Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 13.07.2000, Az.: 6 A 280/99

Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz durch Einräumung einer Sonderstellung des Taxenverkehrs als Teil des öffentlichen Personennahverkehrs infolge einer verkehrslenkenden Unterscheidung von Taxenverkehr einerseits und Mietwagenverkehr andererseits; Anspruch auf Erteilung von weiteren Ausnahmegenehmigungen in Anbetracht der ständigen Verwaltungspraxis

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
13.07.2000
Aktenzeichen
6 A 280/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 32205
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2000:0713.6A280.99.0A

Fundstellen

  • FStBW 2001, 892-894
  • FStHe 2002, 81-82
  • FStNds 2001, 454-456
  • NZV 2001, 140-141
  • NdsVBl 2001, 44-45

Verfahrensgegenstand

Erteilung einer Ausnahmegenehmigung

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 6. Kammer -
ohne mündliche Verhandlung
am 13. Juli 2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 24.000,-- DM festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger betreibt in eine Personenbeförderung mit mehreren Mietwagen. Einem Antrag vom 03. Juni 1996, ihm in gleicher Weise wie den Taxiunternehmen für drei Fahrzeuge eine Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Fußgängerzone in zu erteilen, wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 28. November 1996 abgelehnt.

2

Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Braunschweig die Beklagte darauf hin, dass die Genehmigungspraxis der Behörde, jedem Taxibetrieb eine generelle Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Fußgängerzone zu erteilen, um Patienten zu Arztpraxen zu befördern, nicht den gesetzlichen Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO entspreche und eine Ungleichbehandlung von Taxibetrieben und Mietwagenfirmen nicht zulässig sei. Die Beklagte half daraufhin dem Rechtsbehelf ab und erteilte dem Kläger in gleicher Weise wie den Taxiunternehmen widerruflich die beantragten Ausnahmegenehmigungen zunächst bis zum Ablauf des Jahres 1997, mit weiteren Bescheiden vom 03. Februar 1998 bis zum 31. Dezember 1998. Die Ausnahmegenehmigungen enthielten u.a. die Regelung, dass sie zum Befahren der Fußgängerzone für die Beförderung von Patienten der dort gelegenen Arztpraxen berechtigten. Außerdem sei es gestattet, auf den Linienbusstrecken innerhalb der Fußgängerzone Fahrten zum Zwecke der Fahrgastaufnahme bzw. des Absetzens von Fahrgästen durchzuführen, ohne allerdings Abkürzungen zu fahren.

3

Am 18. November 1998 suchte der Kläger für den Zeitraum ab dem 01. Januar 1999 erneut um die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Fußgängerzone für drei Mietwagen nach. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Januar 1999 ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch des Klägers blieb ebenfalls ohne Erfolg; die Bezirksregierung Braunschweig wies den Rechtsbehelf durch Widerspruchsbescheid vom 29. September 1999 als unbegründet zurück.

4

Am 29. Oktober 1999 hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor:

5

Mit der angefochtenen Entscheidung würden Mietwagen gegenüber Taxis in rechtlich unzulässiger Weise ungleich behandelt. Die Auffassung der Beklagten, dass der Taxiverkehr einen Teil des öffentlichen Personennahverkehrs sei, könne nicht aus § 8 Abs. 2 PBefG hergeleitet werden, weil diese Vorschrift auch für den Mietwagenverkehr gelte. Die Verhältnisse, unter denen für die Jahre 1997 und 1998 eine Ausnahmegenehmigung jedenfalls für die Beförderung von Patienten zu den Arztpraxen erteilt worden sei, hätten sich seitdem nicht wesentlich geändert. Die Zahl der Arztpraxen und die Ausdehnung der Fußgängerbereiche hätten vielmehr noch zugenommen. Bei einer Versagung der beantragten Genehmigung würde er einen Großteil seiner Kunden verlieren, so dass die Fortführung seines Gewerbebetriebes gefährdet sei. Die Erteilung der beantragten Ausnahmegenehmigungen führe auch nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung der örtlichen Taxiunternehmen. Diesen seien ohnehin in mehrfacher Hinsicht rechtliche Vorteile eingeräumt.

6

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 1999 i.d.F. des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 29. September 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm antragsgemäß für drei Mietwagen eine verkehrsbehördliche Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Fußgängerzone in Goslar zu erteilen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie entgegnet:

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Die Rechtsauffassung, mit der die Bezirksregierung Braunschweig im Jahre 1997 auf eine unzulässige Ungleichbehandlung von Taxen und Mietwagen hingewiesen habe, sei unter dem 13. Oktober 1998 von dieser Behörde ausdrücklich wieder aufgegeben worden. Aus diesem Grunde sei an der früheren Entscheidungspraxis nicht weiter festgehalten worden.

10

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden erklärt.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung und durch den Vorsitzenden entschieden werden kann (§ 87a Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber nicht begründet.

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Die Entscheidung der Beklagten, dem Kläger die beantragten Ausnahmegenehmigungen nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO zum Befahren der Fußgängerzone mit seinen Mietwagen nicht (erneut) zu erteilen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Nach dieser Vorschrift kann die Straßenverkehrsbehörde in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftszeichen (§ 41 StVO) erlassen sind, genehmigen. Bei dieser Entscheidung sind die mit dem Verbot oder der Beschränkung verfolgten öffentlichen Belange unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegen die besonderen Interessen des hiervon Betroffenen abzuwägen (BVerwG, Urt. vom 20.05.1987, Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 7; Urt. vom 22.12.1993, a.a.O.., Nr. 9). Einerseits ist zu beachten, ob die Auswirkungen einer Ausnahmegenehmigung den Zielen des Verbotes, von dem Ausnahmen zugelassen werden sollen, nicht zuwider laufen; andererseits hat die Behörde eine geltend gemachte und bestehende besondere Ausnahmesituation in diesem Licht zu gewichten (BVerwG, Urt. vom 16.03.1994, NVwZ 1994, 1095 [BVerwG 16.03.1994 - 11 C 48/92] m.w.N.). Die Beklagte hat ermessensfehlerfrei den mit den Beschränkungen durch das Verkehrszeichen 242 nach § 41 StVO verfolgten öffentlichen Belangen den Vorzug gegeben.

14

Mit der Einrichtung von Fußgängerzonen hat die Beklagte Bereiche in der Innenstadt von geschaffen, in denen sich die Fußgänger ohne Geräusch- und Abgasimmissionen oder anderen von Motorfahrzeugen ausgehenden Gefahren bewegen können. Darüber hinaus wird hierdurch die Wohnqualität im Innenstadtbereich verbessert. Dieser Intention entsprechend werden von der Behörde verkehrsbehördliche Ausnahmegenehmigungen zum Befahren dieser Straßenzonen mit Kraftfahrzeugen nur noch eingeschränkt erteilt und - soweit es die gewerbliche Personenbeförderung betrifft - in aller Regel auf den öffentlichen Personennahverkehr beschränkt. Mit dieser Entscheidungspraxis knüpft die Beklagte an ihre frühere diesbezügliche Rechtsauffassung an, wie sie sie gegenüber dem Kläger bereits in dem Bescheid vom 28. November 1996 dargelegt hatte und von der sie lediglich für die Dauer einer von der Aufsichtsbehörde vertretenen abweichenden Rechtsauffassung abgewichen ist. Aus dem Umstand, dass die Beklagte in der Vergangenheit dem Kläger Ausnahmegenehmigungen für drei Mietwagen zum Befahren der Fußgängerzone erteilt hat, kann der Kläger einen Anspruch auf die Erteilung von weiteren Ausnahmegenehmigungen nicht herleiten. Die Behörde ist rechtlich nicht daran gehindert, ihre in ständiger Verwaltungspraxis geübte tatsächliche Handhabung aus sachgerechten Gründen zu ändern. Die Rückkehr zu einer von der Behörde für rechtens gehaltenen Rechtsauffassung, von der sie lediglich auf Veranlassung der Aufsichtsbehörde für die Dauer einer hiervon abweichenden Rechtsmeinung abgegangen ist, stellt einen solchen sachlichen Grund dar, zumal die aktuelle Entscheidungspraxis der Beklagten dem geltenden Recht entspricht.

15

Die Entscheidung der Beklagten begegnet nicht deshalb rechtlichen Bedenken, weil die Behörde von ihrer Ermessensbefugnis aus § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO, für die Mietwagen des Klägers ebenso wie für Taxen eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, keinen Gebrauch gemacht hat. Hierin liegt insbesondere nicht die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar dienen sowohl Taxen wie auch Mietwagen der Personenbeförderung; jedoch ist nur der Taxenverkehr im Hinblick auf die gesetzliche Betriebs-, Beförderungs- und Tarifpflicht als öffentliches Verkehrsmittel anzusehen, an dessen Existenz und Funktionieren ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit besteht (vgl. hierzu: BVerfG, Beschl. vom 01.10.1984, NVwZ 1986, 911; Beschl. vom 08.11.1983, NVwZ 1984, 365 [BVerfG 08.11.1983 - 1 BvL 8/81]; BVerwG, Urt. vom 25.04.1980, DVBl. 1980, 1046 m.w.N.). Die sich aus den Bestimmungen des Personenbeförderungsgesetzes ergebende unterschiedliche beförderungsrechtliche Behandlung des Taxen- und Mietwagenverkehrs rechtfertigt auch die straßenverkehrsrechtliche Unterscheidung beider Verkehrszweige und bildet einen hinreichenden sachlichen Grund, straßenverkehrsrechtliche Beschränkungen, die mit dem Ziel einer Entlastung des Innenstadtbereichs vom Individualverkehr vorgenommen werden, auch für Mietwagen gelten zu lassen. Die Kammer folgt insoweit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die auch aus den Vorschriften des Straßenverkehrsrechts eine Sonderstellung des Taxenverkehrs als Teil des öffentlichen Personennahverkehrs herleitet und infolgedessen in einer verkehrslenkenden Unterscheidung von Taxenverkehr einerseits und dem Mietwagenverkehr andererseits einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nicht feststellt (BVerwG, Urt. vom 25.04.1980, a.a.O..; BVerfG, Beschl. vom 01.10.1984, a.a.O..).

16

Die Entscheidung der Beklagten, für die Mietwagen des Klägers keine Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, verletzt auch nicht seine Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG. Die Entscheidung der Behörde stellt sich als eine Berufsausübungsregelung dar, die ihren sachlichen Grund in der von der Beklagten im angefochtenen Bescheid vom 12. Januar 1999 dargelegten Notwendigkeit findet, den Individualverkehr, soweit er - wie der Mietwagenverkehr - in der Regel nicht zum öffentlichen Personennahverkehr gehört, zum Zweck der Verkehrsberuhigung im innerstädtischen Bereich von einzuschränken. Insoweit ist der Kläger mit seinem Beförderungsunternehmen dem Schicksal der Straßen unterworfen, auf denen er sein Gewerbe ausübt. Ebenso wie die Straßenanlieger hat er grundsätzlich geänderte Verkehrsregelungen oder Verlagerungen des Verkehrs, mit denen die Straßen an die sich wandelnden Bedürfnisse des Verkehrs angepasst werden, grundsätzlich hinzunehmen. Lediglich dann, wenn die veränderten Verkehrsregelungen gänzlich außergewöhnlich oder ihre Folgen bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise derart erheblich sind, dass sie die Existenz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes unmittelbar bedrohen, ist eine andere rechtliche Sichtweise angezeigt. Eine solche Existenzgefährdung hat der Kläger geltend gemacht, ohne allerdings einen solchen von ihm befürchteten Sachverhalt substantiiert mit Tatsachen zu belegen. Im Hinblick darauf, dass der Kläger offenkundig in der Lage ist, sein Mietwagenunternehmen weiterhin auszuüben, obgleich er bereits seit dem 01. Januar 1999 ohne die von ihm begehrten Ausnahmegenehmigungen auskommen muss, ist eine unmittelbare Existenzgefährdung des Klägers auch nicht ersichtlich.

17

Schließlich hat die Beklagte mit der angefochtenen Entscheidung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt. Wie bereits dargelegt worden ist, rechtfertigt das Verkehrskonzept des Beklagten, mit der Verdrängung des Individualverkehrs aus dem Innenstadtbereich dort eine Verkehrsberuhigung herbeizuführen, die Beschränkung des Mietwagenverkehrs als Teil dieses Individualverkehrs. Dieses Ziel rechtfertigt es außerdem, bei der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen strenge Maßstäbe zu setzen. Insoweit ist es nicht unverhältnismäßig, wenn die Beklagte im Hinblick auf die nach außen nicht für jedermann ohne weiteres erkennbare Kennzeichnung der Mietwagen einen sogenannten Nachzieheffekt für andere Kraftfahrer befürchtet und unterbinden will (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. vom 25.04.1980, a.a.O..).

18

Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG und beläuft sich auf jeweils 8.000,-- DM für jede der beantragten Ausnahmegenehmigungen; sie orientiert sich insoweit an dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1966, 605 - Nr. 45.7).