Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 12.02.2002, Az.: 4 A 4081/00
allgemeine Gefahr; Fluchtalternative; Flüchtlingslager; Gruppenverfolgung; Inguschen; Inguschetien; politische Verfolgung; Russische Föderation; Tschetschenien
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 12.02.2002
- Aktenzeichen
- 4 A 4081/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41844
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs 1 AuslG
- § 53 Abs 4 AuslG
- § 53 Abs 6 S 1 AuslG
- Art 16a Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Inguschen aus Tschetschenien haben allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit nicht mit landesweiter politischer Verfolgung in der Russischen Föderation zu rechnen.
2. Inguschen aus Tschetschenien haben allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG.
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerinnen die Verpflichtung der Beklagten begehrt haben, sie als Asylberechtigte anzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerinnen trägen die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerinnen sind russische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1. lebte bis zum Oktober 1999 in Grosny. Die Klägerin zu 2. wurde in der Bundesrepublik Deutschland geboren.
Nachdem die Klägerin zu 1. gemeinsam mit ihrer Mutter, der Klägerin im Verfahren 4 A 4082/00, über das die Kammer mit Urteil von heute ebenfalls entschieden hat, in Grosny im Oktober 1999 verlassen hatten, lebten sie zunächst bei Bekannten in Inguschetien und seit Mitte Januar 2000 in Moskau.
Am 19. Februar 2000 reisten die Klägerin zu 1. mit dem Lkw kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellte sie am 20. Februar 2000 und die Klägerin zu 2. kurz nach ihrer Geburt Asylanträge, die sie bei der Anhörung der Klägerin zu 1. im Rahmen der Vorprüfung am 2. März 2000 im wesentlichen wie folgt begründeten:
Politisch sei sie nicht aktiv gewesen. Seit Dudajev an der Macht sei, gebe es in Tschetschenien keine Ordnung mehr. Sie hätten ständig Angst gehabt. In Inguschetien, von wo sie ursprünglich stammten, hätten sie keine Verwandten gehabt. In Russland würden sie als Tschetschenen angesehen und verfolgt.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2000 lehnte die Beklagte die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und forderte die Klägerinnen auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung in die Russische Föderation androhte. Die von der Klägerin zu 1. geschilderten Ereignisse seien nicht asylrelevant. Sie seien Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen. Im übrigen würden Inguschen in Russland nicht landesweit verfolgt.
Hiergegen haben die Klägerinnen am 7. Juni 2000 Klage erhoben.
Zu deren Begründung tragen sie vor, ihre illegale Einreise spreche für ihre ausweglose Situation. Grosny sei zerbombt. In Russland würden die Klägerinnen für Tschetschenen gehalten. Bei einer etwaigen Rückkehr nach Russland müssten sie auf der Straße leben.
Nachdem die Klägerinnen die Klage im Hinblick auf die Asylgewährung in der mündlichen Verhandlung zurück genommen haben, beantragen sie nunmehr noch,
die Beklage unter Aufhebung ihres insoweit entgegenstehenden Bescheides vom 23. Mai 2000 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen,
hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich zur Sache nicht geäußert und stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten in diesem und in dem Verfahren 4 A 4082/00 Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso wie die den Beteiligten mit der Ladung übersandten Erkenntnismittelliste Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Klage zurück genommen worden ist, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die zulässige Klage unbegründet. Die Klägerinnen haben weder einen Anspruch darauf, dass die Beklagte verpflichtet wird, die Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG festzustellen noch darauf, festzustellen, dass im Fall der Klägerinnen Abschiebungshindernisse vorliegen.
Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG liegen nicht vor.
Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und diejenigen des Art. 16 a Abs. 1 GG sind identisch, was die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung anbetrifft. Auch hinsichtlich der Frage, ob die Gefahr politischer Verfolgung droht, bestehen zwischen den genannten Bestimmungen keine Unterschiede (BVerwG, Urteil vom 10.05.1994 - DVBl. 1994, 940 f. [BVerwG 10.05.1994 - BVerwG 9 C 501/93] m.w.N.). Deshalb geht das Gericht insoweit auch im Rahmen der Prüfung des Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG von den Grundsätzen aus, die für die Anwendung des Art. 16 a Abs. 1 GG gelten (so auch OVG Lüneburg, Urteil vom 23.11.1995
- 11 L 3396/94 -).
