Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 20.08.2003, Az.: 2 A 2137/02

allgemeines Wohngebiet; Bestandsschutz; Hobbypferdehaltung; Hobbytierhaltung; Nachbarklage; Nachbarschutz; Pferd; Pferdehaltung; Pferdestall; untergeordnete Nebenanlagen; untergeordnetes Nebengebäude

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
20.08.2003
Aktenzeichen
2 A 2137/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48522
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 29.06.2004 - AZ: 1 LA 286/03

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Festsetzungen nach § 1 Abs. 10 BauNVO sind nur zugunsten materiell-rechtlich bestandsgeschützter Anlagen zulässig. Das rein tatsächliche Vorhandensein solcher Anlagen reicht nicht aus.

2. Zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit einer Hobbypferdehaltung in einem als Allgemeinen Wohngebiet ausgewiesenen Baugebiet. Hier verneint.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind seit 1990 zu je ½ Eigentümer des Grundstücks O. 19 in P., Ortsteil Q.. Das Grundstück setzt sich aus den Flurstücken R., S. und T. der Gemarkung Q. mit einer Gesamtgröße von ca. 1.800 m² zusammen. In unmittelbarer Nähe dieses Grundstücks auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen den Klägern daneben angepachtete Grünflächen mit einer Gesamtgröße von ca. 15.000 m² zur Nutzung zur Verfügung. Auf dem Flurstück T. befindet sich das Wohnhaus der Kläger, für das im Jahre 1963 eine Baugenehmigung erteilt worden ist. Auf dem Flurstück R. befindet sich von alters her ein Stall, der 1994 grundlegend renoviert wurde. In westlicher Richtung direkt anschließend an diesen Stall befindet sich ein als Garage bezeichnetes Nutzgebäude, das etwa dreimal so groß ist wie der Stall.

2

Das Grundstück der Beigeladenen zu 1. und 2. befindet sich östlich des klägerischen Grundstücks schräg versetzt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Grundstück des Beigeladenen zu 3. befindet sich südlich in mittelbarer Nachbarschaft  zum klägerischen Grundstück. Das Wohnhaus des Beigeladenen zu 3) ist etwa acht Meter vom Stall entfernt.

3

Das Grundstück der Kläger befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 6 "U." (im Folgenden Bebauungsplan Nr. 6) vom 24. September 1991, bekannt gemacht am 01.06.1992. Dieser Bebauungsplan ersetzt den ursprünglich dort geltenden Bebauungsplan Nr. 2 "V." der Gemeinde Q. aus dem Jahre 1969. Gleichzeitig erweitert der Bebauungsplan Nr. 6 gegenüber dem Bebauungsplan Nr. 2 das Plangebiet. Der Bebauungsplan Nr. 6 setzt als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet (WA) fest und schreibt die Geschossflächenzahl mit 0,6 und die Grundflächenzahl mit 0,4 fest. Gleichzeitig legt er überbaubare Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen fest. Auch der ursprüngliche Bebauungsplan aus dem Jahre 1969 enthielt derartige Festsetzungen und wies das fragliche Gebiet als allgemeines Wohngebiet aus.

4

Mit Beschluss des Rates der Stadt P. vom 9. Mai 2000, bekannt gemacht am 16. Juni 2000, wurde der Bebauungsplan Nr. 6 ein erstes Mal geändert. Gestützt auf § 1 Abs. 10 BauNVO wurde für das Grundstück der Kläger und ein weiteres im Plangebiet gelegenes Grundstück die Errichtung eines Pferdestalles für max. 2 Pferde für zulässig erklärt. Hintergrund für die Änderung war die Annahme der Stadt P., auf dem Grundstück der Kläger sei ein bestandsgeschützter Pferdebestand vorhanden.

5

Nachdem sich in der Folgezeit Zweifel an dieser Annahme ergaben und die W. rechtliche Bedenken gegen den Inhalt der ersten Änderung des Bebauungsplanes Nr. 6 geäußert hatte, beschloss der Rat der Stadt P. am 18. Dezember 2001, bekannt gemacht am 22. Februar 2002, die zweite Änderung des Bebauungsplanes Nr. 6. Mit diesem Bebauungsplan wurde die erste Änderung rückgängig gemacht.

6

Am 6. Mai 1991 beantragten die Kläger bei dem Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung der Garage als Anbau an den vorhandenen Stall. Als Zweck gaben sie an, 2 bis 4 Pferde halten zu wollen. Nachdem der Beklagte Zweifel an der Zulässigkeit dieses Vorhabens geäußert hatte, nahmen die Kläger ihren Antrag am 12. September 1991 zurück und stellten am 8. April 1992 für die Errichtung des selben Gebäudes einen neuen Bauantrag, wobei sie als Zweckbestimmung angaben, das Gebäude als Abstellraum nutzen zu wollen. Daraufhin erteilte der Beklagte am 19. Mai 1992 eine entsprechende Baugenehmigung, mit der er gleichzeitig die Nutzung als Pferdestall für unzulässig erklärte.

7

Am 23. März 1994 beantragten die Kläger bei dem Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Renovierung des alten Stalles. Vorangegangen waren Gespräche zwischen den Klägern und dem Beklagten darüber, ob die Renovierung dem Bestandsschutz unterfalle. Am 20. September 1994 erteilte der Beklagte für dieses Vorhaben eine Baugenehmigung und erklärte darin gleichzeitig die Umnutzung in einen Pferdestall für unzulässig.

8

Aufgrund von Nachbarbeschwerden, insbesondere der Beigeladenen, bekam der Beklagte in der Folge Kenntnis davon, dass die Kläger in dem Stall 2 Pferde hielten. Daraufhin untersagte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 17. Juni 1997 die Pferdehaltung in diesem Gebäude. Nachdem die Kläger hiergegen Widerspruch eingelegt hatten, nutzten sie das Gebäude weiterhin als Pferdestall. Daraufhin ordnete der Beklagte mit Bescheid vom 16. September 1997 die sofortige Vollziehung seiner Untersagungsverfügung an. Einen hiergegen bei ihm gestellten Aussetzungsantrag lehnte er mit Bescheid vom 8. Oktober 1997 ab.

9

Unter dem 3. November 1997 stellten die Kläger einen weiteren Bauantrag mit dem Ziel, die Nutzungsänderung des Stalles für die Haltung von 2 Pferden genehmigen zu lassen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. April 1998 unter Hinweis auf die Ausweisung des Gebietes als allgemeines Wohngebiet zunächst ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die W. mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1999 zurück. Dagegen erhoben die Kläger am 19. März 1999 Klage (2 A 2152/99; nachdem das Verfahren länger als 6 Monate geruht hatte, erhielt es das Aktenzeichen 2 A 2214/00).

10

Während des Klageverfahrens hob der Beklagte seine Bescheide vom 17. Juni 1997 und vom 15. April 2000 mit Bescheid vom 29. November 2000 im Hinblick auf die erste Änderung des Bebauungsplanes Nr. 6 auf und erteilte den Klägern eine Baugenehmigung für die begehrte Nutzungsänderung. Hiergegen erhoben die Beigeladenen am 20. Dezember 2000 Widerspruch. Nachdem die W., der die Sache vom Beklagten im Widerspruchsverfahren vorgelegt worden war, rechtliche Bedenken gegen die erteilte Baugenehmigung geäußert hatte, weil der Bebauungsplan Nr. 6 in seiner ersten Änderungsfassung nichtig sei, beschloss der Rat der Stadt P. wie beschrieben die zweite Änderung des Bebauungsplanes Nr. 6.

