Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 31.08.2023, Az.: L 8 AY 23/23 B ER

gewöhnlicher Aufenthalt; Kirchenasyl; örtliche Zuständigkeit; räumliche Beschränkung; Reisebeihilfe; teleologische Extension; Wohnsitzauflage; Keine Leistungen nach dem AsylbLG im Kirchenasyl bei einem Verstoß gegen eine asyl- oder aufenthaltsrechtliche räumliche Beschränkung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
31.08.2023
Aktenzeichen
L 8 AY 23/23 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 43807
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2023:0831.8AY23.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 30.07.2023 - AZ: S 40 AY 416/23 ER

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei einem Verstoß gegen eine asyl- oder aufenthaltsrechtliche räumliche Beschränkung ist neben der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde iSd § 11 Abs 2 AsylbLG auch die aufgrund einer Zuweisungs- oder Verteilentscheidung bzw. wegen einer Wohnsitzauflage nach § 10a Abs 1 S 1 AsylbLG zuständige Leistungsbehörde nur zu einer eingeschränkten Hilfegewährung verpflichtet, die im Regelfall dem Leistungsumfang des § 11 Abs 2 AsylbLG entspricht (st. Rspr. des Senats; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen v. 20.06.2008 - L 11 AY 47/08 ER - juris Rn 17 f.).

  2. 2.

    Die Leistungspflicht nach § 11 Abs 2 AsylbLG umfasst sämtliche Leistungen der faktischen Bedarfsdeckung, die jedoch in der Regel beschränkt sind auf die Übernahme der notwendigen Reise- sowie dringend erforderlichen Verpflegungskosten, damit der Ausländer den durch die asyl- bzw. ausländerrechtliche Beschränkung bestimmten Aufenthaltsort erreichen kann. In atypischen Fällen sind weitergehende Leistungen bis zum Niveau der regulären Leistungen (§§ 3 bzw 2 AsylbLG) zu erbringen (hier verneint für den Aufenthalt im offenen Kirchenasyl).

In dem Beschwerdeverfahren
A.
- Antragstellerin und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigte:
B.
gegen
Landkreis Diepholz - Fachdienst Soziales -,
vertreten durch den Landrat,
Niedersachsenstraße 2, 49356 Diepholz
- Antragsgegner und Beschwerdegegner -
hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 31. August 2023 in Celle durch die Richter C. und D. sowie die Richterin E.
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 30. Juli 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Im Streit ist die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 6.7.2023 für die Zeit des Kirchenasyls der Antragstellerin.

Die 1989 geborene Antragstellerin ist guineische Staatsangehörige. Nach eigenen Angaben verließ sie 2015 ihr Heimatland, hielt sich dann in Mali, im Senegal und Marokko auf, reiste Anfang 2022 nach Spanien und dann über Frankreich am 25.8.2022 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Am 9.1.2023 wies die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen die Antragstellerin ab dem 19.1.2023 der im Kreisgebiet des Antragsgegners gelegenen Gemeinde F. zu und verpflichtete sie, dort ihren Wohnsitz zu nehmen. Die Antragstellerin war in der Folge obdachlos und wurde in eine Obdachlosenunterkunft in F. eingewiesen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Asylantrag der Antragstellerin mit Bescheid vom 17.1.2023 unter Anordnung der Abschiebung nach Spanien als unzulässig ab (Anwendung der sog. Dublin-III-Verordnung). Ein gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung gerichteter Eilantrag blieb erfolglos (Verwaltungsgericht - VG - Hannover, Beschluss vom 6.3.2023 - 15 B 1648/23). Der Antragsgegner erteilte der Antragstellerin am 7.3.2023 eine bis zum 6.9.2023 gültige Duldung mit der Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Gemeinde F., in der er ihr eine Wohnung in der Obdachlosenunterkunft G. zugewiesen hatte. Am 2.6.2023 teilte das BAMF dem Antragsgegner mit, dass sich die Antragstellerin seit dem 1.6.2023 im Kirchenasyl der Evangelischen Kirchengemeinde Neustadt, Bremen, befindet.

Nachdem der Antragsgegner daraufhin Unterlagen von der Antragstellerin anforderte (Schreiben vom 5.6.2023), teilte sie den Aufenthalt im Kirchenasyl seit dem 1.6.2023 mit. Auf diesem Schreiben vom 12.6.2023, mit dem die Antragstellerin die Weitergewährung von Leistungen beantragte, war handschriftlich von H. I., Mitglied des Kirchenvorstandes der Gemeinde, angemerkt, dass die Antragstellerin bis auf Weiteres keine finanziellen oder Sachmittel von Seiten der Gemeinde erhalte. Mit Bescheid vom 19.6.2023 lehnte der Antragsgegner den Antrag wegen Verstoßes gegen die Wohnsitzauflage ab. Hiergegen erhob die Antragstellerin am 27.6.2023 Widerspruch, der nach derzeitigem Kenntnisstand des Gerichts nicht beschieden ist.

Am 6.7.2023 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Bremen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung gestellt, sie sei mittellos. Sie habe sich von der Kirchengemeinde bestätigen lassen, dass keine Leistungen erbracht und auch Sachleistungen nicht zur Verfügung gestellt werden. Lediglich für die Kosten der Unterkunft einschließlich Strom komme die Kirchengemeine typischerweise auf. Auf gerichtliche Nachfrage, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreite, hat sie mitgeteilt, darlehensweise 30,00 € wöchentlich zu erhalten, seit sie am 15.6.2023 noch immer keine Leistungen vom Antragsgegner erhalten habe. Hierzu hat sie ein Schreiben des Kirchenvorstandes vorgelegt.

Der Antragsgegner hat eingewandt, eine Leistungserbringung sei wegen Verstoßes gegen die Wohnsitzauflage grundsätzlich ausgeschlossen. Da der Antragstellerin eine Reise von Bremen nach F. zumutbar sein dürfte, seien Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall nicht ersichtlich. Gegen die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zuständige Behörde bestehe bis zur Rückkehr an den Zuweisungsort kein Leistungsanspruch.

Das Sozialgericht (SG) Bremen hat den Eilantrag mit Beschluss vom 30.7.2023 abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht, weil unklar sei, inwieweit ein Bedarf bestehe. Die Angaben der Antragstellerin seien widersprüchlich. Gerichtlichen Nachfragen sei sie nicht nachgekommen. Die Angaben des Herrn I. stünden im Widerspruch zu den Angaben auf der Webseite der Kirchengemeinde. Eine Konkretisierung etwaig erhaltener Sachleistungen sei nicht erfolgt.

Die Antragstellerin hat hiergegen am 7.8.2023 Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr Begehr weiterverfolgt. Sie erhalte seit dem 15.6.2023 ein aufgrund mündlicher Absprache vereinbartes Darlehen von 30,00 € je Woche, das kein Einkommen im Sinne des § 8 AsylbLG darstelle. Die Kirchengemeinde komme für die Kosten der Unterkunft inklusive Heizung, Strom und Wasser auf. Internet stehe über ein privates Netzwerk zur Verfügung. Infolge des erlassenen Ablehnungsbescheides plane die Kirchengemeine, das wöchentliche Darlehen auf 50,00 € als Nothilfe zu erhöhen. Das Darlehen sei zurückzuzahlen, sobald der Antragstellerin Leistungen gewährt werden. Aufgrund der Erfahrung aus einer Vielzahl von Fällen wisse die Kirchengemeinde von der behördlichen Leistungsverpflichtung und könne daher von einer alsbaldigen Rückzahlung ausgehen. Die vom SG geforderten Nachweise seien in Form des Negativbeweises der Antragstellerin nicht zumutbar. Zudem stünden mittellosen Personen zahlreiche sie unterstützende Projekte im Bremer Viertel zur Verfügung, was sich jedoch nicht bedarfsmindernd auswirken dürfte, weil die Verlässlichkeit von Sachspenden nicht gegeben sei. Die Homepage der Kirchengemeinde sei nicht aktuell. Aufgrund der Kenntnis vom gesetzlichen Leistungsanspruch seien die Kirchengemeinden dazu übergegangen, die Spenden anderweitig zu verwenden.

Der Antragsgegner hält den angegriffenen Beschluss des SG für zutreffend. Es sei widersprüchlich, dass die Antragstellerin angegeben habe, bereits seit Juni 2023 wöchentlich 30,00 € darlehensweise zu erhalten, weil sie mittellos sei. Die Leistungen seien erst zum 30.6.2023 eingestellt worden. Der Einstellungsbescheid sei erst am 19.6.2023 und nicht bereits am 15.6.2023 erlassen worden. Die Antragstellerin habe angegeben, keine Familie und Bekannte in Bremen, zu haben, allerdings lebe eine Cousine in Bremen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Leistungs- und Ausländerakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§ 172 Abs. 3 Nr. 1, §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde ist nicht begründet.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Das streitige Rechtsverhältnis liegt in dem nach derzeitigem Kenntnisstand noch nicht beschiedenen Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid des Antragsgegners vom 19.6.2023 begründet.

Die seit ihrem erfolglosen Asylverfahren (Bescheid des BAMF vom 17.1.2023, nachgehend Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt mit Beschluss des VG Hannover vom 6.3.2023 - 15 B 1648/23) vollziehbar ausreisepflichtige und damit nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG leistungsberechtigte Antragstellerin hat einen (Anordnungs-)Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG oder auf eingeschränkte Leistungen nach § 1a AsylbLG nicht glaubhaft gemacht.

Der Antragsgegner ist die nach Landesrecht sachlich für die Durchführung des AsylbLG zuständige Behörde (§ 10 AsylbLG i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nds. AufnG).

Er ist gemäß § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG für diese Leistungen auch örtlich jedenfalls deshalb zuständig, weil die Antragstellerin nach der gesetzlichen Wohnsitzauflage des § 61 Abs. 1d AufenthG in seinem Kreisgebiet ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen hat. Nach § 61 Abs. 1d AufenthG ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist, verpflichtet, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen. Soweit die Ausländerbehörde - wie hier (die Wohnsitzauflage in der am 7.3.2023 ausgestellten Duldung deckt sich mit derjenigen nach § 61 Abs. 1d AufenthG) - nichts anderes angeordnet hat, ist das der Wohnort, an dem der Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorrübergehende Aussetzung der Abschiebung gewohnt hat (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Aktualisierung Februar 2020, § 61 AufenthG, Rn. 41; vgl. auch Siefert in Siefert, AsylbLG, 2. Aufl. 2020, § 10a Rn. 6), hier in der Obdachlosenunterkunft G. in F. im Kreisgebiet des Antragsgegners. Der Lebensunterhalt der Antragstellerin ist - was sie im vorliegenden Verfahren auch geltend macht - nicht gesichert. Sie hat daher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Obdachlosenunterkunft in F. zu nehmen.

Ob bei der - wie hier, dazu gleich - Anwendbarkeit von § 11 Abs. 2 AsylbLG die Leistungspflicht der nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zuständigen Behörde aufgehoben ist und ihr gegenüber solange kein Leistungsanspruch besteht, bis die leistungsberechtigte Person an den Zuweisungs-, Verteilungs- oder Wohnsitzauflagenort zurückgekehrt ist (so LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.3.2012 - L 20 AY 7/12 R - juris Rn. 34; Groth in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 11 AsylbLG Rn. 56) kann dahinstehen (zum Meinungsstand vgl. Senatsbeschluss vom 20.2.2014 - L 8 AY 98/13 B ER - juris Rn. 25 sowie vom 25.1.2016 - L 8 AY 59/15 B ER). Der Senat hat nämlich bereits entschieden, dass auch die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG an sich zuständige Leistungsbehörde - hier der Antragsgegner - bei einem Verstoß gegen eine asyl- oder aufenthaltsrechtliche Beschränkung nur zu einer eingeschränkten Hilfegewährung verpflichtet ist, die im Regelfall dem Leistungsumfang des § 11 Abs. 2 AsylbLG entspricht (vgl. Senatsbeschluss vom 2.6.2015 - L 8 AY 8/15 B ER - und vom 5.4.2019 - L 8 AY 6/19 B ER; so bereits LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.6.2008 - L 11 AY 47/08 ER - juris Rn. 17 f.; jüngst Senatsbeschluss vom 18.8.2023 - L 8 AY 20/23 B ER). Der Leistungsberechtigte hat bei einem Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung oder eine Wohnsitzauflage i.S. des § 11 Abs. 2 AsylbLG - so oder so - grundsätzlich nur einen Anspruch auf die notwendigen Reisekosten sowie dringend erforderliche Verpflegungskosten, damit er den durch die asyl- bzw. ausländerrechtliche Beschränkung bestimmten Aufenthaltsort erreichen kann (vgl. auch BR-Drs. 446/15 S. 62; BT-Drs. 19/10047, S. 52). Maßgeblich für diese Auslegung über den Wortlaut der Norm hinaus (im Wege der teleologischen Extension, vgl. dazu allg. BSG, Urteil vom 3.11.2021 - B 11 AL 2/21 R - juris Rn. 23) sind nicht zuletzt Sinn und Zweck des § 11 Abs. 2 AsylbLG, eine unerlaubte Binnenwanderung von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG dadurch zu verhindern, dass ein fortbestehender Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung oder Wohnsitzauflage durch eine uneingeschränkte Leistungsgewährung nicht erst ermöglicht wird (vgl. Senatsbeschluss vom 20.2.2014 - L 8 AY 98/13 B ER - juris Rn. 23). Die damit einhergehende Einschränkung der Lebensunterhaltssicherung in dem der Person ordnungsrechtlich zugewiesenen Gebiet begegnet gemessen an dem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. hierzu grundlegend Regelsatzurteil des BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Senatsbeschluss vom 2.6.2015 - L 8 AY 8/15 B ER - und vom 5.4.2019 - L 8 AY 6/19 B ER).

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG darf Leistungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen Beschränkung zuwider aufhalten, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu ihrem rechtmäßigen Aufenthaltsort gewährt werden. Der Aufenthalt der seit dem 6.3.2023 vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellerin ist gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (kraft Gesetzes, zwingend und ohne ausländerbehördliche Anordnung, vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2019, § 61 Rn. 4) auf das Bundesland Niedersachsen, in dem ihr vom Antragsgegner am 7.3.2023 eine Duldung erteilt worden ist, beschränkt. Dieser räumlichen Beschränkung zuwider hält sich die Antragstellerin seit dem 1.6.2023 tatsächlich in Bremen auf, sodass der Tatbestand des § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG erfüllt ist.

Zugleich liegt auch der Tatbestand des § 11 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG vor. Danach darf Leistungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie entgegen einer Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt nehmen, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu dem Ort gewährt werden, an dem sie entsprechend der Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen haben. Die Antragstellerin hat - wie bereits ausgeführt - nach der gesetzlichen Wohnsitzauflage des § 61 Abs. 1d AufenthG ihren Wohnsitz in der Obdachlosenunterkunft in F. zu nehmen, aber entgegen dieser Auflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt i.S. der Legaldefinition in § 10a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. den Sätzen 2 bis 3 AsylbLG seit dem 1.6.2023 in Bremen genommen. Dabei liegt es nach Sinn und Zweck des § 11 Abs. 2 AsylbLG auf der Hand, dass die Fiktion des gewöhnlichen Aufenthalts gemäß § 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG, nach dem zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts auf die Verteilungs- oder Zuteilungsentscheidung bzw. auf die Wohnsitzauflage abzustellen ist, in diesem Zusammenhang nicht anwendbar ist, sondern es auf den tatsächlichen (genommenen) gewöhnlichen, aber unerlaubten Aufenthalt ankommt; hierfür spricht auch der Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG, der auf ein (aktives) Nehmen eines gewöhnlichen Aufenthalts entgegen einer Wohnsitzauflage abstellt.

Der Umfang der Leistungen nach § 11 Abs. 2 AsylbLG beschränkt sich in der Regel auf die notwendigen Reisekosten sowie dringend erforderliche Verpflegungskosten, damit der Ausländer den durch die asyl- bzw. ausländerrechtliche Beschränkung bestimmten Aufenthaltsort erreichen kann. Nur wenn Gründe vorliegen, die einen Verbleib am Ort des tatsächlichen Aufenthalts zwingend erfordern oder eine Rückkehr in das Gebiet der räumlichen Beschränkung oder zu dem auferlegten Wohnsitz unzumutbar erscheinen lassen, kann die unabweisbar gebotene Hilfe auch weitergehende Leistungen umfassen, die bis zu den regulären Leistungen reichen können (zum Umfang der Leistungen nach § 11 Abs. 2 AsylbLG vgl. Senatsbeschluss vom 20.2.2014 - L 8 AY 98/13 B ER - juris Rn. 37 m.w.N.). Durch die Gesetzesänderung zum 24.10.2015, nach der die Leistungen für den Regelfall nun auch ausdrücklich auf Reisebeihilfen beschränkt worden sind, hat sich an dem Leistungsinhalt des § 11 Abs. 2 AsylbLG im Wesentlichen nichts geändert. Die begriffliche Einschränkung ("regelmäßig") zeigt, dass (nur) in atypischen Fällen - der Gesetzgeber verweist insoweit in erster Linie auf akute gesundheitliche Gründe (BR-Drs. 446/15, S. 62) - auch künftig Leistungen bis zum Niveau der regulären Leistungen zu erbringen sind (Senatsbeschluss vom 1.11.2018 - L 8 AY 37/18 B ER - m.w.N. sowie vom 23.10.2019 - L 8 AY 39/19 B ER - juris Rn. 18). Reisekosten macht die Antragstellerin nicht geltend. Ihr geht es darum, während des Verbleibs im Kirchenasyl in Bremen Leistungen zu erhalten. Es sind auch keine Gründe glaubhaft gemacht oder sonst erkennbar, die ihren Verbleib in Bremen zwingend erfordern oder eine Rückkehr nach Niedersachsen in die Obdachlosenunterkunft in F. unzumutbar erscheinen lassen. Allein die - nicht geäußerte, aber naheliegende - Befürchtung der Antragstellerin, in Abschiebehaft genommen oder ohne eine solche aus der Obdachlosenunterkunft nach Spanien abgeschoben zu werden, genügt nicht. Sie muss sich auf Rechtsmittel gegen belastende ausländerrechtliche Maßnahmen verweisen lassen und im Übrigen die unerwünschten Folgen tragen (vgl. Scheider in GK-AsylbLG, Stand: Februar 2023, § 11 AsylbLG Rn. 111 m.w.N.; Groth in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 11 AsylbLG Rn. 53; differenzierend LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.6.2008 - L 11 AY 47/08 ER- juris Rn. 19 bei einer drohenden Abschiebung allein durch die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen; so auch jüngst Senatsbeschluss vom 18.8.2023 - L 8 AY 20/23 B ER).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.