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  • ab 07.07.2021 (aktuelle Fassung)

Abschnitt 5 RFErl - Regelungen zu Vollzugshindernissen und zur Durchführung des Vollzugs

Bibliographie

Titel
Rechtliche Hinweise und verfahrensmäßige Vorgaben zur Organisation und Durchführung des Rückführungs- und Rücküberstellungsvollzugs (Abschiebung) und zur Beantragung von Abschiebungshaft (Rückführungserlass)
Redaktionelle Abkürzung
RFErl,NI
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
26100

5.1
Regelungen zu einzelnen Vollzugshindernissen

5.1.1 Reisefähigkeit

Soweit bei der Prüfung inlandsbezogener Vollzugshindernisse die Reisefähigkeit zu bewerten ist, wird auf § 60a Abs. 2 c und 2 d AufenthG hingewiesen.

Nach § 60a Abs. 2 c AufenthG besteht die gesetzliche Vermutung, dass einer Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen.

Die Betroffenen haben

  • eine Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen, aus der sich auch die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation durch eine Abschiebung voraussichtlich ergeben, enthalten müssen und

  • die Verpflichtung, diese Bescheinigung der zuständigen Behörde unverzüglich vorzulegen (§ 60a Abs. 2 d AufenthG).

Bei Verletzung dieser Pflicht darf die zuständige Behörde nach § 60a Abs. 2 d AufenthG das Vorbringen der oder des Betroffenen zur Erkrankung nicht berücksichtigen. Dies gilt nicht, wenn diese oder dieser unverschuldet an der Einholung gehindert war oder anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung vorliegen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Die zuständige Behörde kann - nach Vorlage einer Bescheinigung durch die oder den Betroffenen - eine ärztliche Untersuchung anordnen. Nimmt die oder der Betroffene den Untersuchungstermin ohne zureichenden Grund nicht wahr, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen. Die zur Ausreise verpflichtete Person ist auf diese Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung hinzuweisen.

Die Belehrung i. S. von § 60a Abs. 2 d Satz 4 AufenthG wird vom BAMF in die Rechtsbehelfsbelehrung des ablehnenden Bescheides integriert. Da der Ablehnungsbescheid zugestellt wird, ist durch diese Verfahrensweise auch der Nachweis der Zustellung der Belehrung dokumentiert.

5.1.2 Straf- und Ermittlungsverfahren

Gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darf eine Ausländerin oder ein Ausländer, gegen die oder den eine öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur bei Vorliegen des Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft kann auch allgemein erteilt werden. Davon haben die niedersächsischen Generalstaatsanwälte Gebrauch gemacht und generelle Einvernehmenserklärungen abgegeben. Auf § 72 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 AufenthG wird ergänzend hingewiesen.

5.2
Durchführung der Abschiebung

Eine Ankündigung der Abschiebung ist außer in den Fällen des § 60a Abs. 5 AufenthG gesetzlich nicht vorgesehen. Eine Bekanntgabe des konkreten Termins einer Abschiebung oder Überstellung darf gemäß § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG nicht erfolgen. Auf § 97a AufenthG wird hingewiesen.

Abschiebungen sind grundsätzlich so zu terminieren, dass der Abholungstermin nicht vor 6.00 Uhr morgens festgelegt werden kann. Bei der Organisation der Abschiebung ist auch die Situation der Ausreisepflichtigen nach ihrer Rückkehr in ihr Heimat- bzw. Aufnahmeland zu berücksichtigen. Dazu gehört es, dass eine Weiterreise vom Zielflughafen in die Heimat- oder Unterbringungsorte der Ausländerinnen und Ausländer möglichst während der Tageszeit und mit üblichen Verkehrsmitteln erfolgen kann.

5.3
Familien oder alleinerziehende Elternteile mit minderjährigen Kindern und unbegleitete Minderjährige

Werden bei einer Abschiebung nicht alle Familienangehörigen (Eltern und minderjährige Kinder) angetroffen und droht somit eine Familientrennung, sind die Grundsätze des Artikels 6 GG sowie des Artikels 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen.

Wenn minderjährige Kinder von einem Elternteil oder den Eltern getrennt würden, ist aufgrund der hohen Bedeutung der Wahrung der Familieneinheit die eingeleitete Maßnahme grundsätzlich auszusetzen und die eingeleitete Abschiebung abzubrechen.

Wird der erste Abschiebungsversuch deshalb abgebrochen, weil nicht alle Familienmitglieder anwesend waren, ist anschließend schriftlich darauf hinzuweisen, dass die Eltern die Mitwirkungspflicht haben, bei weiteren Abschiebungsversuchen die Anwesenheit der Kinder sicherzustellen oder die Familieneinheit unverzüglich wiederherzustellen. Bei Verletzung dieser Pflicht kann eine vorübergehende Trennung der Familie erfolgen. Eine isolierte Abschiebung von minderjährigen Kindern erfolgt jedoch nicht.

Der schriftliche Hinweis auf die Verpflichtung, dass die Anwesenheit aller Familienangehörigen für eine Aufenthaltsbeendigung sicherzustellen ist und andernfalls eine kurzfristige Trennung der Familie erfolgen kann, erfolgt auch dann, wenn ein erster Abschiebungsversuch aus einem von der abzuschiebenden Person zu vertretenen Grund abgebrochen wurde; hierzu zählen insbesondere Fälle, in denen der Abschiebungsversuch aufgrund von Widerstandshandlungen der betroffenen Personen gescheitert ist.

5.4
Betreten und Durchsuchen von Wohnungen während des Abschiebungsvollzugs

Mit dem Geordnete Rückkehr Gesetz sind Regelungen zum Betreten und Durchsuchen von Wohnungen in das AufenthG eingefügt worden. § 58 Abs. 5 bis 9 AufenthG sind gegenüber den landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen für das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen vorrangig, soweit in den §§ 24 und 25 NPOG keine weitergehenden Regelungen enthalten sind (§ 58 Abs. 10 AufenthG). Änderungen an der bisherigen Vollzugspraxis ergeben sich hierdurch nicht. In bestimmten Einzelfällen kann sich jedoch über die zuvor bestehende Rechtslage hinaus eine Befugnis zur Durchsuchung zur Nachtzeit ergeben.

5.4.1 Betreten von Wohnungen

Betreten ist das körperliche Hineingelangen in die Wohnung. Wird eine Wohnung zu dem Zwecke betreten, um etwas, von dessen Vorhandensein die handelnde Behörde überzeugt ist und das der Berechtigte auch nicht in seiner Wohnung versteckt hat, zu überprüfen, so handelt es sich um ein bloßes Betreten der Wohnung. Der Wohnungsbegriff umfasst dabei sämtliche innerhalb der Wohnung gelegenen, aber auch ihr funktional zugeordneten Räume außerhalb der Wohnung, wie Nebenräume (z. B. Keller, Dachboden), Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

Das Betretensrecht ist über die §§ 64 ff. NPOG zwangsweise durchsetzbar (vgl. Bezugserlass zu a).

Das Betreten einer Wohnung zur Tageszeit (6.00 bis 21.00 Uhr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. 3. 2019 - 2 BvR 675/14) findet seine Rechtsgrundlage in § 58 Abs. 5 AufenthG. Ein Rückgriff auf die §§ 24 und 25 NPOG ist ausgeschlossen, da diese Regelungen keine weitergehenden Befugnisse zum Betreten einer Wohnung zur Tageszeit enthalten. Liegen Tatsachen vor, aus denen zu schließen ist, dass sich die abzuschiebende Ausländerin oder der abzuschiebende Ausländer dort befindet, so kann ihre oder seine Wohnung zur Durchführung der Abschiebung gemäß § 58 Abs. 5 AufenthG betreten werden, um diese oder diesen zu ergreifen.

Rechtsgrundlage für das Betreten einer Wohnung zur Nachtzeit ist weiterhin § 24 Abs. 5 NPOG. Bei Abschiebungen werden regelmäßig die Voraussetzungen des § 24 Abs. 5 Nr. 2 NPOG vorliegen. Danach dürfen Wohnungen zur Verhütung des Eintritts erheblicher Gefahren jederzeit betreten werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich dort Personen aufhalten, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen. Bei abzuschiebenden Personen wird in der Regel der Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt sein. Danach ist der Aufenthalt im Bundesgebiet ohne erforderlichen Aufenthaltstitel strafbar, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und die Abschiebung nicht ausgesetzt ist (Duldung).

Zu beachten ist, dass § 24 Abs. 5 NPOG das Betreten nur zur Verhütung des Eintritts erheblicher Gefahren erlaubt. Auch diese Voraussetzung liegt im Regelfall bei der Durchführung von Abschiebungen vor, da in diesen Fällen von einer "erheblichen Gefahr" i. S. der Legaldefinition in § 2 Nr. 3 NPOG auszugehen ist, wenn ein aufenthaltsrechtlicher Straftatbestand erfüllt ist.

§ 58 Abs. 7 AufenthG kann zum Betreten einer Wohnung zur Nachtzeit hingegen nicht in Konstellationen herangezogen werden, in denen gerade das Betreten aus organisatorischen Gründen erforderlich ist. Abhilfe bietet hier - wie oben dargestellt - die gegenüber dem Aufenthaltsrecht weitergehende Norm aus § 24 Abs. 5 NPOG, auf die auch diese Maßnahme gestützt werden kann (vgl. § 58 Abs. 10 AufenthG).

5.4.2 Durchsuchen von Wohnungen

Durchsuchung ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts. Ziel ist es, etwas Verborgenes aufzuspüren, also das, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will. Die Durchsuchung geht daher über das bloße Betreten hinaus. Sie erfordert eine gewisse Krafteinwirkung auf Gegenstände zur Vornahme ausforschender Handlungen, wie z. B. das Öffnen von Behältnissen (z. B. Schränken, Bettkästen).

Das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zur Tageszeit (6.00 bis 21.00 Uhr) ist unter den Voraussetzungen des § 58 Abs. 6 AufenthG möglich. Zum Zwecke der Durchführung der Abschiebung darf die Wohnung der Ausländerin oder des Ausländers zu ihrer oder seiner Ergreifung betreten und durchsucht werden. Ein Betreten und Durchsuchen von Wohnungen anderer Personen ist nur zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die abzuschiebende Ausländerin oder der abzuschiebende Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Gemäß § 58 Abs. 8 AufenthG ist stets eine richterliche Anordnung einzuholen. Bei Gefahr im Verzug ist auch eine Anordnung durch die abschiebende Behörde möglich. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nicht (nachträglich) darauf gestützt werden, dass die Ausländerin oder der Ausländer nicht angetroffen wurde (§ 58 Abs. 5, Abs. 8 Satz 2 AufenthG).

Auf die weiteren Verfahrensvorschriften des § 58 Abs. 9 AufenthG wird hingewiesen.

Das Betreten und Durchsuchen einer Wohnung zur Nachtzeit ist unter den Voraussetzungen des § 58 Abs. 6 bis 9 AufenthG möglich. Nach § 58 Abs. 7 Satz 1 AufenthG müssen hierzu Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung der Ausländerin oder des Ausländers zum Zweck ihrer oder seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Das Betreten und Durchsuchen der Wohnung zur Nachtzeit ist aus rein organisatorischen Gründen nicht zulässig (§ 58 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).

Während der Nachtzeit ist das Betreten und Durchsuchen einer Wohnung ebenfalls unter den gefahrenabwehrrechtlichen Ausnahmevoraussetzungen des § 24 Abs. 4 NPOG zulässig. Diese liegen allerdings in der Regel bei Abschiebungen nicht vor.

Das Betreten einer Wohnung zum Zweck der Durchführung einer Abschiebung setzt nicht voraus, dass zuvor bereits ein Abschiebungsversuch erfolglos unternommen wurde.

5.5
Einreise- und Aufenthaltsverbot

Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist von Amts wegen zu befristen (§ 11 Abs. 2 AufenthG). Auf die ausschließliche Zuständigkeit des BAMF für die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in den Fällen des § 75 Nr. 12 AufenthG wird hingewiesen. Die Aufhebung einer Anordnung des BAMF nach § 11 Abs. 7 AufenthG liegt gemäß Urteil des BVerwG vom 25. 1. 2018 - 1C 7.17 - in der Zuständigkeit der Ausländerbehörden.

Außer Kraft am 1. Januar 2027 durch Nummer 10 Satz 1 des Runderlasses vom 7. Juli 2021 (Nds. MBl. S. 1158)