Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 10.06.2011, Az.: 5 B 1246/11

Nachträgliche zeitweise Betriebseinschränkung einer Windkraftanlage zum Schutz der 150 m entfernt nistenden streng geschützten Vogelart Wiesenweihe

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
10.06.2011
Aktenzeichen
5 B 1246/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 42047
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2011:0610.5B1246.11.0A

Fundstellen

  • KommJur 2011, 4-5
  • NuR 2011, 742-746

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 60.000,- € festgesetzt.

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Aussetzungsantrag (§ 80 Abs. 5 VwGO) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20./23. Mai 2011. Darin hat ihr der Antragsgegner - gestützt auf Naturschutzrecht - zum Schutz eines etwa 50 m entfernt nistenden Brutpaares der streng geschützten Vogelart Wiesenweihe den Tagbetrieb (4 - 22 Uhr) der bestandskräftig immissionsschutzrechtlich genehmigten Windkraftanlage - WEA - Nr. 13 im Windpark ....... (......) für die Dauer von etwa 2 1/2 Monaten (in der Zeit vom 21. Mai bis 1. August 2011) untersagt. Gleichzeitig hat er die sofortige Vollziehung dieser Betriebseinschränkung angeordnet und für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- € angedroht. Die Antragstellerin, die die Untersagung vorläufig beachtet, begehrt im Wege des vorläufigen Rechtschutzes und gegebenenfalls durch gerichtliche Zwischenentscheidung den weiteren uneingeschränkten Betrieb der WEA des Typs Enercon E-70 E4 nach Maßgabe der Genehmigung vom 28. März 2006/12. Februar 2007. Sie verweist auf Ertragseinbußen pro Tag in Höhe von mindestens 1.000,- € nebst künftigen absehbaren Ertragsausfällen der WEA, die nicht nur bestandskräftig genehmigt sei, sondern auch umweltfreundlich Energie erzeuge. Wegen der im Immissionsschutzrecht geltenden Konzentrationswirkung sei eine auf Naturschutzrecht gestützte nachträgliche Anordnung schon formell rechtswidrig. Der vage Hinweis darauf, die Anordnung lasse sich ggf. als ordnungsrechtliche Eilmaßnahme oder immissionsschutzrechtlicher Teilwiderruf halten, heile den Formfehler nicht. Auch materiell fehlten die Voraussetzungen, da weder das artenschutzrechtliche Störungsverbot noch das Tötungsverbot verletzt seien; der Antragsgegner vermenge die Voraussetzungen beider Verbote. Er überschätze die Gefährdung durch Vogelschlag im Verhältnis zu sonstigen Tötungsrisiken. Im Übrigen sei die Verfügung unverhältnismäßig bzw. ermessensfehlerhaft, weil Bestandsschutz, wirtschaftliche Interessen und die besondere Bedeutung von Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energie missachtet würden; ebenso wenig würden als mildere Mittel vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (§ 44 Abs. 4 BNatSchG) oder Befreiungen erwogen. Daher trage auch die Begründung zur Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht.

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Der Aussetzungsantrag, der sich bei verständiger Würdigung vorrangig gegen die sofort vollziehbar erklärte Betriebseinschränkung richtet, ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und zulässig, aber unbegründet.

3

Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung vom 20./23. Mai 2011 genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Dem genügen die Darstellungen in der genannten Verfügung. Dort wird nachvollziehbar und plausibel ausgeführt, dass hier der Sofortvollzug im überwiegenden öffentlichen Interesse angeordnet worden sei, weil ein Weiterbetrieb der WEA die lediglich aus etwa 2 Brutpaaren bestehende lokale Population der streng geschützten Vogelart Wiesenweihe stark und irreversibel gefährde und die Bedeutung des gesetzlich vorgeschriebenen Artenschutzes die zeitweise Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen der Klägerin überwiege.

