Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.06.2014, Az.: 14 K 101/13
Umfang der Haftung des Eigentümers von einem Unternehmen dienenden Gegenständen mit den überlassenen Gegenständen; Erstreckung der Unternehmenssteuer-Haftung auf sich auf den Betrieb des Unternehmens gründende Steuern
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.06.2014
- Aktenzeichen
- 14 K 101/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2014, 20096
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2014:0630.14K101.13.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 01.12.2015 - AZ: VII R 34/14
Rechtsgrundlage
- § 74 Abs. 2 S. 1 AO
Fundstellen
- AO-StB 2014, 339
- DStR 2015, 9
- DStRE 2015, 880-884
- EFG 2014, 1550-1556
- Ubg 2015, 504
Amtlicher Leitsatz
(Haftung nach § 74 AO)
Eine wesentliche Beteiligung im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 1 AO kann nicht durch die Anwendung der Personengruppentheorie fingiert werden.
Tatbestand
Der Kläger war als Kommanditist an der A GmbH & Co. KG (künftig KG genannt) zu ... %und als Gesellschafter an der B GmbH (künftig GmbH genannt) unmittelbar zu ... % und mittelbar zu ... %, insgesamt zu ... %,beteiligt. Weitere Kommanditisten der KG und Gesellschafter der GmbH waren .... Bei diesen Personen handelt es sich um die in ... Familienstämme (...) gegliederten Angehörigen der x. Generation nach dem Firmengründer .... Nach dem im Haftungszeitraum gültigen Gesellschaftsvertrag der KG war eine Übertragung von Anteilen - auch im Erbfall - nur an leibliche und eheliche Kinder möglich. Gesellschaftsrechtlich war keine gesonderte Regelung zur Ausübung des Stimmrechts vereinbart. Eine Stimmrechtsbindung bestand ebenfalls nicht. ... .
Die KG hatte ihrem wesentlichen Unternehmenszweck entsprechend der GmbH ... im Wege einer Betriebsaufspaltung Teile ihres Betriebsvermögens, und zwar diverse Grundstücke und Gegenstände (Betriebs- und Geschäftsausstattung) ... verpachtet. Ferner übernahm die GmbH die öffentlichen Abgaben und Steuern mit Ausnahme der seitens der Verpächter zu tragenden Einkommen- und Vermögensteuern (sog. Steuer-Pacht). Wegen der Einzelheiten wird auf den Pachtvertrag verwiesen. Gegenstand der GmbH war die Herstellung von Fahrzeugen u.a. sowie die damit in Zusammenhang stehenden Dienstleistungen.
Der Kläger war in den Jahren 2006 bis 2008 als Geschäftsführer der GmbH für die Ressorts "..." zuständig. ... .
Nachdem Anschlussaufträge für die Fahrzeugproduktion fehlten, stellte die GmbH am 8. April 2009 beim Amtsgericht ... einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit. ... . Mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 8. April 2009 (Az.: ...) wurde RA ... antragsgemäß zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Verfügungen der GmbH waren nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters möglich (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 29. Juni 2009 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschlüsse verwiesen.
KG und GmbH waren seit Anfang der 80-iger Jahre einvernehmlich mit dem Beklagten davon ausgegangen, dass zwischen der KG als Organträgerin und der GmbH als Organgesellschaft umsatzsteuerrechtlich eine Organschaft bestand. Dementsprechend waren von der KG Umsatzsteuererklärungen 2006 und 2007 und Umsatzsteuervoranmeldungen Januar 2008 bis Februar 2009 einschließlich der Umsätze der GmbH unter ihrer Steuernummer abgegeben worden. Die festgesetzten und zu zahlenden Umsatzsteuern wurden entsprechend den Bestimmungen des Pachtvertrages von der GmbH unmittelbar auf das Steuerkonto der KG beim Beklagten überwiesen. Die Zahlungen umfassten damit auch den Anteil der zu zahlenden Umsatzsteuern, die nicht auf Lieferungen und Leistungen der GmbH beruhten.
Mit Schreiben vom 11. Mai 2009 machte die KG gegenüber dem Beklagten geltend, dass die Voraussetzungen für eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft ab März 2009 nicht mehr vorlägen. Zur Begründung der fehlenden wirtschaftlichen Eingliederung führte die KG aus, ... . Die GmbH habe es im März 2009 erstmals abgelehnt, Forderungen der KG aus Pachtzahlungen auf Basis des im März 2009 erstellten Jahresabschlusses 2008 zu zahlen. Hinsichtlich der fehlenden organisatorischen Eingliederung machte die KG geltend, ... .
Am 11. Mai 2009 wurden sowohl von der KG wie auch von der GmbH für die Monate März und April 2009 getrennte Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht. Abweichend davon setzte der Beklagte die Umsatzsteuer für die Monate März bis Juni 2009 unter Berücksichtigung einer umsatzsteuerlichen Organschaft bei der KG fest. Der dagegen von der KG eingelegte Einspruch war mit der Erteilung von Änderungsbescheiden vom 10. November 2009 erfolgreich. Nach Erteilung entsprechender Berechnungen gegenüber dem Insolvenzverwalter der GmbH für die Voranmeldungszeiträume März bis Juni 2009 meldete der Beklagte im November 2009 Forderungen in Höhe von ... € zur Insolvenztabelle an.
Die KG erklärte daraufhin in ihrer am 26. Mai 2010 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung 2008 ohne Berücksichtigung einer Organschaft nur noch die selbst von ihr bewirkten Umsätze unter Berücksichtigung von Vorsteuerabzugsbeträgen. Hieraus ergab sich ein der KG zustehender Erstattungsbetrag i.H.v. ... €. Vor dem Hintergrund des BFH-Urteils vom 22. April 2010 (V R 9/09, BStBl II 2011, 597), mit dem der BFH seine vorangegangene Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung im Rahmen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft aufgegeben hatte, stimmte der Beklagte der Umsatzsteuererklärung 2008 am 9. Dezember 2010 zu. Der Beklagte zahlte das Guthaben nicht an die KG aus, sondern verrechnete es mit rückständiger Umsatzsteuer 2008 der GmbH, die er am 2. Dezember 2010 gegenüber dem Insolvenzverwalter der GmbH aufgrund einer Berechnung im Schätzungswege für Zwecke der Anmeldung zur Insolvenztabelle bekannt gegeben hatte.
Nach Erteilung eines entsprechenden Abrechnungsbescheids vom 14. Januar 2011 erhob die KG dagegen Klage. Durch Urteil vom 23.6.2011 (...) stellte das Niedersächsische Finanzgericht rechtskräftig fest, dass der KG wegen fehlender Voraussetzungen einer Organschaft und aufgrund der formellen Bescheidlage der Erstattungsbetrag aus der Umsatzsteuerfestsetzung 2008 zustehe. Am ... zahlte der Beklagte den Erstattungsbetrag an die KG aus.
Am 15. Dezember 2010 reichte die KG erstmals für 2009 eine Umsatzsteuererklärung ein. Ferner gab sie am 29. Dezember 2010 für 2006 und am 3. Januar 2011 für 2007 berichtigte Umsatzsteuererklärungen 2006 und 2007 ab. Die Umsatzsteuererklärungen, in denen eine Organschaft mit der GmbH nicht berücksichtigt war, wiesen Erstattungsbeträge für 2006 in Höhe von ... €, für 2007 in Höhe von ... € und für 2009 in Höhe von ... € aus. Der Erstattungsbetrag 2009 beruhte auf dem Umstand, dass die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume Januar und Februar 2009 noch auf der Annahme einer Organschaft beruhte und entsprechende Zahlungen von der GmbH geleistet worden waren. Am 7. April 2011 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer 2006 und 2007 mit Änderungsbescheiden entsprechend fest und stimmte der Umsatzsteuererklärung für 2009 zu. Die Erstattungsbeträge wurden in 2011 an die KG ausgezahlt.
Der Insolvenzverwalter gab für die GmbH keine Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2006 bis 2009 ab. Der Beklagte teilte ihm gegenüber am 2. Dezember 2010 bzw. 14. März 2011 auf Grundlage der von ihm mitgeteilten Daten im Schätzungswege erstellte Steuerberechnungen für die Anmeldung zur Insolvenztabelle mit.
Im Dezember 2010 verklagte der Insolvenzverwalter der GmbH die KG auf Herausgabe der Umsatzsteuererstattungsbeträge 2006 bis Februar 2009 wegen Nichtbestehens einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft. Mit Urteil vom ... (...) entschied das OLG ... in zweiter Instanz, dass die KG zwar dem Grunde nach die an sie ausgezahlten Umsatzsteuerbeträge 2006 bis Februar 2009 an den Insolvenzverwalter der GmbH auszuzahlen habe, sie jedoch einen Aufrechnungsanspruch insoweit habe, als sie bzw. ihre Gesellschafter vom Beklagten gem. § 74 AO bestandskräftig für Umsatzsteuerschulden der GmbH in Haftung genommen würden. Das Verfahren über die zur Aufrechnung vorbehaltenen Gegenforderungen setzte das OLG bis zur Bestandskraft entsprechender Haftungsbescheide aus. Über die dagegen von der KG und dem Insolvenzverwalter beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegten Rechtsmittel (Az.: ...) sowie die ebenfalls dort vom Insolvenzverwalter gegen die Aussetzung des Verfahrens eingelegte Beschwerde (...) ist noch nicht entschieden. Unabhängig davon zahlte die KG die vom Beklagten erstatteten Umsatzsteuerbeträge, soweit sie auf Umsätze der GmbH entfielen, in der Folgezeit an den Insolvenzverwalter der GmbH.
Im Jahre 2011 erteilte die KG dem Insolvenzverwalter eine auf den 27. Juli 2011 datierte Rechnung, in der sie u.a. die bis dahin für den Haftungszeitraum als nicht steuerbare Innenumsätze behandelten Pachtzahlungen der Umsatzsteuer unterwarf. Die der GmbH insofern für den Haftungszeitraum in Rechnung gestellte Umsatzsteuer betrug insgesamt ... €.
Die KG hatte in den Jahren 2006 bis 2010 einen Teil ihrer Grundstücke an die R GmbH & Co. KG (künftig R KG genannt) veräußert, die diese an die GmbH verpachtete. Mit Vertrag vom 25. März 2010 wurden weitere Grundstücke an die B GmbH für ... € veräußert. Ferner veräußerte die KG zwischen 2006 und 2010 bewegliches Anlagevermögen für ... €. Wegen der per 31. Dezember 2010 im Eigentum der KG befindlichen Grundstücke und Gegenstände und der in den Jahren 2006 bis 2010 von der KG veräußerten Grundstücke und Gegenstände im Einzelnen wird auf Bl. 2 - 7 des Haftungsbescheids vom 17. Oktober 2012 verwiesen.
Mit Haftungsbescheid vom 17.10.2012 nahm der Beklagte den Kläger für Umsatzsteuerschulden 2006 bis 2008 der in Insolvenz befindlichen GmbH i.H.v. ... € gem. §§ 191 Abs. 1, 74 AO in Haftung. Insoweit ging der Beklagte davon aus, dass die Entstehung der Umsatzsteueransprüche durch die Nutzung der Grundstücke/Gebäude bzw. des beweglichen Anlagevermögens mit verursacht worden sei.
Bei den an die GmbH verpachteten Grundstücken/Gegenständen handele es sich um Gesamthandsvermögen der KG, so dass alle Gesellschafter der KG als Gesamthänder nach § 74 AO hafteten. Nach dem Regelungszweck der Vorschrift richte sich die Haftungsfolge gegen den Gesellschafter unmittelbar, auch wenn er nicht selbst Eigentümer des haftungsbefangenen Gegenstands sei. Die in § 74 AO konzipierte Ausfallhaftung greife bereits dann ein, wenn eine an einem Unternehmen beteiligte Person durch eine von ihrem Willen getragene Gebrauchsüberlassung von Gegenständen dabei mitwirke, dass das Unternehmen geführt und fortgeführt werde, und die beteiligte Person auf diese Weise zur Entstehung von Steueransprüchen beitrage (vgl. BFH-Beschluss vom 30.5.2006 VII B 345/05, BFH/NV 2006, 1615).
Die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 S. 1 AO seien erfüllt. Der Kläger sei gemeinsam mit ... der ... anderen Stämme sowohl Gesellschafter der GmbH als auch der KG. Das Unternehmen "A" befinde sich seit Generationen in Familienhand. Nach den Gesellschaftsverträgen für KG und GmbH sei die Aufnahme von Gesellschaftern, die nicht blutsverwandt waren, nicht möglich. Dies gelte sowohl für den Fall der Übertragung von Anteilen als auch für das Ausscheiden aus den Gesellschaften.
Der Kläger sei zwar nicht wesentlich i.S.v. § 74 Abs. 2 S. 1 AO an der GmbH beteiligt; es fänden jedoch die Grundsätze der sog. "Personengruppentheorie" des BFH (BFH-Urt. v. 28.1.1993 IV R 39/92, BFH/NV 1993, 528; BFH-Urt. v. 24.2.1994 IV R 89/93, BStBl II 1994, 466) zur Betriebsaufspaltung Anwendung. Diese gehe von der Vermutung aus, dass mehrere Personen, die sowohl am Besitz- als auch am Betriebsunternehmen beteiligt sind, gleichgerichtete Interessen haben und somit i.S.d. § 74 Abs. 2 S. 2 AO einen beherrschenden Einfluss ausüben. Aus den Regelungen in den Gesellschaftsverträgen folge, dass die Gesellschafter der KG als Gruppe (= "Familienverband") das Betriebsunternehmen GmbH, in dem sie ebenfalls als Gruppe (= "Familienverband") beteiligt waren, beherrschten. Anhaltspunkte, dass bei den Gesellschaftern nicht von gleichgerichteten Interessen ausgegangen werden könne, lägen nicht vor.
Unabhängig davon seien die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 S. 2 AO erfüllt. Die Haftungsinanspruchnahme des Klägers als Gesellschafter der KG sei geboten, weil die Nichtentrichtung der Umsatzsteuerbeträge durch die GmbH letztlich darauf zurückzuführen sei, dass sich die KG gegenüber dem Beklagten auf das Nichtbestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft berufen habe und sich der Kläger - gemeinsam mit den übrigen Kommanditisten der KG - in der Folge geweigert habe, die der KG aufgrund der formellen Bescheidlage letztlich zuerkannten Umsatzsteuererstattungsansprüche der GmbH bzw. dem Insolvenzverwalter zur Begleichung der Steuerschuld zur Verfügung zu stellen, obwohl die Umsatzsteuerbeträge seinerzeit tatsächlich von der GmbH von deren Konto für den "Organkreis" bezahlt worden seien.
Das Nichtbestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft sei zu einem Zeitpunkt geltend gemacht worden, als die KG wusste, dass die GmbH die Umsatzsteuer nicht mehr würde entrichten können. Damit habe die KG bewusst in die Leitung des abhängigen Unternehmens "GmbH" eingegriffen. Dieses aktive Tun sei für die Nichtbegleichung der Umsatzsteuer auch ursächlich gewesen.
Es sei davon auszugehen, dass die KG seinerzeit aus Gründen des Selbstschutzes geltend gemacht habe, dass die Voraussetzungen für eine Organschaft ab dem 1. März 2009 nicht mehr vorlägen. Zu diesem Zeitpunkt sei noch keine Rede davon gewesen, dass die Voraussetzungen für eine Organschaft überhaupt nicht vorgelegen hätten. Dieses Argument sei erst im Juni 2009 durch die Einschaltung der Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Beklagten thematisiert worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Abgabe der Voranmeldungen März und April 2009 auf entsprechende Weisungen des Insolvenzverwalters hin erfolgt sei, seien nicht erkennbar. Als sog. "schwacher" vorläufiger Insolvenzverwalter sei dieser in dieser Funktion ohnehin nicht zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet gewesen. Im Übrigen habe der BFH erst mit Urteil vom 22.4.2010 V R 9/09, BStBl II 2011, 597 (veröffentlicht am 23.6.2010) seine Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft geändert.
