Landgericht Oldenburg
Urt. v. 05.11.1997, Az.: 4 S 540/97
Eintritt eines Haftpflichtversicherungsfalles bei Schädigung eines Dritten ; Erstattung von Bergungskosten als Aufwendungen zur Schadensminderung; Vorerstreckungstheorie; Vorverlagerung der Schadensabwendungspflicht des Versicherungsnehmers auf den Zeitpunkt des unmittelbar drohenden Schadenseintritts; Entfallen des Versicherungsschutzes bei vorsätzlicher Verletzung der Rettungsobliegenheit ; Beweislast des Versicherers für ein vorsätzliches Handeln des Versicherungsnehmers
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 05.11.1997
- Aktenzeichen
- 4 S 540/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 24222
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1997:1105.4S540.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Oldenburg - 03.04.1997 - AZ: E 8 C 8159/97 (XIII)
Rechtsgrundlagen
- § 62 VVG
- § 63 VVG
- § 152 VVG
Fundstelle
- VersR 1998, 965 (Volltext mit red. LS)
In dem Rechtsstreit
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 8.10.1997
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Landgericht ... ,
des Richters am Landgericht und ... und
des Richters am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 3.4.1997 dahingehend abgeändert, daß die Klage abgewiesen wird.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Gründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, mithin zulässig. In der Sache selbst hat sie keinen Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichtes ist im vorliegenden Fall ein bei der Beklagten versichertes Schadensereignis nicht eingetreten. Im Rahmen der Haftpflichtversicherung werden dem Versicherungsnehmer grundsätzlich nur Leistungen erstattet, die dieser Dritten zum Ausgleich ihnen zugefügter Schäden erbracht hat, nicht jedoch solche Aufwendungen, die lediglich der Schadensverhütung dienen. Ein Haftpflichtversicherungsfall wäre mithin erst eingetreten, wenn es bereits zur Schädigung eines Dritten gekommen wäre, was vorliegend nicht der Fall ist.
Eine Erstattung der Bergungskosten käme demzufolge nur in Betracht, wenn diese als Aufwendungen zur Schadensminderung i.S. des § 63 VVG anzusehen wären. Dies wäre wiederum nur dann der Fall, wenn die §§ 62, 63 VVG auch im Rahmen der Haftpflichtversicherung aufgrund der sogenannten Vorerstreckungstheorie dahingehend zu verstehen wären, daß der Versicherungsnehmer dazu verpflichtet ist, auch vor Eintritt des Versicherungsfalles bei dessen unmittelbarem Bevorstehen Rettungsmaßnahmen zu ergreifen, welche dann gemäß § 63 VVG erstattungsfähig wären.
Dieser Auffassung vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Eine Vorverlagerung der Schadensabwendungspflicht des Versicherungsnehmers gemäß § 62 VVG auf den Zeitpunkt des unmittelbar drohenden Schadenseintritts würde zur Begründung einer allgemeinen Schadensabwehrverpflichtung führen, die, wie gerade § 152 VVG deutlich werden läßt, den Versicherungsnehmer nicht treffen soll. Gemäß § 152 VVG soll dem Versicherungsfall vorausgegangenes Verhalten des Versicherungsnehmers nur dann das Entfallen des Versicherungsschutzes zur Folge haben, wenn es auf eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles gerichtet war. Diese Vorschrift darf nicht durch eine Ausdehnung der Rettungsobliegenheiten unterlaufen werden. Es ist auch nicht möglich, diese Problematik dadurch zu lösen, daß der § 62 Abs. 2 VVG unter Berücksichtigung des § 152 VVG für die Haftpflichtversicherung dahingehend interpretiert wird, daß eine Verletzung der Rettungsobliegenheit nur im Falle vorsätzlicher Begehung ein Entfallen des Versicherungsschutzes mit sich bringt. Denn beide Vorschriften gehen, wie ihr Wortlaut zweifelsfrei deutlich werden läßt, von einer abweichenden Beweislastverteilung aus. Während § 152 VVG dem Versicherer die Beweislast für ein vorsätzliches Handeln des Versicherungsnehmers auferlegt, überbürdet § 62 Abs. 2 VVG die dahingehende Beweislast dem Versicherungsnehmer. Auch auf diesem Wege würde faktisch eine allgemeine Schadensabwendungspflicht begründet, welche lediglich durch die dem Versicherungsnehmer obliegende Exkulpationsmöglichkeit dahingehend, daß er nicht vorsätzlich gehandelt habe, eingeschränkt wäre. Dem kann nicht gefolgt werden, zumal sich gerade im Rahmen der Haftpflichtversicherung in verstärktem Maße Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben, bedingt dadurch, daß sich im Falle eines lediglich unmittelbar drohenden Schadens häufig weder die Person des Geschädigten noch Art und Umfang des abgewendeten Schadens hinreichend eingrenzen lassen, so daß die Gefahr bestünde, daß die hieraus abgeleiteten Rettungsobliegenheiten bis ins Uferlose ausgedehnt werden.
Im vorliegenden Falle erscheint es zudem ausgesprochen zweifelhaft, ob bereits von einem unmittelbar drohenden Eintritt des Schadensfalles ausgegangen werden kann, da sich ein solcher noch in keiner Weise konkretisiert hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.