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Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs (hier des unter dem 27. Mai 2011 eingelegten Widerspruchs der Antragstellerin) gegen die Betriebseinschränkung im Bescheid des Antragsgegners vom 20./23. Mai 2011 wiederherstellen, wenn das Interesse der Antragstellerin am vorläufigen Aufschub der Vollziehbarkeit eines ihn belastenden Verwaltungsakts gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts überwiegt. Ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin ist indessen zu verneinen, wenn die im Eilrechtschutzverfahren allein gebotene, aber auch ausreichende summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass der eingelegte Rechtsbehelf aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. In diesem Fall steht der Antragstellerin kein Schutz für ihr Interesse daran zu, die Vollziehung eines rechtmäßigen Bescheides bis zur Hauptsacheentscheidung über ihren unbegründeten Rechtsbehelf zu verzögern. Ergibt die summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage hingegen, dass die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offen sind, ist die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung gleichwohl gerechtfertigt, wenn aus der Abwägung der widerstreitenden Interessen folgt, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts das Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der Vollziehung überwiegt. Hiernach bleibt der Aussetzungsantrag erfolglos, weil sich die zeitweise Betriebseinschränkung voraussichtlich als rechtmäßig erweist und auch sonst das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt.

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In diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mag dahinstehen, ob der Antragsgegner - der sowohl die Zuständigkeit als untere Naturschutzbehörde als auch als untere Immissionsschutzbehörde inne hat - die Betriebseinschränkung zur dringlichen Gefahrenabwehr unmittelbar auf die naturschutzrechtliche Befugnisnorm § 3 Abs. 2 BNatSchG stützen durfte, oder ob - wofür die Fortgeltung der Konzentrationswirkung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsentscheidungen (§ 13 BImSchG) spricht - sie als teilweiser Widerruf der Genehmigung vom 28. März 2006/12. Februar 2007 im Sinne von § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG umgedeutet (§ 47 VwVfG) werden müsste. In der Rechtsprechung ist noch nicht abschließend geklärt, unter welchen Voraussetzungen bei bestandskräftig genehmigten WEA wegen nachträglich eingetretener oder erkannter Risiken des Vogelschlags gefährdeter Arten nachträgliche Betriebseinschränkungen möglich sind. Gesichert ist, dass das Vogelschlagrisiko vorrangig im Planungs- und Genehmigungsverfahren zu untersuchen und zu berücksichtigen ist, so dass der Inhaber einer bestandskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einen erhöhten Vertrauensschutz in den zugelassenen Betrieb seiner Anlage hat. Gleichwohl gilt die Genehmigung nicht statisch und quasi unveränderbar fort, sondern der Betreiber hat wegen der Dynamik im Immissionsschutz- und übrigen Umweltrecht stets mit der Einschränkung und Anpassung seiner Genehmigung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu rechnen. Insbesondere dann, wenn gegenüber der Genehmigungsklage nachträglich Umstände eintreten, die die Genehmigungsvoraussetzungen - zu denen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG als andere öffentlich-rechtliche Vorschriften auch die naturschutzrechtlichen Artenschutzbestimmungen (hier § 44 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG) zählen -, in Frage stellen, kann sich der Genehmigungsinhaber nicht pauschal und uneingeschränkt auf Bestandsschutz berufen. Vielmehr kann er nur verlangen, dass die Behörde die Legalisierungswirkung der Genehmigung beachtet und seine Belange sorgfältig unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls mit Art und Gewicht der nachträglich eingetretenen Gründe abwägt, die einer uneingeschränkten (Neu)Genehmigung entgegenstehen könnten. Der so verstandene Bestandsschutz muss spätestens auf Ebene der Verhältnismäßigkeit bzw. des Ermessens beachtet werden. Dies hat der Antragsgegner hier der Sache nach beachtet. Insbesondere führt er in seiner Antragserwiderung im gerichtlichen Verfahren überzeugend aus, dass die im Bescheid zu § 3 Abs. 2 BNatSchG angestellten Erwägungen sich ohne Weiteres auf den strukturgleichen Teilwiderruf nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG übertragen lassen. Das schwebende Widerspruchsverfahren bietet Raum, die von der Antragstellerin beanstandeten Unklarheiten bei Darstellung der Rechtsgrundlage und Subsumtion der Voraussetzungen zu beseitigen, die offenbar der Zeitnot bei Bescheidung der dringlichen Angelegenheit geschuldet sein dürften.

