Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 15.11.2005, Az.: 13 A 1597/05

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
15.11.2005
Aktenzeichen
13 A 1597/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 43262
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2005:1115.13A1597.05.0A

Tatbestand:

1

Aus dem Entscheidungstext

2

Die am 14. März 1975 in St. Petersburg (Russland) geborene Klägerin studierte vom Wintersemester 1992/93 bis zum Sommersemester 1998 an der staatlichen forsttechnischen S. M. Kirow-Akademie in St. Petersburg. Ausweislich ihres Diploms vom 30. Juni 1998 schloss sie ihr Studium als "Ingenieur" in der Fachrichtung "Forstingenieurwesen" ab.

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Die seit dem 3. Juni 1998 verheiratete Klägerin reiste am 29. Dezember 1999 als Kontingentflüchtling in Deutschland ein. Am 31. Juli 2000 gebar sie ihren Sohn A.. Die Bezirksregierung Hannover bescheinigte unter dem 4. November 2002, dass die Klägerin mit ihrem Diplom der staatlich forsttechnischen S. M. Kirow-Akademie in St. Petersburg die Berechtigung erworben habe, in allen Studiengängen ein Studium aufzunehmen und die Prüfungen abzulegen; diese Studienberechtigung schließe die allgemeine Hochschulreife ein.

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Die Klägerin beantragte am 22. Juni 2004 Leistungen der Ausbildungsförderung für ihr Studium an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland, Studiengang Bauingenieurwesen (Diplom - Standort: Oldenburg). Sie begründete ihren Antrag wie folgt: Sie habe zunächst angenommen, dass sie ihr Studium in der Fachrichtung "Forstwirtswesen" nicht fortsetzen könne, weil es eine solche Fachrichtung nicht in Niedersachsen, sondern beispielsweise in Baden-Württemberg gebe. Wegen ihrer Familie könne sie nicht nach Baden-Württemberg ziehen. Ihr Ehemann habe in Oldenburg gearbeitet, sie hätten ein kleines Kind, die Umzugskosten hätten sie nicht tragen können, die ständigen Fahrten zwischen Ausbildungsstätte und Familie wären unzumutbar, und es wäre auch schwierig gewesen, einen Platz im Kindergarten in einer neuen Stadt zu bekommen. Sie finde die Fachrichtung "Bauingenieurwesen" interessant und dem ähnlich, was sie studiert habe. Aufgrund ihrer Studienerfahrung und ihrer Neigung habe sie sich entschieden, an der Fachhochschule Bauingenieurwesen zu studieren; sie habe als Bauingenieurin mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

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Die Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven erkannte kein Semester des Studiums der Klägerin an der staatlichen forsttechnischen S. M. Kirow-Akademie in St. Petersburg als Fachsemester für den Studiengang Bauingenieurwesen an; sie habe mit ihrem Studium an der Akademie in St. Petersburg die Hochschulzugangsberechtigung für Deutschland erworben (Schreiben der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/ Wilhelmshaven vom 12. Mai 2004).

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Auf entsprechende Anfrage des Studentenwerks Oldenburg teilte die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (Ständige Konferenz der Kultusminister) im August 2004 mit, dass das Studium der Klägerin nicht materiell gleichwertig mit dem forstwirtschaftlichen Studium an einer deutschen Fachhochschule sei, da ersteres offenbar auf Forsteinschlag und Transport spezialisiert gewesen sei. Es fehlten die biologisch-forstwirtschaftlichen Grundlagen- und Anwendungsfächer der nachhaltigen Forstwirtschaft. Die staatlich forstwirtschaftliche S. M. Kirow-Akademie in St. Petersburg sei allerdings in Russland als Hochschule anerkannt und daher auch in Deutschland als Hochschule anzusehen.

