Abschnitt 7 RFErl - Beantragung von Abschiebungshaft
Bibliographie
- Titel
- Rechtliche Hinweise und verfahrensmäßige Vorgaben zur Organisation und Durchführung des Rückführungs- und Rücküberstellungsvollzugs (Abschiebung) und zur Beantragung von Abschiebungshaft (Rückführungserlass)
- Redaktionelle Abkürzung
- RFErl,NI
- Normtyp
- Verwaltungsvorschrift
- Normgeber
- Niedersachsen
- Gliederungs-Nr.
- 26100
Abschiebungen sollen grundsätzlich aus der Freiheit heraus stattfinden. Die mit der Anordnung von Abschiebungshaft verbundene Freiheitsentziehung ist immer letztes Mittel zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung.
In Fällen, in denen sich die Ausländerin oder der Ausländer in Strafhaft befindet, ist die Ausländerbehörde gemäß § 59 Abs. 5 AufenthG gehalten, die Abschiebung aus der Strafhaft durchzuführen. Es ist daher zwingend erforderlich, rechtzeitig die vorbereitenden Maßnahmen, insbesondere die Klärung der Identität und die Passersatzpapierbeschaffung, für die Abschiebung einzuleiten. Sicherungshaft kann ausnahmsweise im Anschluss an die Strafhaft oder Untersuchungshaft nach Maßgabe des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG angeordnet werden. Das Ende der Strafhaft muss feststehen, da die Abschiebungshaft nicht auf Vorrat angeordnet werden darf. Voraussetzung ist jedoch, dass die Abschiebung aus von der Ausländerbehörde nicht zu vertretenden Gründen (z. B. wegen fehlender Flugverbindungen) ausnahmsweise nicht bis zum Ende der Strafhaft durchgeführt werden kann.
Gemäß § 62 AufenthG ist die Inhaftierung von Ausländerinnen und Ausländern zur Vorbereitung einer Ausweisung (Vorbereitungshaft) oder Sicherstellung der Abschiebung (Sicherungshaft) zulässig.
7.1
Vorbereitungshaft
Für die Anordnung der Vorbereitungshaft (§ 62 Abs. 2 AufenthG) ist Voraussetzung, dass eine Ausweisungsverfügung nach den §§ 53 ff. AufenthG oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erlassen werden soll, über die nicht sofort entschieden werden kann, z. B. weil die erforderlichen Nachweise zur Stützung eines begründeten Verdachts auf Ausweisungsgründe noch erbracht werden müssen. Die beabsichtigte Ausweisung oder Abschiebungsanordnung muss hinreichend sicher und innerhalb eines Zeitraumes von sechs Wochen zu erwarten sein. Die Beantragung und Anordnung von Vorbereitungshaft erfordert stets eine individuelle Prognose, dass die Ausländerin oder der Ausländer die Abschiebung wesentlich erschweren oder vereiteln wird. Im Haftantrag sind die hierfür maßgebenden konkreten Umstände anzugeben. Nach Nummer 62.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG kann z. B. die unmittelbar bevorstehende Entlassung aus der Untersuchungshaft Anlass für die Beantragung von Vorbereitungshaft geben.
7.2
Sicherungshaft
Zwingende Voraussetzung für die Anordnung von Sicherungshaft (§ 62 Abs. 3 AufenthG) ist, dass
die Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 AufenthG vollziehbar ist,
eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder abgelaufen ist,
die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint,
die Abschiebung möglich ist, d. h. es dürfen insbesondere keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse oder inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse entgegenstehen,
das Vorliegen einer der in § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG genannten Haftgründe bezogen auf den Einzelfall konkret dargelegt wird,
der Zweck der Sicherungshaft nicht durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes Mittel erreicht werden kann,
der oder dem Bevollmächtigten der oder des Ausreisepflichtigen oder, soweit die oder der Ausreisepflichtige keine Bevollmächtigte oder keinen Bevollmächtigten benannt hat, ihr oder ihm eine Rückkehrentscheidung (z. B. Bescheid des BAMF) in einer ihr oder ihm verständlichen Sprache zugestellt oder bekanntgegeben wurde und
konkrete Anhaltspunkte benannt werden können, dass eine Abschiebung auch tatsächlich innerhalb der beantragten Haftzeit vorhersehbar vollzogen werden kann (siehe auch BGH, Beschluss vom 15. 11. 2012 - V ZB 119/12).
Sicherungshaft darf nicht beantragt werden, wenn feststeht, dass die Abschiebung aus Gründen, die die Ausländerin oder der Ausländer nicht zu vertreten hat, innerhalb der nächsten drei Monate nicht durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Es ist nachvollziehbar darzulegen, welche Zeitdauer beispielsweise eine Pass- oder Passersatzbeschaffung, die organisatorische Abwicklung, die Flugbuchung oder die erforderliche Durchführung eines Rückübernahmeverfahrens voraussichtlich in Anspruch nehmen wird und weshalb dieses auch für den konkreten Fall zutrifft.
7.3
Einstweilige richterliche Anordnung zur vorläufigen Freiheitsentziehung
Bei Gefahr im Verzug ist zum Zweck der Vorführung der oder des Ausreisepflichtigen zur richterlichen Anhörung zur Anordnung der Sicherungshaft vorher eine einstweilige richterliche Anordnung zur vorläufigen Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG zu beantragen. Es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Ausländerin oder der Ausländer sich der Festnahme und insbesondere bereits der Anhörung entziehen wird. Mit einer richterlichen Anordnung zur vorläufigen Freiheitsentziehung ist eine Ingewahrsamnahme der Ausländerin oder des Ausländers zum Zweck der richterlichen Anhörung vor Anordnung der Abschiebungshaft zulässig. Ein Haftantrag muss bereits zum Zeitpunkt der Beantragung einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Freiheitsentziehung der anordnenden Richterin oder dem anordnenden Richter vorgelegt werden. Eine richterliche Anordnung zur vorläufigen Freiheitsentziehung ist dann entbehrlich, wenn die Inhaftnahme nicht planbar, der Aufenthalt der oder des Ausreisepflichtigen unbekannt oder sie oder er in den polizeilichen Fahndungsregistern zur Festnahme ausgeschrieben ist und die Voraussetzungen des § 62 Abs. 5 AufenthG erfüllt sind.
7.4
Haftantrag
Im Haftantrag sind konkrete Angaben zum Verlauf des Verfahrens und zu dem Zeitraum, in welchem die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können, erforderlich, damit das Gericht in die Lage versetzt wird, eine eigene Prognoseentscheidung zu treffen. Eine derartige Prognose hat auch dann zu erfolgen, wenn die oder der Betroffene eine ihr oder ihm obliegende Mitwirkung verweigert hat. Liegt eine schuldhafte Mitwirkungsverweigerung vor, ist in die Prognose einzustellen, wie das weitere Verfahren bei einer pflichtgemäßen Mitwirkung der oder des Betroffenen üblicherweise abgelaufen wäre. Verbleibt dann im Ergebnis der Prognose eine Ungewissheit, geht diese bei der erstmaligen Anordnung der Haft für drei Monate zu Lasten der oder des Betroffenen (BGH, Beschluss vom 1. 3. 2012 - V ZB 206/11).
Jeder Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 AufenthG (Hauptsacheantrag) sollte zusätzlich mit einem bedingten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG für die Zeitdauer der Beibringung weiterer notwendiger Unterlagen durch die Ausländerbehörde verbunden werden. Damit wird ermöglicht, dass in Fällen, in denen das Amtsgericht für eine Entscheidung in der Hauptsache weitere Unterlagen benötigt, diese nachgereicht werden können, ohne dass eine Entlassung der oder des Betroffenen in die Freiheit notwendig wird.
Grundsätzlich ist im Rahmen der Beantragung von Sicherungshaft mit dem Haftantrag der förmliche Zustellnachweis des ablehnenden BAMF-Bescheides vorzulegen. In den Fällen, in denen das BAMF der Ausländerbehörde keinen Zustellnachweis übermittelt, der Ausländerbehörde aber mitgeteilt hat, dass eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt ist, ist diese Mitteilung ebenso ausreichend wie die Tatsache, dass gegen den Bescheid des BAMF Klage erhoben wurde. Darüber hinaus gilt auch der durch Unterschrift bestätigte Empfang des Bescheides in einer Sammelunterkunft als ausreichender Nachweis.
Im Haftantrag ist ein konkretes Datum für das voraussichtliche Haftende zu nennen. Die Angabe eines Zeitraumes, beispielsweise Antrag für die Dauer von drei Wochen, ist zu unbestimmt. Es ist konkret einzelfallbezogen darzulegen, welchen Zeitraum beispielsweise eine Pass- oder Passersatzbeschaffung, die organisatorische Abwicklung, die Flugbuchung oder die erforderliche Durchführung eines Rückübernahmeverfahrens voraussichtlich in Anspruch nehmen wird. Namentlich sind konkrete Angaben zum Verlauf des Verfahrens und zu dem Zeitraum, in welchem die einzelnen Schritte im konkreten Einzelfall durchlaufen werden können, erforderlich, damit das Gericht in die Lage versetzt wird, eine eigene Prognoseentscheidung zu treffen. Ergänzend kann auf generelle Erfahrungswerte hingewiesen werden, um die Annahmen im konkreten Einzelfall zu untermauern (BGH, Beschluss vom 30. 6. 2016 - V ZB 143/14). Bezüglich des Zeitrahmens für die Organisation der Rückführung im konkreten Einzelfall können die Informationen jeweils beim LKA, für die Passersatzpapierbeschaffung bei der LAB NI abgerufen werden.
Eine konkrete individuelle Gelingensprognose in Bezug auf den Vollzug der Abschiebung hat auch dann zu erfolgen, wenn die oder der Betroffene eine ihr oder ihm obliegende Mitwirkung verweigert hat. Liegt eine schuldhafte Mitwirkungsverweigerung vor, ist diese konkret darzulegen, und es ist in die Prognose einzustellen, wie das Verfahren bei einer pflichtgemäßen Mitwirkung der oder des Betroffenen üblicherweise abgelaufen wäre. Verbleibt dann im Ergebnis der Gelingensprognose eine Ungewissheit, geht diese bei der erstmaligen Anordnung der Haft für drei Monate zu Lasten der oder des Betroffenen (BGH, Beschluss vom 1. 3. 2012 - V ZB 206/11). Universell einsetzbare Leerformeln über die Durchführbarkeit der Abschiebung sind nicht ausreichend.
Der Haftantrag ist der betroffenen Person rechtzeitig vor ihrer Anhörung in Kopie auszuhändigen und spätestens im Rahmen der Anhörung zu übersetzen (BGH, Beschluss vom 21. 7. 2011 - V ZB 141/11). In Abstimmung mit den Gerichten veranlassen die Ausländerbehörden die Vorführungen so rechtzeitig, dass vor der Anhörung der Haftantrag ausgehändigt und durch die für die Anhörung regelmäßig hinzuzuziehenden Dolmetscher übersetzt werden kann.
Bei der Beantragung einer Verlängerung der Abschiebungshaft soll die Akte der Ausländerin oder des Ausländers vorgelegt werden. Für die Zulässigkeit des Antrags gelten die Voraussetzungen für die erstmalige Anordnung nach § 425 Abs. 3 und § 417 Abs. 2 FamFG entsprechend. Es ist auszuführen, dass die maßgeblichen Gründe, die zur Anordnung der Haft geführt haben, weiterhin vorliegen und zusätzlich die Voraussetzungen für eine Verlängerung gegeben sind. Im Verlängerungsantrag ist deshalb darzustellen,
welche Maßnahmen bisher zur Vorbereitung der Abschiebung getroffen wurden (mit Datum und konkreter Bezeichnung),
aus welchen Gründen die Abschiebung während der bisherigen Haftdauer nicht möglich war,
wann mit der Abschiebung voraussichtlich zu rechnen ist und
weshalb die Verlängerung der Haft noch verhältnismäßig ist.
Die Ausländerbehörde hat von Amts wegen in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen der Abschiebungshaft noch vorliegen, und dieses in den Akten zu vermerken. Der Vollzug der Abschiebungshaft ist von der Ausländerbehörde unverzüglich bis zu einer Woche auszusetzen (§ 424 Abs. 1 Satz 3 FamFG) und die Aufhebung der Freiheitsentziehung unverzüglich zu beantragen, wenn die für deren Anordnung maßgebenden Gründe entfallen sind (§ 426 Abs. 2 FamFG). Dazu zählen beispielsweise der nachträgliche Wegfall des Haftgrundes, der Wegfall der vollziehbaren Ausreisepflicht oder die längerfristige oder dauerhafte Unmöglichkeit der Abschiebung.
7.5
Fortbestehen der Haftanordnung bei Scheitern der Abschiebung
Nach § 62 Abs. 4 a AufenthG bleibt für den Fall, dass die Abschiebung gescheitert ist, die Anordnung der Sicherungshaft bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen. Dies gilt auch, wenn die Ausländerin oder der Ausländer das Scheitern der Maßnahme nicht zu vertreten hat.
7.6
Abschiebungshaftvollzug
Für den Vollzug der Abschiebungshaft ist in Niedersachsen die Abteilung Langenhagen der Justizvollzugsanstalt Hannover eingerichtet. Unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien oder alleinerziehende Elternteile mit minderjährigen Kindern sind grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft zu nehmen. Eine besonders sorgfältige Prüfung ist bei lebensälteren, behinderten oder schwer erkrankten Menschen vorzunehmen.
Sofern der Ausländerbehörde vor einer Haftantragsstellung Anhaltspunkte für eine mögliche Haftunfähigkeit bekannt sind, ist vor der Stellung des Haftantrags zunächst eine Haftfähigkeitsuntersuchung in die Wege zu leiten. Die erforderliche ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Haftfähigkeit erfolgt von einer Ärztin oder einem Arzt mit entsprechender Qualifizierung. Die Ausländerbehörde stellt sicher, dass zu den Untersuchungen und Überprüfungen im Bedarfsfall Sprachmittlerinnen oder Sprachmittler mit Kenntnissen der Herkunftssprache der zu untersuchenden Person hinzugezogen werden.
Kommt die oder der Betroffene einer schriftlicher Aufforderung, sich innerhalb einer angemessenen Frist ärztlich untersuchen zu lassen, nicht nach, so kann von einer Haftfähigkeitsuntersuchung vor Stellung eines Haftantrags abgesehen werden; sie oder er ist hierauf schriftlich hinzuweisen.
Liegen Hinweise für eine gesundheitliche Beeinträchtigung vor, die nicht zur Haftunfähigkeit, einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis oder inlandsbezogenen Vollstreckungshindernis führen, ist der medizinische Dienst der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige davon zu unterrichten.
7.7
Ausreisegewahrsam
Ausreisegewahrsam kann unabhängig von den Voraussetzungen der Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 AufenthG, insbesondere unabhängig vom Vorliegen der Fluchtgefahr, nach den Vorgaben des § 62b AufenthG für maximal 10 Tage beantragt werden.
Für die Anordnung des Ausreisegewahrsams müssen nach § 62b Abs. 1 AufenthG drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen:
- a)
Die Ausreisefrist muss abgelaufen sein. Die nicht rechtzeitige Ausreise muss dabei von der Ausländerin oder dem Ausländer zu vertreten gewesen sein.
- b)
Es muss feststehen, dass die Abschiebung innerhalb der Zehn-Tages-Frist durchgeführt werden kann. (Das ist z. B. der Fall, wenn zum Zeitpunkt des Haftantrages angenommen werden kann, dass das Reisedokument in dieser Frist eintreffen oder vorliegen soll.)
- c)
Die Ausländerin oder der Ausländer muss ein Verhalten gezeigt haben, welches erwarten lässt, dass sie oder er die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird. (Eine einmalige Verletzung dieser Pflichten reicht aus.)
Das Gesetzt gibt für die dritte Voraussetzung eine Reihe von nicht abschließenden Beispielen vor, bei denen vermutet wird, dass die Ausländerin oder der Ausländer die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird. Das ist u. a. der Fall, wenn
Mitwirkungspflichten verletzt wurden (allgemeine Passbeschaffungspflicht nach § 56 Abs. 1 AufenthV, besondere Passbeschaffungspflicht nach § 60b Abs. 2 ff. AufenthG, Mitwirkungshandlungen i. S. von § 48 Abs. 3 AufenthG, gesetzliche Mitwirkungshandlungen nach § 82 Abs. 5 AufenthG, Anordnungen nach § 82 Abs. 4 AufenthG),
über die eigene Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht wurde,
eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat in Deutschland zu Freiheitsstrafe oder Geldstrafe ab 51 Tagessätzen vorliegt (mehrere Geldstrafen sind zu addieren) oder
die Ausreisefrist um mehr als 30 Tage überschritten wurde.
Nach § 62b Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist von der Anordnung des Ausreisegewahrsams abzusehen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer glaubhaft macht oder wenn offensichtlich ist, dass sie oder er sich der Abschiebung nicht entziehen will.
Die Entscheidung über die Anordnung des Ausreisegewahrsams steht im richterlichen Ermessen ("kann"). Im Antrag auf Ausreisegewahrsam hat die Ausländerbehörde deshalb nachvollziehbar darzulegen, welche Erwägungen sie zur Antragstellung bewogen haben (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 20. 4. 2018 - V ZB 226/17).
Bei der Ausübung des Ermessens ist durch die beantragende Behörde auch der UltimaRatio-Charakter des Ausreisegewahrsams zu berücksichtigen und der Antrag in dieser Hinsicht zu begründen (Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 28. Edition, 01.01.2021, § 62b AufenthG, Randnummer 9).
Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen wegen der entsprechenden Geltung des § 62 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Ausreisegewahrsam genommen werden, wie es unter gebotener besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.
Das Ausreisegewahrsam findet keine Anwendung auf die Inhaftnahme zum Zwecke einer Dublin-Überstellung.
Nach § 62b Abs. 2 AufenthG muss das Ausreisegewahrsam im Transitbereich eines Flughafens oder in einer Unterkunft, von der aus die Ausreise der Ausländerin oder des Ausländers ohne Zurücklegen einer größeren Entfernung zu einer Grenzübergangsstelle möglich ist, vollzogen werden. Dadurch soll auch während des Gewahrsams die freiwillige Ausreise gefördert werden (BT-Drs. 18/4097, S. 56).
Es reicht aus, wenn von dem angesteuerten Flughafen neben Direktflügen auch Umsteigeflüge buchbar sind. Nach den Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat zu § 62b AufenthG (Stand Dezember 2019) ist es ausdrücklich zulässig, wenn lediglich Umsteigeverbindungen, z. B. über Frankfurt oder München, aber auch über ausländische Flughäfen, existieren.
Die Hafteinrichtung in Langenhagen erfüllt die vorgenannten Voraussetzungen.
Ein begleitetes Verlassen der Unterkunft zur Fahrt zum Flughafen oder zur Grenzübergangstelle ist auf Anforderung der Ausländerin oder des Ausländers durchzuführen, wenn die Ausländerin der Ausländer glaubhaft macht, sie oder er beabsichtige ein unmittelbares Erfüllen der Ausreisepflicht.
Die hierfür erforderlichen Begleitungsabläufe, insbesondere die Verbringung von der Haft zum Flughafen und ggf. die notwendige Begleitung von Umstiegen an innerdeutschen Flughäfen aufgrund mangelnder Direktverbindungen, müssten mit den Verwaltungsvollzugseinheiten der LAB NI sowie der Bundespolizei abgesprochen werden.
Ein Festhalten der Ausländerin oder des Ausländers ohne richterlichen Beschluss ist nach § 62b Abs. 4 AufenthG ebenso wie im Abschiebungshaftrecht möglich.
Außer Kraft am 1. Januar 2027 durch Nummer 10 Satz 1 des Runderlasses vom 7. Juli 2021 (Nds. MBl. S. 1158)