Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 17.04.2015, Az.: S 53 AS 2587/14

Anspruch auf Zinsen hinsichtlich der auf einem vor dem Sozialgericht geschlossenen Vergleich zurückgehenden Hauptforderung

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
17.04.2015
Aktenzeichen
S 53 AS 2587/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 17995
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGBRAUN:2015:0417.S53AS2587.14.0A

Redaktioneller Leitsatz

Der Zinsanspruch ist zwar materiell-rechtlich akzessorisch, aber dennoch materiell-rechtlich selbstständig zu bescheiden.

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Kläger begehren mit der Klage Zinsen hinsichtlich der auf den im Rahmen des Verfahrens S 54 AS 4998/10 WA vor dem Sozialgericht geschlossenen Vergleichs zurückgehenden Hauptforderung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 28.02.2009. Die Klägerin zu 1) ist die Mutter des minderjährigen Klägers zu 2) und für diesen allein sorgeberechtigt. Die Kläger stehen bei dem Beklagten im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Sozialgericht Braunschweig am 14.03.2011 schlossen die Beteiligten zum Aktenzeichen S 54 AS 4998/10 WA einen Vergleich, in dem sich der Beklagte verpflichtete, den Klägern für die Monate Januar und Februar 2009 weitere Kosten der Unterkunft und Heizung zu zahlen (Ziffer 1 des Vergleichs). Gleichzeitig hob der Beklagten den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 07.07.2009 - die Kläger betreffend - teilweise auf (Ziffer 2 des Vergleichs) (Band III Blatt 83 der Verwaltungsakte). Daraufhin erließ der Beklagte am 10.06.2011 einen Ausführungsbescheid, mit dem den Klägern ein Gesamtbetrag von 142,93 EUR gezahlt werde. Dieser Betrag sei "heute" angewiesen worden (Band III Blatt 86 der Verwaltungsakte). Der Bescheid ergehe in Ausführung des vor dem Sozialgericht geschlossenen Vergleichs. Am 13.08.2014 erhoben die Kläger Klage mit dem Begehr von Zinsen für die Monate Januar und Februar 2009. Mit Änderungsbescheid vom 10.06.2011 sei eine Nachzahlung erfolgt, die gesetzlichen Zinsen seien dabei nicht von Amts wegen berücksichtigt worden, sodass diese einzuklagen seien. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes bedürfe es einer gesonderten Antragstellung hinsichtlich der Zinsen nicht, auch keiner weiteren Erinnerung. Eine eventuell mögliche, gesonderte Antragstellung ergebe sich häufig aus dem ersten Widerspruchs- oder Rücknahmeschreiben.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin zu 1) und dem Kläger zu 2) Zinsen gemäß § 44 SGB I hinsichtlich der Hauptforderung aus dem Vergleich zum Aktenzeichen S 54 AS 4998/10 WA in Höhe von 142,93 EUR aus dem Leistungszeitraum vom 1. Januar 2009 bis 28. Februar 2009 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erhebt im Rahmen der Klagerwiderung eine Vollmachtsrüge dergestalt, dass die Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten durch die Kläger nicht hinreichend nachgewiesen sei. Der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da die Kläger zunächst einen Verzinsungsantrag beim Beklagten hätten stellen müssen. Zudem sei der Vergleich am 10.06.2011 umgesetzt worden und erst nach drei Jahren wurde Klage erhoben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die zum Verfahren S 53 AS 2806/11 vorgelegenen Verwaltungsakten, den Widerspruchshefter sowie das beigezogene Verfahren S 54 AS 4998/10 WA Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

I.

Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat seine Bevollmächtigung durch Vorlage der Vollmacht vom 14.10.2013, Blatt 6 der Gerichtsakte, hinreichend nachgewiesen. Diese ist nicht auf ein konkretes Verfahren beschränkt. Es ist daher unerheblich, dass diese Vollmacht als Generalvollmacht per Fax auch zu anderen Verfahren der Kläger übermittelt wurde. Es liegt gemäß der Privatautonomie in den Händen der Vollmachtgeber, eine Vollmacht generell oder bezogen auf einzelne Verfahren zu erteilen. Die im Jahr 2013 von der Klägerin zu 1) unterzeichnete Vollmacht, die allein sorgeberechtigt für den Kläger zu 2) ist, gilt nach dem Betreff "fortlaufend". Für einen Widerruf der Vollmacht ist nichts ersichtlich. Die Übermittlung der Vollmacht per Fax ist als ausreichend anzusehen.

II.

Die Kläger können im Klagewege den geltend gemachten Zinsanspruch derzeit nicht durchsetzen. 1. Gemäß dem Klageantrag handelt es sich bei der von den Klägern erhobenen Klage um eine Leistungsklage. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Klageantrag dahingehend auszulegen ist, dass dieser gleichzeitig eine Anfechtung der Ablehnung des Zinsanspruchs beinhaltet. Die Rechtgrundlage für den geltend gemachten Zinsanspruch ergibt sich aus § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch. Der Beklagte hat mit dem Erlass des Ausführungsbescheides vom 10.06.2011 nicht zu gleich einen Zinsanspruch der Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum abgelehnt. Den Klägern ist zuzugeben, dass von Amts wegen über den Zinsanspruch zu entscheiden ist. Gemäß dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung dürfen die Bürger grundsätzlich davon ausgehen, dass auch über ihren Zinsanspruch eine Entscheidung von Seiten der Behörde gefällt wird, ohne dass es eines Tätigwerdens ihrerseits bedarf. Eine solche Entscheidung hat der Beklagte mit dem Ausführungsbescheid vom 10.06.2011 jedoch nach der Überzeugung der Kammer noch nicht getroffen. Dem Ausführungsbescheid vom 10.06.2011 ist zunächst die Darstellung des Vergleichsinhalts unter Aufschlüsselung der Leistungen für die beiden Kläger und dann die Erklärung über die Nachzahlung in Höhe von insgesamt 142,93 EUR zu entnehmen. Es finden sich hierin keine versteckten Anhaltspunkte oder Andeutungen zu einer Entscheidung über den Zinsanspruch nach § 44 SGB I. Aus dem Protokoll des Erörterungstermins vom 14.03.2011 ergeben sich auch keine Anhaltspunkte, dass die anwaltlich vertretenen Kläger ihr Zinsverlangen im Rahmen des Klageverfahrens zum Aktenzeichen S 54 AS 4998/10 WA zu erkennen gegeben hätten und dieses Gegenstand der Vergleichsverhandlungen geworden wäre. Dies erscheint auch deshalb zweifelhaft, da gemäß Ziffer 3 des Vergleiches eine ausdrückliche Regelung zu der weiteren Nebenforderung der Kosten ausdrücklich in den Vergleich aufgenommen wurde. Ebenso wenig ist ein solcher Anhaltspunkt dem Umstand zu entnehmen, dass es sich bei dem Zinsanspruch um eine unselbständige Nebenforderung zum eigentlichen Leistungsanspruch handelt (vgl. Thüringisches Landessozialgericht, Urteil vom 20.06.2013, Aktenzeichen L 4 AS 1967/12 m.w.N.). Zwar ist der Zinsanspruch materiell-rechtlich akzessorisch, aber dennoch materiell-rechtlich selbstständig zu bescheiden (BSG Urteil, vom 25.01.2011, Aktenzeichen B 5 R 14/10 R). Aufgrund der Akzessorietät wird mit der Entscheidung über den Hauptanspruch nicht automatisch konkludent über den Nebenanspruch mit entscheiden. So stellen Haupt- und Zinsentscheidung zwei selbständige, materielle Verwaltungsakte dar (Landessozialgericht Nordrhein-Westfahlen, Urteil vom 18.01.2010, Aktenzeichen L 3 R 162/09; BSG, Urteil vom 25.01.2011, Aktenzeichen B 5 R 14/10 R). Selbst wenn man dem Ausführungsbescheid vom 10.06.2011 einen entsprechenden