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Das Studentenwerk Oldenburg lehnte den Antrag der Klägerin auf Ausbildungsförderung durch Bescheid vom 5. Oktober 2004 ab: Sie habe im Ausland einen Abschluss erworben, der einem deutschen Studienabschluss materiell nicht gleichwertig sei und daher mit dem Abschluss ihres ausländischen Studiums ihren Anspruch auf Ausbildungsförderung noch nicht verbraucht. Sie habe im Ausland fünf volle Semester an einer gleichwertigen Ausbildungsstätte studiert. Es könnten daher bei einer Fortsetzung ihres Studiums im Inland in derselben Fachrichtung unverschuldete Verzögerungen des Studiums ausgeglichen werden. Sie habe jedoch ein Studium in einer anderen Fachrichtung aufgenommen und somit die Fachrichtung gewechselt. In ihrem Falle müsse für die Förderung der anderen Ausbildung, die nach dem Ende des 5. Semesters aufgenommen worden sei, ein wichtiger Grund vorliegen, da für die Klägerin die Übergangsregelung von § 7 Abs. 4 BAföG gelte. Werde die Fachrichtung allerdings erst nach Beginn des 4. Fachsemesters gewechselt, so werde Ausbildungsförderung für die andere Ausbildung nur noch geleistet, wenn unabweisbare Gründe für den Wechsel bestanden hätten. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin nicht erfüllt. Sie habe sich für das Studium des Studiengangs Bauingenieurwesen (Diplom) aufgrund ihrer Studienerfahrungen, ihrer Neigungen und wegen der besseren Berufsaussichten entschieden.

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Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid vom 7. April 2005 unter Vertiefung und Wiederholung der Gründe des Ausgangsbescheides zurück. Sie wies ergänzend darauf hin, dass die Klägerin auch in Niedersachsen ein forstwirtschaftliches Studium hätte beginnen können, so dass familiäre Gründe einem Studium in Niedersachsen nicht entgegenstünden.

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Die Klägerin hat am 19. April 2005 Klage erhoben. Sie trägt vor: Zu Unrecht nehme die Beklagte an, dass sie wegen ihres vorherigen Studiums in Russland nunmehr die Fachrichtung gewechselt habe, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Dies sei unzutreffend. Ihr Studium in Russland sei nicht dem an einer deutschen Hochschule i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 6 BAföG gleichwertig. Es stelle nicht ein Studium im Sinne des BAföG dar, da die Bezirksregierung unter dem 4. Dezember 2002 bescheinigt habe, dass sie durch ihren Abschluss in Russland lediglich die Berechtigung zum Hochschulzugang in Deutschland erlangt habe. Es seien ihr auch nicht irgendwelche Leistungen oder Zeiten aus dem Studium in Russland angerechnet worden. Eine russische Akademie wie die staatliche forsttechnische S. M. Kirow-Akademie in St. Petersburg sei nur sehr entfernt mit einer deutschen Fachhochschule vergleichbar. Das Studium an einer russischen Akademie bilde ergänzend zum Schulbesuch allgemein weiter, und zwar in der Regel zunächst für drei Jahre; in den anschließenden zwei Jahren sei das Studium fachlich spezialisiert. So sei auch ihr Studium gegliedert gewesen.

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Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Ausbildungsförderung für das Studium im Diplom-Studiengang Bauingenieurwesen an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven für die Zeit von Juni 2004 bis einschließlich Februar 2005 zu leisten, und den Bescheid des Studentenwerks Oldenburg vom 5. Oktober 2004 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 7. April 2005 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie erwidert: Da der Abschluss der Klägerin im Ausland dem forstwirtschaftlichen Studium an einer deutschen Fachhochschule materiell nicht gleichwertig sei, sei der Förderanspruch der Klägerin nach § 7 Abs. 1 BAföG noch nicht verbraucht. Die Zeit der Ausbildung im Ausland sei allerdings bei der Förderung der Ausbildung im Inland zu berücksichtigen. Die Ausbildung im Ausland sei dabei abschnittsweise zu bewerten. Entsprechend der Bescheinigung der Bezirksregierung Hannover vom 4. November 2002 stelle der Abschluss der Klägerin eine Hochschulzugangsberechtigung dar, die die allgemeine Hochschulreife einschließe. Hierfür seien vier Semester des Studiums der Klägerin in Russland anzurechnen. Weitere zwei Semester des Studiums in Russland seien nach § 5 a BAföG nicht als Studienzeit anzusehen. Somit seien für ihr Studium in Deutschland das 7. bis das 11. Fachsemester ihres Besuchs der staatlichen forstwirtschaftlichen S. M. Kirow-Akademie in St. Petersburg zu berücksichtigen. Da sie aber nicht in derselben Fachrichtung in Deutschland studiere, habe sie die Fachrichtung gewechselt. Aus den Gründen der angefochtenen Bescheide habe sie hierfür keinen wichtigen Grund. Ihr Ehemann sei bald nach der Aufnahme des Studiums der Klägerin arbeitslos geworden, so dass die Familie den Ort hätte wechseln können. Dem Protokoll der Sitzung der obersten Landesbehörden in BAföG-Sachen vom 20./21. Januar 2004 sei zu entnehmen, dass ausländische Hochschulgrade nicht mehr in einen deutschen Grad umgewandelt werden. Eine Förderung der Klägerin nach § 7 Abs. 2 BAföG komme hier nicht in Frage, da ihr "Grundanspruch" nach § 7 Abs. 1 BAföG nicht ausgeschöpft sei. Die Klägerin hätte ihr Studium der Forstwirtschaft bzw. Forstwissenschaften an der Universität Göttingen oder an der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen (Standort Göttingen) fortführen können.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen; sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Leistungen der Ausbildungsförderung für das Studium des Diplom-Studiengangs Bauingenieurwesen (FH) an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven (Standort Oldenburg) seit dem Sommersemester 2004 zu. Die Bescheide des Studentenwerks Oldenburg vom 5. Oktober 2004 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 7. April 2005 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Die Beteiligten sind sich zu Recht einig, dass die Klägerin die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen der Ausbildungsförderung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG hat.

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Im übrigen folgt der Anspruch der Klägerin aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG. Nach dieser Vorschrift wird Ausbildungsförderung u.a. zumindest für drei Studienjahre berufsbildende Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3 bis zu einem daran abschließenden berufsqualifizierenden Abschluss geleistet. Diesen "Erstanspruch" auf Ausbildungsförderung hat die Klägerin noch nicht verbraucht. Insoweit ist zunächst auf den Beschluss der Kammer vom 15. Juni 2005 (13 B 1598/05), durch den es die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, der Klägerin Ausbildungsförderung für das Studium des Diplom-Studiengangs Bauingenieurwesen (FH) an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven für die Zeit vom 1. Juni 2005 bis zum 31. August 2006 zu bewilligen, zu verweisen:

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"Im Falle der Antragstellerin steht § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG ihrem Anspruch auf Ausbildungsförderung nicht von vornherein entgegen. Zwar dürfte der Abschluss der Antragstellerin "Diplom-Ingenieur" in der Fachrichtung "Forstwesen" an der Staatlichen Forsttechnischen S. M. Kirow-Aakdemie in St. Petersburg die Klägerin zu einer entsprechenden Berufstätigkeit in Russland befähigen. Gleichwohl ist in ihrem Falle § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG auf diesen Abschluss nicht anzuwenden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 31. Oktober 1996 - Az.: 5 C 21/95 - BVerwGE 102, 200) zur Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte das Folgende ausgeführt:

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‚Mit der Einführung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG wollte der Gesetzgeber der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ... begegnen, wonach im Ausland erworbene Abschlüsse bei einer Entscheidung nach § 7 BAföG nur dann berücksichtigt werden dürften, wenn der erworbene Abschluss einem entsprechenden inländischen Abschluss gleichwertig war und die Aufnahme einer entsprechenden Berufstätigkeit im Bundesgebiet ermöglichte (BT-Drucks. 12/2108 S. 18). Mit der Änderung sollte eine "Ungleichbehandlung zu vergleichbaren Inlandsfällen vermieden werden", die der Gesetzgeber darin sah, dass sonst "Auszubildende, die sich zunächst für eine im Ausland angebotene Ausbildung entschieden haben, unter Berufung auf eine fehlende oder nicht gleichwertige Anerkennung im Inland bzw. eine fehlende Verwertbarkeit der Berufsqualifikation die Förderung einer weiteren Ausbildung verlangen können, ohne an die einschränkenden Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BAföG gebunden zu sein" (BT-Drucks. 12/2108 S. 18). Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG betrifft also nur die Auszubildenden, die sich bei offener Möglichkeit einer Ausbildung im Inland für eine berufsbildende Ausbildung im Ausland "entschieden haben"; sie sollen nicht günstiger im Falle der Ausbildung im Inland in den Genuss von Ausbildungsförderung für eine (weitere) Ausbildung kommen. Hingegen war es nicht die Absicht des Gesetzgebers, Auszubildende von der Ausbildungsförderung auszuschließen, wenn eine solche freiwillige Entscheidung für eine Ausbildung im Ausland nicht vorliegt. Diese nur begrenzte Intention des Gesetzgebers, der mit der Einfügung des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG auf eine spezielle Förderungsproblematik reagierte, gebietet es, die genannte Bestimmung entsprechend ihrem Maßnahme eingeschränkt auszulegen. Sie gilt nicht für Ausbildungsabschlüsse, die Vertriebene vor ihrer Aussiedlung im Herkunftsland erworben haben. Denn es ist davon auszugehen, dass es Vertriebenen bis zu ihrer Ausbildung nicht möglich war, eine Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, und sie sich deshalb in der Zeit vor ihrer Ausreise nicht freiwillig dahin entschieden, ihre Ausbildung nicht in Deutschland, sondern in ihrem Herkunftsland durchzuführen.‘

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Diesen Erwägungen schließt sich die Kammer an. Sie ist auch der Überzeugung, dass diese für Kontingentflüchtlinge wie die Antragstellerin gleichermaßen gelten müssen. Die Situation von Kontingentflüchtlingen unterscheidet sich insofern nicht von der von Vertriebenen. Auch Kontingentflüchtlinge konnten sich vor ihrer Ausreise nicht freiwillig dahingehend entscheiden, dass sie ihre Ausbildung nicht in Deutschland, sondern in ihrem Herkunftsort absolvieren wollen (Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 13. Lieferung, Juli 1998, § 7 Rz: 13 a. E.)."

20

An dieser Rechtsauffassung hält die Kammer fest.

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Auch aus anderem Grunde steht § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG hier einer Ausbildungsförderung der Klägerin für ihr Studium des Bauingenieurwesens nicht entgegen. Die Kammer nimmt zwar zugunsten der Beklagten an, dass die Klägerin aufgrund des Studienabschlusses in der Fachrichtung "Forstwesen" an der staatlichen forsttechnischen S. M. Kirow-Akademie in St. Petersburg in Russland zur Berufsausübung befähigt ist. Der Klägerin kann es aber nicht zugemutet werden, in Russland berufstätig zu sein. Im Hinblick auf die eben dargestellte gesetzgeberische Zwecksetzung von § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG sind Kontingentflüchtlinge nicht im Sinne dieser Vorschrift als "dort zur Berufsausübung befähigt" anzusehen. Ihnen mutet das maßgebliche Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge i.d.F. des Gesetzes vom 29. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2584 - dies ist hier auch nach dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes maßgeblich) den Verbleib in ihrem bisherigen Heimatland nicht zu (s. für die Ausbildungsförderung von Aussiedlern OVG Hamburg, Urteil vom 5. April 1995 - Az.: BF V 52/94 - MDR 1996, 432 [OVG Hamburg 05.04.1995 - Bf V 52/94]).