Asylrechtlichen Schutz gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.06.1993, BGBl. I S. 1002) genießt, wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.07.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80, BVerfGE 54, 341, 357). Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden. Diese müssen von einer Intensität sein, die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als (landesweite) ausgrenzende Verfolgung darstellt, so dass der davon Betroffene wegen einer für ihn ausweglosen Lage gezwungen ist, im Ausland Schutz zu suchen (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80, 315, 334 f, 344).
Die politische Verfolgung muss bei verständiger Würdigung aller Umstände des Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Einem Asylbewerber, der wegen bereits erlittener Verfolgungsmaßnahmen sein Heimatland verlassen hat, kann eine Rückkehr nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfG, Beschl. v. 02.07.1980, aaO., 361 f.). Dabei steht der bereits eingetretenen die unmittelbar drohende politische Verfolgung gleich (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989, aaO., 345).
Die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylbewerbers kann sich auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Sieht der Verfolger von individuellen Momenten gänzlich ab, weil seine Verfolgung der durch das asylerhebliche Merkmal gekennzeichneten Gruppe als solcher gilt, so kann eine solche Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat eigener Verfolgung jederzeit gewärtig sein muß (BVerfG, Beschl. v. 23. Januar 1991, BVerfGE 83, 216, 230 f.). Verfolgungen durch Dritte können nur dann asylrechtlich erheblich sein, wenn der Staat einzelne oder Gruppen zu Verfolgungsmaßnahmen anregt oder derartige Handlungen unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit den Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt, weil er hierzu nicht willens oder nicht in der Lage ist (BVerfG, Beschl. vom 2. Juli 1980, aaO., 358 f. und BVerwG, Urt. v. 3. Dezember 1985, BVerwGE 72, 269 f.). Wer von nur regionaler politischer Verfolgung betroffen ist, ist erst dann politisch Verfolgter i.S. von Art. 16 a Abs. 1 GG, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird. Bei einer regionalen Gruppenverfolgung bleiben m.a.W. die außerhalb der Verfolgungsregion lebenden Angehörigen der verfolgungsbetroffenen Gruppe unbehelligt. Bei einer derartigen "Regionalisierung" des äußerlichen Verfolgungsgeschehens, das unter ungewissen Bedingungen stets in eine landesweite Verfolgung umschlagen kann, bleiben die außerhalb der Region, in der die Verfolgung praktiziert wird, lebenden Gruppenmitglieder mitbetroffen; ihre potentielle Gefährdung macht sie zwar nicht selbst zu Verfolgten, rechtfertigt aber die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs, wenn die regionale Gefahr als objektiver Nachfluchttatbestand auftritt. Deshalb kommt für diese Gruppenangehörigen als inländische Fluchtalternative nur ein anderer Teil seines Heimatstaates in Betracht, in dem er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989, aaO. und vom 10. November 1989, BVerfGE 81, 58, 65; BVerwG, Urteile v. 14. Dezember 1993, DVBl. 1994, 524, vom 13. Mai 1993, NVwZ 1993, 1210; vom 16. Februar 1993, NVwZ 1993, 791; vom 30. April 1996, DVBl 1996, 1260; vom 09. September 1997, DVBl 1998, 274 und vom 05. Oktober 1999, NVwZ 2000, 332). Die Annahme einer inländischen Fluchtalternative setzt weiter voraus, dass das Gebiet auf das der Asylbewerber verwiesen werden soll, und sei es auch nur freiwillig, in zumutbarer Weise erreicht werden kann (BVerwG, .Urteil vom16. Januar 2001, InfAuslR 2001, 241).
Aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht ist es zunächst Sache des Asylsuchenden, seine guten Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei einer Rückkehr in sein Heimatland politische Verfolgung droht. In Bezug auf die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse hat er eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, den geltend gemachten Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, Beschl. v. 26. Oktober 1989, InfAuslR 1990, 38). Ein im Laufe des Asylverfahrens sich widersprechendes oder sich steigerndes Vorbringen kann die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden in Frage stellen. Ändert er in einem späteren Vortrag sein früheres Vorbringen, so muss er überzeugende Gründe darlegen, weshalb sein früheres Vorbringen falsch gewesen ist, will er nicht den Eindruck der Unglaubwürdigkeit erwecken (BVerwG, Urteile v. 12. November 1985, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 41 und vom 23. Februar 1988, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 79 sowie Beschluss vom 21. Juli 1989, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 113).
Gemessen an diesen Grundsätzen vermag das Vorbringen der Klägerinnen einen Anspruch auf Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht zu begründen.
Individuelle Verfolgungsgründe können die Klägerinnen nicht für sich in Anspruch nehmen, da sie nach ihrem eigenen Vorbringen keinen asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt gewesen sind. Die gegen die Klägerin zu 1. gerichteten behördlichen Maßnahmen haben kein asylerhebliches Maß erreicht, sondern erschöpften sich in behördlichen Diskriminierungsmaßnahmen und die Klägerin zu 2. ist in der Bundesrepublik Deutschland geboren.
Aber auch die Voraussetzungen für die Annahme einer unmittelbaren oder mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung liegen für die Klägerinnen nicht vor.
Zwar ist nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln davon auszugehen, dass die Klägerinnen als Inguschen und in Tschetschenien Geborene (Klägerin zu 1.) in Tschetschenien allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit mit asylrelevanter politischer Verfolgung zu rechnen haben. Insoweit wird übereinstimmend von massiven und willkürlichen, jeden Angehörigen einer kaukasischen Volksgruppe zu jeder Zeit treffen könnenden Menschenrechtsverletzungen berichtet (vgl. nur Auswärtiges Amt, Lagebericht Russische Föderation vom 28. August 2001; ai, Stellungnahme vom 08. Oktober 2001 zum Ad hoc Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24. April 2001; IGFM, Stellungnahme an VG Schleswig vom 20. Dezember 2000; GfBV, Pressemitteilung vom 27. September 2001).
Die Klägerinnen sind jedoch nach dem herabgestuften Prognosemaßstab in anderen Landesteilen der Russischen Föderation hinreichend sicher vor politischer Verfolgung. Dies lässt sich schon daran erkennen, dass über 350.000 Tschetschenen aus ihrer Heimat vertrieben wurden und zum großen Teil in andere Regionen der Russischen Föderation geflohen sind, ohne dass von asylrelevanten Übergriffen gegen diese berichtet wird. So befinden sich 150.000 bis 160.000 Flüchtlinge in Inguschetien, wovon 65% in Gastfamilien und der Rest in Zeltlagern und in Eisenbahnwagons leben. 5.000 Flüchtlinge halten sich in Dagestan und 30.000 in anderen Regionen der russischen Föderation auf. 160.000 Menschen sind innerhalb Tschetscheniens auf der Flucht (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28. August 2001; UNHCR Papier aus Januar 2002). Zwar wird, was auch die Einlassung der Klägerin zu 1. In der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, aus vielen Gegenden der Russischen Föderation von behördlichen Willkürmaßnahmen insbesondere im Zusammenhang mit der für die Gewährung von Wohnraum, Erhalt von Arbeitsplätzen und Teilhabe an der medizinischen Versorgung wichtigen Registrierung ("Propiska") berichtet. Einerseits ist die Behördenpraxis jedoch uneinheitlich und wird von geringeren Schwierigkeiten in ländlichen Regionen berichtet oder es können für Gebiete außerhalb der großen Städte wie Moskau, St. Petersburg oder Stavropol keine Feststellungen getroffen werden. Andererseits erscheint zweifelhaft, dass die geschilderten Maßnahmen einen Eingriff in Leben, Leib oder körperliche Unversehrtheit darstellen und damit ein asylerhebliches Maß übersteigen (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O.; Ndl. Justizministerium, Tschetschenien-Checkliste und Allgemeine Informationen, Stand: Januar 2000; IGFM, a.a.O.; ai, a.a.O.; Stellungnahme an VG Ansbach vom 12. Januar 2001). Allerdings ist nicht zu verkennen, dass ai in seiner Stellungnahme zum Ad hoch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24. April 2001 meint, dass nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass Tschetschenen auch in anderen Teilen der Russischen Föderation polizeilicher Willkür, Folter, Misshandlung und Erpressung ausgesetzt werden auch wenn sie sich nicht kämpferisch oder politisch in der Tschetschenienfrage engagiert habe. Dem kann das Gericht in dieser Allgemeinheit indes nicht folgen. So steht den Klägerinnen als Inguschen jedenfalls in Inguschetien eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung, wo sich die Klägerin zu 1. mit ihrer Mutter nach ihrer Flucht aus Tschetschenien auch einige Zeit aufgehalten haben. So hält auch die IGFM für eine kaukasische Minderheit, deren nationales Stammesgebiet innerhalb der Russischen Föderation liegt, dieses Gebiet für sicher, soweit, was hier der Fall ist, keine Verfolgung aus politischen Gründen zu erwarten ist. Dies wird durch das UNHCR-Papier aus dem Januar 2002 bestätigt, in dem es heißt, die inguschische Regierung habe bei mehreren Gelegenheiten ihre Bereitschaft erklärt, ethnische Inguschen, die aus Tschetschenien geflohen sind, in Inguschetien zu integrieren.
Den Klägerinnen würden in Inguschetien, selbst wenn sie in einem Flüchtlingslager leben müssten und nicht wieder, wie vor ihrer Ausreise, bei Bekannten unterkommen könnten, keine anderen unzumutbaren Nachteile drohen, die an ihrem Herkunftsort so nicht bestünden. Da die Klägerinnen nach ihrem Vortrag in Tschetschenien alles verloren haben, müssten sie auch in ihrer Heimat und zwar unter noch viel größeren Gefahren als Flüchtling leben. Es wird nicht verkannt, dass ein Leben in einem inguschischen Flüchtlingslager schwierig und kräftezehrend sein wird. Ein Mindestmaß an humanitärer Hilfe wird jedoch auch hier durch staatliche Stellen mit Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen sicher gestellt (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O.).
Haben die Klägerinnen somit keinen Anspruch auf Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft, liegen auch die Voraussetzungen für die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG nicht vor.
Es besteht zunächst nach dem Vorgesagten nicht die, hier erforderliche, beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerinnen landesweit einer erniedrigenden, menschenunwürdigen Behandlung im Sinne von § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgesetzt sein werden. Auch auf ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG können sich die Klägerinnen nicht berufen.
Diese Vorschrift setzt im Einzelfall eine erhebliche, individuell konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit voraus. Es muss mithin eine schwere existenzielle Bedrohung konkret zu befürchten sein, die sich nicht schon aus der allgemeinen Lage in der Russischen Föderation herleiten ließe. Allgemeine Gefahren, die nicht nur dem betreffenden Ausländer, sondern zugleich der ganzen Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, begründen auch dann nicht Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, wenn sie den Ausländer konkret und individualisierbar betreffen; sie sind einer politischen Leitentscheidung im Sinne des § 54 AuslG vorbehalten. Lediglich wenn einem Ausländer im Zielstaat im Ausnahmefall so erhebliche konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen, dass unmittelbar aus dem Grundgesetz die Gewährung von Abschiebungsschutz geboten ist (Art. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 GG), wenn also die Abschiebung eine Rückkehr in den sicheren Tod oder in Krankheit und Siechtum bedeuten würde, sind allgemeine Gefahren durch eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG zu berücksichtigen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Soweit von der existentiell schwierigen Lage aller kaukasischer Minderheiten in der Russischen Föderation berichtet wird, handelt es sich um eine allgemeine Gefahr, die nicht im Rahmen von § 53 Abs. 6 AuslG berücksichtigt werden kann. Nach dem zuvor Gesagten werden die Klägerinnen auch nicht unter Inkaufnahme konkreter Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit in die Russische Föderation abgeschoben. Insbesondere in einem Flüchtlingslager in Inguschetien besteht eine solche Gefahr nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit.