Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 27.06.2017, Az.: L 8 SO 375/16 B ER

Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII; Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche; Keine Änderung des arbeitsrechtlichen Status bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach Erreichen einer bestimmten Altersgrenze bzw. während des Bezuges einer Altersrente

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.06.2017
Aktenzeichen
L 8 SO 375/16 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 38430
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 17.11.2016 - AZ: S 44 SO 4024/16 ER

Amtlicher Leitsatz

1. Der unionsrechtliche Status als Arbeitnehmer entfällt nicht aufgrund des Erreichens einer Altersgrenze bzw. des Bezugs einer Altersrente, wenn die Erwerbstätigkeit weiterhin ausgeübt wird (entgegen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 3.2.2016 - GMBl 2016, Nr. 5 S. 86 - zu § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU).

2. Ein allgemein gültiges "Rentenalter" existiert weder nach bundesdeutschen Rechtsvorschriften noch nach EU-Recht.

Redaktioneller Leitsatz

1. Zu beachten ist, dass der Arbeitnehmerbegriff i.S. des Art. 45 AEUV (Arbeitnehmerfreizügigkeit) ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist, der nicht eng ausgelegt werden darf.

2. Die Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft erfordert eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalles, wobei sowohl die Person des vorgeblichen Arbeitnehmers als auch das Arbeitsverhältnis in den Blick zu nehmen ist.

3. Der Begriff ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen.

4. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 17. November 2016 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

Gründe

I. Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Hildesheim vom 17. November 2016, mit dem er im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet worden ist, dem Antragsteller vorläufig Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 20. Oktober 2016 bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens zum 31. Mai 2017, zu gewähren.

Der 1948 geborene Antragsteller ist rumänischer Staatsangehöriger und bezieht ausweislich einer rumänischen Rentenbescheinigung jedenfalls seit 2011 eine rumänische Altersrente von 980 Lei. Er reiste am 27. Januar 2016 nach Deutschland ein und wohnte bis zum 14. Mai 2016 bei seinem in Hildesheim lebenden Sohn. Seit dem 15. Mai 2016 bewohnt er eine 1 1/2 Zimmer Wohnung in Hildesheim (Kaltmiete 292,50 EUR zzgl. 55,00 EUR Nebenkosten, Abschlag für Heizung 65,00 EUR). Am 23. Mai 2016 beantragte er bei der Stadt Hildesheim die Gewährung von ergänzenden Grundsicherungsleistungen, eine Entscheidung über den Antrag ist, soweit bekannt, bis heute nicht ergangen.

Mit seinem Antrag auf Grundsicherungsleistungen hatte der Antragsteller einen Arbeitsvertrag mit der Fa. F. vom 27. Januar 2016 vorgelegt (Bauhelfer, monatliche Bruttovergütung 800,00 EUR, monatliche Arbeitszeit ca. 16 Stunden). Ausweislich der ebenfalls vorgelegten Lohnabrechnungen für die Monate Februar bis April 2016 (erstellt am 4. bzw. 6. Mai 2016) erzielte er für jeweils 45 Stunden bei einem Stundenlohn von 10,10 EUR einen Gesamtbruttobetrag von 454,50 EUR. Ausgezahlt wurden nach den ebenfalls vorgelegten Auszahlungsquittungen 403,05 EUR (Februar 2016), 443,18 EUR (März 2016) und 408,78 EUR (April 2016). Nachdem die Stadt Hildesheim am 27. Juli 2016 u.a. weitere Einkommensnachweise angefordert hatte, legte der Antragsteller ein Attest der Internistin G. vor, nach dem er vom 1. bis zum 31. Mai 2016 aufgrund von Augenoperationen arbeitsunfähig war, sowie ein Schreiben vom 19. Mai 2016, mit dem die Fa. F. das Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen zum 31. Mai 2016 gekündigt hatte. Außerdem legte der Antragsteller einen Arbeitsvertrag mit der Fa. H. UG vom 1. August 2016 vor (Bauhelfer, Stundenlohn 10,00 EUR, regelmäßige monatliche Arbeitszeit ca. 50 Stunden). Ausweislich einer später vorgelegten Lohnabrechnung und von Kontoauszügen für August 2016 wurden dem Antragsteller für 48 Stunden Arbeitszeit 434,28 EUR überwiesen.

