Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 19.03.2013, Az.: 3 B 963/13

Verletzung eines Beamten in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch; Fehlerhaftigkeit einer beamtenrechtlichen Auswahlentscheidung bei Vermengung voneinander unabhängiger Verfahrensschritte der Beurteilung und anschließender Beförderungsauswahl

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
19.03.2013
Aktenzeichen
3 B 963/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 35470
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2013:0319.3B963.13.0A

Gründe

Der Antrag hat Erfolg. Der Antragsteller, ebenso wie der Beigeladene Technischer Oberamtsrat (BesGr. A 13) bei der Antragsgegnerin, hat glaubhaft gemacht, dass sein allein in Betracht kommender Anspruch auf eine verfahrens- und ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung verletzt ist und der Sicherung bedarf (§ 123 Abs. 1 S.1, Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Zulässigkeitsbedenken auch im Hinblick auf das mit demselben Beigeladenen vor dem VG Darmstadt anhängig gewesene Verfahren (1 L 1649/12.DA; stattgebender Beschluss vom 28.02.2013) bestehen nicht mehr, da nach der ergänzenden Klarstellung durch die Antragsgegnerin feststeht, dass eine Rangreihenfolge, der Antragsteller mithin mit allen in einer derartigen Liste vor ihm Stehenden (vgl. die von der Antragsgegnerin vorgelegte "Beförderungspotentialliste") konkurrieren müsste, nach der Beförderungspraxis der Antragsgegnerin nicht besteht.

Der Antrag ist auch begründet. Die Eilbedürftigkeit und damit der erforderliche Anordnungsgrund liegt vor, denn im Falle einer Ernennung eines ausgewählten Beamten erledigt sich das Begehren eines Antragstellers, den ausgeschriebenen Dienstposten und die damit verbundene Planstelle zu erhalten (vgl. hierzu etwa Nds. OVG, Beschluss vom 04.05.2010, AZ 5 M 46/10). Diese Grundsätze gelten trotz der Beurlaubung und der Tätigkeit des Antragstellers und des Beigeladenen für zivilrechtliche Gesellschaften hier ebenso, weil diese Zusammenhänge an deren Beamtenstatus nichts ändern (vgl. § 4 Abs. 4. S. 5 PostPersRG). Diese Erwägungen gelten auch, soweit es hier "lediglich" um eine Zulage geht, weil die Gewährung der Amtszulage nach Anlage IX zum BBesG (vgl. BBesG Anlage I Besoldungsgruppe A 13 Amtl. Anm. 11) nach Leistungsgrundsätzen erfolgt ist. Die Eilbedürftigkeit für das vorliegende Verfahren ergibt sich daraus, dass dem Antragsteller unter dem 19.11.2012 die angegriffene Auswahlentscheidung mitgeteilt worden ist und die Antragsgegnerin nach seinem unwidersprochenen Vortrag ab der 2. Dezemberwoche mit der Übersendung der Beförderungsurkunden für die Beförderungsrunde 2012 begonnen hat.

Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsanspruch zur Seite, denn die hier getroffene Entscheidung verletzt ihn in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch.

Eine Auswahlentscheidung ist auf der Grundlage der Bewertung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung der Bewerber zu treffen (Art. 33 Abs. 2 GG, § 9 BeamtStG) und unterliegt einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle dahingehend, ob die Verwaltung den anzuwendenden Rechtsbegriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien verstoßen hat. Erweist sich anhand dieses Maßstabes die Auswahlentscheidung als fehlerhaft und lässt sich nicht ausschließen, dass der Antragsteller bei einer erneuten Auswahlentscheidung des Antragsgegners ausgewählt werden wird, hat der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erfolg.

Das Beförderungsverfahren bei der Antragsgegnerin gestaltet sich nach ihrer Darstellung in der Antragserwiderung im Grundsatz wie folgt:

Das Bundesministerium der Finanzen hat der Deutschen Telekom AG (DTAG) für 2012 ca. 2700 Beförderungsplanstellen genehmigt. Die Planstellenverteilung erfolgt prozentual der jeweiligen Beamten pro Besoldungsgruppe; pro Besoldungsgruppe erfolgt weiterhin eine quotierte Zuweisung von Beförderungsplanstellen auf die 41 verschiedenen Betriebe/Einheiten, die zur DTAG gehören bzw. in denen beurlaubte Beamte der DTAG beschäftigt sind. Der Zugriff einer Einheit auf die Planstellen einer anderen Einheit ist ausgeschlossen.

Bei der Ausbringung und Bewirtschaftung besetzbarer Beförderungsstellen wird aufgrund einer Entscheidung der DTAG eine Korrespondenz zwischen der Zahl der mit der jeweils besten Gesamtnote beurteilten Beamten und der Zahl der jeweils für eine Besetzung freigegebenen Stellen angestrebt. Das bedeutet, dass die Obergrenze für die Erteilung der Bestbeurteilungen mit der Anzahl der zugewiesenen Planstellen korrespondiert, mit anderen Worten lediglich so viele Beurteilungen mit der Bestnote erteilt werden, wie im jeweiligen Bereich Beförderungsplanstellen vorhanden sind.

Es kann dahinstehen, ob sich das so gestufte Verfahren bereits auf seiner ersten Stufe, nämlich bei der Verteilung der Beförderungsstellen auf die unterschiedlichen Betriebe/Einheiten als fehlerhaft erweist. Zwar mag einiges dafür sprechen, dass die Zuweisung der Planstellen im weiten verwaltungs- und organisationspolitischen Ermessen des Dienstherrn steht, auch wenn sie einer an Eignung und Leistung orientierten Auswahlentscheidung vorausgehen (so Nds. OVG, Beschluss vom 17.09.2012, 5 ME 121/12; [...]). Zutreffend ist allerdings ebenso, dass diese Vorgehensweise jedenfalls einheitenübergreifend dazu führen kann, dass in einer Einheit leistungsschwächere Beamte befördert werden, weil dort (noch) Beförderungsplanstellen zur Verfügung stehen, während im Vergleich leistungsstärkere Beamte in einer anderen Einheit mangels entsprechender Planstellen nicht zum Zuge kommen (vgl. im Einzelnen hierzu VG Darmstadt, Beschluss vom 15.02.2013, 1 L 1653/12.DA; [...] sowie im Beschluss vom 28.02.2013, 1 L 1649/12.DA); dementsprechend wäre (ein) maßgebendes Kriterium für eine Beförderung nicht der Leistungsgrundsatz, sondern letztlich die Größe der jeweiligen Einheit.

Jedenfalls erweist sich die getroffene Entscheidung in ihrer zweiten Stufe als fehlerhaft. Hierzu hat das VG Göttingen (mit Beschluss vom 08.02.2013, 1 B 288/12; [...]) ausgeführt:

"Die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin ist bereits deshalb rechtswidrig, weil sie die beiden separaten, d.h. an sich nacheinander abzuwickelnden und voneinander unabhängigen Verfahrensschritte der Beurteilung und anschließenden Beförderungsauswahl in unzulässiger Weise miteinander vermengt hat. Da nur die mit der Spitzennote beurteilten Beamten befördert werden und alle übrigen Konkurrenten von einer Beförderung ausgeschlossen sind, wird bereits auf der Ebene der dienstlichen Beurteilung die Auswahlentscheidung durch einen insoweit unzuständigen Vorgesetzten faktisch vorweg genommen. Dies verstößt gegen den Grundsatz der Chancengleichheit und gegen den Leistungsgrundsatz (s. VG Minden, Beschluss vom 14.01.2013 - 10 L 745/12 -; VG Arnsberg, Beschluss vom 13.12.2012 - 13 L 908/12 -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17.01.2013 - 12 L 1612/12 -)."

Diesen Erwägungen, die, soweit ersichtlich, von der einhelligen Rechtsprechung geteilt werden (vgl. über die zitierten Entscheidungen hinaus VG Stuttgart, Beschluss vom 07.02.2013, 8 K 3954/12, VG Bayreuth, Beschluss vom 05.02.2013, B 5 S 12.1014, VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17.01.2013, 12 L 1475/12; jeweils [...] sowie die oben zitierten Entscheidungen des VG Darmstadt), schließt sich die Kammer an, so dass dem vorliegenden Antrag allein aufgrund eines strukturellen Fehlers des Beurteilungs-/Auswahlverfahrens zu entsprechen war. Anzumerken ist ergänzend, dass die Antragsgegnerin § 50 Abs. 2 BLV - auf diese Vorschrift beruft sie sich zur Begründung ihrer Auffassung, die Festsetzung niedrigerer Richtwerte bei der Bildung von Quoten für die Notenvergabe im Rahmen der Beurteilungen sei zulässig - offensichtlich missversteht, denn die Vorschrift eröffnet gerade zur Wahrung des Leistungsgrundsatzes die Möglichkeit, "im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit" (§ 50 Abs. 2 S. 2 BLV) die Sollwerte der Quoten auch zu überschreiten.

Dessen ungeachtet gilt, dass auch die Beurteilung des Antragstellers vom 24.08.2012 - Beurteilungs- und Personalvorgänge betreffend den Beigeladenen hat die Antragsgegnerin nicht vorgelegt - für einen Leistungsvergleich ungeeignet ist.

Offen bleiben kann, ob dies bereits deswegen der Fall ist, weil die Beurteilung, die mit der (drittbesten) Gesamtnote "Erfüllt die Anforderungen in vollem Umfang" abschließt, im Wege der fiktiven Fortschreibung erstellt wurde. Auszugehen ist davon, dass die Beschäftigungsgesellschaft des Antragstellers 2008 an einen französischen Konzern verkauft wurde, so dass für den Antragsteller nach ihrer Ziffer 1 Absatz 1 letzter Gliederungspunkt die "Richtlinie für die Beurteilung von Beamtinnen und Beamten bei der Deutschen Telekom im Einsatz außerhalb des inländischen Konzerns" vom 04.05.2012 (Beurteilungsrichtlinie) Anwendung findet. Ziffer 3 Abs. 2 Beurteilungsrichtlinie sieht vor, dass zur Vorbereitung der Beurteilung durch den Vorgesetzten bei der DTAG ein Beurteilungsbeitrag bzw. eine Stellungnahme angefordert wird, wobei aus Ziffer 3 Abs. 2 S. 2 Beurteilungsrichtlinie folgt, dass in den Fällen, in denen von der außerhalb des Konzern gelegenen Beschäftigungsstelle keine Aussage getroffen werden kann, eine fiktive Fortschreibung der bisherigen Beurteilung erfolgt. Diese Voraussetzungen, die insoweit sinnvoll sein mögen, als die DTAG auf konzernfremde Gesellschaften keine Einflussmöglichkeiten im Sinne der Vorlage des Beurteilungsbeitrages hat, liegen hier jedoch nicht vor, denn unter dem 05.07.2012 ist für den Antragsteller für den maßgeblichen Beurteilungszeitraum von Fr. E. ausdrücklich ein Beurteilungsbeitrag erstellt worden. Dass dennoch eine fiktive Fortschreibung gefertigt wurde, begründet die Antragsgegnerin (Antragserwiderung vom 19.12.2012, S. 9) damit, dass es bei Beschäftigungen außerhalb des Konzerns "an den dienstrechtlichen Grunderfordernissen und an einer Erkenntnisbasis, die als Grundlage für eine Beurteilung in Frage käme", fehle. Demgegenüber geht allerdings die Beurteilungsrichtlinie genau davon, nämlich vom Vorliegen einer Erkenntnisbasis für die Beurteilung, aus. Zudem sieht auch § 6 Abs. 2 S. 1 PostLV (BGBl. I 2012, S. 90ff.) eine fiktive Beurteilungsfortschreibung (nur) dann vor, wenn eine zur Vorbereitung der Beurteilung geeignete Stellungnahme nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums erlangt werden kann, was hier nicht der Fall war.

