Sozialgericht Stade
Urt. v. 13.06.2013, Az.: S 33 AY 50/12
Rechtmäßigkeit einer Gewährung nur eingeschränkter Leistungen gem. § 1a AsylbLG
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 13.06.2013
- Aktenzeichen
- S 33 AY 50/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 41348
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2013:0613.S33AY50.12.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG
- § 1a AsylbLG
- § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. Juli 2012 zu Az - 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 - gegen die Gewährung nur eingeschränkter Leistungen gemäß § 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) durch den Beklagten in den Monaten August und September 2012.
Der Kläger, geboren im Juli 1967, ist libanesischer Staatsangehöriger und seit Juli 1990 in Deutschland. Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 24. Juli 1990 als offensichtlich unbegründet ab. Der Kläger ist Vater vierer minderjähriger Kinder deutscher Staatsangehörigkeit. Ihm wurden bis in das Jahr 2009 und darüber hinaus Duldungen gemäß § 60a Abs 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ausgestellt. Seit Dezember 2006 bezieht er Leistungen nach dem AsylbLG vom Beklagten. Dieser bewilligte ihm mit Bescheid vom 03. Dezember 2008 in der Fassung eines Änderungsbescheids vom 12. März 2009 Leistungen gemäß § 3 AsylbLG ab Januar 2009 iHv 461,22 EUR.
Aufgrund zahlreicher Straftaten seit 1992 wies der Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 12. Januar 2005 aus und ordnete die sofortige Vollziehung der Ausweisungsverfügung an. Gegen diese erhob der Kläger am 10. Februar 2005 Klage vor dem Verwaltungsgericht Stade, das die Klage mit Urteil vom 02. Dezember 2005 abwies (VG Stade - 6 A 239/05 -). Die Ausweisungsverfügung sei rechtmäßig. Ein Ausweisungsschutz ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger mit einer Deutschen und gemeinsamen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebe, auch nicht unter Berücksichtigung des Art 6 Abs 1 GG bzw Art 8 EMRK. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg stellte in einem Beschluss vom 30. Juni 2010 fest, dass der Kläger es im Sinne des § 25 Abs 5 Satz 3 AufenthG zu vertreten habe, dass für ihn von den libanesischen Behörden bislang weder ein Pass noch ein für die Ausreise erforderliches Passersatzpapier ausgestellt worden seien. Denn er weigere sich, auf der Grundlage des inzwischen durch Bemühungen des Beklagten vorliegenden libanesischen Registerauszuges bei deren Botschaft einen Pass zu beantragen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 30.06.2010 - 11 PA 250/10 -).
Mit Schreiben vom 05. Januar 2009 teilte das Ausländeramt dem für Leistungen nach AsylbLG zuständigen Sozialamt des Beklagten mit, dass sich der Kläger nicht um Identitätspapiere aus dem Libanon, die zur Passbeschaffung erforderlich seien, bemühe. Er sei zuletzt mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 aufgefordert worden, einen Reisepass oder Nachweis darüber vorzulegen, dass die die Passbeschaffung nicht in zumutbarer Weise möglich sei. Nach Anhörung mit Schreiben vom 07. Januar 2009, auf die Kläger mit Schreiben vom 23. Januar 2009 reagierte, schränkte der Beklagte mit Bescheid vom 13. Februar 2009 in der Fassung eines Änderungsbescheids vom 12. März 2009 die Leistungen ab März 2009 gemäß § 1a AsylbLG ein, indem er den Barbetrag herabgesetzte, und bewilligte dem Kläger Leistungen nur noch iHv 420,32 EUR. Der dagegen erhobene Widerspruch des Klägers sowie ein sich anschließendes Klageverfahren, das den Zeitraum März 2009 bis Juni 2009 umfasste, waren erfolglos (vgl SG Stade, Gerichtsbescheid vom 19.02.2013 - S 33 AY 42/09 -).
Nach Veröffentlichung der Entscheidung des BVerfG vom 12. Juli 2012 über die Verfassungswidrigkeit der bis dahin gewährten Leistungen gemäß § 3 AsylbLG der Höhe nach erließ der Beklagte den hier streitgegenständlichen Bescheid vom 16. August 2012, mit dem er die Leistungen vorläufig an die Rechtsprechung des BVerfG anpasste. Der Bescheid sollte "ab August 2012" gelten. Die Einschränkung gemäß § 1a AsylbLG wurde beibehalten. Bewilligt wurden für August 2012 und September 2012 jeweils Leistungen iHv 484,31 EUR. Mit Bescheid vom 24. September 2012 regelte der Beklagte die Leistungsangelegenheit ab November 2012, so dass der Bescheid vom 16. August 2012 letztlich nur für die Monate August und September 2012 galt. Den wegen der Einschränkung mit Schreiben vom 30. August 2012 erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2012 als unbegründet zurück. Ein kurz danach erlassener Änderungsbescheid vom 15. November 2011 betraf unter anderem auch die Monate August und September 2012 und wurde deshalb gemäß § 86 SGG Gegentand des Widerspruchsverfahrens. Die Einschränkung wurde weiterhin beibehalten. Bewilligt wurden für August 2012 und September 2012 nunmehr Leistungen iHv jeweils 485,06 EUR. Am 30. November 2012 hat der Kläger schließlich Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor, ihm drohe die unmittelbare Abschiebung, wenn er einen Pass beantrage und erhalte. Dies wolle er mit Blick auf seine vier Kinder nicht riskieren. Er gehe davon aus, dass er einen dauerhaften Aufenthaltstitel erhalten würde, wenn er diesen beantragen könnte. Dazu benötige er allerdings auch einen Pass. Nur wenn der Beklagte zusichern würde, auf eine Durchführung der Abschiebung vorübergehend zu verzichten, was ihm wegen § 5 Abs 3 AufenthG auch möglich sei, bis über den beabsichtigten Antrag des Klägers auf Erteilung eines dauerhaften Aufenthaltstitels entschieden wäre, würde er entsprechende Schritte unternehmen. Vorher sei er jedoch nicht bereit dazu. Die Gewährung von Leistungen nach § 1a AsylbLG sei mit Blick auf die Rechtsprechung des BVerfG rechtswidrig und jedenfalls nicht verhältnismäßig. Ihm sei eine Beschaffung eines Passes auch nicht möglich.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 16. August 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30. Oktober 2012 und des Änderungsbescheids vom 15. November 2012 zu verpflichten, dem Kläger seit dem 01. August 2012 ungekürzte Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, die weitere Einschränkung der Leistungen sei noch verhältnismäßig, denn der Kläger weigere sich, die erforderliche und auch mögliche Mitwirkung zu erbringen. Spätestens im Juli 2012 sei der Kläger auch auf seine ihm ohnehin bekannten Pflichten nochmals ausdrücklich hingewiesen worden. Eine Passbeschaffung sei dem Kläger auch möglich, er müsse nur einen Antrag stellen. Der erforderliche Registerauszug zum Nachweis der Identität liege längst vor. Unter diesen Umständen, insbesondere wegen der erklärten Weigerung, sei es eine reine Förmelei, wenn der Beklagte den Kläger zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit in regelmäßigen Abständen immer wieder auf seine Mitwirkungspflichten und die Folgen einer Nichterfüllung konkret hinweisen müsste. Im Übrigen sei der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig, dies könne der Beklagte nicht einfach übergehen und dem Kläger zusichern, er werde nicht abgeschoben.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den vorliegenden Verwaltungsvorgang des Beklagten, der auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 2013 war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige und als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage hat keinen Erfolg.
Die angegriffene Entscheidung des Beklagten über die Gewährung nur eingeschränkter Leistungen gemäß § 1a AsylbLG erweist sich als rechtmäßig und beschwert den Kläger daher nicht im Sinne des § 54 Abs 2 SGG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1a AsylbLG, der auch nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. Juli 2012 - Az 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 - weiterhin anwendbar ist (dazu unter I.), sind erfüllt (dazu unter II). Die Entscheidung ist insbesondere auch noch verhältnismäßig. Im Einzelnen:
Der Kläger war im hier betroffenen Zeitraum August und September 2012 leistungsberechtigt nach § 1 Abs 1 Nr 4 AsylbLG, denn er verfügte über eine Duldung gemäß § 60a Abs 2 Satz 1 AufenthG und hielt sich durchgehend - und hält sich weiterhin - im Bundesgebiet auf.
I.
Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass § 1a AsylbLG auch in Ansehung der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich weiterhin gilt und anzuwenden ist (entgegen zuletzt Bayerisches LSG, Beschluss vom 06.02.2013 - L 15 AY 2/13 B ER -, veröffentlicht bei [...].de). Bei der Anwendung sind die verfassungsrechtlichen Implikationen, dh das aus Art 1 Abs 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art 20 Abs 1 GG hergeleitete Grundrecht der betroffenen Leistungsbezieher auf eine menschenwürdiges Existenzminimum, allerdings im Wege einer verfassungskonformen Auslegung zu beachten. Dies kann nach Auffassung der Kammer sachgerecht im Rahmen einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall erfolgen (vgl bereits SG Stade, Urteil vom 30.05.2013 - S 33 AY 32/11 -, zur Veröffentlichung bei [...].de vorgesehen; SG Stade, Beschluss vom 05.03.2013 - S 33 AY 53/12 ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom L 8 AY 59/12 B ER -, beide veröffentlicht bei [...].de; vgl auch Deibel in: Sozialrecht Aktuell, Heft 3/2013, S. 103, 109; derss. in: ZFSH SGB Heft 5/2013, S. 249).
Seit der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 - über die Verfassungswidrigkeit der (bisherigen) Leistungen gemäß § 3 AsylbLG der Höhe nach ist umstritten, ob Einschränkungen auf Grundlage des § 1a Nr 2 AsylbLG verfassungsrechtlich noch möglich sind (vgl Darstellung im Beschl des SG Hildesheim v 06.12.2012 - S 42 AY 152/12 ER - Rn 10, veröffentlicht bei [...].de; vgl Oppermann in: jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG, Stand: 10.05.2013, Rn 79.2 bis 79.6.; vgl jüngst zur Problematik LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.04.2013 - L 20 AY 153/12 B ER - mwN, veröffentlicht bei sozialgerichtsbarkeit.de, und SG Münster, Beschluss vom 27.02.2013 - S 12 AY 11/13 ER -, veröffentlicht bei [...].de). Das BVerfG stellte in der Entscheidung vom 12. Juli 2012 klar, dass der unmittelbar verfassungsrechtliche Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums uneingeschränkt auch für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG gilt und ein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum aus migrationspolitischen Erwägungen heraus nicht gerechtfertigt sein kann (vgl BVerfG, Urt v 18.07.2012 - 1 BvL 17/10 u 1 BvL 2/11 - Rn 90, 120/121 der [...]Veröffentlichung). Das Existenzminimum ist demnach für alle Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes gleich. Entsprechend und konsequent hat das BVerfG im Rahmen der getroffenen Übergangsregelung (Rn 113) auch den Regelbedarfssatz Stufe 1, wie er auf Leistungsbezieher nach dem SGB II und dem SGB XII Anwendung findet, zugrunde gelegt, abzüglich des Anteils entsprechend Abt 5 EVS für Hausrat, da hierfür zusätzliche Leistungen gemäß § 3 Abs 2 Satz 2 AsylbLG gewährt werden. Vor diesem Hintergrund spricht aus Sicht des erkennenden Gerichts alles für eine Gleichbehandlung der Leistungsbezieher nach dem SGB II, SGB XII und AsylbLG.
Sowohl das SGB II als auch das SGB XII sehen allerdings unter Beachtung strenger Voraussetzungen die Möglichkeit zeitlich befristeter Absenkungen der Leistungen vor, um das Verhalten der Leistungsbezieher zu beeinflussen. Denn das Grundgesetz gebietet nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen. Das aus Art 1 Abs 1 Satz 1 GG abgeleitete Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleistet keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Sicherung eines Leistungsniveaus, das durchweg einen gewissen finanziellen Spielraum auch zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben gewährleistet (vgl Berlit in: LPK-SGB II, 4. Aufl 2011, § 31, Rn 13). Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verbietet indes auch in Fällen pflicht- oder gar sozialwidrigen Verhaltens, den Einzelnen ohne jede Alternative in einer Situation zu belassen, in der das physische Existenzminimum aktuell nicht gewährleistet ist (Berlit aaO Rn 14). Soweit erkennbar, wird das Sanktionssystem des SGB II und des SGB XII verfassungsrechtlich für grundsätzlich zulässig angesehen (vgl Darstellung im Beschl des SG Landshut v 07.05.2012 - S 10 AS 259/12 ER -, Rn 31 der [...]Veröffentlichung). Wenn Einschränkungen der Leistungen nach SGB II und SGB XII auch angesichts der Rechtsprechung des BVerfG zur Höhe der Leistungen nach dem SGB II (BVerfG, Urt v 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. -) grundsätzlich zulässig sind und zugleich für Leistungsbezieher nach SGB II, SGB XII und AsylbLG hinsichtlich des Anspruchs auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums dieselben Maßstäbe gelten, ist kein Grund erkennbar, warum Leistungen nach dem AsylbLG dem Grunde nach nicht ebenfalls eingeschränkt werden können sollten, zumal der Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, bei dem im Sinne von § 1a Nr 2 AsylblG aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, durch ein ihm mögliches und zumutbares Verhalten selbst dafür sorgen kann, dass uneingeschränkte Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG wieder bewilligt werden. Alles andere würde eine auch verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Besserstellung der Leistungsbezieher nach dem AsylbLG bedeuten.
Angesichts der als richtig und konsequent erkannten Gleichbehandlung der Leistungsbezieher nach dem AsylbLG mit Leistungsempfängern nach SGB II und SGB XII in Bezug auf Einschränkungsmöglichkeiten von existenzsichernden Leistungen dem Grunde nach muss im zweiten Schritt allerdings auch eine Schlechterstellung der Leistungsbezieher nach dem AsylbLG der konkreten Höhe nach vermieden werden. Der Wortlaut des § 1a AsylbLG ist hinsichtlich Dauer und Höhe der Einschränkung offen und muss deshalb verfassungskonform ausgelegt werden. Umfang und Dauer der Einschränkungen nach dem AsylbLG müssen sich an denselben Maßstäben orientieren wie dies bei Einschränkungen nach SGB II und SGB XII der Fall ist, auch hinsichtlich des Verfahrens (vgl dazu auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 24.01.2013 - L 8 AY 4/12 B ER -, veröffentlicht bei sozialgerichtsbarkeit.de). Aufgrund der Bezugnahme auf das SGB XII im Rahmen des § 2 AsylbLG (Analogleistungen) zieht das Gericht im Weiteren die Regelungen des SGB XII und dortige Maßstäbe zu Verfahren, Dauer und Umfang möglicher Einschränkungen von Leistungen heran (vgl auch Deibel in: ZFSH SGB Heft 5/2013, S. 249, 253).
Gemäß § 26 SGB XII kommt bei bestimmten Verhaltensweisen der Leistungsberechtigten eine Einschränkung der Leistungen auf das Unerlässliche in Betracht. Das Unerlässliche wurde vom Gesetzgeber der Höhe nach nicht definiert. In der Rechtsprechung wurden Absenkungen um 20 bis 30 Prozent für zulässig erachtet (vgl Conradis in: LPK-SGB XII, 8. Aufl 2008, § 26, Rn 9; Holzhey in: jurisPK-SGB XII, § 26, Rn 21). Eine ermessensgerechte Anwendung der Kürzungsmöglichkeiten in den Fällen des § 26 Abs 1 SGB XII setzt eine Prüfung und Abwägung über die Tauglichkeit der Kürzung zur Verhaltensänderung des Betroffenen voraus und ist zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf jeden Fall zeitlich zu befristen (vgl Conradis aaO, Rn 10). Im Rahmen des § 26 Abs 1 Nr 2 SGB XII ist tatbestandlich eine vorherige Belehrung über die Folgen eine Fortsetzung des sanktionsbedrohten Verhaltens erforderlich.
Eine Übertragung auf die Anwendung der Einschränkung gemäß § 1a Nr 2 AsylbLG hat zur Folge, dass vor der Umsetzung der Einschränkung neben der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen sicher sein muss, dass dem betroffenen Leistungsbezieher deutlich geworden ist, welches Verhalten bzw welche Art der Mitwirkung von ihm verlangt wird und welche Folgen eine Nichterfüllung haben kann (Warnfunktion). Wenn unter diesen Voraussetzungen eine Einschränkung möglich ist, muss diese sich der Höhe nach an § 26 SGB XII orientieren, dh das Gericht hält eine Einschränkung der Leistungen um 20 bis 30 Prozent für zulässig. Außerdem ist insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beachten, insbesondere hinsichtlich der Dauer der Einschränkung. Das Gericht hält es für unverhältnismäßig, einem Leistungsbezieher nach dem AsylbLG unbefristet und dauerhaft nur eingeschränkte Leistungen zu gewähren, ohne ihn in angemessenen Abständen darauf hinzuweisen, warum die Einschränkung erfolgt und durch welches Verhalten er die weitere Einschränkung vermeiden kann. Dabei wird für erforderlich gehalten, dass die zuständige Behörde dem Leistungsbezieher konkret darlegt, welcher Weg zu beschreiten ist. Dies spielt insbesondere eine Rolle in den Fällen, in denen es um die Beschaffung von Papieren geht und der Leistungsbezieher glaubhaft machen kann, dass er alles ihm Mögliche zur Beschaffung der Unterlagen unternommen hat und Hinderungsgründe bestehen, die er nicht beeinflussen kann. Wenn keine zumutbaren Handlungsmöglichkeiten für den Leistungsberechtigten bestehen, ist eine unbefristete Einschränkung der Leistungen nicht verhältnismäßig. Möglicherweise ist in einem solchen Fall bereits das Tatbestandsmerkmal des Vertretenmüssens in § 1a Nr 2 AsylbLG fraglich. Allerdings sind an die eigenen, auch auf eigene Initiative zu erfüllenden Handlungspflichten des Leistungsberechtigten hohe Anforderungen zu stellen (vgl jüngst Sächsisches OVG, Beschluss vom 07.03.2013 - 3 A 495/11 -, veröffentlicht bei [...].de).
Der Gegenauffassung, die den § 1a AsylbLG zumindest bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber, dh für die Zeit der Geltung der Übergangsregelung des BVerfG, unter Bezugnahme auf das aus Art 1 Abs 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) abgeleitete Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums grundsätzlich für nicht mehr anwendbar hält (vgl zB BayLSG, Beschl v 06.02.2013 - L 15 AY 2/13 B ER -; SG Lüneburg, Beschl v 13.12.2012 - S 26 AY 26/12 ER -), ist entgegen zu halten, dass eine Kürzung über § 1a AsylbLG zwar den Schutzbereich des genannten Grundrechts berührt, diesen jedoch nicht zwingenderweise auch verletzt, sofern die Kürzung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls und restriktiver verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift noch verhältnismäßig ist. Vor allem aber hält das erkennende Gericht die Auffassung, dass § 1a Nr 2 AsylbLG (vorläufig) nicht angewendet werden dürfe, mit Blick auf die Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz gemäß Art 20 Abs 3 GG für sehr bedenklich. Der § 1a AsylbLG ist geltendes Recht und soll offenbar auch weiterhin bestehen bleiben (vgl dazu BayLSG, Beschl v 24.01.2013 - L 8 AY 2/12 B ER -, Rn 16 der [...]Veröffentlichung). Das BVerfG das die Regelung bislang nicht für verfassungswidrig erklärt. Zugleich ist die Norm einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, wie oben dargestellt. Ein Gericht darf sich nicht über geltendes Recht und im Übrigen auch nicht über die alleinige Verwerfungskompetenz des BVerfG hinwegsetzen, auch nicht im Eilverfahren.
II.
Die Voraussetzungen des § 1a Nr 2 AsylbLG sind erfüllt. Die Entscheidung des Beklagten ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auch noch verhältnismäßig.
Gemäß § 1a Nr 2 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs 1 Nr 4 und 5 und ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs 1 Nr 6, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach dem AsylbLG nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Das Vertretenmüssen im vorgenannten Sinne ist dabei nicht gleichzusetzen mit einem Verschulden im zivilrechtlichen Sinne, sondern knüpft vielmehr an das Verhalten des Leistungsberechtigten in dem Sinne an, dass das Verhalten allgemein geeignet sein muss, sich seiner Ausreisepflicht zu entziehen. Die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen muss dem Betroffenen im Sinne einer ausschließlichen Kausalität zuzurechnen sein (vgl Oppermann in: jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG, Rn 50/51).
Indem der vollziehbar ausreisepflichtige Kläger sich weigert, einen Pass zu beantragen, obwohl dessen Ausstellung aufgrund des Vorliegens der notwendigen Unterlagen voraussichtlich zeitnah erfolgen würde, hat er im Sinne des § 1a AsylbLG zu vertreten, dass die Ausreisepflicht nicht vollzogen werden kann, weil die notwendigen Identitätspapiere nicht vorliegen.