11

Daraufhin erließ der Beklagte mit Bescheiden vom 23. April 2002 gegenüber den Beigeladenen Abhilfebescheide und nahm die den Klägern erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung zurück. Zur Begründung gab der Beklagte an, die erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig. Der Bebauungsplan Nr. 6 in seiner ersten Änderungsfassung sei unwirksam, da er gegen §§ 4 und 1 Abs. 10 BauNVO verstoßen habe. Es habe sich bei dem klägerischen Stall nicht um eine bereits im Baugebiet vorhandene Anlage gehandelt. Da die Genehmigung der Nutzungsänderung nur wegen der -nichtigen- Festsetzung in der 1. Änderungsfassung des Bebauungsplanes Nr. 6 erfolgt sei, sei sie rechtswidrig. Die Rücknahme der Baugenehmigung sei auch ermessensgerecht und das Vertrauen der Kläger in deren Bestand nicht schutzwürdig.

12

Hiergegen haben die Kläger am 29.05.2002 Klage erhoben.

13

Sie berufen sich auf formellen wie materiellen Bestandsschutz. Am 29. November 2000, dem Datum der erteilten Baugenehmigung, sei der Bebauungsplan Nr. 6 in der Fassung der ersten Änderung in Kraft und seit seiner Bekanntmachung am 16. Juni 2000 rechtsverbindlich gewesen. Die zweite Änderung dieses Bebauungsplanes sei erst nachträglich in Kraft getreten.

14

Selbst wenn Bebauungsplan in der zweiten Änderungsfassung rechtsbedeutsam wäre, sei die von ihnen beabsichtigte Tierhaltung im allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO zulässig, da Q. dörflich landwirtschaftlich geprägt sei. So gebe es mehrere Grundstücke mit Pferdehaltung und unmittelbar östlich des Plangebiets Milchviehhaltung. Auch auf ihrem Grundstück seien seit alters her Gänse, Schweine und Pferde gehalten worden. Von den Pferden gingen keine Lärm-, Staub- und Geruchsemissionen aus. Hierbei sei auch die Größe des zu beurteilenden Grundstücks, das einschließlich der zugepachteten Flächen 15.000 m² betrage, zu berücksichtigen. Für die Tatsache der langjährigen Pferdehaltung berufen sich die Kläger auf eine Erklärung des Herrn X., des Sohnes der Voreigentümer, vom 17. Oktober 1991. Darin heißt es u.a., dass auf dem Grundstück bereits vor 1968 Tiere der Gattung Huhn, Gans, Schwein, Pferd gehalten worden seien und dass die dazu nötigen Stallungen ebenfalls vor 1968 vorhanden gewesen seien. Gleichzeitig stützen sie sich auf eine Bescheinigung des seinerzeitigen Ortsbürgermeisters von Q., Herrn Y., vom 30. August 1993, mit der dieser bestätigt, dass in dem früher im Besitz der Familie W., heute im Besitz des Ehepaares Z. befindlichen Nebengebäude auf dem Grundstück O. bereits vor 1968 Tiere der Gattung Huhn, Gans, Schwein, Pferd gehalten worden seien (Anm. des Gerichts.: Ausweislich der Beiakten E Band IV Blatt 24 ist Herr AA. im Laufe des ersten Änderungsverfahrens nochmals befragt worden und gab hier an, vor 1960 seien auf dem Grundstück Pferde gehalten worden).

15

Schließlich hegen die Kläger Zweifel an der Rechtswirksamkeit des Bebauungsplanes Nr. 6. Sie meinen, mit der Ausweisung als allgemeines Wohngebiet sei eine seit alters her bestehende Tierhaltung unter Missachtung des Bestandsschutzes überplant worden.

16

Die Kläger beantragen,

17

den Bescheid des Beklagten vom 23. April 2002 aufzuheben.

18

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1. und 2. beantragen,

19

die Klage abzuweisen.

20

Der Beklagte ist der Ansicht, der ursprüngliche Bebauungsplan Nr. 6 sei wirksam gewesen und habe die Pferdehaltung zum Zeitpunkt der Antragstellung ausgeschlossen. Auf Bestandsschutz könnten sich die Kläger nicht berufen, da die letzte Pferdehaltung dort 1968 erfolgt sei. Die Haltung der Pferde durch die Kläger sei rechtswidrig und genieße deshalb, anders als die Pferdehaltung des Herrn AB. an der nördlichen Grenze des Bebauungsplangebietes, keinen Bestandsschutz. Die Pferdehaltung sei auch nicht nach § 4 BauNVO im allgemeinen Wohngebiet zulässig. Auch auf § 14 BauNVO könnten sich die Kläger nicht berufen, da die Pferdehaltung nicht dem Gebietscharakter entspreche und Nachbarn belästige.

21

Die Beigeladenen zu 1) und 2) treten dem klägerischen Vorbringen mit der Begründung entgegen, vor Erlass des Bebauungsplanes Nr. 6 seien auf dem klägerischen Grundstück nie Pferde gehalten worden. Hierzu berufen sie sich auf eine Bescheinigung von Frau AC., eine ehemalige Mitbewohnerin des Beigeladenen zu 3), vom 10. Oktober 2000 sowie auf eine Bescheinigung des ehemaligen Gemeindedirektors der Gemeinde Q., Herrn R. AD. vom 16.10.?. Frau AE. bestätigt, dass von 1972 bis 1991 auf dem klägerischen Grundstück keine Pferde gehalten worden seien. Es sei lediglich ein Holzschuppen vorhanden gewesen, in dem Hühner gehalten worden seien. Herr AD. erklärt, es habe vor und nach der Erschließung für Bauland auf dem klägerischen Grundstück keine Pferdehaltung gegeben. Die Beigeladenen zu 1. und 2. tragen ergänzend vor, der Beigeladene zu 3), dessen Wohngebäude lediglich 8 m vom Pferdestall entfernt liege, sei asthmakrank und in der unmittelbaren Umgebung des klägerischen Grundstücks befinde sich ausschließlich Wohnbebauung.

22

Der Beigeladene zu 3. äußert sich schriftlich nicht zur Sache und stellt keinen Antrag.

23

Die Kammer hat die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört und über die Eigenart des fraglichen Wohngebiets Beweis durch Augenscheinseinnahme erhoben. Wegen der Einzelheiten der Einlassungen der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. August 2003 Bezug genommen.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die Planungsvorgänge der Stadt P. Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

25

Die Klage ist zulässig. Insbesondere bedarf es nach § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO nicht der vorherigen Durchführung eines Vorverfahrens nach § 68 ff. VwGO. Denn der an die Kläger gerichtete Rücknahmebescheid vom 23. April 2002 und die gegenüber den Beigeladenen ergangenen Abhilfebescheide vom selben Tag - beide Bescheide bilden hier gemeinsam den "Abhilfebescheid" im Sinne des § 68 Abs. 1 Nr. 2 VwGO - enthalten für die Kläger im Sinne der genannten Vorschrift erstmalig eine Beschwer, weil durch sie der für die Kläger begünstigende Baugenehmigungsbescheid vom 29. November 2000 aufgehoben wird.

26

Die Klage ist indes nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 23. April 2002 ist rechtmäßig und verletzt deshalb die Kläger nicht in ihren Rechten (§113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

27

Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 48, 50 VwVfG für die Rücknahme der mit Bescheid vom 29. November 2000 den Klägern erteilten Baugenehmigung liegen vor. Denn die erteilte Baugenehmigung war rechtswidrig im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Auf Vertrauensschutz können sich die Kläger gemäß § 50 VwVfG nicht berufen, da die Baugenehmigung von den Beigeladenen angefochten und vom Beklagten während des Vorverfahrens aufgehoben worden ist, womit dem Widerspruch der Beigeladenen abgeholfen wurde. An dieser Stelle kann die Kammer offen lassen, ob der Anwendungsbereich des § 50 VwVfG allein durch die Einlegung des Widerspruchs seitens der Beigeladenen zu 1. und 2. eröffnet wäre. Hieran bestehen deshalb Zweifel, weil fraglich erscheint, ob sich die Beigeladenen zu 1. und 2., deren Wohnhaus sich schräg versetzt auf der dem klägerischen Grundstück gegenüberliegenden Straßenseite befindet, geltend machen können, durch die den Klägern am 20. Dezember 2002 erteilte Baugenehmigung in eigenen Rechten verletzt zu sein. Es spricht vieles dafür, dass ihr Widerspruch vom 20. Dezember 2002 deshalb unzulässig gewesen ist, was die Anwendung des § 50 VwVfG ausschließen würde (vgl. Kopp, VwVfG, 6. Aufl. § 50 Rdnr. 14 m.w.N.). Hierauf kommt es indes deshalb nicht an, weil jedenfalls der Widerspruch des Beigeladenen zu 3., der in direkter Nachbarschaft zum klägerischen Grundstück wohnt, zulässig war.

28

Die Baugenehmigung vom 29. November 2000 hätte nicht erteilt werden dürfen, weil Rechtsvorschriften dem entgegen standen.

29

Die Nutzung des streitbefangenen Stalles zur Pferdehaltung ist gemäß §§ 68 Abs. 1, 2 Abs. 5 NBauO eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung. Die Kläger verhalten sich widersprüchlich, wenn sie einerseits selbst eine solche Nutzungsänderung am 3. November 1997 zur Genehmigung des Beklagten stellen, im Rahmen ihrer rechtlichen Argumentation indes behaupten, auf dem Grundstück hätten schon immer, vor und während ihrer Nutzungszeit Pferde gestanden. Sowohl nach dem schriftsätzlichen Vorbringen der Kläger als auch nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck ist die Kammer davon überzeugt, dass eine Nutzungsänderung vorliegt. Denn die von den Klägern zur Stützung ihres Vortrags vorgelegten Bescheinigungen belegen allenfalls eine Pferdehaltung bis zum Jahre 1968, nicht jedoch darüber hinaus bis zum Erwerb des Grundstücks durch die Kläger im Jahre 1990. Dies hat der Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung indirekt dadurch bestätigt, dass er nach Erwerb des Grundstücks zunächst habe Schweinebuchten aus dem fraglichen Stall habe entfernen müssen, um seine Pferde dort unterzubringen. Unterstützt wird die Annahme einer Nutzungsänderung durch die Aussagen der Beigeladenen, wonach lange vor Erwerb des streitbefangenen Grundstücks durch die Kläger dort keine Pferde gehalten worden seien.

30

Die Nutzungsänderung ist nicht nach § 68 Abs. 4 Nr. 1 NBauO baugenehmigungsfrei. Denn das öffentliche Baurecht stellt an die bauliche Anlage in der neuen Nutzung andere und weitergehende Anforderungen. Es liegt auf der Hand, dass von einer Kleintierhaltung (Hühnerhaltung) bzw. einer Nutzung als Abstellraum andere städtebaulich relevante Beeinträchtigungen ausgehen als von Pferdeställen. ( vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.1990 - 3 S 218/90 -, zitiert nach Juris).

31

Die Baugenehmigung vom 29.11.2000 hätte den Klägern nicht gemäß § 75 Abs. 1 NBauO erteilt werden dürfen, da ihr bauplanungsrechtliche Vorschriften entgegen standen.

32

Rechtlicher Maßstab für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Nutzungsänderung sind §§ 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. 4, 14 Abs. 1 BauNVO. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist auf den Zeitpunkt des zurückgenommenen Baugenehmigungsbescheides vom 20. Dezember 2000 abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt war der Bebauungsplan Nr. 6 in seiner ersten Änderungsfassung vom 9. Mai 2000 in Kraft. Die Frage, ob die auf § 1 Abs. 10 BauNVO gestützte erste Änderung des Bebauungsplanes Nr. 6 rechtswirksam ist, könnte die Kammer offen lassen, wenn der Bebauungsplan Nr. 6 in seiner Ursprungsfassung vom 24. September 1992, die mit der zweiten Änderungsfassung vom 18. Dezember 2001 inhaltsgleich ist, die von den Klägern betriebene Pferdehaltung zuließe. Dies ist nicht der Fall.

33

Bei dem Bebauungsplan Nr. 6 handelt es sich um einen qualifizierten Bebauungsplan im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB, da er Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält. Im Bereich eines solchen Bebauungsplanes ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Die von den Klägern beabsichtigte und tatsächlich schon vorgenommene Nutzungsänderung widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans.

34

Das Plangebiet, zu dem das klägerische Grundstück gehört, ist als allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO ausgewiesen. Gemäß § 4 Abs. 1 BauNVO dienen allgemeine Wohngebiete vorwiegend dem Wohnen. Die Hobbytierhaltung von 2 Reitpferden gehört nicht zu den zulässigen Vorhaben nach § 4 Abs. 2 BauNVO und nicht zu den ausnahmsweise nach § 4 Abs. 3 BauNVO zuzulassenden Vorhaben. Die Zulässigkeit kann sich daher allenfalls aus § 14 Abs. 1 BauNVO ergeben. Dessen Voraussetzung lagen und liegen jedoch nicht vor.

35

Der klägerische Stall ist keine untergeordnete Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 2 BauNVO da er nicht der Kleintierhaltung dient. Pferde gehören nicht zu den Kleintieren (OVG Lüneburg, Urteil vom 25.07.1988 - 1 A 46/87 -, BRS 48, Nr. 38; Urteil vom 23.11.1979 - I A 183/87 -, BRS 29, Nr. 163; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.1990 -3 S 218/90 -, zitiert nach Juris).

36

Allerdings führt dies nicht dazu, dass die Unterbringung von Reitpferden oder Ställe für andere "Großtiere" als Nebenanlagen ausgeschlossen sind. Ihre Zulässigkeit richtet sich vielmehr nach § 14 Abs. 1 S. 1 BauNVO (Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 9. Auflage, § 14 Rn 7; OVG Lüneburg, Urteil vom 25.07.1988, a.a.O.).

37

Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 BauNVO sind außer den in § 2 bis 13 genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Diese Voraussetzungen sind nicht sämtlich gegeben.

38

Zwar mag es sich in Anbetracht der geringen Größe des fraglichen Stalles bei diesem noch um eine untergeordnete Nebenanlage handeln.

39

Ein Pferdestall dient jedoch nicht dem Nutzungszweck des Grundstücks, dem Wohnen. Die Hobbytierhaltung von zwei Reitpferden gehört nach der Verkehrsanschauung nicht mehr zu einer zeitgemäßen, den berechtigten Wohnerwartungen und Wohngewohnheiten entsprechenden Wohnnutzung (so auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.09.1988 - 3 F 735/88 -, zitiert nach Juris; offengelassen in OVG Lüneburg, Urteil vom 23.11.1979 und vom 25. 07.1988, a.a.O.).

40

Der Stall und die durch ihn ermöglichte Pferdehaltung widerspricht darüber hinaus der Eigenart des Baugebiets, wovon sich die Kammer durch die vorgenommene Augenscheinseinnahme überzeugen konnte.

41

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wird das fragliche Baugebiet ausschließlich durch Wohnbebauung mit Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäusern auf teilweise recht kleinen Grundstücken geprägt. Mit Ausnahme des Grundstücks AB., auf dem seit alters her Pferdehaltung betrieben wird und das ebenfalls Gegenstand der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 6 gewesen ist, findet jedwede Haltung von Großtieren, insbesondere Pferden, im Plangebiet erkennbar nicht statt. Zugunsten der Kläger streitet hier nicht die Größe ihres eigenen Grundstücks und der zugepachteten Flächen. Zwar ist das Grundstück der Kläger, auf dem sich der Pferdestall befindet, etwa 1.800 m² groß und damit nicht klein und es stehen den Klägern insgesamt einschließlich der zugepachteten Flächen ca. 15.000 m² zur Nutzung zur Verfügung. Dies allein rechtfertigt indes nicht die Annahme, ein Pferdestall entspreche der Eigenart des Baugebiets. Denn dies ließe die Umgebungsbebauung außer Acht. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der Abstand des Stalles zum Wohngebäude des Beigeladenen zu 3) lediglich ca. 8 m beträgt. Die Haltung von 2 Reitpferden, die grundsätzlich zu typischen nachteiligen Auswirkungen auf die Umgebung durch Gerüche, gelegentliche Geräusche sowie durch Fliegen und Ungeziefer führt (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; OVG Lüneburg, Urteil vom 09.11.1984 - 6 A 6/83 -, BRS 42, Nr. 71; OVG Münster, Urteil vom 06.11.1970 - XA 794/69 -, BRS 23, Nr. 39), verträgt sich nicht mit der Wohnnutzung des Grundstücks des Beigeladenen zu 3). Dass die Pferdehaltung der Kläger auch tatsächlich mit Belästigungen für die unmittelbar benachbarte Wohnbebauung verbunden ist, ergibt sich auch daraus, dass sich der Beigeladene zu 3. als Nachbar beschwert und das Verbot der Pferdehaltung gefordert hat.

42

War und ist die Pferdehaltung der Kläger ohne die sie begünstigende Ausnahmeregelung in der ersten Änderungsfassung des Bauplanes Nr. 6 vom 9. Mai 2000 unzulässig, kommt es darauf an, ob dieser Bebauungsplan rechtswirksam war. Denn nur dann können sich die Kläger auf die nach § 1 Abs. 10 BauNVO vorgenommene Festlegung der Zulassung von Pferdeställen zur Haltung von max. 2 Pferden berufen. Dies ist nicht der Fall, denn die entsprechende Festsetzung ist, was die W. mit Verfügung vom 6. August 2001 zutreffend ausgeführt hat, (teil-) nichtig und darf weder von dem Beklagten noch vom Gericht berücksichtigt werden.

43

Aus der Bindung der Verwaltung und der Rechtsprechung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG folgt die Befugnis der Gerichte, die von ihnen anzuwendenden städtebaulichen Satzungen auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und im Falle ihrer Nichtigkeit nicht anzuwenden (OVG Lüneburg, Beschuss vom 15.10.1999 - 1 M 3614/99 -, Nds. Rechtspflege 2000, 152).

44

Gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen vorhandener Anlagen, die bei Festsetzung eines Baugebietes nach den §§ 2 bis 9 in überwiegend bebauten Gebieten unzulässig wären, allgemein zulässig sind oder ausnahmsweise zugelassen werden können. Dies setzt indes voraus, dass die vorhandenen Anlagen zu irgend einem Zeitpunkt baurechtlich genehmigt worden oder mindestens genehmigungsfähig gewesen sind. Für ungenehmigte und nicht genehmigungsfähige Schwarzbauten kann eine begünstigende Festsetzung nach § 1 Abs. .10 BauNVO nicht in Anspruch genommen werden. Hier mangelt es bereits am öffentlichen Interesse an der bauplanungsrechtlichen Festsetzung (Fickert/Fieseler, a.a.O., § 1 Rn 139). Denn § 1 Abs. 10 BauNVO dient seinem Zweck nach der Standortsicherung der aufgrund der nunmehrigen Planung nicht (mehr) gebietstypischen vorhandenen baulichen oder sonstigen Anlagen. Die Festsetzungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 10 S. 1 BauNVO verfolgt in Ausführung der gesetzlichen Vorgabe des § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 4 BauGB im wesentlichen das städtebauliche Anliegen, für eine erhöhte Planungs- und Investitionssicherheit zu sorgen und eine Erweiterung bereits vorhandener Nutzung zu ermöglichen. Das städtebauliche Anliegen kann nach Auffassung des Verordnungsgebers dadurch gefördert werden, dass die Gemeinde durch ihre Planung jede vorhandenen baulichen Anlagen an ihrem Standort planungsrechtlich sichert, die bei typisierender Betrachtungsweise nunmehr "an sich" unzulässig sind und daher zwar aufgrund passiven Bestandsschutzes nicht beseitigt, jedoch aufgrund neuer Rechtslage nicht erweitert werden können. Macht die Gemeinde von dem Instrument des § 1 Abs. 10 BauNVO Gebrauch, so bedeutet dies, dass der Nutzer eines Grundstückes nicht mit den Nutzungsmöglichkeiten vorlieb nehmen muss, die ihm sonst nur im Rahmen des herkömmlichen Bestandsschutzes verbleiben und die sich im wesentlichen in Reparatur- und Erhaltungsmaßnahmen erschöpfen, sondern je nach der Reichweite der betroffenen Regelung in die Lage versetzt wird, weiterhin Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 11.05.1999 - 4 BN 15/99 -, NVwZ 1999, 1338; Beschluss vom 06.03.2002 - 4 BN 11/02 -, BauR 2002, 1665). Hieraus wird deutlich, dass nicht das rein tatsächliche Vorhandensein einer Anlage für die Ermächtigung des § 1 Abs. 10 BauNVO ausreicht, sondern dass diese bisherige Anlage auch Bestandsschutz genießen muss. Dies ist im Fall des klägerischen Stalles, soweit er für Zwecke der Pferdehaltung genutzt werden soll, nicht der Fall.

45

Zur Überzeugung des Gerichts fand eine Nutzung des klägerischen Grundstücks zur Pferdehaltung jedenfalls in der Zeit von 1968 bis zum Jahr 1990, in dem die Kläger das Grundstück erwarben, nicht statt. Sowohl die von den Klägern als auch die von den Beigeladenen vorgelegten Bescheinigungen belegen dies. Der Kläger zu 1. hat in der mündlichen Verhandlung selbst ausgeführt, dass er vor der erstmaligen Nutzung als Pferdestall zunächst die in dem Stall vorhandenen Schweinebuchten hat entfernen müssen. Mithin war eine Nutzung zu Pferdehaltungszwecken zuvor gar nicht möglich. Damit trägt auch die klägerische Argumentation nicht, der Bebauungsplan Nr. 6 sei ebenso wie seine Vorgängerregelung, der Bebauungsplan Nr. 2 "V." vom 21. Februar 1969, deshalb nichtig, weil er eine vorhandene Nutzung unzulässig überplant habe.

46

Folglich war die klägerische Pferdenutzung zu keinem Zeitpunkt baurechtlich zulässig und/oder bestandsgeschützt. Der Anwendungsbereich der §§ 48, 50 VwVfG ist damit eröffnet.

47

Schließlich ist der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 23. April 2003 auch nicht wegen eines Ermessensmangels rechtswidrig. Das auch im Rahmen einer Entscheidung nach § 50 VwVfG auszuübende Rücknahmeermessen (vgl. Stellkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. § 48 Rn 75, § 50 Rn 79) hat der Beklagte rechtsfehlerfrei ausgeübt. Insoweit wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid Bezug genommen.

48

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 S. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Kosten des Beigeladenen zu 3) sind nicht für erstattungsfähig zu erklären, da er sich nicht zur Sache geäußert und auch keinen Antrag gestellt hat. Hat er sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt, entspricht es nicht der Billigkeit, seine außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären. Es entspricht auch nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. für erstattungsfähig zu erklären. Zwar haben sie mit ihrem Klagabweisungsantrag in der Sache Erfolg. Dies beruht indes nach dem Gesagten im Wesentlichen darauf, dass der Widerspruch des Beigeladenen zu 3. zulässig und die den Klägern erteilte Baugenehmigung rechtswidrig war. Der Rechtsbehelf der Beigeladenen zu 1. und 2. hätte alleine voraussichtlich keinen Erfolg gehabt, da sie durch die Baugenehmigung nicht in eigenen Rechten verletzt gewesen sind. Da den Klägern in diesem, nicht § 50 VwVfG unterliegendem Fall wohl Vertrauensschutz hätte gewährt werden müssen, hätte ihre Klage voraussichtlich Erfolg gehabt. Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. durch die Kläger erscheint danach unbillig.