Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 20.05.2011, Az.: 7 B 1107/11

Rechtmäßigkeit eines Vermarktungsverbots nach Art. 8 Abs. 5 VO 543/2008/EG von "Hähnchenbrustfiletstücken" mit fehlendem innerem Brustmuskel

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
20.05.2011
Aktenzeichen
7 B 1107/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 42050
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2011:0520.7B1107.11.0A

Fundstelle

  • LMuR 2011, 92

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

    Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  2. 2.

    Der Streitwert wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1.

1

Der nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO zu beurteilende Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der am 10. Mai 2011 erhobenen Klage (Az.: 7 A 1106/11) der Antragstellerin, soweit sie mit dieser Klage die Aufhebung des Bescheides des Antragsgegners vom 9. Mai 2011 begehrt, ist unbegründet.

2

Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat eine Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch, wenn die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in einer - wie hier auf der Seite 3 des angegriffenen Bescheides - den gesetzlichen Anforderungen gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Art und Weise die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung im öffentlichen Interesse angeordnet hat. Die Antragstellerin vermag mit ihren Einwänden gegen die Begründung des Antragsgegners, hier die sofortige Vollziehbarkeit der Verfügungen zu I. und II. in dem angefochtenen Bescheid anzuordnen, nicht durchzudringen. Der Antragsgegner hat in Abwägung der widerstreitenden Interessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung seiner Verfügungen bejaht. Dass es sich hierbei offenbar um eine formularmäßig vorformulierte Begründung ohne besondere Individualisierung für den konkreten Einzelfall handelt, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Bei gleichartigen Tatbeständen können allerdings auch gleiche oder typisierte Begründungen ausreichen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage, § 80 Rn. 85). Bei dem Vermarktungsverbot nach Art. 8 Abs. 5 der "Verordnung (EG) Nr. 543/2008 der Kommission vom 16. Juni 2008 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates hinsichtlich der Vermarktungsnormen für Geflügelfleisch" - EGV Nr. 543/2008 - ist die zu beurteilende Interessenkonstellation in der großen Mehrzahl der Fälle vergleichbar gelagert: In diesen Fällen ist stets das Interesse am ungehinderten Vollzug von Gemeinschaftsrecht sowie der Schutz der Verbraucher vor Irreführung mit dem Interesse des Betroffenen abzuwägen, bis zur Hauptsacheentscheidung seine Produkte wie bislang in den Verkehr zu bringen. In solchen Fällen ist es nicht zwingend geboten, eine ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zugeschnittene Begründung zu geben. Gerade dann, wenn immer wiederkehrende Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde darauf beschränken, die für diese Fallgruppe typische Interessenlage zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass nach Auffassung der Behörde diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 14. Februar 2006 - 11 CS 05.1504 - zitiert nach [...]; sowie BayVGH, Beschluss vom 4. Januar 2006 - 11 CS 05.1878 - zitiert nach [...]).

3

Für den Erfolg eines Antrages nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist entscheidend, ob das private Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bewerten ist. Bei dieser Interessenabwägung sind mit der im vorläufigen Verfahren gebotenen Zurückhaltung auch die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen jedes denkbare öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.

4

Hier wird die Klage, soweit mit ihr die Aufhebung des Bescheides des Antragsgegners vom 9. Mai 2011 begehrt wird, voraussichtlich keinen Erfolg haben. Nach summarischer Prüfung spricht Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners.

5

Die Antragstellerin kann die Aufhebung des Bescheides aller Voraussicht nach nicht deshalb verlangen, weil sie vor dem Erlass des Bescheides - soweit ersichtlich - nicht im Sinne von § 28 VwVfG angehört worden ist. Zu einen spricht aufgrund des bekannten Sachverhaltes Einiges dafür, dass die Anhörung im hier zu entscheidenden Einzelfall ausnahmsweise gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG entbehrlich war. Zum anderen ist hier die Vorschrift des § 46 VwVfG zu berücksichtigen. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. So dürfte der Fall hier liegen, da es sich bei der Entscheidung des Antragsgegners, ein Vermarktungsverbot anzuordnen, um eine gebundene - und damit rechtlich alternativlose - Entscheidung handelte (Art. 8 Abs. 5 EGV Nr. 543/2008: "... so verbietet die Kontrollstelle die Vermarktung...").

6

Der Bescheid ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 37 Abs. 1 VwVfG. Zwar benennt der Bescheid nicht ausdrücklich die konkrete Bezeichnung des von dem Vermarktungsverbot betroffenen Produkts. Gleichwohl ermöglichen die Angaben in dem Bescheid (und seiner Anlage Nr. 1) die zweifelsfreie Bestimmung der fraglichen Produkte. Der Bescheid benennt die Betriebsstätte, in der die Packungen aufgefunden wurden, die Anzahl der Verpackungen, das Mindesthaltbarkeitsdatum, die Handelsklasse, die Kennnummer und die Chargennummer. Aus den Ausführungen der Antrags- und Klagebegründung lässt sich zudem schließen, dass der Antragstellerin positiv bekannt ist, welche Produkte von dem Vermarktungsverbot umfasst sind.

7

Rechtsgrundlage für das von dem Antragsgegner unter dem Tenor zu I. ausgesprochene Vermarktungsverbot ist Art. 8 Abs. 5 EGV Nr. 543/2008. Danach verbietet die Kontrollstelle die Vermarktung bzw. die Einfuhr aus einem Drittland, wenn das geprüfte Los als nicht konform angesehen wird, sofern nicht bzw. solange bis der Beleg beigebracht ist, dass Konformität mit den Vorschriften der Artikel 1 und 7 nachträglich erzielt worden ist.

8

Der Antragsgegner hat das gesperrte Los zu Recht als nicht konform mit den Vorschriften der EGV Nr. 543/2008 angesehen und daher folgerichtig die Vermarktung bis auf Weiteres verboten. Die Antragstellerin vermarktet ihr hier beanstandetes Produkt unter der Bezeichnung "...., Handelsklasse A, zum Braten, frisch". Hierbei handelt es sich um kalibrierte Packungen mit einem Gewicht von jeweils 600g. Eine Packung enthält 4 bis 5 "Hähnchenbrustfilets". Bei der Überprüfung der Partie dieses Produkts mit der Chargennummer L0910:06 durch den Antragsgegner wurde festgestellt, dass bei 103 von insgesamt 200 überprüften "Hähnchenbrustfilets" das "Innenfilet", d.h. der innere Brustmuskel, nicht vorhanden war. Die Anzahl der aus dem 832 Packungen umfassenden Los stichprobenartig überprüften Packungen (50 Packungen à vier Fleischstücke) entspricht dabei dem in Art. 8 Abs. 2 EGV Nr. 543/2008 vorgegebenem Umfang. All dies ist zwischen den Beteiligten in tatsächlicher Hinsicht unstreitig.

9

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin entspricht die Vermarktung eines solches Fleischstückes ohne den inneren Brustmuskel unter der Bezeichnung "Hähnchenbrustfilet" nicht den Vorgaben des Art. 1 EGV Nr. 543/2008 und ist daher nonkonform.

10

Der Begriff "Brustfilet" ist in Art. 1 Nr. 2 lit. k EGV Nr. 543/2008 legal definiert. Danach ist ein (Geflügel-)Brustfilet die "ganze oder halbe entbeinte Brust, d.h. ohne Brustbein und Rippen. Bei Putenbrust darf das Filet auch ausschließlich aus innerem Brustmuskel (pectoralis profundus) bestehen."