Regelungscharakter entnehmen wollte, wäre die Ablehnung der Zinsentscheidung, die einen Verwaltungsakt darstellt, bestandskräftig, da gegen den Ausführungsbescheid vom 10.06.2011 kein Widerspruch eingelegt wurde. Zudem ist im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen, dass allein die Pflicht, eine Entscheidung treffen zu müssen, es noch nicht rechtfertig, ohne weitere Anhaltspunkte auf die gebotene, aber gleichwohl unterbliebene Willensbetätigung der Behörde zu schließen (vgl. Thüringisches Landessozialgericht, Urteil vom 20.06.2013, Aktenzeichen L 4 AS 1967/12; Landessozialgericht Nordrhein-Westfahlen, Urteil vom 18.01.2010, Aktenzeichen L 3 R 162/09). Maßgeblich kann allein sein, was die Behörde tatsächlich erklärt hat, nicht, was sie hätte erklären sollen, soweit nicht im Einzelfall besondere Umstände es erlauben, eine stillschweigende Willensbetätigung anzunehmen (BSG, Urteil vom 25.01.2011, Aktenzeichen B 5 R 14/10 R). Hierfür sind besondere Umstände erforderlich, aus denen sich ein bestimmtes, unmissverständliches, konkludentes Verhalten ergeben muss (BSG, Urteil vom 17.10.2006, Aktenzeichen B 5 RJ 66/04 R). Das bloße Schweigen beinhaltet grundsätzlich weder eine zustimmende noch eine ablehnende, sondern keinerlei Willensbetätigung (Landessozialgericht Nordrhein-Westfahlen, Urteil vom 18.01.2010, Aktenzeichen L 3 R 162/09 m.w.N.). Gemessen an diesen Maßstäben enthält der Ausführungsbescheid vom 10.06.2011 keinerlei Anhaltpunkte für eine Aussage zu einem Verzinsungsanspruch. Zudem erscheint der Regelungscharakter dieses Bescheides fraglich, da der Bescheid nur in Ausführung des Vergleiches ergehen sollte. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass es sich hierbei um eine reine Zahlungsmitteilung hinsichtlich der Hauptforderung gehandelt hat, da im Ausführungsbescheid daraufhin gewiesen wird, dass der Betrag "heute angewiesen" werde. Dafür spricht auch, das im Vergleich die Beträge für beide Kläger einzeln nach einzelnen Monaten aufgeschlüsselt waren und der Beklagte durch das Schreiben vom 10.06.2011 deutlich machen wollte, worauf die angewiesene Zahlung von insgesamt 142,93 EUR, die sich als Gesamtbetrag nicht aus dem Vergleich ergibt, zurückgeht. 2. Selbst unter Umdeutung der Leistungsklage in eine Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG kann die Klage keinen Erfolg haben. Gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG ist Voraussetzung, dass ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes gestellt worden ist. Für einen solchen ist vorliegend nichts ersichtlich. Soweit die Kläger auf einen eventuellen Antrag mit ihrem ersten Widerspruchsschreiben in der Hauptsache bzw. im Rahmen eines etwaigen Rücknahmeantrags verweisen, wäre ein solcher gleichfalls nicht ausreichend, da zu diesem Zeitpunkt der Antragstellung das Entstehen eines Zinsanspruches noch nicht gesichert war. Hierbei handelt es sich um eine eventuelle zukünftige Forderung zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal das Bestehen der Hauptforderung gesichert war. Vor diesem Hintergrund vermag auch der Aspekt der Akzessorietät der Hauptforderung, auf die sich das BSG in seinem Urteil vom 11.09.1980 (Aktenzeichen B 5 RJ 108/79) gestützt hat, mit dem es keinen besonderen Antrag für erforderlich hielt, nicht durchzugreifen, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die Hauptforderung bestand.

III.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen der Kläger.

IV.

Die Berufung war nicht gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da die Rechtsache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Im vorliegenden Falle ging es um die Auslegung des Ausführungsbescheides des Beklagten vom 10.06.2011 und damit um eine Einzelfallentscheidung.