Am 20. Oktober 2016 hat der Antragsteller beim SG einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt mit dem Ziel, den Antragsgegner zur Gewährung vorläufiger Leistungen nach dem SGB XII zu verpflichten.

Er hat Lohnabrechnungen der Fa. H. UG und Quittungen für September 2016 (48 Stunden, Auszahlung 435,72 EUR) und Oktober 2016 (32 Stunden, Auszahlung 290,48 EUR) vorgelegt, ein vom Insolvenzverwalter genehmigtes Kündigungsschreiben zum 30. November 2016 der Fa. H. UG vom 31. Oktober 2016 sowie einen neuen Arbeitsvertrag mit der Fa. I. UG vom 1. November 2016 (Aushilfstätigkeiten im Baugewerbe, Stundenlohn 10,00 EUR, regelmäßige monatliche Arbeitszeit ca. 46 Stunden). Der Arbeitsvertrag ist vom Aufbau und Wortlaut im Wesentlichen identisch mit den früheren Arbeitsverträgen.

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, dass der Antragsteller eingereist sei, um Sozialhilfe zu erhalten.

Dies belege die Tatsache, dass seine rumänische Rente nicht ausreiche und er sich sofort nach seiner Einreise um Arbeit bemüht habe. Als Rentner sei er zudem nicht materiell freizügigkeitsberechtigt, auch könne er jederzeit nach Rumänien zurückkehren.

Das SG hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 17. November 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 20. Oktober 2016 bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens zum 31. Mai 2017, zu gewähren. Der Antragsteller könne sich auf ein Freizügigkeitsrecht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU berufen. Die Arbeitnehmereigenschaft ende nicht mit dem Erreichen des Rentenalters. Die Tätigkeit des Antragstellers sei auch nicht völlig untergeordnet oder unwesentlich. Im Übrigen habe die zuständige Stelle das Vorliegen der Freizügigkeit bestätigt.

Gegen den Beschluss des SG hat der Antragsgegner am 9. Dezember 2016 Beschwerde eingelegt. Der Antragsteller falle als Rentner nur unter die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU. Wegen der fraglichen Arbeitsverhältnisse verweist er auf einen Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen - L 11 AS 567/16 B ER -. Im Übrigen reiche In Rumänien die Rente des Antragstellers für die Bestreitung seines Lebensunterhalts aus.

Der Antragsteller hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Er hat eine Lohnabrechnung der Fa. I. UG für November 2016 (46 Stunden, Auszahlung 409,88 EUR) vorgelegt. Für die Monate Dezember 2016 bis Februar 2017 liegen Lohnabrechnungen der Fa. I. UG dem Antragsgegner vor. Dieser hat den erstinstanzlichen Beschluss umgesetzt und dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Einkünfte vorläufig Grundsicherungsleistungen bewilligt.

Außer den Gerichtsakten haben zwei Hefter Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners vorgelegen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren. II. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft (§§ 172, 173 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antragsgegner zu Recht zur Gewährung vorläufiger existenzsichernder Leistungen an den Antragsteller verpflichtet.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung dient dabei lediglich der Sicherung von Rechten eines Antragstellers, nicht aber ihrer Befriedigung. Sie darf grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen.

Etwas anders gilt, wenn ohne den Erlass der begehrten Anordnung ein wirksamer Rechtsschutz in der Hauptsache nicht erreicht werden kann und dies im Interesse des Rechtsuchenden unzumutbar wäre (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 31). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 ZPO).

1. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind erfüllt. Ein einer vorläufigen Regelung zugängliches streitiges Rechtsverhältnis liegt hier mit dem, soweit bekannt, bis heute nicht beschiedenen Antrag auf Grundsicherungsleistungen vom 23. Mai 2016 vor. Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO).

2. Der 68 Jahre alte Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen des § 41 SGB XII für den Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Er hat seinen offensichtlich auf Dauer angelegten gewöhnlichen Aufenthalt in Hildesheim und die für den Bezug von Grundsicherungsleistungen im Alter maßgebende Altersgrenze des § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er seit Antragstellung am 20. Oktober 2016 seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht vollständig aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten kann. Die Altersruhegeldbezüge (nach der rumänischen Rentenbescheinigung 980 Lei entsprechend rund 210,00 EUR bei einem Umrechnungskurs ca. 0,215 EUR / Leu) und sein Arbeitsentgelt von, soweit bekannt, nicht über 480,00 EUR reichen nicht zur Deckung seines Bedarfs (409,00 EUR Regelsatz ab Januar 2017 zzgl. 412,50 EUR Aufwendungen für Unterkunft und Heizung) nicht aus. Anhaltspunkte dafür, dass er neben den hier bekannten Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit und seiner rumänischen Altersrente weiteres Einkommen erzielt oder zu berücksichtigendes Vermögen hat, sind nicht ersichtlich.

3. Der Antragsteller unterfällt als Unionsbürger nicht dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 2 SGB XII. Er ist nicht leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG. Insbesondere ist er unabhängig vom Bestehen eines materiellen Aufenthaltsrechts (hierzu später) nicht vollziehbar ausreisepflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG), weil keine für eine Ausreisepflicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erforderliche Feststellung der Ausländerbehörde, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht, ergangen ist.

4. Der Antragsteller ist auch nicht gemäß § 21 Satz 1 SGB XII (Sonderregelung für Leistungsberechtigte nach dem SGB II) vom Bezug von Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen. Er ist bereits deshalb nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil er die Altersgrenze nach § 7a SGB II erreicht hat. Auf die Frage, ob der Bezug der rumänischen Altersrente nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II einen Leistungsausschluss nach dem SGB II bedingt, kommt es deshalb nicht an (zur Vergleichbarkeit mit einer deutschen Altersrente s. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 105/11 R - juris Rn. 24 f.), ebenso wenig darauf, ob der Antragsteller (seine fehlende Freizügigkeit unterstellt) in analoger Anwendung von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 SGB II a.F. von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen wäre (hierzu und dem "Erst-Recht-Schluss" BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - juris Rn. 19 ff.).

5. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist der Antragsteller schließlich weder nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung (a.F.) vom Leistungsbezug ausgeschlossen noch unter Berücksichtigung der zum 29. Dezember 2016 durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - AuslPersGrSiuSHRegG - geänderten Fassung des § 23 Abs. 3 SGB XII (n.F.).

Der Leistungsausschluss für Ausländer nach § 23 Abs. 3 SGB XII gilt nicht nur für Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel, sondern auch für Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, bei denen es sich ebenfalls um Sozialhilfeleistungen handelt (vgl. §§ 8 Nr. 2, 19 Abs. 2 SGB XII). Seit dem 29. Dezember 2016 ist dies zudem ausdrücklich in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII n.F. geregelt. Der Wortlaut von § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, wonach die Vorschriften des Vierten Kapitels unberührt bleiben, steht dem nicht entgegen (so auch Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII, Rn. 58).

5.1. In Ansehung der hier bekannten objektiven Umstände besteht beim Antragsteller kein Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII a.F. bzw. nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII n.F.; danach haben Ausländer, die eingereist sind um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Die Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen sprechen dagegen, dass dies beim Antragsteller der Fall war. Demnach hat er am Tage seiner Einreise am 27. Januar 2016 einen Arbeitsvertrag mit der Fa. F. als Bauhelfer geschlossen. Mit den ausweislich der vorgelegten Lohnabrechnungen und Auszahlungsquittungen erhaltenen Zahlungen von mindestens 403,05 EUR und seiner rumänischen Altersrente von rund 210,00 EUR war der sozialhilferechtliche Bedarf des bei seinem Sohn lebenden Antragstellers gedeckt. Erst seit dem 15. Mai 2016 hat der Antragsteller Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 412,50 EUR für eine 1 1/2 Zimmer Wohnung. Demzufolge hat er auch erst am 23. Mai 2016 einen Antrag auf ergänzende Grundsicherungsleistungen gestellt. Ohnehin dürfte der Ausschlusstatbestand nicht anzuwenden sein, wenn - wie hier - ein Unionsbürger mit Einreise eine Beschäftigung aufnimmt, um aufstockend Sozialhilfeleistungen zu beziehen (so auch Groth in: BeckOK SozR, SGB XII § 23 Rn. 16o-16p). Unabhängig davon ist nicht auszuschließen, dass vorrangiger Zweck der Einreise des Antragstellers gewesen ist, bei seiner Familie zu leben (zum Ausschluss des Sozialhilfeanspruchs eines Ausländers, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, seinen Einreiseentschluss geprägt hat, vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1992 - 5 C 22/87 - juris; im Einzelnen hierzu Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 1a AsylbLG 2. Überarbeitung, Rn. 28).