Nach Überzeugung der Kammer ist die Einschränkung auch im Ergebnis der Prüfung der Verhältnismäßig der Entscheidung des Beklagten im Lichte des verfassungsrechtlich gesicherten Anspruchs des Klägers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG nicht zu beanstanden. Dem Kläger wurden unter Berücksichtigung der Einschränkung nach § 1a AsylbLG für die hier streitigen Monate August 2012 und September 2012 Leistungen iHv jeweils 485,06 EUR bewilligt. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände dieses Einzelfalls ist die Kürzung der existenzsichernden Leistungen in Höhe und Dauer noch verhältnismäßig.
Ein wesentlicher Aspekt bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist der Umstand, dass sich der Kläger erklärtermaßen und damit ausdrücklich weigert, den erforderlichen Antrag auf Ausstellung eines Passes bei der libanesischen Botschaft zu stellen, weil er mit Blick auf seine vier Kinder Sorge hat, bei Erhalt des Passes unmittelbar abgeschoben zu werden. Zugleich ist ihm mindestens seit 2009 bekannt, dass er zur Mitwirkung verpflichtet ist und welche Folgen seine Nichtmitwirkung für die Höhe der Leistungen hat. Seit März 2009 werden nur eingeschränkte Leistungen gewährt. Mitte 2012 wurde der Kläger erneut auf seine Mitwirkung hingewiesen. Ihm waren sowohl die Handlungspflicht als auch die konkret erforderliche Handlung und auch die Folgen der Nichtwirkung bekannt. Der Kläger nimmt die Leistungskürzung damit ganz bewusst in Kauf. Die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit müssen im Falle einer bewussten und ausdrücklich erklärten Weigerung geringer ausfallen als im Vergleich zu einem nicht mitwirkenden Leistungsberechtigen, der durch eine ausdrückliche Aufforderung zur konkreten Mitwirkung noch gewarnt und zu einer Verhaltensänderung bewegt werden kann. Der Kläger hat es selbst in der Hand, die Kürzung abzuwenden, und weiß dies auch. Eine fortgesetzte bewusste Nichtbeachtung der Mitwirkungspflichten und damit auch die ganz bewusste Inkaufnahme der Folgen darf nicht dadurch belohnt werden, dass allein wegen des Zeitablaufs und hinzu getretener humanitärer Faktoren, die der Kläger selbstverantwortlich geschaffen hat, die leistungsrechtlichen Folgen der unterbliebenen Mitwirkung ohne Verhaltensänderung seitens des Klägers entschärft werden. Die Pflicht, sich einen Pass zu besorgen, sowie die damit verbundene Gefahr der Beendigung seines Aufenthalts in Deutschland waren dem Kläger schon bekannt, bevor er seine Kinder bekam. Das heißt allerdings nicht, dass das Gericht die die schwierige Lage, in der sich der Kläger befindet, verkennt. Es ist aus heutiger Sicht absolut nachvollziehbar und verständlich, dass er angesichts seiner vier Kinder nunmehr eine Abschiebung nicht mehr riskieren will. Er befindet sich wegen der rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen ausländerrechtlich in einer ausweglosen Situation, solange der Beklagte an der rechtlich zulässigen Ausreiseverpflichtung und deren Durchsetzung festhält. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Kläger aus humanitären Gründen einen dauerhaften Aufenthaltstitel erhalten könnte, wenn er einen solchen beantragt. Dazu fehlt ihm allerdings der Pass, den zu beschaffen er sich wegen der drohenden Abschiebung nicht traut. Dieses Dilemma kann das Sozialgericht nicht auflösen. Es handelt es sich um eine ausländerrechtliche Frage, die das Sozialgericht weder entscheiden kann noch darf. Den Beteiligten ist dringend anzuraten, die ausländerrechtliche Situation des Klägers unter Berücksichtigung humanitärer Gesichtspunkte im Interesse der Kinder des Klägers zu klären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung gegen dieses Urteil wird nach Entscheidung der Kammer ausdrücklich zugelassen. Da die Kürzung in nur zwei Leistungsmonaten streitig ist, wird der Berufungsstreitwert von 750,00 EUR gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 SGG an sich nicht erreicht. Die Sache hat jedoch grundsätzliche Bedeutung, so dass die Berufung gemäß § 144 Abs 2 Nr 1 SGG zuzulassen war. Die streitentscheidende Frage, ob eine Kürzung gemäß § 1a AsylbLG während der derzeitigen Geltung der Übergangsregelung nach dem Urteil des BVerfG vom 12. Juli 2012 dem Grunde nach zulässig ist und wenn ja, unter welchen Bedingungen, ist umstritten und noch nicht obergerichtlich geklärt.