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Hat die Klägerin danach ihren Förderungsanspruch nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG noch nicht ausgeschöpft, so ist ihr im übrigen Ausbildungsförderung nach Maßgabe dieser Vorschrift für ihr Studium des Bauingenieurwesens an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/ Wilhelmshaven (Standort Oldenburg) zu leisten. Es wird dem Zweck der Aufnahme von Kontingentflüchtlingen in Deutschland und dem öffentlichen deutschen Interesse an ihrer selbständigen Lebensführung nur gerecht, wenn dieser Personenkreis in die Lage versetzt wird, seinen Lebensunterhalt selbst zu erarbeiten. Daher sind Kontingentflüchtlinge in erster Linie nach § 7 Abs. 1 BAföG zu fördern. Kontingentflüchtlingen ist - wie Asylberechtigten oder Vertriebenen - gemein, dass ihnen das Gesetz den Verbleib in ihrem bisherigen Heimatland nicht zumutet und sie sich deshalb ihren berufsqualifizierenden Abschluss nicht zunutze machen können. Diesem Personenkreis ist daher grundsätzlich der Grundanspruch auf Ausbildungsförderung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG zuzubilligen, da grundsätzlich § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG nicht anwendbar ist, wenn diese Auszubildenden mangels Verwertbarkeit ihres Abschlusses im Herkunftsland in Deutschland eine zweite Ausbildung benötigen. Dem würde ein Verweis auf § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG nicht genügen, da sie dann lediglich einen Anspruch auf Ausbildungsförderung aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles hätten. So würde für diesen Personenkreis entgegen den Grundsätzen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Oktober 1996 (a.a.O.) die Möglichkeiten der Ausbildungsförderung verkürzt; auch würden diese Auszubildenden zudem hinsichtlich der Förderungsart (s. § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG) benachteiligt (Ramsauer u.a., Kommentar zum Bundesausbildungsförderungsgesetz, 4. Auflage 2005, § 7 Rz. 15, in diese Richtung nunmehr wohl auch Rothe/Blanke, Kommentar zum BAföG, 5. Aufl., 25. Lieferung der Loseblattsammlung: Stand Mai 2005).

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Zur Klarstellung weist die Kammer darauf hin, dass für den Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung für ihr Studium an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven lediglich § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG, nicht aber § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG maßgeblich ist. Eine Förderung des Studiums nach dieser Vorschrift - darauf sei gleichwohl ergänzend hingewiesen - käme im Übrigen nur in Betracht, wenn die Klägerin mit dem Abschluss ihres Studiums an der staatlichen forsttechnischen S. M. Kirow-Akademie in St. Petersburg bereits einen berufsqualifizierenden Abschluss erhalten hätte. Dies würde voraussetzen, dass der im Ausland erzielte Abschluss einem inländischen Abschluss gleichwertig ist (OVG Hamburg, Urteil vom 5. April 1995 - Bf V 52/94 - MDR 1996, 432; bestätigt durch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31. Oktober 1996 - 5 C 21/95 -, BVerwGE 102, 200). Dies ist indes nicht der Fall. Insoweit folgt die Kammer den überzeugenden Darlegungen der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (Ständige Konferenz der Kultusminister - Antwort auf die Anfrage des Studentenwerks Oldenburg vom 16. August 2004).

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Die Förderungsfähigkeit dieses Studiums der Klägerin scheitert auch nicht an § 7 Abs. 3 BAföG. Danach wird (nur dann), wenn der Auszubildende aus wichtigem Grund die Ausbildung abgebrochen oder die Fachrichtung gewechselt hat, Ausbildungsförderung für eine weitere Ausbildung geleistet. Das Studium der Klägerin in Oldenburg stellt in Beziehung auf ihr Studium in Russland weder den Abbruch einer Ausbildung noch den Wechsel der Fachrichtung dar. Die Klägerin hat ihr Studium in Russland abgeschlossen. Es kann also keine Rede davon sein, dass sie ihre Ausbildung dort abgebrochen hat oder dort die Fachrichtung gewechselt hat. Der Auffassung aus dem Bescheid des Studentenwerks Oldenburg vom 1. Juli 2005, dass der Klägerin Ausbildungsförderung gemäß § 7 Abs. 3 BAföG zu leisten ist, ist unausgesprochen vorausgesetzt, dass die Klägerin verpflichtet ist, in Deutschland einen forstwissenschaftlichen oder -wirtschaftlichen Studiengang aufzunehmen, um sich - evtl.! - Studienzeiten und -leistungen ihrer Ausbildung in Russland anrechnen zu lassen. Dieser Auffassung schließt sich die Kammer nicht an. Sie steht auch im Widerspruch zu dem Beschluss der Kammer vom 15. Juni 2005 (Rz.: 13 B 1528/05) und zu diesem Urteil. Mit der Feststellung, dass der Anspruch der Klägerin auf Leistungen der Ausbildungsförderung durch ihr Studium in Russland nicht verbraucht ist, ist zugleich festgestellt, dass jedenfalls die Klägerin so zu stellen ist, als ob sie in Deutschland erstmalig ein Studium gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG aufnimmt. Sie hat einen Anspruch darauf, gemäß Art. 12 Abs. 1 GG im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über den Zugang zu den Hochschulen ihr Studium frei zu wählen. Die Klägerin kann sich den in ihrem Herkunftsland erworbenen Ausbildungsabschluss in Deutschland nicht zunutze machen. Aus den Auskünften der "Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen" (Ständige Konferenz der Kultusminister) ist zu schließen, dass eine Anrechnung von Studienzeiten und -leistungen des Studiums der Klägerin in St. Petersburg höchst unwahrscheinlich ist. Dem entspricht es weiter, dass die Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven in ihrem Schreiben vom 12. Mai 2005 irgendwelche Studienzeiten und -leistungen aus dem Studium der Klägerin in Russland nicht anrechnet, auch wenn dazu vielleicht Anlass bestanden hätte.

25

Die Befristung der Verpflichtung der Beklagten ergibt sich zum einen aus § 15 Abs. 1 BAföG. Danach wird Ausbildungsförderung u. a. frühestens vom Beginn des Antragsmonats an geleistet; die Klägerin hat die hier streitige Ausbildungsförderung am 22. Juni 2004 beantragt. Die zeitliche Grenze der Verpflichtung der Beklagten folgt zum anderen aus § 50 Abs. 3 BAföG. Danach wird über die Ausbildungsförderung in der Regel für ein Jahr (Bewilligungszeitraum) entschieden. Von dieser Regel weicht die Kammer hier ab, da der Jahreszeitraum für die Förderung an Hochschulen regelmäßig identisch ist mit dem Zeitraum von zwei Semestern. Da die geförderte Ausbildung der Klägerin "an sich" zum Sommersemester 2004 begann, ist die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin - bezogen auf ihren Antrag vom 22. Juni 2004, den Bescheid des Studentenwerks Oldenburg vom 5. Oktober 2004 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 7. April 2005 - bis zum Ende des Wintersemesters 2004/2005 zu fördern.

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Zur Vermeidung weiterer Rechtstreitigkeiten weist das Gericht darauf hin, dass mit dieser Entscheidung der Hinweis des Studentenwerks Oldenburg in seinem Schreiben vom 1. Juli 2005 an die Klägerin, dass sie ab September 2005 Anspruch auf Ausbildungsförderung lediglich durch verzinsliches Bankdarlehen habe, nicht vereinbar sein dürfte. Vielmehr dürfte die Klägerin einen Anspruch auf Ausbildungsförderung gemäß § 17 Abs. 2 BAföG für die gesamte Förderungshöchstdauer ihres Studiums haben. Auch die Beklagte hat nicht geltend gemacht, dass ein - insoweit allein maßgebliches - Prüfungsamt für einen forstwirtschaftlichen oder -wissenschaftlichen Studiengang bescheinigt hat, dass Studienzeitungen und -leistungen der Klägerin angerechnet werden können. Eine Entscheidung gemäß § 15 a Abs. 2 Nr. 2 BAföG ist nicht dargetan. Es ist deshalb nicht zulässig, für die Ausbildungsförderung der Klägerin Semester ihrer Ausbildung in Russland auf die Förderungshöchstdauer der neuen Fachrichtung anzurechnen (so aber der Bescheid des Studentenwerks Oldenburg vom 1. Juli 2005).