Der Kläger habe es daher - gemeinsam mit den übrigen Kommanditisten der KG - billigend in Kauf genommen, dass die Abgabe berichtigter Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 2006 am 29.12.2010 bzw. 2007 am 3.1.2011 unter Beachtung der geänderten BFH-Rechtsprechung dazu führen würde, dass für die KG aufgrund der formellen Bescheidlage ein Steuererstattungsanspruch entstehen werde/könnte, der jedoch nach Ansicht der KG nicht an den Insolvenzverwalter weiterzuleiten gewesen sei. Dabei sei dem Kläger bekannt gewesen, dass die Umsatzsteuer für die Jahre 2006 und 2007 von der GmbH zu Gunsten des "Organkreises" auf das Steuerkonto der KG entrichtet worden sei, weil letztlich nur die GmbH den nahezu überwiegenden Teil der Umsätze des "Organkreises" erzielt hatte.
Damit habe der Kläger - gemeinsam mit den übrigen Kommanditisten der KG - durch die Abgabe berichtigter Umsatzsteuerjahreserklärungen 2006 und 2007 (im Sinne eines "Tuns") entscheidend dazu beigetragen, dass der Beklagte gegenüber der GmbH Steuerfestsetzungen/Berechnungen habe festsetzen müssen, ohne dass (zunächst) erkennbar gewesen sei, wie diese Ansprüche von der GmbH beglichen werden sollten. Durch die Weigerung der KG, die Umsatzsteuererstattungsansprüche für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2008 und Januar/Februar 2009 an die GmbH auszuzahlen bzw. abzutreten, sei der Insolvenzverwalter gezwungen gewesen, gegen die KG Klage auf Herausgabe der Gelder zu erheben.
Die Haftung nach § 74 AO erstrecke sich nicht nur auf die dem Unternehmen überlassenen und diesem dienenden Gegenstände, sondern sie erfasse im Fall der Weggabe oder des Verlustes von Gegenständen auch die Surrogate (BFH-Urteile vom 22.11.2011 VII R 63/10, BStBl II 2012, 223 [BFH 22.11.2011 - VII R 63/10] und VII [BFH 06.07.2011 - II R 44/10] R 67/10, BFH/NV 2012, 547 [BFH 22.11.2011 - VII R 67/10]). Das insoweit dem Fiskus eingeräumte "Ausgleichsinteresse" gebiete auch die Haftung mit einem Surrogat, da ansonsten dem Finanzamt die Beitreibung von Unternehmenssteuern erschwert oder gar unmöglich gemacht werde. Durch eine zivilrechtliche Gestaltung (Veräußerung des Gegenstands) solle keine "Enthaftung" entstehen.
Der Beklagte begründete sein Auswahlermessen im Haftungsbescheid damit, dass neben dem Kläger auch die anderen Kommanditisten der KG nach § 191 i.V.m. § 74 AO für dieselben Steuerschulden in derselben Höhe in Anspruch genommen worden seien. Eine Haftungsinanspruchnahme der Komplementärin der KG scheide aus, da sie nicht am Stammkapital der KG beteiligt sei.
Eine Haftungsinanspruchnahme der Geschäftsführer der GmbH nach §§ 34, 69 AO komme nicht in Betracht, da selbst dem Kläger als dem nach der Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der GmbH für die Erfüllung und Überwachung der steuerlichen Vorschriften Verantwortlichen nicht der Vorwurf eines vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhaltens gemacht werden könne. Gleiches gelte für eine Haftungsinanspruchnahme der Prokuristen der GmbH als Verfügungsberechtigte kraft Rechtsgeschäfts gem. §§ 35, 69 AO.
Eine Haftungsinanspruchnahme des Insolvenzverwalters als Vermögensverwalter nach §§ 34 Abs. 3, 69 AO entfalle ebenso wie eine Haftungsinanspruchnahme der B GmbH über die Vorschrift des § 75 AO (Haftung des Betriebsübernehmers). Im Übrigen komme auch eine Haftung des Insolvenzverwalters oder der Mitglieder des Gläubigerausschusses nach insolvenzrechtlichen Bestimmungen mangels eines feststellbaren Schadens nicht in Betracht.
Der Kläger legte gegen den Haftungsbescheid vom 17. Oktober 1012 am 12. November 2012 Einspruch ein. Mit dem Einspruchsbescheid vom 27. Februar 2013 setzte der Beklagte unter Abänderung des Haftungsbescheides vom 17. Oktober 2012 die Haftungssumme von ... € auf ... € herab. Wegen der Berechnung der Haftungssumme wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Der Kläger meint, der angefochtene Haftungsbescheid sei rechtswidrig.
Entgegen der Auffassung des Beklagten sei er im Haftungszeitraum an der GmbH nicht wesentlich beteiligt gewesen. Die Anwendung der ertragsteuerlichen Personengruppentheorie sei im Rahmen des Haftungsverfahrens unzulässig. Die Personengruppentheorie des BFH zur Betriebsaufspaltung führe nicht zu der Möglichkeit, im Rahmen der Abgabenordnung Beteiligungsquoten zusammenzurechnen, um so eine "wesentliche" Beteiligung i.S.v. § 74 Abs. 2 AO und damit die Haftung einer Personengruppe zu erreichen (FG Köln, Urteil vom 9.12.1999 15 K 1756/91, [...]).
Darüber hinaus seien familiäre Beziehungen zwischen mehreren Gesellschaftern nach der Rechtsprechung des BFH kein hinreichendes Indiz für die Zusammenfassung des ihnen zustehenden Beteiligungsbesitzes, da es nicht rechtssicher bestimmbar sei, unter welchen Voraussetzungen mehrere Gesellschafter gleichgerichtete oder widerstreitende Interessen verfolgten. Vorliegend sei überdies darauf hinzuweisen, dass ein Teil der Gesellschaftsbeteiligungen im Wege der Erbfolge übertragen worden seien. Die Annahme eines generellen Zusammenwirkens und gleichgerichteter Interessen bei Familiengesellschaftern lasse sich mit lebensnaher Sachverhaltsauslegung jedenfalls nicht vereinbaren.
Unabhängig davon liege auch keine wesentliche Beteiligung vor, da der Kläger keinen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen der GmbH ausgeübt habe. Als Minderheitsgesellschafter der GmbH habe er keine Einflussmöglichkeiten gehabt, die als "beherrschend" i.S.v. § 74 AO zu bezeichnen seien. Es hätten keinerlei Stimmrechtsvereinbarungen oder ähnliche Abreden auf der Ebene der GmbH existiert, die zu einem einheitlichen Abstimmungsverhalten zwischen sämtlichen oder Gruppen von Gesellschaftern hätten führen können.
Auch die Stellung als Geschäftsführer der GmbH habe dem Kläger im Haftungszeitraum nicht zu einem beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen verholfen, da er zu keinem Zeitpunkt über eine Einzelgeschäftsführungs- oder /-vertretungsbefugnis oder ein größeres Gewicht als die übrigen zwei bzw. drei Geschäftsführer verfügt habe.
Ein beherrschender Einfluss auf die GmbH lasse sich auch nicht aus seiner Gesellschafter- und Geschäftsführerstellung bei der KG ableiten, da diese über keinerlei Anteile an der GmbH verfügt habe, durch die sie auf deren Unternehmensführung hätte Einfluss nehmen können. Zum anderen habe er auch auf der Ebene der KG als Kommanditist mit einer Minderheitsbeteiligung von ... % nicht über einen beherrschenden Einfluss verfügt.
Mangels Anwendbarkeit der Personengruppentheorie könne ein beherrschender Einfluss auch nicht durch die Einteilung der Gesellschafter in Stämme fingiert werden. Im Übrigen habe der BFH, insbesondere mit Blick auf Familiengesellschaften, in seinem Urteil vom 22.4.2010 klar entschieden, dass die Fiktion der Durchsetzung eines einheitlichen Betätigungswillens und damit auch die Fiktion der Ausübung eines gemeinschaftlichen beherrschenden Einflusses durch mehrere Gesellschafter unzulässig sei.
Da er im Haftungszeitraum bereits über keinen beherrschenden Einfluss in der GmbH verfügt habe, könne er auch keinen kausalen Beitrag zur Nichtentrichtung von Steuern i.S.v. § 74 Abs. 2 S. 2 2. Alt. AO geleistet haben.
Die Nichtentrichtung von Steuerschulden durch die GmbH habe allein auf deren Insolvenz beruht. Aus dem Haftungsbescheid ergebe sich, dass die Steuer am 29.6.2009 fällig gewesen sei. Für eine Haftung nach § 74 AO hätte also sein Verhalten gerade an diesem Tage dazu beitragen müssen, dass "fällige Steuern ..... nicht entrichtet werden". Soweit der Beklagte der Auffassung sein sollte, er, der Kläger, hätte Geld für die Zahlung der Umsatzsteuer zur Seite legen müssen, sei darauf hinzuweisen, dass ein solches Verhalten bereits insolvenzrechtlich unzulässig gewesen wäre, da hier der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Gläubigerbefriedigung gelte. Im Übrigen seien Mittel in dieser Größenordnung ohnehin nicht mehr vorhanden gewesen. Damit habe er weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht auf die Nichtentrichtung der Umsatzsteuern Einfluss nehmen können.
Darüber hinaus könne aber auch die Erfüllung steuerrechtlicher Berichtigungspflichten nicht Rechtsgrund für eine Haftung nach § 74 AO sein. Da der Wegfall der Organschaft nicht vorhersehbar gewesen sei und er seine Überwachungspflichten gegenüber den beauftragten steuerlichen Beratern stets ordnungsgemäß erfüllt habe, komme eine Inhaftungnahme nach §§ 69, 34 AO nicht in Betracht. Der Versuch des Beklagten, nunmehr über den Umweg seiner Geschäftsführungstätigkeit bei der Komplementärin der KG quasi eine Geschäftsführerhaftung nach § 74 AO zu konstruieren, sei verfehlt. Denn aufgrund des nicht vorhandenen wesentlichen Einflusses auf das Unternehmen der GmbH habe er einen Verursachungsbeitrag zur Nichtentrichtung der Steuern der GmbH aufgrund der eingetretenen Insolvenz gar nicht leisten können.
Insoweit sei nicht nachvollziehbar, wie der Beklagte aus der Tatsache, dass bei der KG die Geschäftsführung Steuererklärungen nach Recht und Gesetz abgegeben habe, eine Haftung der Gesellschafter der GmbH ableite. Das "Tun", das der Beklagte ihm vorwerfe, sei die Einhaltung geltenden Rechts. Im Übrigen stimme auch der Kausalitätsvorwurf nicht. Der Beklagte sei nach § 85 AO an Recht und Gesetz gebunden. Er hätte daher ganz ohne sein, des Klägers, "Tun" die falschen Steuerbescheide gegen die KG aufheben müssen, um dieser die Steuer zu erstatten.
Möglicherweise wäre es dann auch richtig gewesen, Steuerbescheide gegen die GmbH zu erlassen. Dass dies unterblieben sei, liege allein an der rechtsirrigen Auffassung der Finanzverwaltung, die vom Beklagten noch im Einspruchsverfahren gegen die Festsetzungen in 2009 vertreten worden sei. Es sei die Finanzverwaltung gewesen, die erst nach Druck der OFD ... eingestanden habe, dass eine Organschaft nicht bestehe. Gegen den Kläger als Kommanditisten könne daraus kein haftungsrelevanter Vorwurf hergeleitet werden.
Es sei unter diesen Umständen völlig unerheblich, dass er als Geschäftsführer der Komplementärin der KG davon gewusst habe, dass für die KG und die GmbH erstmals getrennte Umsatzsteuererklärungen abgegeben wurden. Die Nichtabgabe getrennter Umsatzsteuererklärungen hätte einen Verstoß gegen die steuerrechtliche Berichtigungspflicht nach § 153 AO bewirkt. Dies habe auch das ... Finanzgericht in seinem Urteil vom ... bestätigt.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 17. Oktober 2012 und den Einspruchsbescheid vom 27. Februar 2013 aufzuheben, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält unter Wiederholung seiner Begründungen im Haftungsbescheid vom 17. Oktober 2012, im Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung vom 13. Dezember 2012 und im Einspruchsbescheid vom 27. Februar 2013 die Tatbestandsvoraussetzungen des § 74 Abs. 2 S. 1 AO (Anwendbarkeit der Personengruppentheorie) sowie des § 74 Abs. 2 S. 2 AO (beherrschender Einfluss auf die GmbH) weiterhin für erfüllt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Haftungsbescheid vom 17. Oktober 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 27. Februar 2013 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger haftet nicht gem. § 74 als Eigentümer von Gegenständen für Steuerschulden der GmbH.
Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO haftet der Eigentümer von Gegenständen, die einem Unternehmen dienen, mit den überlassenen Gegenständen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Voraussetzung für die Haftung ist eine wesentliche Beteiligung an dem Unternehmen, die nach § 74 Abs. 2 Satz 1 AO dann vorliegt, wenn der Eigentümer der Gegenstände unmittelbar oder mittelbar zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens beteiligt ist. Als wesentlich beteiligt gilt nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AO auch, wer auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausübt und durch sein Verhalten dazu beiträgt, dass fällige Steuern im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 nicht entrichtet werden. Die Haftung erstreckt sich jedoch nur auf die Steuern, die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind. Den Steuern stehen die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich. Diese Haftungsvoraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
I.
Keine Haftung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 74 Abs. 2 S. 1 AO
Die Voraussetzungen der Haftung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 74 Abs. 2 S. 1 AO liegen nicht vor, da der Kläger nicht wesentlich an dem Unternehmen - hier: der GmbH - beteiligt (1.) und auch nicht Eigentümer der dem Unternehmen überlassenen Gegenstände (2.) ist.
1. Der Kläger ist weder unmittelbar noch mittelbar zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens beteiligt, § 74 Abs. 2 S. 1 AO.
a) Der Kläger ist unstreitig zivilrechtlich an der GmbH unmittelbar nur zu ... % und darüber hinaus mittelbar zu ... % und damit nicht wesentlich i.S.v. § 74 Abs. 2 S. 1 AO an ihr beteiligt.
b) Entgegen der Auffassung des Beklagten wird vorliegend auch keine wesentliche Beteiligung an der GmbH steuerrechtlich durch die sog. "Personengruppentheorie" begründet.
aa) Der Beklagte stützt sich bei der Anwendung der Personengruppentheorie insbesondere auf die Urteile des BFH vom 28. Januar 1993 (IV R 39/92, BFH/NV 1993, 528), vom 18. März 1993 (IV R 96/92, BFH/NV 1994, 15) und vom 24. Februar 1994 (IV R 89/93, BStBl II 1994, 466). Danach reiche es für die Annahme eines einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens aus, dass die Personen, die sowohl am Besitz- als auch am Betriebsunternehmen beteiligt sind, eine durch gleichgerichtete Interessen geschlossene Personengruppe darstellen, die in beiden Unternehmen ihren Willen durchsetzen könne. Weil die an beiden Unternehmen beteiligten Personen nicht zufällig zusammen gekommen seien, sondern sich zur Verfolgung eines bestimmten wirtschaftlichen Zwecks sowohl beim Betriebs- als auch beim Besitzunternehmen zusammengeschossen haben, werde vermutet, dass ihr Handeln durch gleichgerichtete Interessen bestimmt sei. Interessengegensätze zwischen den beteiligten Personen seien nur von Bedeutung, wenn ihr Vorhandensein durch konkrete Tatsachen in einer Weise nachgewiesen werde, dass von einem einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen nicht mehr gesprochen werden könne.
Da nach den Gesellschaftsverträgen für die KG und die GmbH die Aufnahme von Gesellschaftern, die nicht blutsverwandt sind, nicht möglich war, würden die Gesellschafter der KG als Gruppe in Gestalt eines Familienverbandes die GmbH, an der sie ebenso beteiligt seien, beherrschen.
bb) Die Rechtsprechung zur Personengruppentheorie wurde vom BFH nicht zur Haftung, insbesondere nicht zur Haftung nach § 74 AO, sondern zu Fällen der Betriebsaufspaltung begründet (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 8.11.1971 GrS 2/71, BStBl II 1972, 63 und die vom Beklagten zitierte Rechtsprechung), für die allerdings zu Anfang als wichtigster Vorteil die Haftungsbeschränkung proklamiert wurde (vgl. Kölner Handbuch der Betriebsaufspaltung, 3. Aufl., Rdn. 17). Sie geht davon aus, dass eine personelle Verflechtung im Rahmen einer Betriebsaufspaltung auch dann gegeben ist, wenn an beiden Unternehmen mehrere Personen in unterschiedlicher Höhe beteiligt sind, die zusammen in beiden Unternehmen über die Mehrheit der Stimmen verfügen. Zwar sind diese Voraussetzungen unter der Prämisse des Beklagten erfüllt, dass in beiden Gesellschaften die Gesellschafter des jeweiligen Familienverbandes aufgrund gleichgerichteter Interessen über die Mehrheit der Stimmen verfügen.
cc) Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass die Personengruppentheorie auf Haftungsbescheide i.R.d. § 74 AO nicht anwendbar ist.
aa. Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift, wonach eine Haftung jeweils nur bei wesentlicher Beteiligung einzelner Personen, nicht aber von Personengruppen eintritt.
Ferner spricht die im Gesetz selbst vorgenommene Differenzierung zwischen § 74 Abs. 2 Satz 1 und § 74 Abs. 2 Satz 2 AO wesentlich gegen eine Ausweitung der Haftung durch Anwendung der Personengruppentheorie auf die Haftung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 74 Abs. 2 Satz 1 AO. § 74 Abs. 2 Satz 2 AO soll nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. VI/1982, 121) gerade Herrschaftsverhältnisse erfassen, "die ohne entsprechende Vermögensbeteiligung zustande kommen, aber gleichwohl geeignet sind, dem hierdurch Begünstigten an Stelle des Unternehmers den entscheidenden Einfluss auf das Unternehmen einzuräumen." Damit hat der Gesetzgeber bereits selbst bei dem Tatbestandsmerkmal "wesentlich beteiligt" eine Differenzierung zwischen einer an streng zivilrechtlichen und einer an wirtschaftlichen Maßstäben orientierten Betrachtungsweise vorgenommen. Die Anwendung der "Personengruppentheorie" im Wege einer erweiternden Auslegung des § 74 Abs. 2 Satz 1 AO würde dem zuwiderlaufen und damit zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis führen.
Darüber hinaus ist das Gericht der Ansicht, dass nach Sinn und Zweck des Gesetzes eine Anwendung der ertragsteuerlichen Personengruppentheorie auf die abgabenrechtliche Haftungsnorm des § 74 AO nicht in Betracht kommt. Während es in Fällen der Betriebsaufspaltung zur Feststellung der erforderlichen personellen Verflechtung nach ständiger Rechtsprechung angezeigt ist, den einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen auch bei Personengruppen mit gleichgerichteten Interessen anzunehmen, wird beim Haftungsgrund des § 74 AO vorwiegend auf den objektiven Beitrag abgestellt, den ein Gesellschafter durch die Bereitstellung von dem Unternehmen dienenden Gegenständen leistet. Diese unterschiedliche Ausgangslage rechtfertigt es, von der Anwendung der Personengruppentheorie in Haftungsfällen wie dem vorliegenden Abstand zu nehmen.
bb. Die Rechtsansicht, dass die Personengruppentheorie in Haftungsfällen keine Anwendung findet, entspricht der hierzu bisher vorliegenden Rechtsprechung.
Das FG Köln vertritt in seinem Urteil vom 09.12.1999 (15 K 1756/91, EFG 2000, 203) die Auffassung, dass "die Personengruppentheorie des BFH zur Betriebsaufspaltung ... nicht zu der Möglichkeit (führt), Beteiligungsquoten zusammenzurechnen, um so eine "wesentliche" Beteiligung i.S. von § 74 Abs. 2 AO und damit die Haftung einer Personengruppe zu erreichen." Zur Begründung führt das FG aus, dass "§ 74 AO ... schon nach seinem Wortlaut die wesentliche Beteiligung einzelner Personen (betrifft) und nicht eine solche von Personengruppen". Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde als unzulässig verworfen (BFH-Beschluss vom 25.08.2000 Az. VII B 50/00, nicht dokumentiert).
Das FG Düsseldorf hat mit Urteil vom 28.05.1968 (VII 73-75/67 A, EFG 1968, 486) entschieden, dass § 115 Abs. 1 AO insoweit gegen Art 3 Abs. 1 und Art 6 GG verstößt, als diese Vorschrift die Haftung von Angehörigen des Unternehmers mit ihnen gehörenden Wirtschaftsgütern bestimmt, die dem gewerblichen Unternehmen dienen. Das Gericht stützt seine Entscheidung auf den Beschluss des BVerfG vom 10. Juni 1963 (1 BvR 345/61 BVerfGE Bd. 16 S. 203). Mit diesem Beschluss hat das BVerfG § 1 Abs. 3 Ziffer 2 GrEStG insoweit für nichtig erklärt, als die Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Unverheirateten und von Eltern und Kindern gegenüber Nichtverwandten ihre Ursache nur in den familiären Beziehungen habe, ohne dass ein sachgerechter Grund für die Schlechterstellung dieses Personenkreises erkennbar sei. Dabei betont das BVerfG ausdrücklich, dass das gesetzgeberische Motiv, mit dem nahen persönlichen Verhältnis sei eine erhöhte Gefahr der Steuerumgehung verbunden, nicht ausreiche, um die Bestimmung zu rechtfertigen. Aus denselben Gründen dürfte auch die Fingierung einer "wesentlichen Beteiligung" im Rahmen des § 74 AO durch die Zusammenrechnung der Anteile naher Verwandter, die nicht wesentlich beteiligt sind, unzulässig sein.
cc. Die Ablehnung der Anwendung der Personengruppentheorie auf Haftungsbescheide i.R.d. § 74 AO wird auch von wesentlichen Teilen der Literatur vertreten. Jestädt (DStR 1989, 243, 246) lehnt eine Anwendung der "Personengruppentheorie" und damit "eine Art Sippenhaftung" auf die Haftung unter Hinweis auf den klaren und eindeutigen Wortlaut des § 74 Abs. 1 Satz 1 AO ab. Gleiches gilt für Boeker (in Hübschmann/Hepp/Spitaler, - HHSp. - AO/FGO-Kommentar, § 74 AO Rdz. 16), unter Hinweis auf die Rechtsprechung des FG Köln. Mösbauer (DStZ 1996, 513, 515) weist unter Bezugnahme auf Tipke/Kruse (AO § 74 AO, Rdn. 4) und Klein/Orlopp (AO, 5. Aufl., 1995, § 74 AO, Anm. 1) darauf hin, dass Beteiligungen von Angehörigen i.S.d. § 15 AO bei der Ermittlung der wesentlichen Beteiligung der Quote nicht hinzugerechnet würden. Nach Loose (Tipke/Kruse AO Lfg. 131, Oktober 2012 § 74 AO, Rdn. 10) bleiben Beteiligungen von Angehörigen ebenfalls unberücksichtigt. Rüsken hält die Anteile der Familienangehörigen bei der Feststellung der wesentlichen Beteiligung allenfalls noch als mittelbare Beteiligung für berücksichtigungsfähig und bezweifelt, dass die weiter gehende Zurechnung mit Art. 6 GG noch vereinbar wäre (in Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl. 2014, § 74 Rdz. 14 unter Bezugnahme auf BVerfG BStBl III 1967, 166).
dd. Gegen die Anwendung der Personengruppentheorie im Rahmen der Haftung nach § 74 AO spricht ferner die Entstehung und Entwicklung der Vorschrift.
§ 74 AO geht zurück auf § 115 RAO. § 115 RAO begründete eine Haftung für den Eigentümer von Gegenständen, die einem gewerblichen Unternehmen dienten, aber nicht dem Unternehmer gehörten. Der Eigentümer haftete mit diesen Gegenständen für die Betriebssteuern des Unternehmens, wenn er Angehöriger des Unternehmers oder an dem Unternehmen wesentlich beteiligt war (§ 115 Abs. 1 RAO). Eine wesentliche Beteiligung wurde u.a. angenommen, wenn der Eigentümer und seine Angehörigen zusammen zu mehr als einem Viertel beteiligt waren (§ 115 Abs. 2 Satz 1 RAO). Die Haftung von Angehörigen unabhängig von einer eigenen wesentlichen Beteiligung und die Zusammenrechnung der Anteile von Eigentümer und Angehörigen bei der Ermittlung der wesentlichen Beteiligung wurden wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen nicht übernommen (vgl. BT-Drucks. VI/1982, 121, FG Düsseldorf, Urteil vom 28. Mai 1968 VII 73 - 75/67 A, EFG 1968, 486). Angehörige ohne wesentliche Beteiligung können danach nur noch nach der Regelung des § 74 Abs. 2 Satz 2 AO haftbar gemacht werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch neben der Ausübung eines beherrschenden Einflusses auf das Unternehmen, dass derjenige durch sein Verhalten dazu beiträgt, dass die Betriebssteuern nicht entrichtet werden (vgl. Boeker, in HHSp., § 74 Rz. 4, 33; Loose in Tipke/Kruse, AO § 74 Rdn. 10, 13).
dd. Gegen die Anwendung der Personengruppentheorie spricht auch die neuere Rechtsprechung des BFH zur umsatzsteuerlichen Organschaft.
(1) In seinem Urteil zur umsatzsteuerlichen Organschaft bei Schwestergesellschaften vom 22.4.2010 V R 9/09, BStBl II 2011, 597 hat der BFH entschieden, dass eine finanzielle Eingliederung nicht mithilfe einer analogen Anwendung der ertragsteuerlichen Personengruppentheorie fingiert werden könne. Er hat dies im Wesentlichen mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit begründet, wonach ein Organträger in der Lage sein müsse, anhand der Eingliederungsvoraussetzungen das Bestehen einer Organschaft rechtssicher feststellen zu können. Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass dieser Grundsatz bei der Betriebsaufspaltung von ebenso großer Bedeutung sei und daher die Personengruppentheorie in Betriebsaufspaltungsfällen nicht mehr anwendbar sei (Dehmer, DStR 2010, 1701, 1704 f.). Die Gesellschafter müssten eindeutig und rechtssicher feststellen können, ob eine Betriebsaufspaltung vorliege oder nicht. Allein aus der Anteilsmehrheit in Händen einer unter Umständen unüberschaubar großen Anzahl von Gesellschaftern könne dies nicht abgeleitet werden.
(2) Der Senat ist der Auffassung, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit auch in Fällen der Inhaftungnahme des Eigentümers von Gegenständen nach § 74 AO Geltung beansprucht. Auch hier muss für den potenziell Haftenden feststehen, ob er mit seinen - dem Unternehmen dienenden - Gegenständen für die Betriebssteuern des Unternehmens haftet. Er muss also in der Lage sein, das Bestehen einer wesentlichen Beteiligung rechtssicher anhand der Beteiligungsverhältnisse feststellen zu können.
Die analoge Übertragung der Personengruppentheorie steht damit nicht in Einklang. Zu Recht weist der BFH darauf hin, dass die bloße Anteilsmehrheit mehrerer Gesellschafter an zwei Schwestergesellschaften hierfür nicht ausreiche, da diese Gesellschafter die ihnen zustehenden Stimmrechte nicht einheitlich ausüben müssten. Auch nur familiäre Beziehungen zwischen mehreren Gesellschaftern seien kein hinreichendes Indiz für eine Zusammenfassung des ihnen zustehenden Beteiligungsbesitzes (BFH-Urt. V R 9/09, a.a.O.).
Dies gilt in besonderem Maße für den Kläger und die anderen Gesellschafter der Familienstämme, die ihre Gesellschaftsbeteiligungen im Wege der Erbfolge erworben haben. Insofern trifft der vom BFH zur Begründung der Personengruppentheorie angeführte Zusammenschluss von Personen, die sich nicht zufällig, sondern zur Verfolgung eines bestimmten wirtschaftlichen Zwecks sowohl beim Betriebs- wie auch beim Besitzunternehmen zusammengeschlossen haben (vgl. BFH-Urteile vom 28. Januar 1993, 18. März 1993 und 24. Februar 1994, a.a.O.), auf eine Erbengemeinschaft nicht in demselben Maße zu. Bei dieser Sachverhaltsgestaltung kann nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht von vornherein ein vermuteter Interessengleichklang angenommen werden. Gerade bei durch Erbfolge begründeten Familiengesellschaftern lässt sich in der Regel nicht zuverlässig und damit im Sinne des Gesetzes rechtssicher bestimmen, für welche Zeiträume diese gleichgerichtete Interessen verfolgen und für welche Zeiträume dies aufgrund von Meinungsverschiedenheiten oder Familienstreitigkeiten nicht der Fall ist. Zumindest kann in diesen Fällen nicht von der vom BFH für ihr Handeln unterstellten Vermutung gleichgerichteter Interessen ausgegangen werden.
2. Die Voraussetzungen der Haftung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO liegen ferner nicht vor, weil der Kläger weder zivilrechtlicher (2.2.) noch wirtschaftlicher Eigentümer (2.3.) der dem Unternehmen überlassenen Gegenstände (2.1.) ist.
2.1. Im Haftungszeitraum waren der GmbH
- die unter Ziffer 1. im Haftungsbescheid vom 17. Oktober 2012 aufgelisteten und im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides noch im Eigentum der KG stehenden Grundstücke,
- die im Haftungsbescheid als Anlage 1 im Anlageverzeichnis der KG per 21. Dezember 2010 enthaltenen Gegenstände, beschränkt auf die Gegenstände, die die KG vor dem 29. Juni 2009 (Tag der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der GmbH) erworben hat, sowie
- die unter Ziffer 2 im Haftungsbescheid vom 17. Oktober 2012 aufgelisteten und von der KG in den Jahren 2006 bis 2010 veräußerten Grundstücke und Gegenstände i.S.d. § 74 Abs. 1 Satz 1 AO überlassen worden, die dem Unternehmen für seine wirtschaftliche Tätigkeit gedient haben.
2.2. Der Kläger war unstreitig nicht zivilrechtlicher Eigentümer der Grundstücke und der weiteren der GmbH überlassenen Gegenstände. Diese standen vielmehr im Gesamthandseigentum der KG, die als Eigentümerin der Grundstücke im Grundbuch eingetragen war. Eine Haftung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO als zivilrechtlicher Eigentümer scheidet daher aus.
2.3. Der Kläger haftet aufgrund der durch die Rechtsprechung erweiterten Haftung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO auch nicht als wirtschaftlicher Eigentümer der Grundstücke und Gegenstände.
a) Der BFH hat mit Urteil vom 10.11.1983 (V R 18/79, BStBl II 1984, 127 [BFH 10.11.1983 - V R 18/79]) entschieden, dass die Zugehörigkeit der einem Unternehmen dienenden Gegenstände zu einem Gesamthandsvermögen für die Haftung aus § 115 RAO (vgl. nun § 74 AO) ohne Bedeutung ist, wenn Träger dieses Gesamthandsvermögens nur die am Unternehmen wesentlich beteiligten Personen sind. Sinn und Zweck der Vorschrift würden gebieten, von der Haftung dann nicht abzusehen, wenn zwar die dem Unternehmen dienenden Gegenstände nicht dem einzelnen Gesellschafter als Eigentümer (Alleineigentümer oder Bruchteilseigentümer) zustehen, sondern einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die ihrerseits nur wesentlich Beteiligte als Gesellschafter hat. Die haftungsbegründende Interessenparallelität könne nicht dahinter zurückstehen, dass ein Gegenstand dem Unternehmen diene, über den alle wesentlich beteiligten Gesellschafter des Unternehmens nur gemeinschaftlich verfügen könnten. Der BFH begründet dies mit dem tieferen Grund für die Haftung des wesentlich beteiligten Gesellschafters mit den ihm gehörenden Gegenständen. Dieser liege in der Parallelität des Einflusses auf die unternehmerische Tätigkeit des Unternehmens und des Einsatzes des (eigenen) Vermögens für diese Tätigkeit. Nach dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die aus zwei gleichmäßig beteiligten Gesellschaftern bestehende GbR einer GmbH, an der diese Gesellschafter zu 51,5 v.H. und 48,5 v.H. am Stammkapital beteiligt waren, ein Grundstück zur Verfügung gestellt.
b) Mit Urteil vom 23.05.2012 (VII R 28/10, BStBl II 2012, 763 [BFH 23.05.2012 - VII R 28/10]) hat der BFH diese Haftungserweiterung auf die Gesellschafter einer KG übertragen. Zur Begründung führte der BFH aus, dass es nicht entscheidend auf die Rechtsform der Gesellschaft ankommen könne, in deren Vermögen sich der dem Unternehmen überlassene Gegenstand befinde. Ausschlaggebend sei vielmehr der Umstand, dass die Verfügungsberechtigung ausschließlich bei Personen liege, die über ihre jeweiligen Beteiligungen entscheidenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben und über deren Wirtschaftsgüter verfügen könnten, so dass die Überlassung eines Gegenstands an ein Unternehmen nur ihnen zugerechnet werden könne. Der BFH betont jedoch, dass sich die für die GbR entwickelten Grundsätze nur unter bestimmten Umständen auf eine KG übertragen ließen. Dem Fall lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem an der Gesellschaft als Kommanditisten und Gesellschafter der Komplementär-Gesellschaft ausschließlich Personen beteiligt waren, die eine wesentliche Beteiligung an dem Unternehmen hielten, dem der Gegenstand überlassen worden war. In einem solchen Fall bedarf es nach der Begründung des BFH keiner zusätzlichen Beteiligung der Komplementär-Gesellschaft, um den Haftungstatbestand des § 74 AO zu erfüllen, da aufgrund der gesellschaftsrechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse die an der KG beteiligten natürlichen Personen jedenfalls als wirtschaftliche Eigentümer des Gegenstands i.S. des § 74 AO anzusehen seien. Dies gelte erst recht, wenn der Gegenstand nicht im Eigentum der Komplementär-Gesellschaft, sondern im alleinigen Eigentum der Kommanditisten stehe, da sich in diesem Fall die Anteile der Kommanditisten am Gesamthandsvermögen mit den Anteilen am überlassenen Gegenstand decken würden.
Nach dem der Entscheidung des BFH zugrunde liegenden Sachverhalt war der dortige Kläger zusammen mit einer weiteren Person als Kommanditist zu 50 % an der KG und mit dieser Person auch zu 50 % an der Komplementär-GmbH der KG beteiligt. Ferner bestand das Gesamthandsvermögen der KG lediglich aus einem Erbbaurecht, das nur den Kommanditisten zustand; die Komplementär-GmbH hatte keinen eigenen Kapitalanteil. Für diese Fallkonstellation hat der BFH die in Haftung genommenen Kommanditisten als (wirtschaftliche) Eigentümer des Erbbaurechts und die Haftungsvoraussetzungen des § 74 AO als erfüllt angesehen.
Das BVerfG hat die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
c) Die Besonderheit der entschiedenen Sachverhalte lag also darin, dass der Geschäftszweck der überlassenden Personengesellschaft jeweils allein aus der Überlassung von Betriebsvermögen an die Betriebsgesellschaft bestand. Das Vermögen der Personenbesitzgesellschaft bestand ausschließlich aus dem der Betriebsgesellschaft überlassenen Vermögen. Auch die Tätigkeit erschöpfte sich in der Überlassung des Vermögens. Für diesen Fall sah der BFH die Haftung als gerechtfertigt an, weil wirtschaftlich eine Deckungsgleichheit zwischen dem überlassenen Gesamthandsvermögen und den Anteilen an der Gesamthand bestand, mithin eine Deckungsgleichheit des Haftungssubstrats gegeben war. Nur insofern hat der BFH das Eigentum an den Anteilen an der Besitzgesellschaft mit dem überlassenen Betriebsvermögen gleichgesetzt.
Der BFH hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass bei einem Gesamthandsvermögen an den einzelnen Gegenständen des Gesamthandsvermögens keine Anteile der Mitberechtigten bestehen. Die Gesamthandsberechtigten sind vielmehr ungeteilt Eigentümer der zum gemeinsamen Vermögen gehörenden Gegenstände. Der einzelne Berechtigte kann nicht darüber verfügen (vgl. §§ 857, 859 ZPO). In einen Anteil der zum Gesamthandsvermögen gehörenden Gegenstände kann nicht vollstreckt werden. Es kann nur der Anteil am Gesamthandsvermögen als solcher nach den für Rechte geltenden Regeln gepfändet werden. § 74 begründet zwar eine persönliche Haftung. Sie ist jedoch gegenständlich beschränkt auf die überlassenen Gegenstände. Der Haftungsbescheid darf daher auch nur durch Vollstreckung in diese Gegenstände verwirklicht werden. Die Haftung kann nicht auf einen Geldbetrag beschränkt werden, der nach dem Wert des gesamthänderischen Anteils an den überlassenen Gegenständen bemessen ist (vgl. Boeker, in HHSp. § 74 Rz. 13, 43 m.w.N. auch aus der Rechtsprechung). Nur für den Fall, dass das Gesamthandsvermögen aus den dem Unternehmen überlassenen Gegenständen besteht, entsprechen sich der Anteil an den überlassenen Gegenständen und der Anteil am Gesamthandsvermögen. In diesem Fall beschränkt sich bei Pfändung des Gesamthandsanteils die Haftung auf den Anteil des Haftungsschuldners an den überlassenen Gegenständen, so dass der wesentlich beteiligte Gesamthandseigentümer als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden darf (vgl. Boeker, in HHSp. § 74 Rz. 14).
d) Diese Fallkonstellation ist beim Kläger nicht gegeben. Abweichend vom Fall des Klägers waren in beiden vom BFH entschiedenen Fällen die in Haftung genommenen Gesamthänder jeweils wesentlich am Unternehmen beteiligt. Der Kläger ist an der KG nur zu ... % und an der GmbH unmittelbar zu ... % und mittelbar über die GbR zu ... %, insgesamt nur zu ... % beteiligt; damit ist er weder an der KG noch an der Betriebsgesellschaft wesentlich beteiligt. Insbesondere besteht aber auch keine Identität der überlassenen Gegenstände mit der Beteiligung an der KG. Die KG betrieb neben der Betriebsverpachtung an die GmbH die Verpachtung diverser weiterer Grundstücke an fremde Dritte, und zwar die Vermietung .... sowie 2006 und 2007 die Vermietung .... an fremde Dritte, wobei die Erlöse aus diesen Vermietungen gegenüber den Pachterlösen aus der Verpachtung an die GmbH einen Anteil von nur ... % hatten. Ferner hielt die KG eine Beteiligung an der ... Verwaltungs- und Beteiligungs-GmbH und verfügte über eine Geschäftsausstattung einer Verwaltungsgesellschaft für x Beschäftigte. Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass die Vermietung an fremde Dritte gemessen am Umfang des Vermögens unbedeutend, das Halten der Anteile an der ...-Verwaltungs- und Beteiligungs-GmbH nicht untypisch und die Beschäftigung von ... Personen nachvollziehbar und notwendig gewesen sei, hat er damit nicht entkräften können, dass es sich insofern um einen von den vom BFH entschiedenen Fällen abweichenden Fall handelt.
e) Der Beklagte kann sich für eine extensive Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Haftungsnorm des § 74 AO auch nicht mit Erfolg auf die Begründung des Nichtannahmebeschlusses des BVerfG vom 17. September 2013 (1 BvR 1928/12, HFR 2013, 1156) zu dem Urteil des BFH vom 23. Mai 2012 berufen. Mit dem Beschluss hat das BVerfG zur Wahrung der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung bei der teleologisch-extensiven Auslegung des § 74 AO Stellung genommen und die Inhaftungnahme von Kommanditisten bezüglich eines zum Gesamthandsvermögen gehörenden Erbbaurechts für verfassungsgemäß und die Subsumtion des Erbbaurechts unter den Begriff "Gegenstand" i.S.d. § 74 Abs. 1 AO für im Rahmen zulässiger Rechtsauslegung und -anwendung erklärt. Ferner hat das BVerfG den Standpunkt des BFH, dass der Eigentumsbegriff i.S.d. § 74 Abs. 1 AO wirtschaftlich verstanden werden könne, für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten, obwohl der Beschwerdeführer lediglich einer der Kommanditisten derjenigen KG war, in deren zivilrechtlichem Eigentum das Erbbaurecht stand. Das BVerfG macht in seiner Begründung jedoch deutlich, dass die teleologisch-extensive Auslegung des § 74 AO durch den BFH erstens im Hinblick auf die Subsumtion von Erbbaurechten als Gegenstände im Sinne der Vorschrift und zweitens im Hinblick auf die unter engen Voraussetzungen als zulässig angesehene Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners trotz Personenverschiedenheit zum Eigentümer des Gegenstands (Inhaftungnahme von Kommanditisten bezüglich eines Gegenstands des Gesamthandsvermögens) "jedenfalls für die hier entschiedene Fallkonstellation" im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsauslegung und -fortbildung bleiben und daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Auch in der weiteren Begründung weist das BVerfG darauf hin, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, die konkret "unter den spezifischen Gegebenheiten des Ausgangsverfahrens, auf die auch der Bundesfinanzhof abstellt", ergangen ist. Zu der Frage, ob und ggfls. wann abweichend von dem Gesetzeswortlaut des § 74 Abs. 2 Satz 1 AO eine "wesentliche Beteiligung" vorliegen kann, hat das BVerfG nicht Stellung genommen. Vielmehr hat es im Übrigen betont, dass der Aufgabe und Befugnis zur "schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung" mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung Grenzen gesetzt sind und der Grundsatz der Gewaltenteilung ausschließt, dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind, indem sie sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit der Bindung an Recht und Gesetz entziehen. Insofern sieht sich der Senat - sofern nicht die vom BVerfG akzeptierten Ausnahmen vorliegen - an den Wortlaut der Haftungsnorm des § 74 AO gebunden.
II.
Keine Haftung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 74 Abs. 2 S. 2 AO
1. Nach § 74 Abs. 2 S. 2 AO gilt als wesentlich beteiligt auch, wer auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausübt und durch sein Verhalten dazu beiträgt, dass fällige Steuern im Sinne des Abs. 1 Satz 1 nicht entrichtet werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da zur Überzeugung des Senats der Kläger im Streitfall mit seinem Verhalten nicht dazu beigetragen hat, dass fällige Betriebssteuern nicht entrichtet wurden.
a) Vorliegend beruhte die Nichtentrichtung der Steuerschulden durch die GmbH auf deren Insolvenz. Das Insolvenzverfahren wurde durch das Amtsgericht ... am 29.6.2009 eröffnet, nachdem die GmbH bereits am 7.4.2009 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte. Ausweislich des Haftungsbescheids vom 17.10.2012 war die Umsatzsteuer der Streitjahre gem. § 41 InsO am 29.6.2009 fällig. Ein Verhalten des Klägers am 29.6.2009, dem Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, war für die Nichtentrichtung der Umsatzsteuer durch die GmbH nicht ursächlich. Denn zu diesem Zeitpunkt war bereits der Insolvenzverwalter tätig.
b) Gleiches gilt, soweit der Beklagte dem Kläger vorwirft, die KG habe durch Abgabe berichtigter Umsatzsteuerjahreserklärungen im Sinne eines aktiven "Tuns" entscheidend dazu beigetragen, dass der Beklagte gegenüber der GmbH Steuerfestsetzungen/Berechnungen habe vornehmen müssen, ohne dass (zunächst) erkennbar gewesen sei, wie diese Ansprüche von der GmbH beglichen werden sollten. Abgesehen davon, dass auch die berichtigten Steuererklärungen erst nach Insolvenzeröffnung abgegeben wurden, übersieht der Beklagte bei seiner Argumentation, dass die KG hierbei - infolge Wegfalls der umsatzsteuerlichen Organschaft - lediglich ihren steuerlichen Berichtigungspflichten nachgekommen ist. Im Ergebnis verlangt der Beklagte mit seiner Argumentation, dass ein Steuerpflichtiger - hier die KG - eine nicht dem Gesetz entsprechende Steuer zahlen soll, damit das Finanzamt die Steuer eines anderen Steuerpflichtigen - hier die GmbH - vollständig erhält, hinsichtlich derer es wegen der Insolvenz dieses Steuerpflichtigen nur einen Anspruch auf die Quote hat. Dies dürfte gegen den Grundsatz des gesetzmäßigen Handelns der Verwaltung verstoßen. Die Erfüllung steuerlicher Berichtigungspflichten im Interesse einer gesetzesmäßigen Steuerfestsetzung begründet daher keinen kausalen Beitrag zur Nichtentrichtung von fälligen Steuern i.S.v. § 74 Abs. 2 S. 2 AO.
c) Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang dem Kläger vorhält, er habe bewusst durch die Abgabe getrennter Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate März und April 2009 am 11.5.2009 dafür gesorgt, dass für die KG aufgrund der formellen Bescheidlage ein Steuererstattungsanspruch entstehen würde, vermag der Senat auch hierin keinen i.S.d. § 74 Abs. 2 S. 2 AO haftungsrechtlich relevanten Beitrag zu sehen. Zunächst betreffen die Umsatzsteuervoranmeldungen für März und April 2009 nicht den Haftungszeitraum. Darüber hinaus kann bereits aufgrund des kurzen Zeitraums zwischen Abgabe der Voranmeldungen und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von einem Monat sowie des weiteren Umstands, dass die GmbH bereits vor Abgabe der betreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, das Verhalten des Klägers nicht kausal für die Nichtentrichtung der fälligen Steuern gewesen sein. Im Übrigen gilt auch hier, dass die Abgabe steuerlich korrekter Voranmeldungen keinen haftungsbegründenden Tatbestand gem. § 74 Abs. 2 S. 2 AO begründen kann. Die Haftung nach § 74 Abs. 1 S. 1 AO i.V.m. § 74 Abs. 2 S. 2 AO knüpft zudem an die Nichtentrichtung fälliger Steuern des Unternehmens an, hier also der GmbH. Der Kläger hat für die GmbH im Streitfall für den Haftungszeitraum aber keine Umsatzsteuererklärungen abgegeben. Er hat auch sonst keinen Beitrag dazu geleistet, dass die GmbH die Umsatzsteuern, für die der Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, nicht gezahlt hat. Bei Fälligkeit der fraglichen Umsatzsteuern war über das Vermögen der GmbH bereits das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet. Zur Insolvenz der GmbH hat der Kläger indessen keinen Beitrag geleistet.
III.
Der Kläger haftet aufgrund der fehlenden wesentlichen Beteiligung und der fehlenden Eigentümerstellung auch nicht mit den Surrogaten der überlassenen Grundstücke und Gegenstände.
IV.
Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Ziffer 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren erfolgt gem. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.