Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 23.03.2011, Az.: L 4 KR 132/06

Beschleunigungsgebot; Einwendung; Krankenhaus; Medizinischer Dienst der Krankenversicherung; Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung; Vergütung; ex-ante-Betrachtung; stationäre Krankenhausbehandlung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
23.03.2011
Aktenzeichen
L 4 KR 132/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45105
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 10.02.2006 - AZ: S 16 KR 125/04

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Sind weder im zeitlichen Zusammenhang mit der stationären Aufnahme eines Versicherten im Krankenhaus noch bei seiner späteren Behandlung die Mittel der stationären Krankenhausbehandlung angewandt worden, so spricht das gegen die Annahme, dass nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung und nach dem damals verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des Krankenhausarztes (ex ante) eine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich war.

2. Eine gesetzliche Krankenkasse muss sich im Rahmen der Überprüfung der leistungsrechtlichen Voraussetzungen der stationären Krankenhausbehandlung das Verschulden des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nicht zurechnen lassen (Anschluss an BSG, Urteil vom 28.9.2006, AZ.: B 3 KR 23/05 R).

3. Der Anspruch eines Krankenhauses gegen eine gesetzliche Krankenkasse auf Vergütung einer stationären Krankenhausleistung unterliegt der Überprüfung seitens der Krankenkasse. Mit Einwendungen gegen den Vergütungsanspruch ist die Krankenkasse nur in gravierenden Fällen vertragswidrigen Verhaltens ausgeschlossen (Anschluss an BSG, Urteil vom 28. 9. 2006, AZ.: B 3 KR 23/05 R).

4. Nach § 2 Satz 2 KÜV ist die Krankenkasse berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, eine Stellungnahme des Krankenhauses zur Notwendigkeit, Art und Dauer der Krankenhausbehandlung anzufordern.

5. Nach § 3 Abs. 1 KÜV ist die Krankenkasse berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, eine Überprüfung im Krankenhaus durchzuführen.

6. Nach § 3 Abs. 5 KÜV ist die Krankenkasse berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, eine mündliche Erörterung durchzuführen. Es reicht eine schriftliche Erörterung.

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 10. Februar 2006 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.405,10 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Vergütung einer stationären Behandlung vom 24. April bis 16. Mai 2003 in der Geriatrie der Klinik für Medizinische Geriatrie und Rehabilitation im Zentralkrankenhaus Bremen-Nord, deren Rechtsnachfolgerin die Klägerin ist (im Folgenden: Klägerin).

Die im Jahre 1934 geborene Versicherte, C., lebte im Jahre 2003 allein in einer Mietwohnung in der ersten Etage; sie war in ihrer Lebensführung  weitgehend selbständig und hatte Hilfe durch ihre Enkelin im hauswirtschaftlichen Bereich und beim Duschen. Die Versicherte unterzog sich am 4. April 2003 einer Implantation einer zementierten Hüfttotalendoprothese mit Acetabulumrekonstruktionsring links in der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie. Nach dem Arztbrief der Prof. Dr. D. vom 29. April 2003 sei der intra- und postoperative Verlauf "glatt" gewesen und die Wundheilung positiv. Die Versicherte habe bis zur Vollbelastung mobilisiert werden können. Geplant sei zunächst eine Anschlussheilbehandlung in der Geriatrischen Rehabilitationsabteilung des Krankenhauses Bremen-Nord. In Abhängigkeit vom klinischen Beschwerdebild sei eine frühzeitige prothetische Versorgung auch der rechten Seite geplant, z.B. in zwei Monaten. Im pflegerischen Verlegungsbericht aus der Chirurgie wurde für Körperpflege, Ernährung, Ausscheidung, Mobilität, Orientierung und für sonstige Pflege "S" (= selbständig) vermerkt.

Am 24. April 2003 wurde die Versicherte aus der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie in die Geriatrie der Klinik für Medizinische Geriatrie und Rehabilitation der Klägerin verlegt, wo sie bis zu ihrer Entlassung am 16. Mai 2003 verblieb. Bei der Aufnahme wurden die Diagnosen gestellt: Coxarthrose beidseits (links mehr als rechts), Implantation einer Hüfttotalendoprothese mit Acetabulumrekonstruktionsring links, arterielle Hypertonie, hypertensive Herzkrankheit, Unterschenkelödeme beidseits (links mehr als rechts), chronisch venöse Insuffizienz bei Varicosis beidseits mit beginnender Thrombophlebitis, Adipositas, Malnutrition, Hypokaliämie und Anämie. Während des Aufenthalts wurden ärztliche Anordnungen am 25. und 28. April sowie am 2., 7., 9. und 11. Mai getroffen, und zwar bezüglich der Verordnung von Kompressionsstrumpfhosen, des kompletten Umsetzens der Medikation, zweier Blutentnahmen sowie der Information über die Entlassung. Eine Abklärung der Herzleistung mit Hilfe einer Echokardiographie, ein Venenduplex/Venendoppler oder eine Langzeit-Blutdruckmessung erfolgten nicht.

Am 25. April 2003 stellte die Klägerin einen Kostenübernahmeantrag bei der Beklagten. Die Beklagte holte Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 29. April und 5. Mai 2003 ein und teilte der Klägerin mit Schreiben vom 7. Mai 2003 mit, dass eine geriatrische Behandlung nach § 40 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) medizinisch begründet sei; die Kosten für die geriatrische Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V könne sie nicht übernehmen. Auf das Schreiben der Klägerin vom 21. Mai 2003 holte die Beklagte ein Gutachten nach Aktenlage vom MDK (Dr. E.) vom 29. Juni 2003 ein und bestätigte mit Schreiben vom 10. Juli 2003, dass eine Kostenübernahme nach § 39 SGB V nicht möglich sei. Auch hiergegen wandte sich die Klägerin (Schreiben vom 6. August 2003). Die Beklagte holte daraufhin eine weitere Stellungnahme des MDK (Dr. E.) vom 12. November 2003 ein und bestätigte die Ablehnung einer Kostenübernahme mit Schreiben vom 3. März 2004. Zuvor hatte die Klägerin gegenüber der Beklagten mit Rechnung vom 24. September 2003 einen Betrag von 5.405,10 Euro geltend gemacht.

Die Klägerin hat am 11. Juni 2004 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Bremen erhoben. Mit Urteil vom 10. Februar 2006 hat das SG die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 5.405,10 Euro nebst 3 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. Oktober 2003 zu zahlen. Das SG hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe das Prüfverfahren nicht eingehalten. Aus dem Gesamtkontext von § 3 des hier anzuwendenden 'Vertrages nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 SGB V zur Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung" zwischen der Krankenhausgesellschaft der Freien Hansestadt Bremen e.V. und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V., pp. vom 31. August 1995 (KÜV) folge, dass die Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung während der Behandlung unter Einbeziehung der Krankenhausärzte die Regel sei. Eine Überprüfung nach Aktenlage nach Beendigung der Behandlung sei die Ausnahme. Hiergegen habe die Beklagte verstoßen, weil sie keine mündliche Erörterung mit den Ärzten der Klägerin durchgeführt habe. Die Beklagte könne weder mit dem Hinweis gehört werden, dass eine Überprüfung nach Aktenlage eine gleichwertige Alternative sei, noch mit dem Hinweis, in dem geführten Schriftwechsel sei eine Erörterung im Sinne des KÜV zu sehen. Auch der Hinweis, dass sie gegenüber den Ärzten der Klägerin nicht weisungsbefugt sei, sei unerheblich. Dabei könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden, dass sie bestimmte Einwendungen im Klageverfahren erstmals vorgetragen habe. Die Einhaltung des vereinbarten Verfahrens, auch für nachträgliche Überprüfungen, sei nicht am Krankenhaus, sondern an der Beklagten gescheitert. Dieses vertragswidrige Verhalten der Beklagten führe dazu, dass sie nach Treu und Glauben mit ihren Einwendungen endgültig ausgeschlossen sei. Es sei nicht geboten, die nachträgliche Überprüfung der Krankenhausbehandlungsnotwendigkeit in das gerichtliche Verfahren zu verlagern.

