Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.03.2014, Az.: 1 A 6502/13
Befangenheit; Klagebefugnis; Kommunalverfassungsstreit; Mitwirkungsverbot
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 18.03.2014
- Aktenzeichen
- 1 A 6502/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 42697
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 41 KomVerfG ND
- § 42 Abs 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Einzelnen Ratsmitgliedern fehlt die Klagebefugnis für eine Klage auf Feststellung, dass ein Ratsbeschluss wegen Mitwirkung ausgeschlossener Ratsmitglieder rechtswidrig ist.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Kläger sind Ratsherrn im beklagten Rat der Stadt …. Sie wenden sich gegen Beschlussfassungen über die Konzessionsvergabe für Gas- und Stromleitungen.
In … – wie auch in anderen Kommunen – wurde diskutiert, ob die Konzessionsverträge für die Gas- und Stromleitungen mit der bisherigen Netzbetreiberin aus der … Firmengruppe verlängert oder ob ein eigenes Modell entwickelt werden sollte. In seiner Sitzung am 9. Juli 2012 beschloss der beklagte Rat, die Konzessionsverträge mit der neu gegründeten … – … - abzuschließen und damit in die Kommunalisierung des Netzbetriebes einzutreten. Nach weiteren Verhandlungen und Diskussionen sollte dieser Weg nicht weiter verfolgt werden und der Rat befasste sich am 16. September 2013 zu TOP 12 wieder mit dem Thema. Der Kläger zu 1) rügte ein Mitwirkungsverbot des Ratsherrn …, da er Mitarbeiter der … sei. Mit 17:17 Stimmen bei einer Enthaltung lehnte der Rat den Antrag auf Befangenheitserklärung von Herrn … ab. In der Sache beschloss der Rat mit 19 : 17 Stimmen, dass die Stadt von dem Sonderkündigungsrecht aus dem Konzessionsvertrag mit der … Gebrauch mache. Damit wurde der Weg zu einem Konsessionsvertrag mit einem Unternehmen des … Konzerns eröffnet. An der Beratung und Abstimmung sowohl über den Geschäftsordnungsantrag als auch über den Sachantrag nahm auch der Ratsherr … teil. Er ist als Mitglied des Kreistages Vertreter des Landkreises in der Verbandsversammlung des …, einer Vereinigung der kommunalen Anteilseigner der …. Herr … ist auch Aufsichtsratsmitglied der Stadtwerke …, einer 100 prozentigen Tochter der …. Herr … ist bei der … beschäftigt.
Die Kläger sind der Ansicht, dass die Beschlüsse des Rates zur Befangenheit des Abgeordneten Anfang und zur Ausübung des Sonderkündigungsrechts wegen der Teilnahme der ausgeschlossen Ratsmitglieder … und … rechtswidrig waren und haben dazu am 31. Oktober 2013 Klage erhoben.
Nach der Klageerhebung war die Kommunalisierung der Netze weiterhin Gegenstand der Kommunalpolitik. Nach Vorbereitung durch den Verwaltungsausschuss beschloss der Rat am 16. Dezember 2013, dass sich die Stadt an der … (…) beteiligt, die wiederum an der … beteiligt ist. In der Sitzung des Rates wurde mit 18 : 16 Stimmen ein vom Kläger zu 1) eingebrachter Befangenheitsantrag gegen Herrn … abgelehnt. Herr … hatte an Beratung und Abstimmung nicht teilgenommen. Die Kläger halten auch die Beschlüsse des Rates vom 16. Dezember 2013 für rechtswidrig und haben sie mit Schriftsatz vom 21. Januar 2014 zum Gegenstand ihrer Klage gemacht.
Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor, die Gewichtung ihrer Stimmen bei der Abstimmung sei durch die Mitwirkung ausgeschlossener Ratsherrn verfälscht worden. Die Ratsherren … und … hätten wegen ihrer engen Verbindungen zur Firmengruppe der … nicht an den Beratungen und Abstimmungen teilnehmen dürfen. Herr … sei bei der … beschäftigt. Deren 100 % Tochter ,die … GmbH, habe ein großes wirtschaftliches Interesse an der Konzessionsvergabe. Die neu gegründete … als Gesellschaft der Kommunen solle Anteile an der … erwerben. Herr … als Mitglied der Verbandsversammlung sei von der Beratung und Abstimmung ausgeschlossen, weil durch die Konzessionsvergabe wirtschaftliche Interessen der … betroffen seien. Die einzelnen Firmen des … Konzerns seien eng miteinander verbunden. Vor- und Nachteile für eine Firma wirkten sich auch auf andere und den Konzern aus. Die angegriffenen Beschlüsse des Rates seien darauf angelegt, der … unmittelbar einen Vorteil zu verschaffen.
Die Kläger beantragen
festzustellen,
1. dass der Beschluss des Beklagten vom 16. September 2013 über die Befangenheitserklärung von Herrn … rechtswidrig gewesen ist,
2. dass der Beschluss des Beklagten vom 16. September 2013 zu Top 12 über die Ausübung des Sonderkündigungsrechts rechtswidrig gewesen ist,
3. hilfsweise zu obigen festzustellen, dass die Ratsmitglieder … bei dem zweiten Beschluss und Herrmann … bei beiden Beschlüssen einem Mitwirkungsverbot unterfielen sowie
weiter festzustellen, dass
4. der Beschluss des Beklagten vom 16. Dezember 2013 zu Top 9 über die Beteiligung an der … unwirksam ist,
5. dass ein Mitwirkungsverbot des Ratsmitglieds … über die Abstimmung zu Top 2 der Sitzung des Beklagten vom 16. Dezember 2013 bestand und
6. dass die Entscheidung über die Befangenheit des Ratsmitglieds … zu Top 9 der Sitzung des Beklagten vom 16. Dezember 2013 unwirksam ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Seiner Ansicht nach fehlt es den Klägern an der erforderlichen Klagebefugnis. Sie könnten nicht geltend machen, in eigenen organschaftlichen Rechten verletzt zu sein. Davon abgesehen könne ein Mitwirkungsverbot für die Ratsherren … und … nicht festgestellt werden. Herr … sei als Mitglied der Verbandsversammlung des Zweckverbandes weder bei der … GmbH angestellt noch ein gesetzlicher Vertreter. Herr … sei Beschäftigter der …. GmbH, die von Entscheidungen zur … GmbH keine unmittelbaren Vorteile habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Verfahrensakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die Klagen sind unzulässig, weil die Kläger nicht geltend machen können, in eigenen organschaftlichen Rechten als Ratsmitglieder verletzt zu sein.
Der Rechtsstreit zwischen Mitgliedern eines Gemeindeorgans und dem Gemeindeorgan wird als Kommunalverfassungsstreitverfahren geführt. Damit wird allerdings keine besondere Klageart außerhalb der allgemein in den Prozessordnungen vorgesehenen geschaffen. Auch Auseinandersetzungen zwischen den Gemeindeorganen oder mit ihren Mitgliedern sind mit von vorgegebenen Klagearten - Leistungsklage, Feststellungsklage oder Gestaltungsklage - zu führen. Der Begriff des Kommunalverfassungsstreits bringt zum Ausdruck, dass Prozessbeteiligte über Rechte oder Pflichten aus der Kommunalverfassung streiten.
Die Klage kann mit den gestellten Anträgen als Feststellungsklage erhoben werden. Der Streit über konkrete Rechtsbeziehungen zwischen kommunalen Organen oder Organteilen ist ein solcher über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses. Der Begriff des Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO umfasst auch die Rechtsbeziehungen innerhalb von Organen einer juristischen Person (Nds. OVG Urt. v. 31.10.2013, 10 LC 72/12, Rathaus und Recht 2013, Nr. 6 S 12). Die Subsidiarität der Feststellungsklage steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen. Mit der Feststellung, dass ein Beschluss eines Organs der Gemeinde rechtswidrig und damit in der Regel unwirksam ist, kann ausreichender Rechtsschutz erreicht werden, weil davon auszugehen ist, dass der Hoheitsträger oder seine Organe diesen Ausspruch respektieren.
Der Rat der Gemeinde wird vom Ratsvorsitzenden vertreten.
Auch im Kommunalverfassungsstreit ist eine subjektive Rechtsverletzung Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage. Die verwaltungsgerichtliche Auseinandersetzung im Kommunalverfassungsstreitverfahren zwischen einem Organ der Kommune – hier dem Rat – und einigen seiner Mitglieder – hier den Klägern als Ratsherrn – ist nur zulässig, wenn die Verletzung eigener organschaftlicher Recht möglich ist.
Das Kommunalverfassungsstreitverfahren ist kein Verfahren zur Feststellung des objektiven Rechts. Die Prüfung, ob ein Beschluss des Rates objektives Recht verletzt, obliegt den im NKomVG dafür vorgesehenen Behörden und Organen. Bei rechtswidrigen Beschlüssen ist der Bürgermeister gem. § 88 NKomVG verpflichtet, die Kommunalaufsicht zu unterrichten. Auch unabhängig von der Unterrichtung durch den Bürgermeister hat die Kommunalaufsicht gem. § 170 Abs. 1 NKomVG die Aufgabe, die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen im eigenen Wirkungskreis zu prüfen. Einzelnen Abgeordneten räumt das NKomVG derartige Prüfungs- oder Einspruchsrechte nicht ein. Sie können im gerichtlichen Verfahren nur die Verletzung der ihnen eingeräumten Mitwirkungsrechte geltend machen.
Die als verletzt gerügte Rechtsposition muss ein durch das Innenrecht eingeräumtes, dem klagenden Organ oder Organteil zur eigenständigen Wahrnehmung zugewiesenes wehrfähiges subjektives Organrecht sein (Nds. OVG Urt. v. 31.10.2013, 10 LC 72/12, Rathaus und Recht 2013 Nr. 6 S 12). Ein im Kommunalverfassungsstreit durchsetzbares Recht auf Feststellung, dass ein ihn nicht betreffender Ratsbeschluss rechtswidrig ist, hat ein Ratsmitglied nicht (OVG Münster, Beschl. v. 07.08.1997, 15 B 1811/97, NVwZ-RR 1998, 325). Die Rechtsweggarantie greift auch in Kommunalstreitverfahren nur, wenn es um Abwehr individueller Rechtsverletzungen geht. (OVG Koblenz, Urt. v. 29.08.1984, 7 A 19/84, NVwZ 1985, 283;). Daran fehlt es hier. Mit keinem der gestellten Anträge können die Kläger geltend machen, die Mitwirkung der Ratsherren … und … verletze sie in eigenen organschaftlichen Rechten.
Das Ratsmitglied hat Anspruch darauf, dass seine Stimme mit dem ihr nach dem Kommunalverfassungsrecht zukommenden Gewicht bei der Abstimmung berücksichtigt wird. Durch die Beteiligung unberechtigter Ratsmitglieder an der Beratung und Abstimmung kann das zahlenmäßige Gewicht der Stimmen der übrigen Ratsmitglieder herabgesetzt werden. Wenn bei Abstimmungen auch nicht stimmberechtigte Personen mitgezählt werden, so wird das Abstimmungsrecht des einzelnen Ratsmitglieds rechtswidrig geschmälert und berechtigt diesen zur Wahrung seines Stimmrechts im Kommunalverfassungsstreit (OVG Münster, Beschl. v. 21.12.1995 - 15 B 3104/95 -, NVwZ-RR 1997, 52; VG Lüneburg, Urt. v. 26.04.2004, 5 A 414/05, Nds. Rechtsprechungsdatenbank; Ipsen, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, Kommentar, Anm. 37 zu § 41 NKomVG mwN).
Diese Rechte bestehen hinsichtlich der Ratszusammensetzung als solcher, wenn es etwa um das Stimmrecht des Bürgermeisters geht (VG Lüneburg aaO; OVG Münster aaO). Im vorliegenden Fall geht es aber ausschließlich um die richtige Anwendung von § 41 NKomVG. Danach dürfen Ratsmitglieder in Angelegenheiten der Gemeinde nicht mitwirken, wenn die Entscheidung für sie selbst oder nahestehenden Personen oder dem Arbeitgeber einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen würde. Diese Vorschrift hat nicht nur objektivrechtlichen Charakter. Sie begründet neben dem Verbot, sich zu beteiligen, auch subjektive Abwehrrechte des Betroffenen, wenn die Beteiligung zu Unrecht versagt wurde (vergl. Nds. OVG Urt. v. 31.10.2013, 10 LC 72/12, Rathaus und Recht 2013 Nr. 6 S. 12).
Bei dem Streit um die Beteiligung befangener Ratsmitglieder, die gem. § 41 NKomVG von der Mitwirkung ausgeschlossen sind, geht es nicht um die Zusammensetzung des Rates. Aus der o. a. Rechtsprechung ist deshalb nichts zu Gunsten der übrigen Ratsmitglieder herzuleiten. Die Vorschriften über den Ausschluss befangener Ratsmitglieder sind keine Bestimmungen über die Zusammensetzung des Rates, deren Verletzung das Stimmgewicht einzelner Ratsmitglieder schmälern könnte. Die Norm ist nicht auf den Schutz der Mitgliedschaftsrechte der nicht ausgeschlossenen Ratsmitglieder angelegt. Sie dient der Sicherung der unvoreingenommenen und damit ausschließlich der Sache verpflichteten Entscheidung (OVG Münster B. v. 07.08.1997, 15 B 1811/97 NVwZ RR 1998, 325; Behrens in KVR NGO Anm. 81 zu § 26 NGO; a. A. Ipsen aaO). Sie soll die Sauberkeit der Kommunalverwaltung sicherstellen, Korruption verhindern und schon den Anschein bekämpfen, es seien Entscheidungen um des persönlichen Vorteils willen getroffen worden (OVG Koblenz Urt. v . 29.08.1984, 7 A 19/84, NVwZ 1985,283). Damit wird die Akzeptanz der getroffenen Entscheidung gegenüber der von den Ratsmitgliedern vertretenen Bevölkerung gestärkt. Es handelt sich somit um eine den Inhalt der Entscheidung betreffende Regelung, auch wenn sie verfahrensrechtlich ihren Niederschlag gefunden hat. Organschaftliche Rechte der vom Ausschluss nicht betroffenen Ratsmitglieder erwachsen daraus nicht.
Unabhängig davon, ob das zu Unrecht ausgeschlossene Ratsmitglied sich nur gegen den Beschluss über den Ausschluss oder aber auch gegen den ohne ihn ergangenen Sachbeschluss wehren kann (dazu Thiele, Anmerkung zum o. a. Urteil des Nds. OVG) lässt sich hier in keinem Fall feststellen, dass durch die Beschlüsse über den Ausschluss des Ratsherrn … oder durch die Beschlüsse in der Sache unter Mitwirkung der Ratsherrn … und … Rechte der Kläger als Mitglieder des Rates verletzt sein könnten.
Der Kläger zu 1) hat von seinen Rechten in den Sitzungen des Beklagten Gebrauch gemacht und die aus seiner Sicht unzulässige Mitwirkung des Ratsherrn … gerügt. Der beklagte Rat hat darüber entschieden. Damit sind die organschaftlichen Rechte des Klägers zu 1) erschöpft. Der Kläger zu 2) hat sich an der Diskussion über die Mitwirkung von Herrn … weder beteiligt noch hat er sich dazu zu Wort gemeldet. Ihm kann es deshalb von Vornherein nur um die Feststellung objektiven Rechts gehen.
Da die Klagen als unzulässig abzuweisen sind, kommt es nicht mehr darauf an, ob durch die angegriffenen Beschlüsse Vorteile für einen Konzern oder zugehörigen Unternehmen begründet wurden. Die daran anschließende Frage, ob diese Vorteile unmittelbar eingetreten sind, stellt sich ebenso wenig wie die Frage, ob die Ratsherren … und … zu den ausgeschlossenen Personen nach § 41 Abs. 1 oder Abs. 2 NKomVG gehören.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.