11

Diese Vorschrift bezweckt, dass als "Brustfilet" grds. nur unzerschnittene Stücke bezeichnet werden dürfen. Ein Zuschnitt kommt lediglich in Form der "Halbierung" in Betracht, während das zerschnitte und ggf. wieder zusammengesetzte Stück nicht mehr als Brustfilet vermarktet werden darf. Ein anderer als der ausdrücklich zugelassene Zuschnitt unterfällt nicht dem Begriff des Brustfilets (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 22. Dezember 2009 7 A 3292/08 -). Die Brust besteht - wie die Antragstellerin in ihrer Antragsbegründung zutreffend ausführt - aus zwei miteinander verbunden Muskelstücken, dem äußeren und dem inneren Brustmuskel. Unter der "halben Brust" im Sinne der Legaldefinition ist die entlang des Verlaufs des Brustbeins geteilte rechte oder linke Hälfte der Brustmuskulatur gemeint. Wird die Muskulatur in der Form getrennt, dass die äußere von der inneren Brustmuskulatur getrennt wird, so handelt es sich hierbei nicht um eine Halbierung im Sinne der Legaldefinition und damit nicht mehr um "Brustfilet". Dies ergibt sich aus einem Rückschluss aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Diese regelt in ihrem Satz 2, dass bei Putenbrust das Filet auch ausschließlich aus innerem Brustmuskel (pectoralis profundus) bestehen darf. Der Umstand, dass in Satz 2 ausdrücklich geregelt wurde, dass bei der Pute ausnahmsweise auch der innere Brustmuskel ohne den dazugehörigen äußeren Brustmuskel als Brustfilet bezeichnet werden darf, macht nur dann einen Sinn, wenn hiermit eine von Satz 1 abweichende Regelung getroffen werden sollte. Entstünden bei der Abtrennung des inneren vom inneren Brustmuskel ohnehin immer zwei Brustfilethälften, so wäre die Regelung des Satzes 2 überflüssig und irreführend, da der abgetrennte innere Brustmuskel als "halbe Brust" ohnehin unter der Bezeichnung "Brustfilet" vermarktet werden dürfte. Aus der Formulierung des Satzes 2 lässt sich weiter schließen, dass ein Brustfilet in keinem Fall ausschließlich aus dem äußeren Brustmuskel bestehen darf. Der Satz 2 trifft eine besondere Ausnahmeregelung für die Verwendung des inneren Brustmuskels. Gestattet ist danach die Verwendung des isolierten inneren Brustmuskels nur bei der Pute. Die isolierte Verwendung des äußeren Brustmuskels als Filet ist danach auch bei der Pute nicht gestattet. Andernfalls wäre dies in der Vorschrift ausdrücklich zugelassen. Bei der Pute gestattet das Gemeinschaftsrecht die gegenüber anderen Geflügelsorten erweiternde Verwendungs- und Bezeichnungsmöglichkeiten. Jedoch ist selbst hier die Bezeichnung eines isolierten äußeren Brustmuskels als Brustfilet nicht gestattet. Folglich muss dies erst recht bei anderen Geflügelsorten gelten.

12

Soweit die Antragstellerin vorträgt, die Verwendung der Bezeichnung "Brustfilet" für das streitgegenständliche Produkt entspreche der Erwartung der Verbraucher, so vermag dies ihrem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob es zutrifft, dass der Verbraucher bei einem als "Brustfilet" bezeichneten Produkt lediglich das Vorhandensein des äußeren Brustmuskels erwartet, da die Eingriffsermächtigung des Art. 8 Abs. 5 EGV Nr. 543/2008 nicht etwa eine konkrete oder abstrakte Irreführung des Verbrauchers voraussetzt, sondern lediglich die Nonkonformität des Produktes mit den in Art. 1 legal definierten Begriffen. Aus diesem Grund sind auch die weiteren Ausführungen der Antragstellerin zur Entwicklung der Größe von Hühnern unerheblich.

13

Die gemäß Art. 8 Abs. 2 und 3 EGV Nr. 543/2008 zulässige Fehlertoleranz bei der stichprobenartigen Überprüfung der Charge wurde (wie erforderlich) überschritten.

14

Das unter II. verfügte Verbringungsverbot ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Gericht kann hierbei offen lassen, ob dieses Verbot seine rechtliche Grundlage als Bestandteil des Verbringungsverbotes in Art. 8 Abs. 5 EGV Nr. 543/2008 findet, da ein solches Verbringungsverbot zur Durchsetzung des Vermarktungsverbot jedenfalls aufgrund von § 39 Abs. 1 und 2 Satz 1 LFGB angeordnet werden durfte.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

2.

16

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Die Antragstellerin gibt den Wert der vom Vermarktungsverbot betroffenen Ware mit 2.500,00 Euro an. Da im vorliegenden Eilverfahren lediglich eine vorläufige Regelung getroffen wird, ist der Wert nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren.