Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 20.06.2017, Az.: L 2 R 175/17
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 20.06.2017
- Aktenzeichen
- L 2 R 175/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 19733
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 01.03.2017 - AZ: S 4 R 143/15
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die am 15. März 1935 geborene und seit dem 1. April 2000 im Bezug einer Regelaltersrente stehende Klägerin begehrt einen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für die Erziehung ihres am 3. Februar 1970 geborenen Kindes F. G ...
Am 15. Juli 1971 nahm die Klägerin mit ihrem Ehemann das Kind in Adoptionspflege. Mit notariellem Vertrag vom 2. Oktober 1972 nahmen sie es an Kindes statt an. Mit Beschluss vom 4. Februar 1974 hat das Amtsgericht H. den Kindesannahmevertrag gerichtlich bestätigt.
Im November 2014 beantragte die Klägerin im Hinblick auf die mit Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz) vom 23. Juni 2014 (BGBl. I, 787) neu eingeführte Regelung des § 307d SGB VI die Gewährung eines Zuschlages an persönlichen Entgeltpunkten für die Erziehung ihres Kindes im Zeitraum ab Juli 1971. Mit Bescheid vom 30. Januar 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2015 lehnte die Beklagte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die Klägerin nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen für den begehrten Zuschlag erfülle. Zu ihren Gunsten sei keine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt anerkannt worden. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung seien hingegen ohnehin für den in Betracht kommenden Zeitraum ab der Zustimmung der leiblichen Eltern zur Kindesannahme am 3. August 1971 bis zur Vollendung des zehnten Lebensjahres des Kindes anerkannt worden.
Mit der am 1. April 2015 erhobenen Klage macht die Klägerin verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Der Gesetzgeber habe den vom BVerfG Beschluss vom 29. März 1996 - 1 BvR 1238/95 - FamRZ 1996, 789) formulierten Anforderungen nur unzureichend Rechnung getragen. Von der Frage einer Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten im 13. bis 24. Lebensmonat eines Kindes sei sicherlich nur ein überschaubarer Personenkreis betroffen.
Mit Urteil vom 1. März 2017, der Klägerin zugestellt am 7. März 2017, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die vom Gesetzgeber in Wahrnehmung seines Gestaltungsspielraums normierten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 307d SGB VI würden von Seiten der Klägerin nicht erfüllt; verfassungsrechtliche Bedenken seien nicht festzustellen.
Mit ihrer am 27. März 2017 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren unter Bezugnahme insbesondere auf ihr erstinstanzliches Vorbringen weiter. Die gesetzliche Regelung verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 GG.
Sie beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 1. März 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2015 aufzuheben und
- 2.
die Beklagte zur Neuberechnung der ihr gewährten Altersrente ab Juli 2014 unter Berücksichtigung eines Zuschlages an persönlichen Entgeltpunkten für die Erziehung ihres Sohnes F. G. im Zeitraum 3. August 1971 bis zum 28. Februar 1972 zu verpflichten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die vorliegende zulässige Berufung weist der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich erachtet.
Die angefochtenen Bescheide haben zutreffend eine Neuberechnung der von der Klägerin seit 2000 bezogenen Altersrente im Hinblick auf die zum 1. Juli 2014 in Kraft getretene neue Regelung des § 307d Abs. 1 SGB VI abgelehnt. Nach dieser Vorschrift wird in Fällen, in denen am 30. Juni 2014 Anspruch auf eine Rente bestand, ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind berücksichtigt, wenn (Nr. 1) in der Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde und (Nr. 2) kein Anspruch nach den §§ 294 und 294a besteht.
Die Klägerin bezog zwar bei Inkrafttreten dieser Vorschrift eine Altersrente, sie hat auch keinen Anspruch nach §§ 294 und 294a SGB VI. Ihr Sohn F. G. ist vor dem 1. Januar 1992 geboren worden. Die Klägerin erfüllt jedoch nicht die maßgebliche weitere vom Gesetzgeber ausdrücklich geforderte tatbestandliche Voraussetzung, dass in der Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet worden sein muss.
Das am 3. Februar 1970 geborene Kind F. G. lebte in seinem zwölften Kalendermonat noch gar nicht bei der Klägerin; vielmehr ist es als Pflegekind (mit dem Ziel der nachfolgend auch realisierten Adoption) erst seit Juli 1971 von der Klägerin und ihrem Ehemann betreut worden. Mangels einer seinerzeitigen Erziehung des Kindes durch die Klägerin ist natürlich auch in der Klägerin bewilligten Altersrente keine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet worden.
Damit erfüllt die Klägerin nicht die vom Gesetzgeber ausdrücklich aufgestellten tatbestandlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten.
Verfassungsrechtliche Bedenken sind nicht ersichtlich (vgl. im gleichen Sinne auch den bereits vom Sozialgericht herangezogene Beschluss des Bayerischen Landessozialgericht vom 31. Mai 2016 - L 6 R 685/15 -, NZS 2016, 590). Der Gesetzgeber hat sich bewusst dazu entschlossen, den Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten gemäß § 307d im Ergebnis demjenigen Elternteil zusprechen, dem der letzte Monat an Kindererziehungszeit (dies ist der zwölfte Kalendermonat nach Ablauf des Geburtsmonats) zugeordnet wurde. Dies erfolgte aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität, da bis zum Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes bezogen auf vor 1992 geborene Kinder Kindererziehungszeiten über zwölf Monate hinaus noch nicht angerechnet wurden und auch nicht in allen Fällen für die Zeit ab dem 13. Kalendermonat schon Berücksichtigungszeiten im Versicherungsverlauf zugeordnet waren (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/909, S. 24).
Um die reibungslose Umsetzung der Einbeziehung auch des Rentenbestandes in die verbesserte Anrechnung von Kindererziehungszeiten für Geburten vor 1992 zu gewährleisten, hat sich der Gesetzgeber daher zu einer pauschalen Anrechnung entschlossen, die insbesondere an bereits im Versicherungsverlauf enthaltene Daten anknüpfen sollte (aaO).
Es liegt in der - vom Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung (aaO) ausdrücklich gebilligten - Konsequenz dieser Entscheidung, dass Veränderungen während des zweiten Lebensjahres des Kindes außer Betracht bleiben müssen. Der Gesetzgeber hat sich von der Einschätzung leiten lassen (aaO), dass die Anknüpfung an die Zuordnung des zwölften Lebensmonats im Ergebnis eine Zuordnung bewirkt, die den tatsächlichen Erziehungsverhältnissen im zweiten Lebensjahr des Kindes, die im Nachhinein häufig nicht mehr verlässlich feststellbar sind, in den ganz überwiegenden Fällen entsprechen dürfte. Damit hat der Gesetzgeber billigend in Kauf genommen, dass Eltern, deren Erziehungsleistungen erst während des zweiten Lebensjahres des Kindes begonnen haben, von dem mit § 307d Abs. 1 SGB VI neu eingeführten Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nicht profitieren können.
Die vom Gesetzgeber angestrebte zügige Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung kam nur in Betracht, wenn diese an einfach feststellbaren tatsächlichen Voraussetzungen anknüpfte. Es liegt auf der Hand, dass Einzelheiten der tatsächlichen Beiträge zur Erziehung der betroffenen Kinder in ihrem mehrere Jahrzehnte zurückliegenden zweiten Lebensjahr bei Inkrafttreten der Neuregelung zum 1. Juli 2014 oft gar nicht mehr und erst recht nicht mehr mit einem im Rahmen der Massenverwaltung vertretbaren Aufwand festzustellen waren. Der Gesetzgeber hat den finanziellen Mehraufwand für die verbesserte Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten für die vor 1992 geborenen Kinder auf jährlich rund 6,6 Milliarden Euro veranschlagt (BT-Drs. 18/909, S. 3). Damit hat er die Einschätzung zum Ausdruck gebracht, dass mehr als 20 Millionen Kinder betroffen sein würden. Bei einem großen Teil dieser Kinder standen die in Eltern bereits im Rentenbezug, so dass sich auch die Regelung des § 307d in Millionen von Fällen - und keineswegs, wie die Klägerin vorträgt nur für einen "überschaubaren Personenkreis" - auswirken sollte.
Die erläuterte gesetzgeberische Entscheidung, im Interesse der Verwaltungspraktikabilität und der Rechtssicherheit sich pauschalierend an den bereits getroffenen Feststellungen über Kindererziehungszeiten bezogen auf den zwölften Lebensmonat auszurichten, stellt sich im Ergebnis als in jeder Hinsicht sachgerecht dar. Es handelt sich der Struktur nach um eine Stichtagsregelung, deren Zulässigkeit in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gerade auch im Zusammenhang mit der rentenrechtlichen Berücksichtigung von Beiträgen zur Kindererziehung ausdrücklich anerkannt ist, und zwar ausdrücklich auch unter Berücksichtigung der mit jeder Stichtagsregelung unvermeidlich verbundenen gewissen Härten (BVerfG, Urteil vom 07. Juli 1992 - 1 BvL 51/86 -, BVerfGE 87, 1 , Rn. 145). Bezeichnenderweise hat das BVerfG auch die vorausgegangene Entscheidung des Gesetzgebers für verfassungsgemäß angesehen, wonach (vor Inkrafttreten des RV- Leistungsverbesserungsgesetzes) für vor 1992 geborene Kinder lediglich ein Jahr Kindererziehungszeit berücksichtigt werden konnte (§ 249 Abs. 1 SGB VI), wohingegen bezogen auf die Erziehung von später geborenen Kindern gemäß § 56 Abs. 1 SGB VI eine dreijährige Kindererziehungszeit anzuerkennen ist (BVerfG, B.v. 29. März 1996, aaO).
Ohnehin ist bereits im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass auch unter Berücksichtigung der mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz bewirkten Verbesserungen rentenrechtlich nur eine sehr begrenzte Teilanerkennung der umfänglichen sich tendenziell über jeweils knapp 20 Jahre erstreckenden Erziehungsleistungen der Eltern in Betracht kommt. Auch außerordentliche unter großem persönlichem Einsatz und vielfach auch mit erheblichen persönlichen Entbehrungen erbrachte Erziehungsleistungen insbesondere auch in den Zeiträumen nach dem zweiten bzw. dritten Lebensjahr des Kindes finden rentenrechtlich vielfach keine adäquate Berücksichtigung. Bei dieser Ausgangslage gebot die Verfassung keine weitergehenden Bemühungen des Gesetzgebers zur Erfassung der Erziehungsleistungen im zweiten Lebensjahr für vor 1992 geborene Kinder als sie der Gesetzgeber mit der typisierenden Regelung des § 307d SGB VI normiert hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.