Abschließend zu entscheiden ist jedoch auch diese Frage (vgl. zur Abweichung von Beurteilungsrichtlinien durch ständige Verwaltungspraxis Nds. OVG, Beschluss vom 08.09.2011, 5 ME 234/11 sowie Beschluss vom 01.10.2008, 5 LA 64/06; jeweils [...]) nicht. Jedenfalls fehlt es der Beurteilung bereits an einer zumindest eingeschränkt vorhandenen Nachvollziehbarkeit (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12.04.2011, 5 LA 50/10 m.w.N.) für den Beamten selbst und für Dritte, denn die Beurteilung enthält lediglich die oben erwähnte Gesamtnote und darüber hinaus keinerlei Begründung (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.2012, 4 S 660/11; [...]), was auch im Falle einer Fortschreibung durch Darstellung der insoweit maßgeblichen Kriterien erforderlich ist (vgl. hierzu auch Ziffer 2 Abs. 4 S. 2 Beurteilungsrichtlinie).

Damit fehlt es gleichzeitig an einer Auseinandersetzung mit dem Beurteilungsbeitrag, der allein deswegen in die Beurteilung einfließen muss, weil nicht erkennbar ist, auf welche Tatsachengrundlage sich die Beurteiler (= Vorgesetzter bei der DTAG, vgl. Ziffer 3 Abs. 2 Beurteilungsrichtlinie, nicht etwa ein Vorgesetzter der Beschäftigungsstelle) ohne diesen Beitrag stützen sollten. Die inhaltliche Erläuterung der Beurteilung ist auch deswegen geboten, weil Abweichungen von Beurteilungsbeiträgen nachvollziehbar zu begründen sind (hierzu BVerwG, Urteil vom 26.09.2012, 2 A 2/10; [...]). (Erhebliche) Abweichungen liegen hier vor, denn bei identischen Einzelmerkmalen der Leistungsbeschreibung und identischen Bewertungsstufen im Beurteilungsbeitrag einerseits und in der eigentlichen Beurteilung andererseits wird im Beitrag 4-mal die beste und einmal die zweitbeste Wertung vergeben, die Beurteilung selbst schließt, wie erwähnt, lediglich mit der drittbesten Wertungsstufe ab.

Schließlich, und auch dies als Erwägung ebenfalls selbständig tragend, ist eine Begründung der Beurteilung allein deswegen erforderlich, weil der Antragsteller in der Vorbeurteilung für den Zeitraum Juni 2010 bis Mai 2011 eine Bewertung mit der Bestnote erhalten hatte. Eine Plausibilisierung (vgl. dazu auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.12.2012, 1 A 7/11; [...]) im Sinne der Erläuterung dieses Notensprungs enthält die Beurteilung ebenfalls nicht.

Auf die mangels Vorlage der entsprechenden Unterlagen nicht zu klärende Frage, ob auch die Beurteilung des Beigeladenen an entsprechenden Fehlern leidet, kam es nicht mehr an. Aufgrund der dargestellten strukturellen Mängel des Verfahrens, der Mängel in der Beurteilung des Antragstellers und insbesondere aufgrund des Ergebnisses der vorliegenden Stellungnahme der Beschäftigungsgesellschaft ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller bei einer erneuten Entscheidung ausgewählt werden wird.

Aus diesen Gründen war dem Antrag stattzugeben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 3 VwGO, weil auch der Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt hat. Seine außergerichtlichen Kosten waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil dies aus Gründen der Billigkeit nicht geboten war (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG. Der Streitwert beträgt die Hälfte desjenigen Betrages, der in einem Hauptsacheverfahren zum Zeitpunkt der Anhängigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens maßgeblich wäre. Er beläuft sich mithin auf 1/2 x 6,5 x 4.484,78 Euro (Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 13 BBesO) zuzügl. der Amtszulage von 256,77 Euro = 15.410,04 Euro.