Sozialgericht Stade
Urt. v. 13.06.2013, Az.: S 33 SO 25/12

Anspruch auf Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Form der Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
13.06.2013
Aktenzeichen
S 33 SO 25/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 40305
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2013:0613.S33SO25.12.0A

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 28. September 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 verpflichtet, der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe in Gestalt der Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie gemäß §§ 53, 54 Abs 3 SGB XII ab 1. August 2011 zu gewähren. Der Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Form der Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie im Sinne der §§ 53, 54 Abs 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Die Klägerin, geboren am 21. Februar 2000, wurde aufgrund absehbarer Kindeswohlgefährdung im Falle eines Verbleibs bei der leiblichen Mutter am Tag nach ihrer Geburt in die Obhut des Jugendamtes G. genommen und lebt nach kurzem Aufenthalt in einer Bereitschaftspflegestelle seit dem 21. Juni 2000 in einer Pflegefamilie in H. im Landkreis I ... Das Kreisjugendamt I. ist als Amtsvormund bestellt. Die Klägerin erhält Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege gemäß § 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Da die leibliche Mutter der Klägerin seinerzeit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten lebte, trug zunächst der Beklagte die Kosten der Vollzeitpflege, wegen § 86 Abs 6 SGB VIII seit dem 01. Oktober 2002 der Landkreis I ...

Nachdem im Kindergartenalter Entwicklungsdefizite festzustellen waren, besuchte die Klägerin zunächst einen Sprachheilkindergarten in Zeven und einen heilpädagogischen Kindergarten. Mitte 2009 wurde die Klägerin im sozialpädiatrischen Zentrum der Klinik für Kinder und Jugendliche des Diakoniekrankenhauses J. gGmbH vorgestellt und zur Feststellung ihrer intellektuellen Fähigkeiten dem Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder (HAWIK IV) unterzogen. Die Klägerin erreichte einen Gesamttest-IQ von 65. Gemäß des Berichts vom 30. September 2009 diagnostizierten die beteiligten Ärzte unter Beteiligung einer Diplom-Psychologin, zweier Ergotherapeutinnen und einer Sozialpädagogin bei der Klägerin eine leichte geistige Behinderung (ICD-10: F70.1G) mit Verhaltensauffälligkeiten sowie eine Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung (ICD-10:F90.0G). Die Klägerin benötige im Vergleich mit Gleichaltrigen mehr Zeit, Wiederholungen und Geduld, um weitere Entwicklungsschritte zu gehen und Informationen zu verarbeiten, was einen weitaus höheren Erziehungsaufwand für die Pflegefamilie bedeute. Weitere Hilfen zur Entlastung der Pflegefamilie wurden empfohlen, konkret die Beteiligung eines familienentlastenden Dienstes sowie der Lebenshilfe. Langfristig sei nach einer Weiterbeschulung in der Lindenschule eine Wohnsituation in einem geschützten Rahmen, zB in den K. Werken, denkbar. Derzeit geht die Klägerin auf die Freie Rudolf-Steiner-Schule in L ... Nach den Angaben des Amtsvormunds im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 2013 sind bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 und die Pflegestufe II anerkannt.

Im Juli 2011 beantragte der Landkreis I. die Übernahme des Falles der Klägerin als Sozialhilfefall in die Zuständigkeit des Landkreises G. und begehrte zugleich die Kostenerstattung hinsichtlich der erbrachten Leistungen der Vollzeitpflege. Zugleich beantragte die Klägerin selbst durch ihren Amtsvormund am 26. Juli 2011 die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen für Behinderte beim Beklagten. Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 28. September 2011 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen ab. Die Klägerin sei zwar behindert im Sinne des § 2 SGB IX, diese Behinderung bedinge jedoch keinen Bedarf nach einer stationären Betreuung, so dass die Voraussetzungen des § 54 Abs 3 SGB XII nicht erfüllt seien. Den Widerspruch der Klägerin vom 27. Oktober 2011 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2012 zurück. Es bestehe kein Kausalzusammenhang zwischen der Behinderung der Klägerin und dem Aufenthalt in der Pflegefamilie. Durch die Betreuung in der Pflegefamilie werde kein Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden oder beendet im Sinne des Gesetzes. Es bestehe daher kein Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen. Am 20. Februar 2012 hat die Klägerin Klage erhoben.

Zur Begründung weist die Klägerin durch ihren Amtsvormund darauf hin, dass wegen § 10 Abs 4 Satz 1 SGB VIII Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII abweichend vom Regelfall den Leistungen nach dem SGB VIII vorgingen. Die Leistungen nach § 33 SGB VIII und § 54 Abs 3 SGB XII in Form der Hilfe zur Betreuung in einer Pflegefamilie seien identisch, so dass der Vorrang der Eingliederungshilfe hier durchgreife. Ihre Situation habe sich nach dem vorzeitigen Tod des Pflegevaters am 01. Mai 2011 verschlechtert. Sie sei in ihrer seelischen Entwicklung etwa ein Jahr zurück und könne keinen sozialen Kontakte aufbauen, sei aber in der Pflegefamilie gut integriert. Es beständen Einschränkungen im Bereich der Körperpflege und der Ernährung sowie der Mobilität und der zeitlichen und örtlichen Orientierung. Sie müsse laufend Medikamente einnehmen, auch zur Steuerung des vorhandenen Aggressionspotentials, und befinde sich bei verschiedenen Ärzten in laufender Behandlung, ua in einer Therapie wegen bestehender Ängste.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 28. September 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Januar 2012 zu verpflichten, der Klägerin antragsgemäß Leistungen der Eingliederungshilfe im Sinne der Hilfe zur Betreuung in der Pflegefamilie gem § 54 Abs 3 SGB XII zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass es sich bei dem Fall der Klägerin nicht um einen Eingliederungshilfefall handele. Es bestehe kein kausaler Zusammenhang zwischen der Betreuung in der Pflegefamilie und der Behinderung. Die Behinderung bringe gerade keinen Bedarf nach einem stationären Aufenthalt in einer Behindertenhilfe, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 54 Abs 3 SGB XII nicht erfüllt seien.

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den vorliegenden Verwaltungsvorgang des Beklagten, der auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 13. Juni 2013 war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige und als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage hat Erfolg.

Die angegriffene Ablehnungsentscheidung des Beklagten über die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zur Betreuung in der Pflegefamilie erweist sich als rechtswidrig und beschwert daher die Klägerin im Sinne des § 54 Abs 2 SGG. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat die Klägerin Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen auf Grundlage der §§ 53, 54 Abs 3 SGB XII. Nach Überzeugung des erkennenden Gerichts sind die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt. Gemäß § 53 Abs 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs 1 Satz 1 des Neunten Buches (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach Satz 2 können Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. Gemäß § 53 Abs 3 SGB XII ist es die besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Gemäß § 54 Abs 3 SGB XII ist eine Leistung der Eingliederungshilfe auch die Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie, soweit eine geeignete Pflegeperson Kinder und Jugendliche über Tag und Nacht in ihrem Haushalt versorgt und dadurch der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden oder beendet werden kann. Nach Satz 2 bedarf die Pflegeperson eine Erlaubnis nach § 44 SGB VIII.

1. Der Beklagte ist wegen § 98 Abs 2 SGB XII i.V.m. § 107 SGB XII im Falle der Klägerin zuständiger Leistungsträger für Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII.

2. Die Klägerin gehört ist zum Kreis der Behinderten nach § 2 Abs 1 SGB IX und ist damit dem Grunde nach leistungsberechtigt nach § 53 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB XII, denn nach der Feststellungen der Kinderklinik des Diakoniekrankenhauses J. von September 2009 ist sie leicht geistig behindert mit Verhaltensauffälligkeiten und weist eine Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung auf.

3. Die Klägerin ist durch ihre Behinderung in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, auch wesentlich im Sinne des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII eingeschränkt, so dass kein Ermessensfall des Satzes 2 vorliegt. Zur Feststellung der Wesentlichkeit wird hier auf die Orientierungshilfe der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) für die Feststellungen der Träger der Sozialhilfe zur Ermittlung der Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB XII i.V.m. der Eingliederungshilfeverordnung (EHVO), Stand 24.11.2009, zurückgegriffen. Gemäß dortiger Ziffer 5.2 unter Bezugnahme auf § 2 EHVO sind geistig wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII Personen, die infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfang in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sind. Unter Verweis auf die Erläuterungen zu ICD-10 sowie das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen, 4. Revision, (DSM-IV) ist die Teilhabefähigkeit in erheblichem Umfang eingeschränkt, wenn neben einer Minderung der Intelligenz (IQ unter 70) als Kriterium A auch Störungen in der Anpassung an die Anforderungen des alltäglichen Lebens in mindestens zwei Bereichen der Bereiche Kommunikation, eigenständige Versorgung, häusliches Leben, soziale/zwischenmenschliche Fähigkeiten, Nutzung öffentlicher Einrichtungen, Selbstbestimmtheit und funktionale Schulleistungen vorhanden sind (Kriterium B) und die Störung bereits vor dem 18. Lebensjahr eingetreten ist (Kriterium C). Bei der Klägerin sind unter Bezugnahme auf den Bericht des Diakoniekrankenhauses Rotenburg vom 30. September 2009 und die Darstellungen des Amtsvormunds in der mündlichen Verhandlung alle drei Kriterien für die Annahme einer Wesentlichkeit der Beeinträchtigungen durch die Behinderung erfüllt. In Bezug auf Kriterium B sind bei der Klägerin, soweit unter Berücksichtigung auf das Lebensalter bereits differenziert werden kann, jedenfalls im Bereich der zwischenmenschlichen Fähigkeiten, der funktionalen Schulleistungen und der eigenständigen altersentsprechenden Versorgung Störungen festzustellen.

4. Die Klägerin wird in einer Pflegefamilie betreut und wird dort von ihrer Pflegemutter als geeigneter Pflegeperson über Tag und Nacht ihrem Haushalt versorgt (§ 54 Abs 3 SGB XII). Es kann dabei unterstellt werden, dass die Pflegemutter eine Erlaubnis nach § 44 SGB VIII hat. Soweit bekannt, verfügt die Pflegemutter allerdings nicht über besondere Zusatzqualifikationen in sonderpädagogischer oder pflegerischer Hinsicht.

5. Durch die Betreuung der Klägerin in der Pflegefamilie wird - entgegen der Auffassung des Beklagten - auch der Aufenthalt der Klägerin in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden. Vor allen Dingen dieses Tatbestandsmerkmal war zwischen den Beteiligten streitig. Maßgeblich für die Prüfung, ob der in § 54 Abs 3 SGB XII vorausgesetzte Zusammenhang zwischen der Betreuung in der Pflegefamilie und der Vermeidung eines vollstationären Aufenthalts in einer Einrichtung der Behindertenhilfe ist die Frage, ob der Betroffene unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls aufgrund seiner Behinderung zwingend in einer solchen Einrichtung der Behindertenhilfe würde leben müssen, wenn Elternhaus und Pflegefamilie nicht zur Verfügung ständen, oder ob die erforderlichen Leistungen im Sinne der Eingliederungshilfe auch ambulant erbracht werden können. Denn mit der Einführung des § 54 Abs 3 SGB XII im August 2009 beabsichtigte der Gesetzgeber, die Möglichkeit zu schaffen, dass nicht nur im Rahmen der Jugendhilfe, sondern auch im Rahmen der Eingliederungshilfe Leistungen in Form der Hilfe zur Betreuung einer Pflegefamilie erbracht werden können und behinderten Kindern, bei denen ein behinderungsbedingter Bedarf nach Leistungen zur Teilhabe am Leben der Gemeinschaft besteht, nicht zwingend in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe leben müssen (siehe BT-Ds 16/13417 vom 17. Juni 2009, Seite 6). Vor Einführung des § 54 Abs 3 SGB XII bestand nur die Möglichkeit, Eingliederungshilfeleistungen nach § 53 ff SGB XII entweder stationär oder ambulant zu erbringen. Die ambulante Erbringung von Eingliederungshilfeleistungen setzt voraus, dass der Betroffene außerhalb einer stationären Einrichtung lebt, dh in einer ambulant betreuten Wohnform. Die Kosten für das Leben in einer Pflegefamilie, vergleichbar der Vollzeitpflege im Sinne des § 33 SGB VIII ließen sich unter die gesetzlichen Vorgaben vor Einführung des § 54 Abs 3 SGB XII nicht subsummieren.

Aus dem Tatbestandsmerkmal, dass durch die Betreuung in einer Pflegefamilie der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden oder beendet wird, folgt, dass zwischen der Betreuung in der Pflegefamilie und der Nichtunterbringung in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe ein Kausalzusammenhang bestehen muss, dh die Betreuung in der Pflegefamilie der Grund dafür ist, dass eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe nicht erfolgt. Bestand von vornherein keine Notwendigkeit zum Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe, so kommt auch keine Betreuung in einer Pflegefamilie in Betracht (vgl Wehrhahn in: jurisPK-SGB XII, § 54, Rn 62). Nach Lesart des erkennenden Gerichts ist der Kausalzusammenhang erfüllt, wenn im Einzelfall der Betroffene in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe leben müsste, wenn er nicht in der Pflegefamilie betreut werden könnte. Dabei muss es mit Blick auf Sinn und Zweck der Regelung auf eine tatsächliche und nicht auf eine theoretische Betrachtungsweise ankommen, weshalb unerheblich ist, warum die Unterbringung in der Pflegefamilie ursprünglich erfolgte. Entscheidend ist die aktuelle Alternative zur gegebenen Wohnform. Nach dieser Maßgabe ist nach Auffassung des Gerichts die Notwendigkeit zum Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behinderteneinrichtung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bejahen.

Für die Klägerin scheidet mit ihren bei Antragstellung im Juli 2011 elf Jahren aus Altersgründen ein Alleinleben aus. Das Elternhaus steht nicht zur Verfügung. Anstelle der Betreuung in der Pflegefamilie käme damit theoretisch von vornherein nur eine stationäre Unterbringung entweder in einer Einrichtung der Jugendhilfe oder in einer Einrichtung der Behindertenhilfe in Betracht.

Obwohl dem Beklagten darin zuzustimmen ist, dass der behinderungsbedingte Betreuungsbedarf in pflegerischer, sonderpädagogischer und psychologischer Hinsicht theoretisch auch ambulant gedeckt werden könnte, scheidet die Unterbringung in einer Einrichtung der Jugendhilfe nach Überzeugung der Kammer für die Klägerin faktisch aus, denn eine solche Einrichtung kann der Klägerin nicht den erforderlichen geschützten Rahmen, vergleichbar mit der Situation in der Pflegefamilie mit der Pflegemutter als enger Bezugsperson, bieten. Die Klägerin benötigt jedoch aufgrund ihrer behinderungsbedingten Einschränkungen gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich einen geschützten Rahmen und ein stabiles verlässliches Umfeld. Dies geht aus dem Bericht des Diakoniekrankenhauses Rotenburg vom 30. September 2009 hervor, denn dort wird für die Zukunft ausdrücklich eine Wohnsituation in einem geschützten Rahmen empfohlen. Konkret benannt wurden dabei die Rotenburger Werke, eine Behinderteneinrichtung. Die Beschreibungen der Fähigkeiten der Klägerin durch ihren Amtsvormund im Rahmen der mündlichen Verhandlung lassen ebenfalls erkennen, dass die Klägerin nicht so selbständig wie ein Kind vergleichbaren Alters ist, Defizite im lebenspraktischen Bereich aufweist und auch nicht zeitlich und örtlich orientiert ist. Es bestehen mithin nicht in erster Linie Defizite im Bereich der Erziehung, die klassischerweise durch Maßnahmen der Jugendhilfe ausgeglichen werden. Das Gericht geht davon aus, dass eine stationäre Einrichtung der Jugendhilfe in Bezug auf das dort tätige Personal und dortige Strukturen nicht darauf ausgelegt ist, behinderungsbedingte Defizite im kommunikativen und lebenspraktischen Bereich aufzufangen, sondern vielmehr Kindern und Jugendlichen Hilfe bietet und Erziehung angedeihen lässt, wenn das eigene Elternhaus diese Aufgabe nicht wahrnehmen kann. Es reicht nach dem Dafürhalten der Kammer deshalb nicht aus, allein darauf abzustellen, dass der spezifizierbare Betreuungsbedarf der Klägerin in pflegerischer, sonderpädagogischer und psychologischer Hinsicht ambulant gedeckt werden könnte, zB indem im Rahmen der Eingliederungshilfe entsprechende Leistungen durch Fachkräfte ambulant während des Aufenthalts der Klägerin in der Jungendhilfeeinrichtung erbracht werden. Theoretisch wird dies zu bejahen sein, soweit eine solche ambulante Betreuung mit den Abläufen in einer Jugendhilfeeinrichtung in Einklang zu bringen ist. Die ambulante Betreuung kann jedoch nicht die enge persönliche Beziehung der Klägerin zu ihrer Pflegemutter oder eine anderen Bezugsperson ersetzen. Der geschützte Rahmen, der seitens der Ärzte des Diakoniekrankenhauses im Bericht von 2009 für erforderlich gehalten wird, kann in einer stationären Einrichtung der Jugendhilfe nicht gewährleistet werden. Die Argumentation des Beklagten greift daher zu kurz, denn die Problematik des Wohnens an sich und der besonderen behinderungsbedingten Anforderungen an ein stabiles verlässliches Umfeld wird nicht ausreichend beachtet. Die Klägerin wäre in einer Jugendhilfeeinrichtung trotz der Möglichkeit ambulanter Betreuung nicht adäquat untergebracht, da sie aufgrund der behinderungsbedingten Defizite gerade im Bereich der Kommunikation und der lebenspraktischen Fähigkeiten nach Einschätzung der Kammer den Anforderungen des Alltags in einer Jugendhilfeeinrichtung nicht gewachsen wäre. Damit verbliebe außerhalb der Pflegefamilie nur die Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe.

Der sich aus §§ 53, 54 Abs 3 SGB XII ergebende Anspruch auf Hilfe für die Betreuung in der Pflegefamilie, dh die Übernahme der Kosten für die Unterbringung der Klägerin in der Pflegefamilie ist als Leistung der Eingliederungshilfe kongruent und identisch mit der entsprechenden Hilfe zur Vollzeitpflege im Sinne des § 33 SGB VIII. Abweichend von dem in § 10 Abs 4 Satz 1 SGB VIII festgelegten Grundsatz, dass Leistungen nach dem SGB VIII den Leistungen nach dem SGB XII vorgehen, greift hier die Ausnahmeregelung in § 10 Abs 4 Satz 2 SGB VIII. Die Klägerin hat Anspruch auf Eingliederungshilfe vorrangig vor entsprechenden Leistungen der Jugendhilfe.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.