Gegen das ihr am 29. März 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27. April 2006 Berufung eingelegt und das Gutachten des MDK (Dr. E.) vom 25. September 2008 überreicht. Das SG habe sie - die Beklagte - in erheblicher Weise in ihrem Recht auf rechtliches Gehör verletzt, weil es sich geweigert habe, den einen Tag vor der mündlichen Verhandlung erstellten Schriftsatz der Beklagten zur Kenntnis zu nehmen. Aber auch in materieller Hinsicht sei das Urteil rechtsfehlerhaft. Eine Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse für eine stationäre Versorgung entfalle immer dann, wenn sich die Aufnahmeentscheidung des Krankenhausarztes nach seinen jeweiligen Erkenntnismöglichkeiten als nicht vertretbar herausstelle. Eine akutstationäre Behandlungsbedürftigkeit der Versicherten habe nicht bestanden. Es habe nicht nur an der stationären Behandlungsbedürftigkeit nach § 39 SGB V gefehlt; es sei letztlich nicht einmal eine akutstationäre Behandlung im Sinne des § 39 SGB V durchgeführt worden. Nach dem Gutachten des MDK vom 29. Juni 2003 sei davon auszugehen, dass das Behandlungsziel zweifelsfrei in der Rehabilitation der Versicherten gelegen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 10. Februar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hat neben anderen Unterlagen eine Stellungnahme ihres Arztes Prof. Dr. F. vom 24. Januar 2007 überreicht. Sie hat insbesondere vorgetragen: Über die Erforderlichkeit der stationären Krankenhausbehandlung entscheide der behandelnde Krankenhausarzt aufgrund einer medizinischen Prognose unter Zugrundelegung der im Entscheidungszeitpunkt vor Aufnahme der stationären Behandlung bekannten oder auch nur erkennbaren Umstände. Halte er bei einer derartigen ex-ante-Betrachtung eine stationäre Krankenhausbehandlung für erforderlich, so habe die Krankenkasse diese Entscheidung hinzunehmen, es sei denn, die ärztliche Entscheidung stehe im Widerspruch zu allgemeinen oder besonderen ärztlichen Erfahrungen oder Standards. Hier habe der aufnehmende Arzt lege artis einen Kostenübernahmeantrag für eine stationäre Krankenhausbehandlung gestellt. Im Übrigen habe die Beklagte ihre Pflichten nach dem KÜV nicht eingehalten.

Der Senat hat ein Gutachten eingeholt von Prof. Dr. G., Arzt für Innere Krankheiten, für physikalische und rehabilitative Medizin, Geriatrie, Physikalische Therapie, Psychotherapie, Rettungsmedizin, ärztliches Qualitätsmanagement, vom 15. August 2010.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges, die Akten der Klägerin und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Es handelt sich um einen Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis. Ein Verwaltungsakt hatte nicht zu ergehen. Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung der Kosten für den Krankenhausaufenthalt der Versicherten für die Zeit vom 24. April bis 16. Mai 2003 zu. Denn die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Vergütungsanspruch der Klägerin nach § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit der Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten sowie dem Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 SGB V zur Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung zwischen der Krankenhausgesellschaft der Freien Hansestadt Bremen e.V. und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V., pp. vom 31. August 1995 (KÜV) liegen nicht vor.

Die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse für eine stationäre Behandlung entsteht dabei unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten. Begehrt das Krankenhaus eine Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung, muss gegenüber dem Versicherten auch tatsächlich eine stationäre Krankenhausbehandlung erbracht worden sein. Hat es sich bei den durchgeführten Leistungen nicht um stationäre Krankenhausbehandlung gehandelt, steht dem Krankenhaus folglich auch kein Vergütungsanspruch für eine stationäre Krankenhausbehandlung zu. Ob und ggf mit welcher Dauer Krankenhausbehandlung erforderlich ist, ist nach der Rechtsprechung des BSG von der Krankenkasse und im Streitfall von den Gerichten selbstständig zu prüfen und zu entscheiden, ohne dass dabei den Krankenhausärzten eine Einschätzungsprärogative zukommt. Dabei ist die Beurteilung der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit durch den verantwortlichen Krankenhausarzt im Abrechnungsstreit zwischen Krankenhaus und Krankenkasse darauf zu prüfen, ob nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung und nach dem damals verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des Krankenhausarztes - ex ante - eine Krankenhausbehandlung erforderlich war, seine Beurteilung also den medizinischen Richtlinien, Leitlinien und Standards entsprach und nicht im Widerspruch zur allgemeinen oder besonderen ärztlichen Erfahrung stand. Eine Bindung an die Einschätzung des Krankenhauses oder seiner Ärzte besteht dabei nicht (BSG, Urteil vom 22. April 2009, AZ.: B 3 KR 24/09 R, in NZS 2010, 387 ff. [BSG 22.04.2009 - B 3 KR 24/07 R] mwN).

Die Klägerin kann ihren Zahlungsanspruch nicht allein auf die Tatsache stützen, dass die Versicherte die stationäre Krankenhausbehandlung in Anspruch genommen hat und die Beklagte wegen Verletzung des KÜV mit Einwendungen gegen den geltend gemachten Anspruch ausgeschlossen wäre. Die Beklagte ist entgegen der Ansicht des SG nicht an der Geltendmachung ihrer Einwendungen gehindert. Nach gefestigter BSG-Rechtsprechung kann es zwar Fälle geben, in denen die Berufung auf Einwendungen nach Würdigung aller Umstände gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB analog) verstößt und damit rechtsmissbräuchlich ist. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs durch die Krankenkasse ist aber auf gravierende Fälle vertragswidrigen Verhaltens beschränkt. Das BSG hat eine solche Konstellation bislang nur einmal angenommen, und zwar in einem Fall, in dem die Krankenkasse in einer Vielzahl von Fällen pauschal eine Überschreitung der durchschnittlichen Krankenhausverweildauer angezweifelt hat, anstatt Einzelfallprüfungen durchzuführen. (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2006, AZ.: B 3 KR 23/05 R, in SozR 4-2500 § 112 Nr. 6).

Hier liegt ein solcher Fall nicht vor. Die Klägerin hat am 25. April 2003 (Freitag) den Kostenübernahmeantrag bei der Beklagten gestellt. Die Beklagte hat dem MDK per Fax am 28. April 2003 (Montag) den Auftrag zur Beurteilung einer geriatrischen Rehabilitation bzw. Krankenhausbehandlung erteilt. Am nächsten Tag (also am 29. April 2003) hat der MDK (Dr. H.) seine Stellungnahme übermittelt. Die Beklagte hat den MDK dann am 30. April 2003 (Mittwoch) nochmals um eine Beurteilung gebeten. Am 1. Mai 2003 (Donnerstag) war Feiertag. Die Antwort des MDK vom 5. Mai 2003 (Montag) ging am selben Tag bei der Beklagten ein, die dann eine Kostenübernahmeerklärung mit Schreiben vom 7. Mai 2003 (Mittwoch) ablehnte. Eine Verletzung des Beschleunigungsgebots der Bearbeitung von Kostenübernahmeanträgen kann in diesem Verhalten nicht gesehen werden, zumal sich die Versicherte immer noch - bis zum 16. Mai 2003 - in der Behandlung der Klägerin befand.

Die Beklagte ist auch im Übrigen nicht mit Einwendungen wegen etwaiger Verletzung ihrer Pflichten ausgeschlossen. Ob Pflichtverletzungen der Beklagten vorliegen, richtet sich nach den Bestimmungen des KÜV.

Die unterbliebene Anforderung eines Kurzberichts des Krankenhauses stellt keine Vertragsverletzung dar. Die Krankenkasse "kann" nach § 2 Satz 2 KÜV vor Beauftragung des MDK unter Angabe des Überprüfungsanlasses eine Stellungnahme des Krankenhauses anfordern. Damit war die Beklagte zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet, eine Stellungnahme des Krankenhauses zur Notwendigkeit, Art und Dauer der Krankenhausbehandlung anzufordern (vgl. hierzu auch: BSG, Urteil vom 28. September 2006, aaO).

Der Beklagten kann auch kein Verstoß gegen § 3 Abs 1 KÜV vorgeworfen werden. Danach findet die Überprüfung durch den MDK "in der Regel" im Krankenhaus statt, solange sich der Versicherte noch in stationärer Behandlung befindet. Die Formulierung "in der Regel" zeigt eine sinnvolle Handhabung für den Fall auf, dass es sich zB um einen länger dauernden Krankenhausaufenthalt handelt oder eine Begutachtung im Krankenhaus aus anderen Gründen geboten erscheint. Dies belegt die Regelung des § 276 Abs 4 Satz 1 SGB V, auf den § 2 Satz 5 KÜV verweist, wonach der MDK nur "im Einzelfall" und nur, "wenn es … erforderlich ist" die Räume eines Krankenhauses betreten darf, um dort die Krankenunterlagen einzusehen und/oder den Versicherten zu untersuchen. Eine Krankenkasse ist also nicht verpflichtet, stets eine Überprüfung im Krankenhaus durchzuführen.

Die Beklagte hat schließlich auch nicht gegen § 3 Abs. 5 KÜV verstoßen. Danach sollen die Ärzte des MDK ihre Bedenken gegenüber dem leitenden Abteilungsarzt des Krankenhauses oder dessen Stellvertreter darlegen und mit diesem "erörtern", wenn aus Sicht der Ärzte des MDK Bedenken gegen die Notwendigkeit, Art oder Dauer der Krankenhausbehandlung bestehen. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 28. September 2006, aaO), der sich der erkennende Senat anschließt, ist der Begriff "erörtern" nicht auf eine mündliche Besprechung beschränkt, sondern lässt auch einen schriftlichen Meinungsaustausch zu. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist "Erörterung" gleichzusetzen mit "eingehender Diskussion" oder "Besprechung", was sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen kann. Selbst aber wenn mit dem SG eine Verletzung des § 3 Abs. 5 KÜV oder einer sonstigen Vorschrift des KÜV durch den MDK angenommen werden könnte, würde es sich nicht um einen Vertragsverstoß der Beklagten, sondern um einen des MDK handeln. Dessen Verschulden aber muss sich die Beklagte nicht zurechnen lassen (vgl. hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 28. September 2006, aaO).

Damit steht der Klägerin kein Anspruch allein aufgrund des Umstandes zu, dass sie die Versicherte stationär versorgt hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Klägerin gegenüber der Versicherten in der Zeit vom 24. April bis 16. Mai 2003 Leistungen der stationären Krankenhausbehandlung erbracht hat und ob eine stationäre Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V erforderlich war. Das ist nicht der Fall.

Der erkennende Senat hat bereits Zweifel daran, ob es sich bei den von der Klägerin erbrachten Leistungen um Maßnahmen der stationären Krankenhausbehandlung gehandelt hat. Diese Frage kann aber dahinstehen. Denn aufgrund der medizinischen Unterlagen, insbesondere des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 15. August 2010, steht zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, dass zum Zeitpunkt der Behandlung nach dem damals verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand der Krankenhausärzte - also ex ante - eine Krankenhausbehandlung nicht erforderlich war.

Der Versicherten war am 4. April 2003 in der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie eine zementierte Hüfttotalendoprothese mit Acetabulumrekonstruktionsring links implantiert worden. Ausweislich des Arztbriefes dieser Klinik (Prof. Dr. D.) vom 29. April 2003, war im Anschluss daran keine Krankenhausbehandlung geplant, sondern eine "Anschlussheilbehandlung" in der Geriatrischen Rehabilitationsklinik der Klägerin. Die Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie hielt also eine Rehabilitationsmaßnahme für geboten, nicht aber eine Krankenhausbehandlung. Das ist konsequent. Denn die Implantation war nach Bekundung des Sachverständigen Prof. Dr. G. problemlos und es bestand die Absicht, bereits zwei Monate später auch die rechte Hüfte prothetisch zu versorgen. Die Versicherte wurde bei der Klägerin im Übrigen in einem recht selbständigen Zustand aufgenommen.

