Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 19.02.2002, Az.: 2 B 2019/02

Auskunftsanspruch; Heimbewohner; Nachrang; Negativevidenz; Unterhaltsanspruch

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
19.02.2002
Aktenzeichen
2 B 2019/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41644
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der einem Sozialhilfeempfänger Unterhaltsverpflichtete kann sich dem Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 116 BSHG in der Regel nur dann verweigern, wenn ein Fall der sog. "Negativevidenz" vorliegt.

Gründe

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Der Antrag,

2

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 16.01.2002 gegen den Bescheid der Stadt Göttingen vom 07.01.2002 wiederherzustellen,

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ist zulässig, aber unbegründet. Dem Antragsteller ist kein vorläufiger Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung des streitbefangenen Bescheides, mit dem die in Sozialhilfeangelegenheiten namens und im Auftrag des Antragsgegners handelnde Stadt Göttingen den Antragsteller gemäß § 116 Abs. 1 BSHG zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse aufgefordert hat, zu gewähren.

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In formeller Hinsicht ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Auskunftsverpflichtung zwar knapp, aber noch hinreichend dargetan (§ 80 Abs. 3 VwGO). Die Stadt Göttingen hat nämlich ein besonderes öffentliches Interesse dargetan, indem sie die zügige Durchsetzung möglicher Unterhaltsansprüche mit der Verwirklichung des in § 2 BSHG wurzelnden Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe begründet.

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In materieller Hinsicht ist der angefochtene Bescheid ebenfalls nicht zu beanstanden. In dem Verfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen und dabei die privaten Interessen des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung eines Bescheides verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an seiner zeitnahen Durchsetzung gegeneinander abzuwägen. Dabei ist vor allem auf die Erfolgsaussichten des Widerspruchsverfahrens abzustellen. Da dies wohl zu Ungunsten des Antragstellers ausgehen dürfte, fällt die Interessenabwägung zu seinen Lasten aus.

6

Die Stadt Göttingen hat das Auskunftsersuchen an den Antragsteller zu Recht auf § 116 Abs. 1 BSHG gestützt. Diese Vorschrift verpflichtet die Unterhalts- und die Kostenersatzpflichtigen, dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung des Bundessozialhilfegesetzes es erfordert. Sie begründet eine eigenständige öffentlich-rechtliche Pflicht zur Auskunftserteilung, der ein Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers gegenübersteht, und ermächtigt diesen bzw. die von ihm herangezogenen Gebietskörperschaften (hier die Stadt Göttingen), die Auskunftspflicht durch Verwaltungsakt gegenüber dem Pflichtigen geltend zu machen und bei Auskunftsverweigerung im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen. Damit hat der Gesetzgeber den Gegenstand der Auskunftspflicht individualisiert und personenbezogen definiert. Diese persönliche Zuordnung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse begrenzt jedoch auch die Verpflichtung. Die Durchsetzung des Auskunftsanspruchs kann daher nur gegenüber dem (potentiell) Unterhalts- bzw. Kostenersatzpflichtigen, nicht aber gegenüber Dritten durchgesetzt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.01.1993 - 5 C 22/90 -, NJW 1993, 2762 ff.). Voraussetzung des Auskunftsverlangens ist allerdings nicht, dass der evt. kraft Gesetzes übergegangene Unterhaltsanspruch tatsächlich besteht. Zur Auskunft ist bereits derjenige verpflichtet, der als Unterhaltsschuldner in Betracht kommt, es sei denn, der Unterhaltsanspruch besteht offensichtlich nicht (mehr) oder der Forderungsübergang ist aus einem anderen Grunde offensichtlich ausgeschlossen (sog. Negativevidenz, vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 21.01.1993 - 5C 22.90 -, BVerwGE 91, 375). Dies folgt aus dem Zweck des Auskunftsanspruchs, der dem Sozialhilfeträger erst die Prüfung ermöglichen soll, ob und in welchem Umfang der Nachrang der Sozialhilfe gem. § 2 Abs. 1 BSHG durch Inanspruchnahme Dritter hergestellt werden kann.

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In Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze ist der Antragsteller auskunftsverpflichtet. Er ist ein Sohn der Frau Elfriede B., der die Stadt Göttingen ab 02.07.2001 Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme aus dem Einkommen und Vermögen nicht gedeckter Heimkosten) gewährt. Der Antragsteller ist als Verwandter in gerader Linie der Hilfeempfängerin gem. § 1601 BGB grundsätzlich unterhaltsverpflichtet. Dies löst die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach § 116 BSHG aus. Wenn der Antragsteller vorträgt, seine Mutter habe gegen ihn keine Unterhaltsansprüche, weil sie ohne Not aus einer angemessenen Heimunterkunft, die sie mit eigenen Mitteln habe bezahlen können

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- dem L. -, in das "teurere" W. in Göttingen umgezogen sei und sich somit selbst bedürftig gemacht habe, mag dies ggf. bei der Frage erheblich sein, ob und in welcher Höhe der Antragsteller zivilrechtlich tatsächlich Unterhalt wird leisten müssen. Diese Frage ist aber nachrangig und erst zu einem späteren Zeitpunkt (sollte der Antragsteller denn tatsächlich in Anspruch genommen werden) zivilgerichtlich überprüfbar. Keinesfalls liegt ein Fall der Negativevidenz vor, denn Gründe für den Wechsel des Heimes sind aus den Verwaltungsvorgängen erkennbar. Auf Bl. 65 der Beiakten findet sich ein Gesprächsvermerk des Sachbearbeiters im Sozialamt der Stadt Göttingen, dem eine Schwester des Antragstellers telefonisch mitgeteilt hat, dass ihre Mutter den L. aufgrund der dortigen "schlechten Pflege" verlassen habe. Ob dies zutrifft oder nicht und ob die Mutter des Antragstellers - unabhängig davon wie gut oder schlecht sie gepflegt wird - nicht das Recht hat, sich einen Heimplatz nach ihrer freien Wahl auszusuchen, mag ggf. in einem Unterhaltsprozess geklärt werden, hindert den Antragsgegner aber nicht, seinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Antragsteller jetzt durchzusetzen.

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Gegen die Zwangsgeldandrohung ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern; sie findet ihre Rechtfertigung in §§ 64 Abs. 1 u. 4, 65 Abs. 1, 67 und 70 NGefAG.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.