Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 21.02.2018, Az.: S 63 R 5/16
Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen nach einer Betriebsprüfung
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 21.02.2018
- Aktenzeichen
- S 63 R 5/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 11934
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV
Fundstelle
- DStR 2018, 2584-2585
Tenor:
- 1.
Der Bescheid vom 20.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2016 wird aufgehoben.
- 2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird auf 1.112,54 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich nach einer Betriebsprüfung gegen die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen wegen der der Beschäftigung von Frau F ... Der Kläger hatte mit Frau G., einer georgischen Staatsangehörigen, für die Zeit ab dem 01.06.2011 einen befristeten Arbeitsvertrag geschlossen. Frau G. wurde als Haushaltshilfe für den privaten Haushalt des Klägers, der eine pflegebedürftige Tochter hat, eingestellt. Als Arbeitsentgelt wurde ein Betrag von 950,00 Euro brutto monatlich vereinbart, wovon ein Teil als Sachleistungen auf die freie Verpflegung und freie Unterkunft entfiel. Die Beklagte führte am 10.09.2015 bei dem Kläger eine Betriebsprüfung nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) durch. Nach Anhörung des Klägers entschied sie mit Bescheid vom 20.10.2015, dass sich aus der Prüfung eine Nachforderung für den Prüfzeitraum 01.06.2011-31.10.2014 in Höhe von 1.112,54 Euro ergebe, wobei in der Nachforderung Säumniszuschläge in Höhe von 281,00 Euro enthalten seien. Die stichprobenweise durchgeführte Prüfung habe ergeben, dass für die Arbeitnehmerin G. keine Beiträge zum Umlageverfahren U1 und U2 nachgewiesen, geldwerte Vorteile durch Übernahme von Flugkosten für Heimflug, durch Übernahme von Tagesgeld für Krankenhaushalt und Rückreisekosten nicht verbeitragt worden und dass auf die Nachforderung Säumniszuschläge zu erheben seien. Gegen den Bescheid erhob der Kläger Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.2016 als unbegründet zurückwies. Sie vertiefte im Widerspruchsbescheid ihre Ausführungen aus dem Bescheid vom 20.10.2015. Der Kläger hat am 12.02.2016 Klage beim Sozialgericht (SG) Braunschweig gegen die Entscheidung der Beklagten erhoben. Er trägt zur Begründung seiner Klage im Wesentlichen vor: Die Umlagen U1 und U2 seien zu Unrecht nachgefordert worden. In seinem Fall bestehe als Privathaushalt keine Umlagepflicht, da er keinen Betrieb habe. Die Umlage gelte nur für kleine und mittlere Betriebe. Einen geldwerten Vorteil habe es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht gegeben. Hinsichtlich der Reisekosten müsse berücksichtigt werden, dass Frau G. in diesen Zeiten dann keine freie Kost und Logis habe in Anspruch nehmen können. Nach seinen Berechnungen müsse man insgesamt 720,49 Euro an Einsparungen mit dem von der Beklagten ermittelten geldwerten Vorteil von 832,11 Euro verrechnen. Die Beklagte habe seine besondere Wohnsituation nicht berücksichtigt. Bei der geschilderten Sachlage könne er als Laie auch nicht zur Zahlung von Säumniszuschlägen herangezogen werden. Er habe als Arbeitgeber Beiträge nicht mit bedingtem Vorsatz oder fahrlässig vorenthalten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Ergänzung der Gründe des Widerspruchsbescheides. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 20.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.02.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zu Unrecht hat die Beklagte den Kläger nach einer Betriebsprüfung zur Nachzahlung des Betrags von 1.112,54 Euro aufgefordert. 1. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig, da der Bescheid ohne eine Rechtsgrundlage ergangen ist. Als Rechtsgrundlage kommt hier nur § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV in Betracht. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Auf § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV beruft sich die Beklagte zu Unrecht. Denn es greift die Ausnahmeregelung des § 28p Abs. 10 SGB IV. Dieser Absatz besagt, dass Arbeitgeber wegen der Beschäftigten in privaten Haushalten nicht geprüft werden. Eine Beschäftigung im Privathaushalt liegt gem. § 8a Satz 2 SGB IV vor, wenn diese durch einen privaten Haushalt begründet ist und die Tätigkeit sonst gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts erledigt wird. Eine solche Beschäftigung in einem privaten Haushalt liegt im Fall des Klägers vor. Frau G. wurde als Haushaltshilfe in dem Privathaushalt des Klägers eingesetzt, um dessen behinderte Tochter zu pflegen und zu versorgen. Dies wird auch von der Beklagten nicht angezweifelt. Aufgrund der Beschäftigung in einem privaten Haushalt ist somit eine Betriebsprüfung beim Kläger nach § 28p Abs. 10 SGB IV nicht zulässig. Die Kammer muss daher nicht auf die in der Sache erhobenen Einwände des Klägers eingehen. Soweit die Beklagte vorbringt, die Ausnahmeregelung des § 28p Abs. 10 SGB IV sei nur in den Fällen anwendbar, in denen wegen einer geringfügigen Beschäftigung im Privathaushalt das Haushaltsscheckverfahren nach § 28a Abs. 7 SGB IV praktiziert werde, vermag das nicht ansatzweise zu überzeugen. Für eine solche Differenzierung ist schon aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 28p Abs. 10 SGB IV, der sämtliche Beschäftigungsverhältnisse in privaten Haushalten umfasst, kein Platz (ebenso Roßbach in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 5. Aufl. 2017, § 28p Rn. 34). Zudem erscheint die Rechtsauffassung der Beklagten angesichts der Gesetzgebungsgeschichte des § 28p Abs. 10 SGB IV verwunderlich. Denn bis zum 31.12.2002 sah die Norm ausdrücklich vor, dass Arbeitgeber bei Verwendung eines Haushaltsschecks wegen der Beschäftigen in privaten Haushalten nicht geprüft werden. Demnach wurde die Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 28p Abs. 10 SGB IV auf Fälle der Nutzung des Haushaltsscheckverfahrens vom Gesetzgeber zum 01.01.2003 bewusst aufgegeben. Begründet hat der Gesetzgeber die Ausklammerung von privaten Haushalten damit, dass Betriebsprüfungen dort "aus verwaltungsökonomischen Gründen" nicht zu rechtfertigen sind (vgl. BT-Drs. 15/26 S. 25). Die vom Gesetzgeber genannten verwaltungsökonomischen Gründe gelten aber nicht nur bei der Nutzung des Haushaltsscheckverfahrens, sondern für sämtliche Beschäftigungen in Privathaushalten. Auch der Sinn und Zweck der Regelung und der Wille des Gesetzgebers widersprechen damit der vom Beklagten vertretenen Auffassung. Im Übrigen besteht nach § 28f Abs. 1 Satz 2 SGB IV bei der Beschäftigung in privaten Haushalten keine Pflicht der Arbeitgeber, Entgeltunterlagen zu führen und aufzubewahren. Auch bei § 28f Abs. 1 Satz 2 SGB IV ist anerkannt, dass diese Ausnahmeregelung alle Beschäftigungen in privaten Haushalten betrifft und nicht auf die haushaltsnahen Tätigkeiten des § 8a SGB IV beschränkt ist und es auch unerheblich ist, ob die Beschäftigten versicherungspflichtig sind (Werner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 28f SGB IV, Rn. 33). Wenn bei der Beschäftigung in einem Privathaushalt ungeachtet der Form der Beschäftigung keine Aufzeichnungspflichten der Arbeitgeber bestehen, ist es nur konsequent, dass in diesem Fall auch keine Betriebsprüfungen zulässig sind. Die Bescheide der Beklagten sind somit mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig. Daher war dem Klageantrag zu entsprechen und die angefochtenen Bescheide aufzuheben. 2. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach hat die unterlegene Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. 3. Die Höhe des Streitwerts entspricht der geltend gemachten Nachforderung, § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG.