Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 23.01.2018, Az.: S 54 KR 370/14

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
23.01.2018
Aktenzeichen
S 54 KR 370/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 73912
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zum Beginn der Verzinsung bei Aufrechnungsfällen in Krankenhausabrechnungsstreitigkeiten.

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.950,32 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.729,45 EUR seit dem 24.11.2011, aus 1.365,32 EUR seit dem 24.12.2014 und aus 2.489,18 EUR sowie 1.366,37 EUR seit dem 31.12.2014 zu zahlen.

Soweit Verzinsung aus 1.365,32 EUR bereits seit dem 23.12.2014 beantragt wurde, wird die Klage abgewiesen

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu zahlen.

Der Streitwert wird auf 6.950,32 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung von teilstationären Krankenhausbehandlungen, insbesondere darum, ob eine sogenannte primäre Fehlbelegung vorgelegen hat.

Der am 12. November 1955 geborene und bei der beklagten Krankenkasse versicherte E. (im Weiteren: Versicherter) wurde in der Zeit vom 2. Januar 2010 bis 13. Januar 2010 und in der Zeit vom 15. Januar 2010 bis 26. Februar 2010 im Krankenhaus der Klägerin teilstationär behandelt. Es fanden Dialysen statt. Am 27. Februar 2010 wurde erfolgreich eine Nierentransplantation durchgeführt. Im Juni 2015 ist der Versicherte verstorben.

Die Klägerin liquidierte gegenüber der Beklagten jeweils die DRG L 90 C und rechnete für den ersten Zeitraum (6 Dialysen) 1729,45 EUR und für den zweiten Zeitraum (19 Dialysen) 5220,87 EUR ab. Die Beklagte glich beide Rechnungen aus, ebenso wie zahlreiche Rechnungen für vorherige Aufenthalte. Sie ließ dann jedoch eine Überprüfung durch den F. durchführen. Dieser kam am 31. Mai 2011 zu dem Ergebnis, die Dialysen hätten auch ambulant durchgeführt werden können. Teilstationäre Krankenhausbehandlung sei dafür nicht erforderlich gewesen. Die Beklagte machte sich diese Feststellung zu Eigen. Die Klägerin habe deshalb keinen Anspruch auf Zahlung der Rechnungen für Januar und Februar 2010. Da keine Einigung erzielt werden konnte, verrechnete die Beklagte am 14. September 2011 den ersten Rechnungsbetrag in Höhe von 1729,45 EUR mit einer am 6. September 2011 bei der Beklagten eingegangenen unstreitigen Rechnung für einen anderen Behandlungsfall.

Die Klägerin hat am 4. Dezember 2014 dagegen Klage vor dem Sozialgericht Braunschweig erhoben. Mit am 9. Februar 2015 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 3. Februar 2015 hat sie die Klage auf Zahlung von weiteren 5220,80 EUR, insgesamt 6950,32 EUR erweitert. Die Beklagte hatte am 16.12.2014 auch die Rechnung über 5220,87 EUR mit anderen unstreitigen Behandlungsfällen verrechnet. Einen Teilbetrag von 1365,32 EUR mit einer Rechnung vom 10. Dezember 2014 (Eingang bei der Beklagten am gleichen Tag), einen Teilbetrag von 2489,18 EUR mit einer Rechnung vom 4. Dezember 2014 (Eingang bei der Beklagten am 5. Dezember 2014) und einen Teilbetrag von 1366,37 EUR mit einer Rechnung vom 8. Dezember 2014 (Eingang bei der Beklagten am 9. Dezember 2014).

Sie trägt vor, der Versicherte sei seit Februar 2004 dialysepflichtig gewesen wegen einer Iga-Nephropathie (entzündliche Erkrankung der Nierenkörperchen). Wegen diverser Begleiterkrankungen sei eine medikamentöse Dauertherapie notwendig gewesen, ebenso mehrere stationäre Krankenhausaufenthalte. Nach den Dialysestandards 2006 der nephrologischen Fachgesellschaft sei wegen der Begleiterkrankungen nur eine teilstationäre Dialyse in Betracht gekommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.950,32 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.729,45 EUR seit dem 24.11.2011, aus 1.365,32 EUR seit dem 23.12.2014 und aus 2.489,18 EUR sowie 1.366,37 EUR seit dem 31.12.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Erfordernis einer teilstationären Behandlung sei nicht gegeben gewesen. Das habe der G. in einem überzeugenden Gutachten vom 13. April 2015 bestätigt. Bei dem Versicherten habe eine Iga-Nephritis, COPD bzw. hyperreagibles Bronchialsystem mit gelegentlichen Exazerbationen mit Luftnot in Ruhe und Unverträglichkeit auf Konservierungsstoffe sowie ACE-Hemmstoffe (Medikament unter anderem zur Blutdrucksenkung und Herzentlastung) und eine Nephrosklerose vorgelegen. Im September 2009 habe von Bauchfelldialyse auf Hämodialyse umgestellt werden müssen. Aus den Dialyseprotokollen sei mehrfach zu entnehmen, dass der Versicherte seine Trinkmengen nicht eingehalten hatte. Wegen des deshalb erforderlichen Procederes sei es naturgemäß zu Blutdruckerhöhungen gekommen, bei denen medikamentös gegenzusteuern war. Der Versicherte sei formell eindeutig in eine Risikogruppe im Sinne der deutschen Dialysestandards aus dem Jahr 2006 einzugruppieren. Dabei sei aber zu beachten, dass nach diesen Standards geschätzt 80 oder 90 % der Patienten Risikogruppen zuzuordnen wären. Überwiegend würden in Deutschland aber auch diese Patienten in ambulanten Dialyseeinrichtungen dialysiert. Unter Berufung auf den G. -Gutachter meint die Beklagte, eine ambulante Leistungserbringung wäre aus nephrologischer Sicht gut verantwortbar gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Patientenakte der Klägerin und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Bei einer auf Zahlung von Behandlungskosten von Versicherten gerichteten Klage des Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse geht es um einen Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSG in ständiger Rechtsprechung). Ein Vorverfahren ist nicht durchzuführen, eine Klagefrist nicht einzuhalten. Auf die Klageerweiterung hat sich die Beklagte eingelassen und sie ist im Übrigen auch sachdienlich (§ 99 Abs. 1 SGG).

Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 6950,32 EUR für die bei dem Versicherten und deshalb auch bei den anderen Versicherten (s. o.) erbrachten Krankenhausbehandlungen.

Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der Klägerin aufgrund der Behandlung der Versicherten, mit deren Schlussrechnung (der Klägerin) die Beklagte aufgerechnet hat, ein Anspruch auf die dort abgerechnete Vergütung zustand. Eine nähere Prüfung erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens BSG, Urteil vom 01. Juli 2014 – B 1 KR 24/13 R – SozR 4-2500 § 301 Nr 2, Rdnr. 8, m.w.N.).

Der Anspruch der Klägerin auf Vergütung für die Krankenhausbehandlung dieser Versicherten erlosch nicht dadurch in Höhe von 6950,32 EUR (auch nicht teilweise), dass die Beklagte wirksam mit ihrem in dieser Höhe bestehenden Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des hiesigen Versicherten aufrechnete.

Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung ist unwirksam. Die Voraussetzungen des § 387 BGB liegen nicht vor. Der Vergütungsanspruch der Klägerin und der von der Beklagten aufgerechnete öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch waren zwar dem Grunde nach gegenseitig und gleichartig. Der von der Beklagten geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch besteht aber nicht, weil der Klägerin für die Behandlung des Versicherten der geltend gemachte und von der Beklagten erhaltene Betrag auch zu stand. Die Klägerin erhielt von der Beklagten für die hier streitigen Behandlungsfälle zu Recht 6950,32 EUR.

Die von der Klägerin beanspruchte und vom Rechtsgrund her unstreitige Krankenhausvergütung bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Rechtsgrundlage dafür ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. §§ 7 Abs.1, 9 Abs. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17 b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für das Jahr 2010 sowie der Niedersächsische Sicherstellungsvertrag (Vertrag zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Ziff. 1, 2, 4 und 5 SGB V) vom 1. November 1992 (SV) in der Fassung vom Juni 1996.

Danach waren die teilstationären Aufenthalte des Versicherten vom 2. Januar 2010 bis 26. Februar 2010 dem Grunde nach unstreitig mit der von der Klägerin beanspruchten DRG L90C (Niereninsuffizienz, teilstationär, Alter über 14 Jahren ohne Peritonealdialyse) abzurechnen, und zwar mit insgesamt 25 mal dem OPS Code 8-854.2 (Dialyse). Unstreitig lagen als Diagnosen N18.5 (chronische Nierenkrankheit, Stadium 5) und Z49.1 (Extrakorporale Dialyse) vor.

Strittig ist aber, ob die durchgeführten teilstationären Dialysen überhaupt von der Klägerin abgerechnet werden durften. Das ist nur der Fall, wenn die teilstationäre Erbringung der Leistung medizinisch erforderlich war. Auch für die teilstationäre Krankenhausbehandlung gilt der sich aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V ergebende Grundsatz ambulant vor stationär. Wenn es für bestimmte Behandlungsformen Vorgaben durch medizinische Standards gibt, sind diese ausschlaggebend. Solche medizinischen Standards werden in der Regel durch anerkannte Fachgesellschaften gesetzt. Hier ist auf den Dialysestandard 2006 der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für klinische Nephrologie e.V. abzustellen. Darauf, ob gegebenenfalls in der medizinischen Praxis von diesem Standard (häufig) abgewichen wird, kann es nicht ankommen. Wenn es darauf ankommen sollte, so müssten das die für das Fallpauschalensystem verantwortlichen Spitzenverbände regeln. Das könnte zum Beispiel durch entsprechende Hinweise bei den jeweiligen OPS-Nummern geschehen. Der Dialysestandard 2006 sieht unter B. 6.4 vor, dass teilstationäre Dialysebehandlung anzuwenden ist bei Patienten mit zusätzlichen gesundheitlichen Risiken, bei denen aufgrund ihrer Erkrankung eine ambulante Zentrumsdialyse nicht möglich und eine Dialysebehandlung unter Klinikbedingungen mit engmaschiger, intensiver und fachübergreifender Betreuung und Überwachung erforderlich ist. Diese gesundheitlichen Risiken sind unter C. 2.8 im Einzelnen aufgeführt. Der Versicherte war ein Risikopatient in diesem Sinne. Das hat selbst der MDK im Gutachten vom 13. April 2015 so gesehen. Nicht unberücksichtigt bleiben darf auch der Umstand, dass die hier strittigen Dialysen zeitlich unmittelbar vor der erfolgten Nierentransplantation stattfanden. Bei dem Versicherten kann es sich also nicht um einen Patienten mit nur mäßig ausgeprägtem Krankheitsbild gehandelt haben.

Deshalb war die Durchführung der Dialyse im teilstationären Setting erforderlich.

Die Verzinsung ergibt sich aus § 13 Abs. 7 iVm. Abs. 7 des Niedersächsischen Sicherstellungsvertrags. Danach hat die Krankenkasse die Rechnung unverzüglich, spätestens innerhalb von 14 Tagen nach Rechnungsdatum zu bezahlen. Wenn zwischen Rechnungsdatum und Rechnungseingang mehr als 3 Tage liegen, gilt das Rechnungseingangsdatum für den Beginn der 14-Tagesfrist. Erfolgt der Zahlungseingang nicht innerhalb von 21 Tagen, kann das Krankenhaus Zinsen in Höhe von 2 % über dem Diskontsatz der Deutschen Bundesbank ab Fälligkeitstag verlangen, ohne dass es einer Mahnung bedarf. Alle Beteiligten sind sich darüber einig, dass es nicht 2 % (so der Vertragstext), sondern 2 Prozentpunkte heißen muss. Abzustellen bei der Berechnung ist im Falle einer Aufrechnung (wie hier) auf die Rechnungen, mit denen die Beklagte aufgerechnet hat. Diese sind es nämlich, die nicht vollständig beglichen wurden. In allen 4 hier vorliegenden Aufrechnungsfällen erfolgte der Zahlungseingang (jeweils in Höhe des aufgerechneten Teilbetrags) nicht spätestens innerhalb von 21 Tagen, nämlich bisher überhaupt nicht. In keinem Fall lagen zwischen Rechnungsdatum und Rechnungseingang mehr als 3 Tage. In 3 Fällen lag der Fälligkeitstag vor dem mit der Klage beantragten Zinsbeginn. Im Falle des aufgerechneten Teilbetrags in Höhe von 1365,32 EUR war der Fälligkeitstag aber nicht der 23. Dezember 2014 (beantragter Zinsbeginn), sondern der 24. Dezember 2014, denn die Rechnung, mit der aufgerechnet wurde stammt vom 10. Dezember 2014 (10+14=24). Der 24. Dezember 2014 war ein Mittwoch (Heiligabend ist kein gesetzlicher Feiertag).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Klageabweisung wegen eines Zinstages muss zur Vermeidung einer nicht mehr ernsthaft begründbaren Kostenentscheidung vernachlässigt werden.

Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz.