Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 06.05.2019, Az.: L 16 KR 121/19 B ER

Vorläufige Kostenübernahme einer extrakorporalen Lipid-Apherese-Therapie; Abwägung widerstreitender Interessen; Grundsätzliche Leistungsgewährung bei der Gefahr irreparabler Folgen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
06.05.2019
Aktenzeichen
L 16 KR 121/19 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 41492
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - AZ: S 31 KR 18/19 ER

Redaktioneller Leitsatz

1. Für einen Anordnungsanspruch in Eilverfahren, in denen Leistungsansprüche eines Versicherten gegen eine gesetzliche Krankenkasse streitig sind, ist eine lediglich summarische Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren nicht ausreichend.

2. Besteht die Gefahr, dass die dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu Grunde liegende Beeinträchtigung des Lebens, der Gesundheit oder der körperlichen Unversehrtheit des Versicherten sich jederzeit verwirklichen kann, sind zeitraubende Ermittlungen wie medizinische Begutachtungen nicht angezeigt, sondern es muss eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen werden.

3. Bei Gefahr des Todes oder bei schweren oder irreversiblen gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens sind die begehrten Leistungen regelmäßig zu gewähren.

Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 1. März 2019 wird aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird vorläufig unter dem Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, den Antragsteller mit einer extrakorporalen Lipid-Apherese längstens bis zum 20. August 2019 zu versorgen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers beider Rechtszüge zu erstatten.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die vorläufige Kostenübernahme einer extrakorporalen Lipid-Apherese-Therapie im Rahmen einer einstweiligen Anordnung.

Der am G. geborenen Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Er ist selbstständiger Schlosser. Bei ihm besteht ein Zustand nach multiplen Hirninfarkten im Mediastromgebiet rechts 06/2016, Mediainfarkt mit Hemiparese links 09/2017, ein hereditärerer Faktor-V-Mangel, arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie und Lp(a) Lipoproteinämmie (Bericht der Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie Dr H. vom 9. Januar 2019).

Die behandelnde Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie Dr H. stellte am 18. Juni 2018 bei der zuständigen Apherese-Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) einen Antrag zur Durchführung der Apherese unter Angabe der Laborwerte. Dies zeigte die KVN der Antragsgegnerin am 6. Juli 2018 an. Mit Schreiben vom 16. Juli 2018 wandte sich Dr H. an die Antragsgegnerin, zeigte an, dass ein Antrag auf Durchführung der Lipid-Apherese gestellt wurde und bat um Kostenübernahme und entsprechende Information an ihre Praxis in I ... Unter dem 21. August 2018 stellte die Apherese-Kommission bei der KVN unter dem Patientenpseudonym MIISM928 die Indikation zur Apherese und befürwortete die Behandlung und Durchführung.

Die Antragsgegnerin holte mit Schreiben vom 29. August 2018 eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) ein und teilte dem Antragsteller am selben Tag mit, dass sie verpflichtet sei, den MDK einzubinden. Dadurch verzögere sich die Bearbeitungszeit des Antrages. Mit Schreiben vom 10. und 20. September, 2., 12. und 24. Oktober 2018 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass die Stellungnahme des MDK noch nicht vorliege, bat um Geduld und benannte jeweils einen konkreten Zeitpunkt, bis zu dem sie entscheiden und den Antragsteller informieren werde (zuletzt: spätestens 8. November 2018). Der MDK erstellte am 2. November 2018 ein Gutachten. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. November 2018 ab. Der MDK sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Eine Indikation über arteriosklerotisch begründete Insulte liege nicht vor. Aufgrund des hohen LDL-Wertes sei kein therapierefraktärer Verlauf nach MVV-Richtlinie ersichtlich.

Hiergegen legte der Antragsteller am 17. Dezember 2018 Widerspruch ein. Er leide an einer Hyperlipoproteinämie (a), die weder medikamentös noch diätisch behandelbar sei. Es liege ein Fall der Genehmigungsfiktion des § 13 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) vor. Der Bescheid datiere vom 26. November 2018, der Antrag vom 5. Juli 2018.

Am 22. Januar 2019 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig gestellt. Die Indikation der Apherese bestehe zweifellos. Der Antragsteller befinde sich ohne diese in einem lebensbedrohten Zustand. Darüber hinaus seien die Vorgaben der Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs 3 a SGB V erfüllt. Sämtliche Fristen seien nicht eingehalten worden. Die Antragsgegnerin habe sich über 21 Wochen Zeit gelassen, um auf den Antrag vom 5. Juli 2018 zu reagieren. Der Anordnungsanspruch sei durch das positive Votum der zuständigen Apherese-Kommission glaubhaft gemacht worden. Es liege eine besondere Eilbedürftigkeit vor, da das Leben des Antragstellers ohne die Apherese bedroht sei.

Das SG hat vom Antragsteller Auskünfte zu seinen finanziellen Verhältnissen eingeholt. Die Antragsgegnerin hat eine Stellungnahme des MDK vom 14. Februar 2019 vorgelegt.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 1. März 2019 zurückgewiesen. Der Antragsteller habe keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es sei auch glaubhaft zu machen, dass er die Kosten für die Behandlung nicht aus eigenem Vermögen und Einkommen tragen könne. Die Apherese-Kommission habe bereits am 21. August 2018 die Behandlung des Antragstellers befürwortet, sodass hier nur eine vorläufige Regelung bis dahin in Betracht komme, nunmehr noch für 24 Wochen. Nach Angaben des Antragstellers und der Antragsgegnerin lägen die Kosten bei einer 24-wöchigen Behandlung zwischen 24.000,00 EUR und 28.800,00 EUR. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, über welches Einkommen und Vermögen er verfüge und welchen finanziellen Belastungen er ausgesetzt sei. Er verfüge über ein Geschäftskonto, das ein Guthaben von 46.413,22 EUR aufweise. Es fehle eine Glaubhaftmachung der Vermögenslage. Es könne nicht abschließend geprüft werden, ob der Antragsteller finanziell zumutbar in der Lage sei, die Apherese-Behandlung gegebenenfalls zunächst selbst zu bezahlen.

Gegen den Beschluss hat der Antragsteller am 30. März 2019 Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen erhoben und vorgetragen, dass er selbstständiger Schlosser sei, der über kein Privatvermögen verfüge. Auf seinem Geschäftskonto befinde sich ein Geldbetrag, der für seinen Geschäftsbetrieb eingesetzt werden müsse. Er sehe sich nicht in der Lage, seinen Betrieb zu gefährden, um die Kosten einer für ihn überlebensnotwendigen Therapie zu verauslagen. Die AOK Niedersachsen lehne Verfahren der Apherese ab, obwohl die zuständige Apherese-Kommission sie befürworte. Er sei schwersterkrankt und in seinem Leben bedroht. Vor diesem Hintergrund könne man nicht erwarten, dass er für eine Therapie, die von der Apherese-Kommission befürwortet werde, sein Geschäftsvermögen einsetze. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) soll durch die Versicherungsform auch einkommensschwachen Bevölkerungsteilen ein voller Krankenversicherungsschutz zu moderaten Beiträgen ermöglicht werden. Es bedürfe einer besonderen Rechtfertigung vor Artikel 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) iVm dem Sozialstaatsprinzip, wenn dem Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit, insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Krankheit vorenthalten werden solle. Da die gesetzliche Krankenversicherung Therapien im Wege der Sachleistung zur Verfügung stellen solle, sei es schon fraglich, ob ein gesetzlich Versicherter überhaupt dazu gezwungen werden könne, sein Sparguthaben einzusetzen, wenn die gesetzliche Krankenkasse eine Therapie versage, obwohl die gesetzlich vorgeschriebene Apherese-Kommission diese befürworte.

Der Antragsteller hat am 30. April 2019 eine Versicherung an Eides Statt vom 19. April 2019 vorgelegt, wonach er kein Vermögen besitze.

Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 1. März 2019 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kostenübernahme der regelmäßigen extrakorporalen Lipid-Apherese-Therapie mit sofortiger Wirkung für ein Jahr zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Beschluss des SG für zutreffend.

Mit Beschluss vom 11. März 2019 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers zurückgewiesen. Dagegen hat der Antragsteller nach seinem Vorbringen Klage erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden.

II.

Die gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und teilweise begründet. Der Antragsteller kann die vorläufige Kostenübernahme der begehrten Lipid-Apherese-Therapie bis zum 20. August 2019 von der Antragsgegnerin verlangen.

Nach § 86b Abs 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1 Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, also der Anspruch auf die begehrte Leistung, als auch ein Anordnungsgrund, dh eine besondere Eilbedürftigkeit bestehen. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm mit § 920 Zivilprozessordnung -ZPO-, vgl. Keller, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., 2017, Rdnr 16b mwN).

Allerdings dürfen sich die Sozialgerichte bei der Prüfung eines Anordnungsanspruchs in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, in denen Leistungsansprüche eines Versicherten gegen eine gesetzliche Krankenkasse streitig sind, nicht schlechthin auf die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren beschränken. Sind die Sozialgerichte mit einer Vielzahl von anhängigen Rechtsstreitigkeiten belastet oder besteht die Gefahr, dass die dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu Grunde liegende Beeinträchtigung des Lebens, der Gesundheit oder der körperlichen Unversehrtheit des Versicherten sich jederzeit verwirklichen kann, verbieten sich zeitraubende Ermittlungen wie medizinische Begutachtungen, die im Eilrechtsschutz regelhaft nicht stattfinden. In diesem Fall hat sich die Entscheidung an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu orientieren. Dabei ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) eine Folgenabwägung vorzunehmen, bei der die Erwägung, wie die Entscheidung in der Hauptsache ausfallen wird, regelmäßig außer Betracht zu bleiben hat. Abzuwägen sind stattdessen die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, obwohl dem Versicherten die streitbefangene Leistung zusteht, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl er hierauf keinen Anspruch hat. Dabei ist insbesondere die in Art 2 Abs 2 GG durch den Verfassungsgeber getroffene objektive Wertentscheidung zu berücksichtigen. Danach haben alle staatlichen Organe die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit zu stellen. Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren bedeutet dies, dass die Sozialgerichte die Grundrechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen haben, ohne dabei die verfassungsrechtlich besonders geschützte finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl BVerfG 68, 193 (218)) aus den Augen zu verlieren. Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens stirbt oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren. Besteht die Beeinträchtigung des Versicherten dagegen im Wesentlichen nur darin, dass er die begehrte Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erhält, ohne dass sie dadurch für ihn grundsätzlich an Wert verliert, weil die Beeinträchtigung der in Art 2 Abs 2 Satz 1 GG genannten Rechtsgüter durch eine spätere Leistungsgewährung beseitigt werden kann, dürfen die Sozialgerichte die begehrte Leistung im Rahmen der Folgenabwägung versagen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. November 2014 - L 9 KR 323/14 B ER unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Antragsteller bei einer Folgenabwägung ein Anspruch auf vorläufige Versorgung mit der begehrten Lipid-Apherese bis zum 20. August 2019 zu.

Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, die insbesondere die ärztliche Behandlung umfasst (Satz 2 Nr 1). Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V zu Lasten der Krankenkasse nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinischer Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit unter genau festgelegten Prämissen. Dies ist in der Anlage I Nr 1 der Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung des Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung ( Method-RL) idF vom 17. Januar 2006, zuletzt geändert am 18. Oktober 2018 (veröffentlicht im BAnz AT 16. Januar 2019 B5), in Kraft getreten am 17. Januar 2019, geschehen.

In § 3 der Anlage I "Anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" "1. Ambulante Durchführung der Apheresen als extrakorporales Hämotherapieverfahren" (Apherese-Richtlinie) sind die möglichen Indikationen einer LDL-Apherese bei Hypercholesterinämie aufgeführt. Nach Abs 1 können LDL-Apheresen bei Hypercholesterinämie nur durchgeführt werden bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie in homozygoter Ausprägung. Alternativ ist eine Behandlung bei schwerer Hypercholesterinämie möglich, wenn mit einer über 12 Monate dokumentierten maximalen diätischen und medikamentösen Therapie das LDL-Cholesterin nicht ausreichend gesenkt werden kann. Im Vordergrund der Abwägung der Indikationsstellung soll das Gesamt-Risikoprofil des Patienten stehen. Nach § 3 Abs 2 können LDL-Apheresen bei isolierter Lp(a)- Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankung).

Ob diese Voraussetzungen in der Person des Antragstellers erfüllt sind, lässt sich im Eilverfahren nicht abschließend klären. Jedenfalls hat der Antragsteller im Eilverfahren einen Anordnungsanspruch, nämlich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs 2 der Apherese-Richtlinie, glaubhaft gemacht. Bei einer solchen Sachlage genügt es, wenn eine Gesundheitsstörung verbunden mit lebensbedrohlichen oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen der körperlichen Funktion vorliegt, auch wenn noch nicht das Stadium einer akuten Lebensgefahr oder akuten schwerwiegenden Gesundheitsschädigung erreicht ist (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. November 2007- L 24 B 588/07 KR ER).

Allerdings geht der MDK davon aus, dass bei dem Antragsteller eine progrediente kardiovaskuläre Erkrankung nicht nachgewiesen ist. Eine Arteriosklerose sei nicht belegt. Die Schlaganfälle seien aufgrund von Blutgerinnungsstörungen erfolgt, nicht jedoch erkennbar aufgrund von Gefäßveränderungen: Es liege eine APC-Resistenz auf dem Boden einer genetisch bedingten, allerdings heterozygoten, Gerinnungs-Faktor V Mutation vor. Zudem lägen positive Cardiolipin-Antikörper vor, das Lupus-Antikoagulans sei positiv. Die Gerinnungsstörungen könnten die beiden Insulte in kurzer Folge gut erklären. Es sei anlässlich des Insultes 09/2017 nicht geklärt, ob der Insult kardioembolisch bedingt gewesen sei, es sei dort auch keine hinreichende sonstige Differentialdiagnose betrieben worden. Es werde die Abklärung anderer Ursachen (Morbus Fabry, Möglichkeit gekreuzter Embolien), Suche nach intermittierendem Vorhofflimmern, TEE, eventuell auch der Einsatz eines Eventrecorders empfohlen.

Demgegenüber geht die behandelnde Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie Dr H. davon aus, dass bei dem Antragsteller eine zerebrovaskuläre Erkrankung mit rezidivierenden Ereignissen vorliegt. Der Antragsteller habe im Juni 2016 multiple Hirninfarkte im Mediastromgebiet rechts und im September 2017 einen erneuten Mediainfarkt mit Hemiparese links erlitten. Ausweislich der Berichte der behandelnden Ärztin vom 9. Januar 2019 und 22. Mai 2018 wurde bei dem Antragsteller eine deutlich pathologische Erhöhung des Lp(a) mit 234 nmol/l (vierfach pathologisch erhöht) und im 29. Januar von 204 festgestellt. Unter Atorvastatin 80 mg konnte die LDL-Cholesterinkonzentration abgesenkt werden (LDL-C 98 mg/dl) (Januar 2019: 78 mg/dl). Im arteriellen Stromgebiet sei Lipoprotein (a) ein isoliert kardiovasculärer Risikofaktor bei gleichzeitiger Fettstoffwechselstörung. Verschiedene genetisch determinierte Varianten könnten sowohl atherogen als auch thrombogen wirken und somit Ursache für arterielle Gefäßverschlüsse sein. Molekulargenetisch konnte die mit einer koronaren Herzerkrankung assoziierte Variante R10455872 des Lp(a) Gens in heterozygoter Form nachgewiesen werden. Ein durchgeführtes CT-Thorax habe eine geringe unter dem altersentsprechenden Referenzwert koronare Kalklast mit zwei Punkte Sklerosierungen im proximalen und mittleren RIVA-Segment ergeben, darüber hinaus Zeichen der leichten Randsklerose im Taschenrandapparat der Aortenklappe sowie eine leicht wandbetonte Atherosklerose im Bereich des Beckeneinstroms gezeigt. Im Bereich der hirnversorgenden Arterien hätten sich in der Duplexsonographie der hirnversorgenden Arterien in beiden Carotisbulbi Plaqueablagerungen sowie eine deutliche Verbreiterung von 2,2 mm in den ACC bds gezeigt. Im Vorhofflimmern-Screening mittels SAA-Analyse habe kein erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern gefunden werden können, eine transösophageale Echokardiographie sei unauffällig gewesen. Bei der Zusammenschau bei isolierter Lp(a) Erhöhung sowie nachgewiesener cerebro-vasculärer Erkrankung mit rezidivierenden Ereignissen bestehe die Indikation einer Apherese.

Nach den Berichten der behandelnden Ärztin liegt mithin eine isolierte grenzwertüberschreitende Lp(a) Erhöhung, ein LDL- Cholesterin im Normbereich und eine kardiovasculäre Erkrankung vor. Die Apherese-Richtlinien nennen unter kardiovasculärer Erkrankung beispielhaft koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheiten und zerebrovaskuläre Erkrankungen, wozu grundsätzlich auch Schlaganfälle gehören.

Dafür, dass bei dem Antragsteller eine der Voraussetzungen des § 3 der Apherese-Richtlinie erfüllt sind und für eine schwere Gesundheitsgefährdung des Antragstellers im Falle der Ablehnung einer Lipid-Apherese-Behandlung spricht überdies schon die Entscheidung der fachkundig besetzten Apherese-Kommission bei der KVN. Der Kommission wird zur Prüfung für jeden Einzelfall eine vollständige Dokumentation, deren inhaltliche Anforderungen in § 5 der Apherese-Richtlinie im Einzelnen geregelt sind, sowie eine ergänzende medizinische Beurteilung vorgelegt. Auf Grundlage der medizinischen Unterlagen hat die sachverständig besetzte Kommission im Falle des Antragstellers die Durchführung einer Apherese-Behandlung unter dem 21. August 2018 befürwortet.

Dem Anspruch des Antragstellers kann auch nicht entgegengehalten werden, dass - wie die Antragsgegnerin meint - das Verfahren zwischen der Antragsgegnerin und der Apherese-Kommission intransparent ist und aufgrund einer solchen Mitteilung eine von der Apherese-Kommission angenommene Leistungspflicht der Antragsgegnerin noch nicht einmal dem Grunde nach nachvollzogen werden könne. Nach § 6 der Apherese-Richtlinien richten die Kassenärztlichen Vereinigungen zur Beratung der Indikationsstellungen zur Apherese fachkundige Kommissionen ein, an denen je Kommission insgesamt zwei von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen benannte fachkundige Ärzte des MDK beratend teilnehmen. Das Verfahren ist in § 6 Abs 3 der Richtlinie geregelt, wonach die Kommission der leistungspflichtigen Krankenkasse Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und ihr zu bestätigen hat, dass die für ihre Entscheidung notwendigen Befunde vorgelegen haben. Über das Beratungsergebnis unterrichtet die Beratungskommission der KV die leistungspflichtige Krankenkasse unter Angabe des Pseudonyms. Die von der Antragsgegnerin geklagte Intransparenz in dem vom GBA gemäß § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V in der "Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung", die gemäß § 2 der Richtlinie, § 91 Abs 6 SGB V für die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Versicherten verbindlich ist, geregelten Verfahren, kann nicht zu Lasten des Antragstellers gehen.

Da ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist, kann hier dahinstehen, ob sich ein Anspruch des Antragstellers auf Versorgung mit der streitigen Behandlung bei Vorliegen einer befürwortenden Empfehlung der Apherese-Kommission bereits aus § 13 Abs 3 a SGB V ergibt. Dies wird das SG ggf im Hauptsacheverfahren zu prüfen haben. § 13 Abs 3 a SGB V lautet: Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in zahlreichen Entscheidungen entschieden, dass § 13 Abs 3 a SGB V auf Maßnahmen der Krankenbehandlung anwendbar ist, die der Versicherte für erforderlich halten darf und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung liegen (vgl. zuletzt BSG, Urteile vom 6. November 2018 - B 1 KR 20/17 R - ambulante Liposuktion; B 1 KR 13/17 R - Brust-Abdominalplastik/ Liposuktion; B 1 KR 30/18 R - Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen). Das Schreiben der KVN ist bei der Antragsgegnerin am 6. Juli 2018 eingegangen. Mit Schreiben vom 16. Juli 2018 hat die behandelnde Ärztin ausgeführt: "Wir bitten dann um Kostenübernahme und entsprechende Information". Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller mit Schreiben vom 29. August 2018 darüber informiert, dass sie den MDK einschalten werde. Dieser hat sein Gutachten am 2. November 2018 vorgelegt und bezieht sich auf einen Auftragseingang vom 10. Oktober 2018. Der Vortrag der Antragsgegnerin erscheint widersprüchlich, wenn sie einerseits meint, dass § 13 Abs 3 a SGB V in Hinblick auf das im Einzelnen in der Apherese-Richtlinie des GBA speziell geregelte Genehmigungsverfahren nicht anwendbar sei, andererseits aber eine weitere Begutachtung des MDK außerhalb des geregelten Genehmigungsverfahrens veranlasst. Der Antragsgegner hat insoweit darauf hingewiesen, dass es aufgrund der Regelungssystematik in §§ 6 und 7 der Apherese-Richtlinie zweifelhaft sei, ob nach Vorliegen einer positiven Empfehlung der Apherese-Kommission der MDK erneut in dem Bewilligungsverfahren der Krankenkasse nach § 7 mit einer umfassenden Prüfung des "Ob" einer Indikation zulässig befasst werden könne, denn der MDK habe bereits in dem Verfahren der Apherese-Kommission nach § 6 beratend teilgenommen. Der Senat lässt hier allerdings zugunsten der Antragsgegnerin offen, ob sich der Anspruch auf Kostenübernahme bereits aus § 13 Abs 3 a SGB V ergibt.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach den Ausführungen der behandelnden Ärztin ist der Antragsteller, der im Juni 2016 multiple Hirninfarkte im Mediastromgebiet und im September 2017 einen erneuten Mediainfarkt erlitten hat, jederzeit gefährdet, einen weiteren Schlaganfall zu erleiden und bedarf schnellstmöglich einer Apherese-Behandlung.

Der Antragsteller ist selbstständiger Schlosser. Er kann nach den von ihm vorgelegten Unterlagen und Angaben die Kosten für die Apherese-Behandlung, die nach den Angaben der Antragsgegnerin (Schreiben vom 11. Februar 2019) bei einer Frequenz von einmal pro Woche ca 1022,88 EUR betragen, zuzüglich eventuell anfallender Sachkosten und Fahrkosten, nicht aus eigenen Mitteln finanzieren. Das monatliche Bruttoeinkommen beträgt nach seinen Angaben zwischen 4000,00 und 5000,00 EUR brutto, er wohnt in einer eigenen Immobilie, die mit ca 800,00 EUR monatlich abbezahlt wird. Weiterer Immobilienbesitz ist nicht vorhanden. Ob das Geschäftskonto des selbstständig tätigen Antragstellers, das im Januar 2019 ein Guthaben von 46.413,22 EUR aufwies und das er nach seinen Angaben für seinen Geschäftsbetrieb einsetzt, überhaupt zur Prüfung der Frage, ob der Betroffene die Kosten der Behandlung vorläufig selbst tragen kann, herangezogen werden kann, hat das SG nicht geprüft. Jedenfalls hatte er davon nach den Angaben der Steuerberaterin Gewerbesteuer in Höhe von 10.143 EUR und Einkommens- und Kirchensteuer in Höhe von 19.405,00 EUR begleichen. Weiteres privates (Spar-)Vermögen steht nach der von ihm vorgelegten eidesstattlichen Erklärung vom 19. April 2019 - eingegangen am 30. April 2019 - nicht zur Verfügung.

Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz vom 29. März 2019 die Kostenübernahme mit sofortiger Wirkung für ein Jahr begehrt, war die Beschwerde zurückzuweisen. Nach § 8 Abs 1 der Aphrese- Richtlinie ist die Genehmigung zur Durchführung der LDL-Apherese nach § 3 Abs 1 oder 2 im Einzelfall jeweils auf ein Jahr zu befristen. Bei Fortbestehen der Behandlungsindikationen ist zugleich mit einer erneuten, ergänzenden ärztlichen Beurteilung nach Ablauf eines Jahres eine erneute Beratung bei der Apherese-Kommission einzuleiten. Die Apherese-Kommission hatte bereits am 21. August 2018 mitgeteilt, dass sie die Behandlung und Durchführung befürwortet. Die Befristung bis zum Ablauf der Jahresfrist nach der Entscheidung der Kommission gibt dieser die Gelegenheit, das Fortbestehen der Behandlungsindikationen zu prüfen und ggf auch die Beurteilung des MDK zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog. Der Senat hat dabei zugunsten des Antragstellers die Verfahrensdauer bei der Antragsgegnerin berücksichtigt.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).