Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 18.08.2023, Az.: L 8 AY 20/23 B ER

Duldung; gewöhnlicher Aufenthalt; Kirchenasyl; örtliche Zuständigkeit; räumliche Beschränkung; Reisebeihilfe; teleologische Extension; Wohnsitzauflage; Keine Leistungen nach dem AsylbLG im Kirchenasyl bei einem Verstoß gegen eine asyl- oder aufenthaltsrechtliche räumliche Beschränkung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.08.2023
Aktenzeichen
L 8 AY 20/23 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 43806
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2023:0818.8AY20.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 02.06.2023 - AZ: S 39 AY 332/23 ER

Fundstellen

  • NZS 2024, 270
  • SAR 2024, 7-12
  • ZAP 2024, 71
  • ZAP EN-Nr. 053/2024
  • ZfSH/SGB 2024, 68 (Pressemitteilung)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei einem Verstoß gegen eine asyl- oder aufenthaltsrechtliche räumliche Beschränkung ist neben der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde iSd § 11 Abs 2 AsylbLG auch die aufgrund einer Zuweisungs- oder Verteilentscheidung bzw. wegen einer Wohnsitzauflage nach § 10a Abs 1 S 1 AsylbLG zuständige Leistungsbehörde nur zu einer eingeschränkten Hilfegewährung verpflichtet, die im Regelfall dem Leistungsumfang des § 11 Abs 2 AsylbLG entspricht (st. Rspr. des Senats; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen v. 20.06.2008 - L 11 AY 47/08 ER - juris Rn 17 f.).

  2. 2.

    Die Leistungspflicht nach § 11 Abs 2 AsylbLG umfasst sämtliche Leistungen der faktischen Bedarfsdeckung, die jedoch in der Regel beschränkt sind auf die Übernahme der notwendigen Reise- sowie dringend erforderlichen Verpflegungskosten, damit der Ausländer den durch die asyl- bzw. ausländerrechtliche Beschränkung bestimmten Aufenthaltsort erreichen kann. In atypischen Fällen sind weitergehende Leistungen bis zum Niveau der regulären Leistungen (§§ 3 bzw 2 AsylbLG) zu erbringen (hier verneint für den Aufenthalt im offenen Kirchenasyl).

In dem Beschwerdeverfahren
1. A.
2. B.
- Antragsteller und Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigte:
zu 1-2: C.
gegen
Landkreis Harz,
vertreten durch den Landrat,
Friedrich-Ebert-Straße 42, 38820 Halberstadt
- Antragsgegner und Beschwerdegegner -
hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 18. August 2023 in Celle durch den Richter D. sowie die Richterinnen E. und F. beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 2. Juni 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Antragsteller befinden sich im Kirchenasyl in Bremen und begehren die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG.

Die 1978 bzw. 1981 geborenen Antragsteller, ein Ehepaar, sind irakische Staatsangehörige. Sie reisten am 7.2.2022 aus Schweden kommend nach Deutschland ein und stellten Asylanträge. Nach eigenen Angaben hatten sie sieben Jahre lang in Schweden gelebt und waren dort nach zwei erfolglosen Asylanträgen ohne staatliche Unterstützung mittellos. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte die Asylanträge mit Bescheid vom 20.5.2022 unter Anordnung der Abschiebung nach Schweden als unzulässig ab (Anwendung der sog. Dublin-III-Verordnung). Ein gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung gerichteter Eilantrag und eine Klage gegen den Bescheid vom 20.5.2022 blieben erfolglos (Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg, Beschluss vom 16.6.2022 - 3 B 165/22 - und Gerichtsbescheid vom 12.7.2022 - 3 A 164/22 -). Der Antragsgegner erteilte den Antragstellern am 27.7.2022 bis zum 26.10.2022 gültige und nicht verlängerte Duldungen gemäß § 60b AufenthG ("Für Personen mit ungeklärter Identität") mit der Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) des Landes Sachsen-Anhalt in Halberstadt (in der sie schon untergebracht waren) und der Beschränkung ihres Aufenthalts auf sein Kreisgebiet. Die ihnen angekündigte Überstellung der Antragsteller nach Schweden (das der Rückführung zugestimmt hatte) am 1.8.2022 scheiterte daran, dass sie sich nicht (mehr) in der ZASt aufhielten.

Mit E-Mail vom 11.11.2022 übersandte der Pastor der G. Kirchengemeinde in Bremen dem Antragsgegner ein Schreiben der Antragsteller vom 8.11.2022, in dem sie mitteilten, sich seit diesem Tag in der Kirchengemeinde im Kirchenasyl zu befinden, und die Weitergewährung von Leistungen nach dem AsylbLG beantragten. Nachdem der Antragsgegner verschiedene Unterlagen angefordert hatte, erläuterte der Pastor unter dem 24.2.2023, die Kirchengemeinde habe den Unterhalt des Ehepaars drei Monate lang in Höhe von 400,- € /mtl. aus Spendenmitteln bestritten. Eine weitere Finanzierung übersteige die Möglichkeiten der Gemeinde. Seit November 2022 erhalte das Ehepaar die monatliche Unterstützung als zinslosen Kredit, mit dessen Rückzahlung fest gerechnet werde. Mit diesem Geld könnten sie nur mit äußerster Sparsamkeit ihren täglichen Bedarf decken. Die Kosten für Unterbringung und Heizung übernehme weiterhin die Kirchengemeinde. Er sei aber der festen Überzeugung, dass ihren Gästen im Kirchenasyl darüber hinaus der reguläre Bedarf an Bekleidung und Lebensmittel durch Leistungen nach dem AsylbLG zu decken sei. Ebenso werde eine Übernahme etwaiger Krankheitskosten erwartet. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 2.5.2023 legten die Antragsteller einen Darlehensvertrag vom 8.11.2022 zu dem vorgetragenen Darlehen vor. Der Antragsgegner versagte die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG mit Bescheid vom 5.5.2023. Wann dieser Bescheid dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, die am 6.7.2023 Widerspruch eingelegt haben, bekanntgegeben worden ist bzw. als bekanntgegeben gilt, ist zwischen den Beteiligten streitig. Das Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 31.7.2023 als unzulässig, da verfristet, zurück.

Das Sozialgericht (SG) Bremen hat den Eilantrag der Antragsteller vom 10.5.2023 durch Beschluss vom 2.6.2023 abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht, weil der existentielle Bedarf der Antragsteller vollständig durch die Kirchengemeinde gedeckt werde. Auch ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. In Betracht kämen nur eingeschränkte Leistungen nach § 1a AsylbLG, auf die aber gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG kein Anspruch bestehe, weil der erforderliche Lebensunterhalt durch die Kirchengemeinde gedeckt sei. Dies gelte zweifellos für Unterkunft und Heizung. Der Ernährungs- und Gesundheitspflegebedarf - der nicht konkretisiert worden sei und bei dem auch nicht klar sei, ob und in welchem Umfang er ggf. durch Sachleistungen Dritter gedeckt werde - werde durch die Geldleistungen der Kirchengemeinde gedeckt. An der Wirksamkeit des Darlehensvertrages beständen Zweifel.