5.2. Der Ausschlusstatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII a.F. bzw. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 SGB XII n.F. liegt im Falle des Antragstellers ebenfalls nicht vor. Danach erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen keine Sozialhilfeleistungen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Der Ausschlusstatbestand greift nur, wenn sich das Aufenthaltsrecht ausschließlich auf den Grund "zur Arbeitsuche" stützt (so bereits Senatsbeschluss vom 14. Januar 2008 - L 8 SO 88/07 ER - juris Rn. 34; vgl. auch BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris Rn. 23). Der Antragsteller hat durch die Vorlage des Arbeitsvertrages mit der Fa. F. und den Lohnabrechnungen und Auszahlungsquittungen glaubhaft gemacht, dass er nicht zur Arbeitsuche, sondern zur Arbeitsaufnahme eingereist ist, die ihm als freizügigkeitsberechtigten EU-Bürger ohne weiteres erlaubt war (zur möglichen Problematik der Arbeitsverhältnisse des Antragstellers später).

5.2.1. Der Antragsteller ist freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU (vgl. auch die europarechtlichen Normen: Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - bzw. Art. 39 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV -; Art. 7 Abs. 1 lit. a Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie -; Art. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 - Freizügigkeits-VO -), weil er sich als Arbeitnehmer in Deutschland aufhalten will. Er hat dies durch seine glaubhaft gemachte unverzügliche Aufnahme einer nichtselbstständigen Tätigkeit deutlich gemacht. Zu beachten ist, dass der Arbeitnehmerbegriff i.S. des Art. 45 AEUV (Arbeitnehmerfreizügigkeit) ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist, der nicht eng ausgelegt werden darf (EuGH, Urteil vom 21. Februar 2014 - C-46/12 - Rechtssache L.N., juris Rn. 39 m.w.N.). Die Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft erfordert eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalles, wobei sowohl die Person des vorgeblichen Arbeitnehmers als auch das Arbeitsverhältnis in den Blick zu nehmen ist. Der Begriff ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH a.a.O. Rn. 40).

5.2.2. Die eine Einreise zur Arbeitsuche i.S. von § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII a.F. ausschließende Erwerbstätigkeit des Antragstellers als Arbeitnehmer (vgl. zur Definition seit dem 1. April 2017 ausdrücklich § 611a BGB) entfällt nicht aufgrund seines Alters bzw. des Bezugs einer Altersrente. Hierdurch ändert sich der arbeitsrechtliche Status (zur Beendigung des Dienstverhältnisses s. § 620 BGB) nicht, wenn die Erwerbstätigkeit weiterhin ausgeübt wird hierzu später). In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht wird der Beschäftigte zwar durch den Bezug einer Vollrente wegen Alters nach Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei, jedoch setzt diese Vorschrift gerade voraus, dass eine grundsätzlich rentenversicherungspflichtige Beschäftigung nach § 1 SGB VI weiterhin ausgeübt werden kann. Dies dürfte so offensichtlich sein, dass es in Rechtsprechung und Literatur nicht weiter problematisiert wird. Indirekt hat sich zu dieser Frage der EuGH geäußert und es im Urteil vom 12. Oktober 2010 (- C-499/08 - Rechtssache Andersen, juris Rn. 45) als eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 angesehen, wenn Arbeitnehmern, die bereits eine Altersrente beziehen können, die weitere Ausübung ihres Rechts zu arbeiten erschwert wird.

Dem steht nicht entgegen, dass das BSG (Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 105/11 R - juris Rn. 23) den Bezug von Altersrenten vor Erreichen des Regelrentenalters als typisierend für die Annahme angesehen hat, diese Personen seien endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Die dortige Klägerin, die mit 61 Jahren eine litauische Altersrente und ergänzende Leistungen nach dem SGB XII bezog, begehrte statt dessen Leistungen nach dem SGB II. Das BSG hat bestätigt, dass sie als Altersrentnerin auch vor Vollendung des Regelrentenalters nach deutschem Recht nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II ("Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht") nicht als Erwerbsfähige leistungsberechtigt i.S. des SGB II war. In diesem Verfahren ging es damit ausschließlich um die Auslegung von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II und die Abgrenzung von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII, vom BSG bezeichnet als "systematisches Wechselspiel zwischen SGB II und SGB XII". Auswirkungen des Rentenbezugs auf die mögliche Arbeitnehmereigenschaft eines Altersrentners hat das BSG dabei nicht klären müssen.

