aus, denn die Norm setzt gemäß Abs. 3 vor-aus, dass die Person vor ihrem Antrag zumindest ein Jahr lang in Äthiopien gelebt hat. Ob dies unmittelbar vor Antragstellung oder im Laufe des Lebens erfüllt sein muss, geht aus der Norm nicht hervor. Der Wortlautvergleich zu Art. 5 Abs. 2 StAG Äthiopien 2003 zeigt aber, dass das Jahr unmittelbar vor Antragstellung in Äthiopien verbracht worden sein muss: Art. 5 Abs. 2 StAG Äthiopien 2003 spricht nämlich davon, dass der Antragsteller insgesamt („for a total“) mindestens vier Jahre vor Antragstellung in Äthiopien gelebt haben muss, während der Ausdruck in Art. 6 Abs. 2 StAG Äthiopien 2003 nicht verwendet wird. Auch diese Anforderungen sind daher nicht erfüllt.
Die Voraussetzungen des weiterhin in Betracht kommenden Art. 20 Abs. 2 StAG Äthiopien 2003 sind ebenfalls nicht erfüllt. Hiernach kann eine Person, die die äthiopische Staatsangehörigkeit verlieren würde, weil sie kraft Geburt eine andere Staatsangehörigkeit erwirbt, binnen einen Jahres nach Volljährigkeit gegenüber den äthiopischen Behörden erklären, dass sie die äthiopische Staatsangehörigkeit unter Aufgabe der neuen Staatsangehörigkeit behalten möchte. Eine solche Erklärung hat die Klägerin aber nicht binnen einen Jahres nach Volljährigkeit abgegeben und kann dies infolge des Zeitablaufes auch nicht mehr.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Aufenthaltsrecht in Äthiopien. Gemäß Nr. 6.1. der äthiopischen Direktive zur Bestimmung des Aufenthaltsstatus eritreischer Staatsangehöriger mit Aufenthalt in Äthiopien von 2004 erhalten Eritreer eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Einklang mit der Proklamation zur Einwanderung nach Äthiopien („An Eritrean person residing in Ethiopia will be granted permanent residence permit in accordance with the Immigration Proclamation.“), was bedeutet, dass für Eritreer, die eine Aufenthaltserlaubnis in Äthiopien begehren, keine Privilegien, sondern die allgemeinen Bestimmungen gelten. Darüber hinaus ordnet Nr. 7.2. der Proklamation an, dass die Aufenthaltserlaubnis aufgehoben werden kann, wenn die Person Äthiopien für zumindest ein Jahr am Stück verlassen hat. Gemäß 7.3. der Proklamation sind Eritreer verpflichtet, ihre Aufenthaltserlaubnis zurückzugeben, wenn sie Äthiopien dauerhaft verlassen. Insgesamt lässt sich aus diesen Regelungen schließen, dass die Klägerin nicht problemlos eine Aufenthaltserlaubnis in Äthiopien erhalten kann.
Gerade wenn die Klägerin als eritreischer Flüchtling mit ihrem Kind nach Äthiopien zurückkehren müsste, droht ihr eine Verletzung von § 60 Abs. 5 AufenthG. In Äthiopien befanden sich im März 2016 schätzungsweise 700.000 Flüchtlinge, davon 100.000 aus Eritrea (Al Jazeera, Eritrean Refugees in Ethiopia, 10. März 2016). Der Großteil der Flüchtlinge ist in Zeltlagern untergebracht. Nahrung und Wasser sind dort knapp. 2013 erhielt jeder Flüchtling eine Nahrungsmittelration von 15 Kilo Weizen, 90 Gramm Öl sowie jeweils eine Tasse Salz und Zucker im Monat. An den Wasserausgabestellen müssen die Flüchtlinge mehrere Stunden warten. Schutz vor der großen Hitze gibt es keinen. Flüchtlinge dürfen keiner legalen Beschäftigung nachgehen. Für Frauen ist die Lage besonders schwierig, da sie darüber hinaus oftmals sexueller und physischer Gewalt ausgesetzt sind. Eine Erlaubnis, außerhalb eines Flüchtlingslagers zu leben, nicht jedoch zu arbeiten, ist nach 6 Monaten möglich, wenn der Flüchtling Verwandte oder Bekannte findet, die zusichern, ihn aufzunehmen und für seinen Unterhalt aufzukommen (Auskunft der SFH-Länderanalyse: Äthiopien: Eritreische Flüchtlinge, November 2013). Das trifft auf die Klägerin nicht zu.
IV.
Da die Feststellung unter Ziffer 4 des angegriffenen Bescheides, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen, sich als rechtswidrig erweist, sind auch die darauf beruhenden Regelungen unter Ziffer 5. und 6. aufzuheben, welche die Abschiebung der Klägerin nach Äthiopien androhen und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristen.
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 Var. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.