Die Antragsteller haben hiergegen am 13.6.2023 Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgen. Die begehrten Leistungen seien nicht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG wegen der ihnen von der Kirchengemeinde seit November 2022 mtl. als Darlehen gezahlten 400,00 € (200,00 € pro Person) ausgeschlossen, weil es sich dabei um zurückzuzahlende Darlehen als Nothilfe zur Überbrückung bis zur Realisierung ihres Leistungsanspruchs nach dem AsylbLG handele. Der schriftliche Darlehensvertrag sei wirksam. Die Voraussetzung eingeschränkter Leistungen nach § 1a AsylbLG seien nicht erfüllt. Sie hätten Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG. Der erforderliche Anordnungsgrund sei auch bei einer geringfügigen Unterdeckung des Existenzminimums gegeben. Der Versagungsbescheid vom 5.5.2023 sei entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners nicht bestandskräftig geworden. Der dagegen von ihrer Prozessbevollmächtigten am 6.7.2023 eingelegte Widerspruch sei rechtzeitig erfolgt, weil sie erst bei Einsicht in die Verwaltungsakten am 13.6.2023 Kenntnis von dem Bescheid erlangt habe. Einen (früheren) Zugang des Bescheides könne der Antragsgegner nicht nachweisen.

Der Antragsgegner hält den angegriffenen Beschluss des SG für zutreffend. Der Bescheid vom 5.5.2023 sei ausweislich des auf seinem Entwurf angebrachten Ab-Vermerks ("PA 11.05.23 an RA") am 11.5.2023 an die Prozessbevollmächtigten abgesandt worden und gelte daher nach § 37 SGB X innerhalb von drei Tagen nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§ 172 Abs. 3 Nr. 1, §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde ist nicht begründet.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Ob der Versagungsbescheid des Antragsgegners vom 5.5.2023 bestandskräftig geworden ist und deshalb ein streitiges Rechtsverhältnis zu verneinen ist, kann dahinstehen. Die seit ihren erfolglosen Asylverfahren (Bescheid des BAMF vom 20.5.2022, nachgehend Gerichtsbescheid des VG Magdeburg vom 12.7.2022 - 3 A 164/22) vollziehbar ausreisepflichtigen und damit nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG leistungsberechtigten Antragsteller haben jedenfalls einen (Anordnungs-)Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG oder auf eingeschränkte Leistungen nach § 1a AsylbLG nicht glaubhaft gemacht.

Der Antragsgegner ist die nach § 10 AsylbLG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 7 der Allgemeinen Zuständigkeitsverordnung für die Gemeinden und Landkreise zur Ausführung von Bundesrecht (AllgZustVO-Kom) vom 7.5.1994 (GVBl. LSA 568) i.d.F. vom 12.5.2021 (GVBl. LSA 284) sachlich für die Durchführung des AsylbLG zuständige Behörde. Er ist gemäß § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG für diese Leistungen auch örtlich jedenfalls deshalb zuständig, weil die Antragsteller nach der gesetzlichen Wohnsitzauflage des § 61 Abs. 1d AufenthG in seinem Kreisgebiet ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen haben. Nach § 61 Abs. 1d AufenthG ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist, verpflichtet, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen. Soweit die Ausländerbehörde - wie hier (die Wohnsitzauflagen in den am 27.2.2022 ausgestellten Duldungen decken sich mit derjenigen nach § 61 Abs. 1d AufenthG) - nichts anderes angeordnet hat, ist das der Wohnort, an dem der Ausländer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorrübergehende Aussetzung der Abschiebung gewohnt hat (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Aktualisierung Februar 2020, § 61 AufenthG, Rn. 41; vgl. auch Siefert in Siefert, AsylbLG, 2. Aufl. 2020, § 10a Rn. 6), hier in der ZASt in Halberstadt im Kreisgebiet des Antragsgegners. Der Lebensunterhalt der Antragsteller ist - was sie im vorliegenden Verfahren auch geltend machen - nicht gesichert. Sie haben daher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der ZASt des Landes Sachsen-Anhalt in Halberstadt zu nehmen.

Ob bei der - wie hier, dazu gleich - Anwendbarkeit von § 11 Abs. 2 AsylbLG die Leistungspflicht der nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zuständigen Behörde aufgehoben ist und ihr gegenüber solange kein Leistungsanspruch besteht, bis die leistungsberechtigte Person an den Zuweisungs-, Verteilungs- oder Wohnsitzauflagenort zurückgekehrt ist (so LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.3.2012 - L 20 AY 7/12 R - juris Rn. 34; Groth in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 11 AsylbLG Rn. 56) kann dahinstehen (zum Meinungsstand vgl. Senatsbeschluss vom 20.2.2014 - L 8 AY 98/13 B ER - juris Rn. 25 sowie vom 25.1.2016 - L 8 AY 59/15 B ER). Der Senat hat nämlich bereits entschieden, dass auch die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG an sich zuständige Leistungsbehörde - hier der Antragsgegner - bei einem Verstoß gegen eine asyl- oder aufenthaltsrechtliche Beschränkung nur zu einer eingeschränkten Hilfegewährung verpflichtet ist, die im Regelfall dem Leistungsumfang des § 11 Abs. 2 AsylbLG entspricht (vgl. Senatsbeschluss vom 2.6.2015 - L 8 AY 8/15 B ER - und vom 5.4.2019 - L 8 AY 6/19 B ER; so bereits LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.6.2008 - L 11 AY 47/08 ER - juris Rn. 17 f.). Der Leistungsberechtigte hat bei einem Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung i.S. des § 11 Abs. 2 AsylbLG - so oder so - grundsätzlich nur einen Anspruch auf die notwendigen Reisekosten sowie dringend erforderliche Verpflegungskosten, damit er den durch die asyl- bzw. ausländerrechtliche Beschränkung bestimmten Aufenthaltsort erreichen kann (vgl. auch BR-Drs. 446/15 S. 62; BT-Drs. 19/10047, S. 52). Maßgeblich für diese Auslegung über den Wortlaut der Norm hinaus (im Wege der teleologischen Extension, vgl. dazu allg. BSG, Urteil vom 3.11.2021 - B 11 AL 2/21 R - juris Rn. 23) sind nicht zuletzt Sinn und Zweck des § 11 Abs. 2 AsylbLG, eine unerlaubte Binnenwanderung von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG dadurch zu verhindern, dass ein fortbestehender Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung durch eine uneingeschränkte Leistungsgewährung nicht erst ermöglicht wird (vgl. Senatsbeschluss vom 20.2.2014 - L 8 AY 98/13 B ER - juris Rn. 23). Die damit einhergehende Einschränkung der Lebensunterhaltssicherung in dem der Person ordnungsrechtlich zugewiesenen Gebiet begegnet gemessen an dem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. hierzu grundlegend Regelsatzurteil des BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Senatsbeschluss vom 2.6.2015 - L 8 AY 8/15 B ER - und vom 5.4.2019 - L 8 AY 6/19 B ER).

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG darf Leistungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie sich einer asyl- oder ausländerrechtlichen Beschränkung zuwider aufhalten, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu ihrem rechtmäßigen Aufenthaltsort gewährt werden, an dem sie entsprechend der Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen haben. Der Aufenthalt der seit dem 16.6.2022 vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller ist gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (kraft Gesetzes, zwingend und ohne ausländerbehördliche Anordnung, vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2019, § 61 Rn. 4) auf das Bundesland Sachsen-Anhalt, in dem ihnen vom Antragsgegner am 27.7.2022 Duldungen erteilt worden sind, beschränkt. Dieser räumlichen Beschränkung zuwider halten sich die Antragsteller seit dem 11.8.2022 tatsächlich in Bremen auf, sodass der Tatbestand des § 11 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG erfüllt ist.

Zugleich liegt auch der Tatbestand des § 11 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG vor. Danach darf Leistungsberechtigten in den Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen sie entgegen einer Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt nehmen, von der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde regelmäßig nur eine Reisebeihilfe zur Deckung des unabweisbaren Bedarfs für die Reise zu dem Ort gewährt werden, an dem sie entsprechend der Wohnsitzauflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen haben. Die Antragsteller haben - wie bereits ausgeführt - nach der gesetzlichen Wohnsitzauflage des § 61 Abs. 1d AufenthG ihren Wohnsitz in der ZASt Halberstadt zu nehmen, aber entgegen dieser Auflage ihren gewöhnlichen Aufenthalt i.S. der Legaldefinition in § 10a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. den Sätzen 2 bis 3 AsylbLG seit dem 11.8.2022 in Bremen genommen. Dabei liegt es nach Sinn und Zweck des § 11 Abs. 2 AsylbLG auf der Hand, dass die Fiktion des gewöhnlichen Aufenthalts gemäß § 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG, nach dem zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts auf die Verteilungs- oder Zuteilungsentscheidung bzw. auf die Wohnsitzauflage abzustellen ist, in diesem Zusammenhang nicht anwendbar ist, sondern es auf den tatsächlichen (genommenen) gewöhnlichen, aber unerlaubten Aufenthalt ankommt; hierfür spricht auch der Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG, der auf ein (aktives) Nehmen eines gewöhnlichen Aufenthalts entgegen einer Wohnsitzauflage abstellt.

Der Umfang der Leistungen nach § 11 Abs. 2 AsylbLG beschränkt sich in der Regel auf die notwendigen Reisekosten sowie dringend erforderliche Verpflegungskosten, damit der Ausländer den durch die asyl- bzw. ausländerrechtliche Beschränkung bestimmten Aufenthaltsort erreichen kann. Nur wenn Gründe vorliegen, die einen Verbleib am Ort des tatsächlichen Aufenthalts zwingend erfordern oder eine Rückkehr in das Gebiet der räumlichen Beschränkung oder zu dem auferlegten Wohnsitz unzumutbar erscheinen lassen, kann die unabweisbar gebotene Hilfe auch weitergehende Leistungen umfassen, die bis zu den regulären Leistungen reichen können (zum Umfang der Leistungen nach § 11 Abs. 2 AsylbLG vgl. Senatsbeschluss vom 20.2.2014 - L 8 AY 98/13 B ER - juris Rn. 37 m.w.N.). Durch die Gesetzesänderung zum 24.10.2015, nach der die Leistungen für den Regelfall nun auch ausdrücklich auf Reisebeihilfen beschränkt worden sind, hat sich an dem Leistungsinhalt des § 11 Abs. 2 AsylbLG im Wesentlichen nichts geändert. Die begriffliche Einschränkung ("regelmäßig") zeigt, dass in atypischen Fällen - der Gesetzgeber verweist insoweit in erster Linie auf akute gesundheitliche Gründe (BR-Drs. 446/15, S. 62) - auch künftig Leistungen bis zum Niveau der regulären Leistungen zu erbringen sind (Senatsbeschluss vom 1.11.2018 - L 8 AY 37/18 B ER - m.w.N. sowie vom 23.10.2019 - L 8 AY 39/19 B ER - juris Rn. 18). Reisekosten machen die Antragsteller nicht geltend. Ihnen geht es darum, während des Verbleibs im Kirchenasyl in Bremen Leistungen zu erhalten. Es sind auch keine Gründe glaubhaft gemacht oder sonst erkennbar, die ihren Verbleib in Bremen zwingend erfordern oder eine Rückkehr nach Sachsen-Anhalt in die ZASt Halberstadt unzumutbar erscheinen lassen. Allein die - nicht geäußerte, aber naheliegende - Befürchtung der Antragsteller, in Abschiebehaft genommen oder ohne eine solche aus der ZASt Halberstadt nach Schweden abgeschoben zu werden, genügt nicht. Sie müssen sich auf Rechtsmittel gegen belastende ausländerrechtliche Maßnahmen verweisen lassen und im Übrigen die unerwünschten Folgen tragen (vgl. Scheider in GK-AsylbLG, Stand: Februar 2023, § 11 AsylbLG Rn. 111 m.w.N.; Groth in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 11 AsylbLG Rn. 53; differenzierend LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.6.2008 - L 11 AY 47/08 ER- juris Rn. 19 bei einer drohenden Abschiebung allein durch die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.