Sozialgericht Stade
Urt. v. 28.02.2013, Az.: S 17 AS 814/11

Anerkennung der Kosten aus einem Beratervertrag als Betriebsausgabe bei selbstständiger Tätigkeit im Rahmen der Leistungsberechnung nach SGB II

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
28.02.2013
Aktenzeichen
S 17 AS 814/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 41297
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2013:0228.S17AS814.11.0A

Fundstelle

  • NZS 2013, 513

Tenor:

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 18. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2011 verpflichtet, dem Klä-ger für die Monate Dezember 2010 und Januar 2011 Leistungen ohne Anrechnung von Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit zu gewähren. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung der Kosten aus einem Beratervertrag als Betriebsausgabe bei selbstständiger Tätigkeit im Rahmen der Leistungsberechnung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Kläger, geboren im August 1954, ist als selbstständiger Friseurmeister beruflich tätig. Aufgrund langjähriger gesundheitlicher Probleme aufgrund einer Alkoholkrankheit ergaben und ergeben sich immer wieder Schwierigkeiten bei der Ausübung des Ge-werbes. Hinzu kam Ende September 2010 eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit infolge eines Magendurchbruchs.

Aufgrund zurückgehender Einnahmen stellte der Kläger erstmals Anfang November 2009 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Beklagten, die ihm auch bewilligt wurden (Erstbescheid vom 17.12.2009). Die Bewilligungen erfolgten fortwährend zunächst vorläufig, bis nach Mit-teilung der tatsächlichen Einkommenssituation dann endgültige Festsetzungen erfolgen konnten. Am 23. September 2010 stellte der Kläger den Fortbewilligungsantrag für den Leis-tungszeitraum ab November 2010, woraufhin der Beklagte ihm mit Bescheid vom 05. November 2010 in der Fassung zweier Änderungsbescheide vom 12. Januar 2011 und 07. April 2011 vorläufig Leistungen bewilligte, und zwar in Höhe von 895,39 EUR für November und Dezember 2010, in Höhe von 936,40 EUR für Januar 2011 und in Höhe von 897,42 EUR für die Monate Februar bis April 2011. Nach dem der Kläger im Mai 2011 die Unterlagen zu den tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im betroffe-nen Zeitraum eingereicht hatte, setzte der Beklagte mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 18. Mai 2011 die Leistungen für November 2010 bis einschließlich April 2011 endgültig fest. Dabei ergab sich für Dezember ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 50,81 EUR und im Januar 2011 in Höhe von 55,64 EUR. Mit Widerspruch vom 16. Juni 2011 machte der Kläger geltend, es ergebe sich auch für Dezember und Januar kein positives Einkommen, denn die Kosten eines Beraterver-trages seien als Betriebsausgaben anzuerkennen. Am 09. Januar 2009, nach Abschluss eines Privatinsolvenzverfahrens, hatte der Kläger mit seinem Prozessbevollmächtigten, der in der Vergangenheit auch zeitweise als Betreuer des Klägers bestellt war, einen Beratervertrag geschlossen. Dieser sieht zum einen eine Beratung und Unterstützung des Klägers durch den Prozessbevollmächtigten in allen privaten Angelegenheiten und auch in allen betrieblichen Angelegenheiten mit Ausnahme solcher Angelegenheiten, für die ein anderer anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen würde. Für die betriebliche Beratung ist eine Vergütung iHv jährlich 2.268,91 EUR netto vereinbart, die der Kläger in monatlichen Raten tatsächlich zahlt, dh iHv rund 190,00 EUR monatlich. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2011 als unbegründet zurück. Zwar seien die Kosten für die Arbeit eines Steuerberaters an-erkennungsfähig und auch abgesetzt worden. Weitere Kosten aus dem Beratervertrag könnten jedoch nicht anerkannt werden, da ein Großteil der Tätigkeiten des Beraters durch den Kläger selbst erledigt werden könnten und müssten. Am 14. November 2011 hat der Kläger Klage erhoben.

Er trägt zur Begründung vor, die Kosten für die Tätigkeit des beauftragten Rechtsan-walts im Rahmen des Beratervertrags seien in seinem Fall als Betriebsausgaben an-zuerkennen, da er nicht in der Lage sei, mit Tätigkeiten selbst wahrzunehmen und sei-nen Betrieb allein ordnungsgemäß zu verwalten. Der Berater führe für ihn die betriebli-che Korrespondenz zB mit Geschäftspartnern, Lieferanten, dem Vermieter des Fri-seursalons und Behörden und verwalte die Ein- und Ausgaben des Betriebs sowie die zugehörigen Unterlagen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 18. Mai 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2011 zu verpflichten, dem Kläger für die Monate Dezember 2010 und Januar 2011 ohne Anrech-nung von Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit als Friseur Leistungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er bleibt bei seiner Auffassung, dass ein selbstständiger Handwerksmeister in der Lage sein müsste, seinen Betrieb ohne die Zuhilfenahme eines anwaltlichen Beraters zu führen.

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den vorliegenden Verwaltungsvorgang des Beklagten, der auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 28. Februar 2013 war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige und als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage hat Erfolg.

Die angegriffene Entscheidung des Beklagten erweist sich als rechtswidrig, soweit für die Monate Dezember 2010 und Januar 2011 ein anrechenbares Einkommen in die Leistungsberechnung einbezogen wurde. Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung von Leistungen auch in den genannten beiden Monaten ohne Berücksichtigung von Einkommen, da sich aufgrund der Anerkennung weiterer Betriebsausgaben kein anre-chenbares Einkommen ergibt. Der Beklagte hat dem Kläger die angerechneten 106,45 EUR nachzuzahlen.

Der Kläger ist leistungsberechtigt nach dem SGB II gemäß § 7 Abs 1 SGB II. Insbe-sondere war der Kläger in den Monaten Dezember 2010 und Januar 2011 auch hilfe-bedürftig im Sinne des § 7 Abs 1 Nr 3 SGB II. In beiden Monaten ergab sich entgegen der Auffassung des Beklagten kein zu berücksichtigendes Einkommen aus der selbst-ständigen Tätigkeit im Sinne des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 3 Abs 1 und 2 der Arbeitslosengeld-II-Verordnung (ALG II-V). Demnach ist bei der Berechnung des Einkommens aus selbstständiger Arbeit, Gewer-bebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft von den Betriebseinnahmen auszugehen und die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit be-stimmten Ausnahmen von diesen Betriebseinnahmen abzusetzen. Die sich für den Kläger ergebenden tatsächlichen Ausgaben aus den Beratungsvertrag aus dem Jahr 2009 in dem hier betroffenen Zeitraum sind im vorliegenden Einzelfall zumindest zu einem Teil als Betriebsausgaben anzuerkennen. Dabei kann das Gericht offenlassen, ob eine Anerkennung der Kosten in voller Höhe von durchschnittlich 190,00 EUR monatlich gerechtfertigt wäre oder nicht, denn jedenfalls waren die anzu-erkennenden Ausgaben in den beiden Monaten höher als die tatsächlich angerechneten 106,45 EUR.

Die Auffassung des Gerichts stützt sich auf die Überzeugung, dass die Frage der Not-wendigkeit bestimmter Ausgaben und ihre Anerkennung als Betriebsausgaben im Sinne des§ 3 Abs 2 ALG II-V unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Ein-zelfalls zu beantworten ist. Der Beklagte legt hingegen eine schematische Betrach-tungsweise zugrunde, in dem er sich auf den Standpunkt stellt, ein selbstständiger Handwerksmeister muss selbst in der Lage sein, die Tätigkeiten, die der Kläger im Rahmen des Beratervertrags vom beauftragen Anwalt durchführen lässt, selbst durch-zuführen und zu erledigen. Dem Beklagten ist im Grundsatz zuzustimmen. Das Gericht teilt die Auffassung des Beklagten, dass ein Handwerksmeister im Normalfall seinen Betrieb auch ohne ständige Hilfe eines Beraters, der nicht der Steuerberater ist, zu führen in der Lage sein muss, zumal er die notwendigen Grundlagen dafür im Rahmen der Ausbildung auch erhält. Dazu gehören insbesondere die ordnungsgemäße Be-triebsführung und Verwaltung der Unterlagen sowie die Buchführung und der Umgang mit Behörden und Geschäftspartnern oder auch Vermietern. Der Kläger konnte dem Gericht jedoch glaubhaft den Eindruck vermitteln, das er auf-grund seiner gesundheitlichen Einschränkungen in Folge der Alkoholkrankheit abwei-chend vom Normalfall gerade nicht in der Lage ist, das laufende Geschäft ohne Hilfe eines fachkundigen Dritten zu führen. Unter dem Eindruck der Darstellungen des Pro-zessbevollmächtigten im Rahmen der mündlichen Verhandlung hält das Gericht für glaubhaft, dass der Geschäftsbetrieb des Klägers schon längst hätte eingestellt werden müssen, wenn ihm nicht durch den Prozessbevollmächtigten auch der Bewältigung des Alltagsgeschäftes in Bezug auf die Führung und Verwaltung des Betriebs geholfen worden wäre. Dabei leuchtet auch ein, dass die - ansonsten denkbare - Einschaltung eines Anwalts nach Bedarf aufgrund der Art der Erkrankung nicht möglich ist, da der Kläger sich bei akutem Alkoholmissbrauch gar nicht mehr um seinen Betrieb kümmern kann, sich also auch nicht kurzfristig Hilfe sucht. Es erscheint insoweit sinnvoll, dass es einen ständigen Berater gibt, der den Betrieb des Klägers und den Kläger selbst kennt und direkt in die laufende Betriebsführung eingreifen kann.

Obwohl also dem Beklagten abstrakt gesehen zugestimmt werden kann, dass ein Handwerksmeister seinen Betrieb auch ohne einen ständigen Berater führen können muss, sind im vorliegenden Einzelfall unter Berücksichtigung der Erkrankung des Klä-gers die Ausgaben des ständigen Beraters auf Grundlage des Beratervertrags von 2009 dem Grunde nach ausnahmsweise als notwendige Betriebsausgaben im Sinne des § 3 Abs 2 Satz 1 ALG II-V anerkennungsfähig. Schon mit der Anerkennung auch nur eines Teils der geltend gemachten Betriebsausgaben aufgrund des Beratervertrags ergibt sich in den hier streitigen beiden Leistungsmonaten kein verbleibendes, anrechenbares Einkommen mehr. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Dem Grunde nach können die Kosten aus dem Beratervertrag aufgrund der besonderen Umstände dieses Einzelfalls als Be-triebsausgaben anerkannt werden. Bezüglich der - hier nicht relevanten - absoluten Höhe der Ausgaben für den Beratervertrag könnte sich für die Zukunft als sachgerecht darstellen, den Kosten aus dem konkreten Vertrag die prognostisch einzuplanenden Kosten entweder bei nur anlassbezogener Beauftragung eines Beraters oder Anstellung einer fachkundigen Bürokraft für Buchführung, Verwaltung und Korrespondenz als Vergleichsgröße und Höhenbegrenzung gegenüber zu stellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.