6

In der Sache ist die aktuell eingerichtete Brutstätte der Wiesenweihe in etwa 50 m Entfernung zur WEA Nr. 13 ein nachträglich eingetretener Umstand, der die spätere zeitweise Betriebseinschränkung grundsätzlich ermöglicht. Zwar war bereits im Genehmigungsverfahren bekannt, dass sich Brutvorkommen im Umfeld der streitgegenständlichen WEA befinden. In den für die Beurteilung des Vorhabens maßgeblichen Unterlagen (Umweltverträglichkeitsstudie/landschaftspflegerischer Begleitplan) wird dem Vorkommen allerdings gutachterlich ausdrücklich keine erhebliche Beeinträchtigungswirkung zugeschrieben. Die seinerzeitigen Brutvorkommen befanden sich in deutlicher Distanz zu den geplanten Standorten der WEA (vgl. Auszug aus Umweltverträglichkeitsstufe Windparks ... vom 18. August 2005, Bl. 113 ff. GA). Durch die diesjährige Anlage einer Brutstätte der Wiesenweihe in nur 50 m Entfernung zur WEA Nr. 13 hat sich die Beeinträchtigungswirkung nachträglich erheblich verändert. Der Betrieb der WEA in solch unmittelbarer Nähe der Brutstätte der Wiesenweihen erhöht entgegen der Auffassung der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls das Tötungsrisiko der Wiesenweihen in signifikanter Weise und führt damit zu einem Verstoß gegen das Tötungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) und das Störungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG), an deren Einhaltung ein gewichtiges öffentliches Interesse besteht.

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Gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wildlebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzten oder zu töten oder ihre Entwicklungsform aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Die hier relevanten Wiesenweihen gehören unstreitig zu der danach geschützten Gruppe. So handelt es sich um eine streng geschützte Art gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 14 lit. a BNatSchG i. V. m. dem Anhang A der Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wild lebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels i. V. m. der Verordnung Nr. 709/2010 der Kommission vom 22. Juli 2010 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 338/97. Der Haltungszustand in Niedersachsen wird als "ungünstig" bewertet. In Niedersachsen beträgt der aktuelle Brutbestand etwa 100 Brutpaare. In der Roten Liste Deutschland und Niedersachsen wird der Gefährdungsgrad mit "2 - Stark gefährdet" eingestuft.

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Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beurteilt sich die Verletzung des Tötungsverbots infolge der Errichtung von Windenergieanlagen danach, ob das Tötungsrisiko für die lokale Population signifikant erhöht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2008 - 9 A 3.06 -, NuR 2008, 633, Rn. 219; Nds. OVG, Beschluss vom 18. April 2011 - 12 ME 274/10 - VG Minden, Urteil vom 10. März 2010 - 11 K 53/09 - <[...]> Rn. 69 ff. m. w. N.). Bei der damit maßgeblichen Frage, ob eine lokale Population einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgesetzt ist, ist auf die Ergebnisse der den konkreten Standort betreffenden naturschutzfachlichen Erhebungen einerseits und das allgemeine Gefährdungspotenzial solcher Anlagen mit Blick auf die spezifischen Arten andererseits abzustellen (vgl. OVG NW, Urteil vom 30. Juli 2009 - 8 A 2357/08 - <[...]>); mithin kommt es sehr auf die Umstände des Einzelfalls und die jeweilige Tierart an. Schlüsse aus gerichtlichen Entscheidungen zu anderen Vogelarten lassen sich nicht ohne Weiteres ziehen.

9

Ob auch bei nachträglichen Anordnungen ebenso wie im Bereich der Planungen und Genehmigungen der zuständigen Behörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuerkannt und die gerichtliche Prüfung auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt werden muss (BVerwG a.a.O.; Nds. OVG a.a.O.), weil zur fachgerechten Beurteilung dieser Frage ornithologische Kriterien maßgeblich sind, die zu treffende Entscheidung prognostische Elemente enthält und überdies naturschutzfachlich allgemein anerkannte standardisierte Maßstäbe und rechenhaft handhabbare Verfahren fehlen, mag im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes dahinstehen. Denn jedenfalls für den hier zu entscheidenden Einzelfall ist die Kammer der Überzeugung, dass sich aufgrund der standort- und artenspezifischen Besonderheiten eine signifikante Erhöhung des Erfolgseintritts feststellen lässt. Jedenfalls hier kommt dem Brutpaar der Wiesenweihe als bedeutsame Reproduktionseinheit für den lokalen Bestand eine zentrale Bedeutung zu. Dies hat der Antragsgegner in hinreichend belastbarer Weise dargestellt.

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Der Antragsgegner hat hierzu nicht nur im Bescheid den besonderen Stellenwert der Wiesenweihe im Artenschutzrecht, sowie speziell in Niedersachsen und insbesondere auch in seinem Zuständigkeitsbereich herausgestellt. Hierzu verweist er insbesondere auf die vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz - NLWKN - herausgegebenen Vollzugshinweise zum Schutz von Brutvogelarten in Niedersachsen (Stand: Januar 2010, Teil 2: Wertbestimmende Brutvogelarten der EU-Vogelschutzgebiete mit Priorität für Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen, vgl. Bl. 130 ff.). Dort wird der Erhaltungszustand der Wiesenweihe in Niedersachsen als "ungünstig" bewertet. Das Erhaltungsziel ist laut der niedersächsischen Strategie zum Arten- und Biotopschutz die Erhaltung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes des Lebensraumes und die Aufrechterhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung einer stabilen, sich langfristig selbsttragenden Population innerhalb des ursprünglichen Verbreitungsgebietes der Art. Hieraus ergibt sich - bezogen auf die niedersächsische Brutvogelpopulation - das Ziel einer deutlichen Erhöhung des niedersächsischen Brutbestandes zur Stabilisierung der Population mit mindestens 200 Brutpaaren (a.a.O. Seite 133 GA). Der derzeitige Brutbestand in Niedersachsen bewegt sich bei etwa 100 Brutpaaren und ist somit stark defizitär. Davon leben etwa 30 - 40 Brutpaare in den ostfriesischen Marschen. Demzufolge kommt jedem einzelnen Individuum als Reproduktionseinheit eine zentrale Bedeutung zu. In solchen Fällen wird man nach der Signifikanz-Formel nicht notwendig eine außerordentliche Gefahr für eine Vielzahl von Individuen einer Art fordern müssen. Hierbei kommt - neben einigen anderen Landkreisen - auch dem Gebiet des Antragsgegners zentrale Bedeutung zu. Auf Bestandgrößen in anderen Staaten - etwa größere Vorkommen im außereuropäischen Raum - kommt es in diesem Zusammenhang hingegen nicht an.

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Der Antragsgegner hat ferner im Bescheid und ergänzend im gerichtlichen Verfahren hinreichend glaubhaft gemacht, dass sich infolge artspezifischer Besonderheiten das Kollisionsrisiko für brütende Wiesenweihen in unmittelbarer Umgebung von WEA stark erhöht und - ebenfalls bedingt durch artspezifische Verhaltensmuster - die lokale Population gefährdet wird, auch wenn das Schlagrisiko für diese Vogelart wissenschaftlich noch nicht abschließend untersucht sein dürfte. Denn es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit und damit eine gegenwärtige erhebliche Gefahr, dass Wiesenweihen durch in unmittelbarer Nähe zu ihrer Brutstätte stehende WEA - infolge direkter Kollisionen mit den Rotorblättern oder infolge eines sogenannten Barotraumas der Lungen, verursacht durch den plötzlichen Druckabfall am Rotorblatt - zu Tode kommen. Da es sich um paartreue Tiere handelt, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Brut schon bei Verlust eines Elternteils im Überleben gefährdet ist. Dies wird auch nicht durch die Erkenntnis in Frage gestellt, das vereinzelt Bruten trotz des Verlustes eines Elternteil erfolgreich waren (so 2010 im benachbarten Windpark ..., vgl. Planungsgruppe grün, Gutachterliche Stellungnahme zum Risiko der Wiesenweihe im Winkpark ..., S. 187 ff. GA). Wiesenweihen zeigen zwar tendenziell wenig Meidungsverhalten gegenüber Windparks, sondern siedeln sich häufig in Nähe zu den Anlagen an. Während sie im weiteren Abstand zu ihren Nestern überwiegend in Flughöhen unterhalb der Rotoranlagen (ca. 20 m) jagen, erhöht sich aber in zunehmender Nähe zum Nest das Kollisionsrisiko infolge eines besonderen Flug-, Balz- und Beuteübergabeverhaltens. Die Kollisionskritischen Flughöhen (höher als 20 m) mit den charakteristischen Flug-Verhaltensmustern "Kreisen", "Balzflug" und "Beuteübergaben" finden zumindest zu 50 % im unmittelbaren Umfeld des Nestes statt. Dementsprechend wurden auch Schlagopfer gefunden bzw. Beinahe-Kollisionen dokumentiert.

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Dies erschließt sich einerseits aus den Daten der zentralen Funddatei der Staatlichen Vogelschutzwarte im Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg, wo bundesweit alle Todfunddaten erfasst werden (Stand: 19. Januar 2011, Bl. 124 ff. GA und http://www.mugv.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.237952.de). Dort werden derzeit 2 WEA-Schlagopfer der Wiesenweihe dokumentiert. Der eine Vogelschlag bezieht sich auf eine am 16. Mai 2010 in unmittelbarer Nähe einer WEA des gleichen Typs Enercon E-70 im benachbarten Windpark ... gefundene männliche adulte Wiesenweihe. Diese hatte nach dem Untersuchungsbericht des ... ... vom 10. Juni 2010 (Bl. 127 f. GA) mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Barotrauma infolge Luftdruckabfalls in Rotornähe erlitten. Ferner ist im Internet eine Filmaufnahme von einer Beinahkollision einer Wiesenweihe mit einem Rotor am 18. Mai 2010 dokumentiert. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verbieten sich insoweit Parallelbetrachtungen der Todfunde von Wiesenweihen einerseits und Sehadler/Rotmilan andererseits. Denn Sehadler (rund 500 Brutpaare) insbesondere Rotmilan (10.000 bis 14.000 Brutpaare) kommen in deutlich größerer Individuenzahl und - beim Rotmilan - in einer flächenmäßig weitaus breiteren Dispersion in dem Bundesgebiet vor (vgl. http://www.dda-web.de/index.php?cat=service&supcat=vid). Ferner unterscheiden sich Flugweise, Balz- und Jagdverhalten deutlich. Für die bundesweit tendenziell geringe Zahl der Wiesenweihen kommt somit selbst der relativ geringen Anzahl von WEA-Schlagopfern eine besondere Aussagekraft hinzu. Diese lässt sich auch nicht mit dem Hinweis darauf entkräften, dass die bundesdeutschen Bestände der Wiesenweihen trotz einer großen Anzahl von WEA und häufigen Nistens in unmittelbarer Nähe zu Anlagen eher zugenommen haben. Schließlich gehen die Erkenntnisse auf das vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit initiierte Forschungsvorhaben "Greifvögel und Windkraft/Teilprojekt Wiesenweihe - Telemetrische Untersuchungen" unter der Federführung des beauftragten Fachbüros ... - Projektleiter ... zurück (vgl. Folienpräsentation Bl. 137 ff. GA), welches das besonderen Flug-, Balz- und Beuteübergabeverhalten der Wiesenweihe in unmittelbarer Nestnähe belegt. Dessen Projektleiter ........ hat nach glaubhaftem Vorbringen den Mitarbeitern des Antragsgegners gegenüber das hier zu überprüfende Vorgehen aus seiner Sicht als sachgerecht eingestuft. Die Schlüsse aus den weitgehend gleichen Grundlagen des von der Antragstellerin beauftragten Gutachters (Planungsgruppe grün, Gutachterliche Stellungnahme zum Risiko der Wiesenweihe im Windpark ......, Bl. 187 ff. GA) stehen dem nicht entgegen.

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Aus den vorstehenden Erwägungen folgt zudem, dass auch das Störungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG verletzt wird. Nach der genannten Vorschrift ist es verboten, wild lebende Tiere der streng geschützten Arten während der Fortpflanzung-, Aufzucht, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderzeiten erheblich zu stören (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG). Eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 BNatSchG). Anders als die Antragstellerin meint, schützt das Verbot nicht nur vor Handlungen und Maßnahmen des Vergrämens (Vertreibens aus einem bestimmten Gebiet) geschützter Vogelarten, sondern auch vor anderen Gefährdungen der lokalen Population durch unmittelbare Einwirkung auf die geschützten Arten. Im Übrigen würde auch allein der Verstoß gegen das Tötungsverbot die angefochtene Verfügung tragen.

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Die im Bescheid angesprochenen Erwägungen tragen auch - wie die Antragserwiderung zeigt - die Annahme der weiteren Voraussetzungen für einen Teilwiderruf der bestandskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG, so dass durchaus Raum für eine Umdeutung nach § 47 VwVfG besteht. Anders als die Antragstellerin meint, bestehen wegen der im Vordergrund stehenden artenschutzrechtlichen Verbote auf Tatbestandsebene keine gravierenden Unterschiede, die von vornherein auf Ermessensfehler hindeuten.

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Die verfügte zeitweise Betriebseinschränkung erweist sich auch als verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei. Die Einschränkungen des Tagesbetriebs (4.00 bis 22.00 Uhr) in der Zeit vom 21. Mai bis 1. August 2011 sind geeignet, die Gefahren einer Kollision oder eines Barotraumas für die Wiesenweihen abzuwenden und damit die Einhaltung der oben angesprochenen Verbotstatbestände des § 44 BNatSchG sicher zu stellen. Die Maßnahme ist auch erforderlich, weil ein gleich geeignetes Mittel zur Zielerreichung, welches die Antragstellerin weniger beeinträchtigen würde, vom Antragsgegner zutreffend verneint wurde. Bei der Vogelschlag-Problematik grundsätzlich zu bedenkende konfliktvermeidende oder -mindernde Maßnahmen wären hier nicht gleich geeignet, da sie den Überlebensschutz der unmittelbar und gegenwärtig bedrohten Wiesenweihen nicht in gleicher Weise gewährleisten würden. Dies gilt sowohl für ein etwa im Wege der Auflage aufzugebendes Monitoring mit dem Ziel, für künftige Fälle ein höheres fachliches Erkenntnisniveau zu erlangen, als auch für Ausgleichsmaßnahmen etwa in Form einer Umgestaltung der Umgebung mit dem Ziel, weiter von der WEA entfernte Flächen als Brutstätten attraktiv zu machen. Im Übrigen hat der Antragsgegner die Betriebseinschränkungen bereits auf diejenige WEA beschränkt, von deren Betrieb eine signifikante Erhöhung des Kollisionsrisikos ausgeht, weil diese sich in unmittelbarer Nähe der Brutstätte befindet. Außerdem wurde die Abschaltung nur für dieses Jahr und nur für den Brutzeitraum von Mai bis August sowie nur für die Zeiten ausgesprochen, an denen die tagaktiven Wiesenweihen regelmäßig aktiv sind. Eine fachkundig veranlasste räumliche Verlegung des Nestes scheidet als Alternative ebenso aus, weil nach fachlicher Einschätzung die Akzeptanz des Brutpaares bei einer solcher Maßnahmen nur hinsichtlich kleinräumiger Verlegungen zur erwarten ist.

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Schließlich erweist sich die Betriebseinschränkung als angemessen, weil sie nicht in erkennbarem Missverhältnis zum angestrebten Erfolg steht. Insoweit hat der Antragsgegner die maßgeblichen Belange vollständig gesehen und in vertretbarer Weise abgewogen, keineswegs die Legalisierungswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung missachtet, sondern im Hinblick auf nachträglich eingetretene Umstände den ursprünglich genehmigten Betrieb vertretbar zeitweise eingeschränkt. Insbesondere hat er die damit verbundenen bedeutsamen Einnahmeverluste der Antragstellerin in die Abwägung eingestellt. Diese durfte er auf die diesjährigen Ertragsausfälle begrenzen. Obwohl Wiesenweihen sich ortstreu verhalten, lässt sich nicht mit Sicherheit annehmen, dass sie in nachfolgenden Jahren einen vergleichbar nahe gelegenen Nistplatz zur WEA wählen. Möglicherweise lässt sich dies durch Gestaltungsmaßnahmen der angrenzenden Umgebung auch verhaltenssteuernd beeinflussen. Ebenso wenig ist hinreichend sicher, ob der Antragsgegner bei erneuter Abwägung unter ggf. erweiterten Erkenntnissen zur Gefährdungslage wiederum eine vergleichbare Betriebseinschränkung gerade gegen die Antragstellerin verfügt. Zutreffend ist ebenso die im gerichtlichen Verfahren ergänzte Erwägung, dass die Antragstellerin - sofern die Betriebseinschränkung als Teilwiderruf zu werten wäre - ggf. die Entschädigung eines erlittenen Vermögensnachteils nach § 21 Abs. 4 BImSchG beanspruchen könnte, soweit sie schutzwürdig auf den uneingeschränkten Bestand der Genehmigung vertrauen durfte. Diesen wirtschaftlichen Interessen hat der Antragsgegner das öffentliche Interesse an einem wirksamen Artenschutz mit dem von Gesetzes wegen und bezogen auf den Gefährdungsgrad der geschützten Art im zu betrachtenden Gebiet zukommenden Gewicht gegenüber gestellt. Konkreten Anlass, im Rahmen dieser Abwägung über naturschutzrechtliche Ausnahmen (§ 45 BNatSchG) oder Befreiungen (§ 67 Abs. 2 BNatSchG) nachzudenken, hatte er nicht. Es ist auch nicht dargetan noch sonst ersichtlich, dass in dem zu betrachtenden Gebiet andere Schutzmaßnahmen möglich wären, die die Erhaltung der lokalen Population der Wiesenweihen - etwa bei Neugenehmigungen von Windkraftanlagen - in gleicher Weise sicherstellen könnten und denen der Vorrang gegenüber dem Eingriff gegen die Antragstellerin einzuräumen wäre.

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Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen zur voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung trägt auch eine gerichtliche Interessenabwägung die hier getroffene Entscheidung. Während der lokalen Population von Wiesenweihen im Falle einer Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Betriebseinschränkung durch Tod eines oder beider Elterntiere und Ausfall der Brut irreversible Schäden drohen könnten, lassen sich wirtschaftliche Schäden der Antragstellerin durch zeitweise Ertragsausfälle auch bei anderweitigem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ggf. wieder ausgleichen.