5.3. Der Antragsteller hat mit Vorlage der weiteren für die Zeit ab August 2016 geschlossenen Arbeitsverträge und Lohnabrechnungen glaubhaft gemacht, dass keine leistungsrechtlich relevante Unterbrechung seiner Erwerbstätigkeit eingetreten ist. Insbesondere ist er ausweislich der vorgelegten Arbeitsverträge nicht zwischenzeitlich länger als sechs Monate arbeitsuchend gewesen mit der Folge des Verlustes seiner Freizügigkeit (hierzu § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU). Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung, ob sein Vertrag mit der Fa. F. vom 27. Januar 2016 über den Monat April 2016 hinaus bestanden und der Antragsteller weitere Lohnansprüche hatte. Es spricht insoweit vieles dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers ab dem 1. Mai 2016 zu einem sechswöchigen Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall geführt und die nach Ablauf von sechs Wochen Probezeit erfolgte Kündigung vom 19. Mai 2016 erst zum Ende Juni 2016 hätte erfolgen dürfen.

Dem Senat ist durchaus bewusst, dass im Hauptsacheverfahren eine genaue Prüfung geboten sein dürfte, ob die bescheinigten Arbeitsverhältnisse und damit die Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers den vom EuGH aufgestellten Kriterien genügen. Erforderlich ist danach, dass eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausgeübt wird.

Dies ist gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen (EuGH, Urteile vom 6. November 2003 Ninni-Orasche, C-413/01 und vom 21. Februar 2013, C-46/12; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Juni 2016 - L 4 AS 249/16 B ER - Juris Rn. 30).

Daran können hier durchaus Zweifel bestehen. Die vom Antragsteller vorgelegten Arbeitsverträge mit drei verschiedenen Firmen sind vom Aufbau und Wortlaut her identisch. Dessen ungeachtet hat der Antragsteller durch Vorlage der Lohnabrechnungen und von Kontoauszügen hinreichend glaubhaft gemacht, dass er mit Ausnahme der Monate Mai bis Juli 2016 eine nichtselbstständige Tätigkeit ausgeübt hat. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dies ausreichend. Eine abschließende Prüfung der Arbeitsverhältnisse ggfs. auch unter strafrechtlich relevanten Gesichtspunkten bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Sollte sich dort herausstellen dass der Antragsteller keine tatsächliche und echte Tätigkeit ausgeübt hat, wird er die (dann zu Unrecht erhaltenen) ergänzenden Grundsicherungsleistungen zu erstatten haben.

5.4. Auch die ab dem 29. Dezember 2016 geltende Fassung des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII (n.F.) führt nicht zu einem Leistungsausschluss des Antragstellers. Mit der Neufassung wurde wie im SGB II "klargestellt, dass Personen ohne materielles Freizügigkeitsrecht oder Aufenthaltsrecht ebenso wie Personen, die sich mit einem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche oder nach Artikel 10 der Verordnung (EU) Nummer 492/2011 in Deutschland aufhalten, von den Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen sind" (BT-Drucks. 18/10211 S. 15).

Die Erweiterung auf alle nicht in Deutschland materiell aufenthaltsberechtigte Personen zeichnet damit den "Erst-Recht-Schluss" des BSG (Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R - juris Rn. 19 ff.) nach.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners genießt der Antragsteller durchgehend das Recht der materiellen Freizügigkeit. Er war bei seiner Einreise freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU und ist dies auch weiterhin (s.o.).

Ziffer 2.2.1.3. der vom Antragsgegner herangezogenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU - AVV FreizügG/EU (vom 3. Februar 2016, GMBl 2016, Nr. 5 S. 86) zu § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU spricht nicht dagegen. Sie ist bereits höchst missverständlich. Dort heißt es:

"Die Arbeitnehmereigenschaft endet, wenn der Unionsbürger den deutschen Arbeitsmarkt endgültig verlassen hat, etwa weil er das Rentenalter erreicht hat oder auf Dauer in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt ist oder weil er vollständig und dauernd erwerbsunfähig wurde. Im letzteren Fall ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht, insbesondere gemäß § 4a Absatz 2, vorliegen."

Bei einer dauerhaften Rückkehr des Unionsbürgers in seinen Herkunftsstaat kann dieser sich bereits nicht mehr in Deutschland aufhalten, so dass es insoweit keiner Erläuterung bedurft hätte. Bei Eintritt einer dauernden Erwerbsunfähigkeit (gemeint wohl: dauerhafte volle Erwerbsminderung) ist ein bestehendes Arbeitsverhältnis und damit die Arbeitnehmereigenschaft jedenfalls aus arbeitsrechtlicher Sicht nicht sofort beendet, nach Unionsrecht zumindest fraglich (vgl. nur den Hinweis des EuGH im Urteil vom 4. Februar 2010, Rs. C-14/09 - Genc, juris zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall), bedarf hier jedoch keiner näheren Erörterung. Die Annahme, die Arbeitnehmereigenschaft ende, wenn der Unionsbürger das Rentenalter erreicht hat, ist bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht nachzuvollziehen. Das "Rentenalter" (gemeint wohl Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Altersrente) wird schon im Geltungsbereich des SGB VI nicht für alle Personen einheitlich erreicht (vgl. §§ 35 ff. SGB VI). Zudem bedarf es seit 1992 auch für die Gewährung einer Regelaltersrente nach § 35 SGB VI der Stellung eines Antrags (§ 99 Abs. 1 SGB VI). Die vom FreizügG/EU erfassten Personen haben ihr "Rentenalter" bezogen auf einen Anspruch auf Altersrente in ihrem Herkunftsland in aller Regel zu wiederum anderen Zeiten erreicht. Ein nachvollziehbares maßgebliches "Rentenalter" existiert nicht. Sollte mit Ziffer 2.2.1.3. AVV FreizügG/EU der Bezug einer Rente wegen Alters gemeint sein, würde offensichtlich eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 vorliegen, weil dann Arbeitnehmern, die bereits eine Altersrente beziehen können, die weitere Ausübung ihres Rechts zu arbeiten erschwert würde (s. EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2010 - C-499/08 - Rechtssache Andersen, juris Rn. 45).

Im Übrigen geht auch das FreizügG/EU in Ausführung der Vorgaben der Freizügigkeits-Richtlinie davon aus, dass ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nach dem 65. Lebensjahr erfolgen kann. Gemäß § 4a Satz 2 Satz 1 Nr. 1 lit. a FreizügG/EU erwirbt u.a. derjenige Unionsbürger ein Daueraufenthaltsrecht, der neben der Erfüllung weiterer Voraussetzungen zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das 65. Lebensjahr erreicht hat (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 lit. a Freizügigkeits-Richtlinie: Arbeitnehmer oder Selbstständige, die zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Geltendmachung einer Altersrente gesetzlich vorgesehene Alter erreicht haben). Diese Regelung wäre überflüssig, wenn ein Unionsbürger automatisch mit Erreichen einer bestimmten Altersgrenze seine Arbeitnehmereigenschaft verlieren würde.

6. Der Antragsteller, dessen Einkünfte ohne die streitigen ergänzenden Grundsicherungsleistungen unterhalb des Existenzminimums liegen, hat unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG, wonach das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, als Menschenrecht gleichermaßen zusteht (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 63), den für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

7. Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, die dem Antragsteller vorläufig zu gewährenden Leistungen der Höhe nach festzusetzen, denn das SG hat eine Grundentscheidung getroffen und der Antragsteller hiergegen keine Beschwerde eingelegt. Die vom Antragsteller seit dem 20. Oktober 2016 erzielten Einkünfte sind auf seine Leistungsansprüche anzurechnen; dies hat der Antragsgegner bei der Umsetzung des Beschlusses auch berücksichtigt. Ob die Anrechnung der rumänischen Rente zutreffend ist, wird allerdings noch zu klären sein. Bei einem Rentenanspruch von 980 Lei und einem Umrechnungskurs von ca. 0,215 EUR / Leu dürfte sich eine Anrechnung von ca. 210,- EUR und nicht von 253,47 EUR errechnen. Außerdem ist der Freibetrag vom Einkommen des Antragstellers nach § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in Höhe von 30 vom Hundert vom Bruttoeinkommen und nicht vom Nettoeinkommen zu ermitteln.

8. Der Senat geht davon aus, dass zur Vermeidung überflüssiger Verfahren dem Antragsteller auch weiterhin bis zur Entscheidung in der Hauptsache ergänzende Grundsicherungsleistungen gewährt werden, soweit sich die hier entscheidungserheblichen Verhältnisse nicht maßgeblich ändern.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.