Richtig ist, dass bei der Aufnahme der Versicherten bei der Klägerin eine Reihe von Diagnosen gestellt wurden: Coxarthrose beidseits (links mehr als rechts), Implantation einer Hüfttotalendoprothese mit Acetabulumrekonstruktionsring links, arterielle Hypertonie, hypertensive Herzkrankheit, Unterschenkelödeme beidseits (links mehr als rechts), chronisch venöse Insuffizienz bei Varicosis beidseits mit beginnender Thrombophlebitis, Adipositas, Malnutrition, Hypokaliämie und Anämie. Gleichwohl erfolgten ärztliche Anordnungen lediglich am 25. und 28. April und am 2., 7., 9. und 11. Mai, und zwar bezüglich der Verordnung von Kompressionsstrumpfhosen, des kompletten Umsetzens der Medikation, zweier Blutentnahmen sowie der Information über die Entlassung. An apparativen Ressourcen wurden bei der Versicherten lediglich ein EKG und zwei Blutentnahmen eingesetzt. Weder wurde eine Abklärung der Herzleistung mit Hilfe einer Echokardiographie durchgeführt noch erfolgten ein Venenduplex/Venendoppler und eine Langzeit-Blutdruckmessung. An ärztlichen Leistungen erfolgten lediglich: Neueinstellung der Schmerzmedikation, Neueinstellung der Blutdruck und Wasser treibenden Medikation, Behandlung der beginnenden Venenentzündung, Beobachtung des Verlaufs der Blutarmut bei Aufnahme, Koordination des therapeutischen Teams der Klinik und Leistung der therapeutischen Anwendungen. Umfangreichere Mittel wurden nach Aussage des Sachverständigen im Sinne der Rehabilitation verwendet. Nach der Bekundung von Prof. Dr. G. stand im Vordergrund der Versorgung der Versicherten also die komplette Umstellung ihrer Medikation. Hierzu bedurfte es aber keiner stationären Krankenhausbehandlung. Vielmehr hat Prof. Dr. G. ausdrücklich und überzeugend darauf hingewiesen, dass die Umstellung auch ambulant hätte vorgenommen werden können. Das gilt für die Umstellung von Isoptin auf Delix ebenso wie für die Änderung der Schmerzmedikation oder die vorübergehende Kaliumsubstitution. Nach der überzeugenden Beurteilung durch Prof. Dr. G. hätten die tatsächlich in Anspruch genommenen medizinischen und pflegerischen Maßnahmen auch in einer geriatrischen Rehabilitation erfolgen können.

Soweit Prof. Dr. G. allerdings meint, dass sich der geringe Versorgungsumfang mit den Mitteln einer stationären Krankenhausbehandlung bei der Aufnahme der Versicherten am 24. April 2003 auch hätte abweichend darstellen können, ist das nicht schlüssig und überzeugend. Die bei der Aufnahme der Versicherten gestellten Diagnosen haben die Ärzte der Klägerin nicht veranlasst, unverzüglich Maßnahmen einer stationären Krankenhausbehandlung zu ergreifen. Daraus kann folgerichtig nur der Schluss gezogen werden, dass die Ärzte in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Aufnahme keine Befunde gesehen haben, die den Einsatz der stationären Mittel eines Krankenhauses notwendig gemacht hätten. Damit war selbst nach ihrem damals verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand - also ex ante - keine stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich. Andernfalls hätten unmittelbar nach der Aufnahme der Versicherten entsprechende ärztliche Anordnungen erfolgen müssen. Das ist aber nicht geschehen.

Der Berufung der Beklagten ist daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG).