Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 13.07.2000, Az.: 4 A 4314/98

Weitergewährung eines Mehrbedarfszuschlages wegen kostenaufwendiger Ernährung; Hilfe zum Lebensunterhalt; Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger Ernährung; Einsparung von Kosten für den Erwerb von Nahrungsmitteln wegen notwendiger Gewichtsreduzierung (Adipositas) und Finanzierung von lipidsenkender Kost

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
13.07.2000
Aktenzeichen
4 A 4314/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 31766
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2000:0713.4A4314.98.0A

Verfahrensgegenstand

Streitgegenstand: Sozialhilfe

Mehrbedarf wegen kostenauwendiger Ernährung

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 4. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ...,
den Richter am Verwaltungsgericht ... und
die Richterin am Verwaltungsgericht ... sowie
die ehrenamtlichen Richterinnen ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen; Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung eines Mehrbedarfszuschlages wegen kostenaufwendiger Ernährung in Höhe von 70,- DM monatlich über den 1. April 1998 hinaus.

2

Die am 14. Dezember 1941 geborene Klägerin bezieht seit Jahren laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Erstmals am 23. April 1996 beantragte sie die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung. Zur Begründung reichte sie eine Bescheinigung des Arztes Dr. ... vom 16. April 1996 ein, in der dieser eine Hypercholesterinämie und Adipositas (154 cm Größe bei 85 kg Körpergewicht) diagnostizierte. Durch Bescheid der Beklagten vom 24. April 1996 wurde ihr der begehrte Mehrbedarf beginnend ab dem 1. April 1996 in Höhe von 50,- DM monatlich gewährt. Aufgrund einer Folgebescheinigung von Dr. Grintzales vom 24. Februar 1997 (Diagnose: Hypercholesterinämie, Adipositas - 156 cm, 76 kg - und Diabetes mellitus) wurde der Mehrbedarfszuschlag mit des Bescheides der Beklagten vom 19. März 1997 bis zum März 1998 in Höhe von 50,- DM monatlich weitergewährt. Mit Schreiben vom 24. Februar 1998 wurde die Klägerin aufgefordert, die Voraussetzungen für die Weitergewährung eines Mehrbedarfszuschlages für kostenaufwendige Ernährung durch Rücksendung der beigefügten Bescheinigung zu belegen. Da diese Bescheinigung nicht zurückgesandt wurde, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 16. März 1998 die Weiterbewilligung eines Mehrbedarfszuschlages für kostenaufwendige Ernährung ab dem 1. April 1998 vorläufig ab. Kurz darauf ging die Bescheinigung von Dr. ... vom 2. März 1998 ein. In dieser führte er aus, dass die Klägerin seit Jahren an Adipositas und Hyperlipidämie leide. Sie sei 156 cm groß und wiege 76 kg. Der Zweck des bisher gewährten Mehrbedarfs sei erreicht und es müsse weiterhin ein entsprechender Mehrbedarf gewährt werden. Durch weiteren Bescheid vom 24. März 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlages für kostenaufwendige Ernährung ab dem 1. April 1998 endgültig ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bei übergewichtigen Patienten auch in Kombination mit Hyperlipidämie ein Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung nicht in Betracht komme, da die möglicherweise durch die Erkrankung indizierten Ernährungsaufwendungen durch die reduzierte Energiezufuhr ausgeglichen würden.

3

Der gegen beide Bescheide am 3. April 1998 eingelegte Widerspruch wurde nach Einschaltung des Gesundheitsamtes der Beklagten - insoweit wird auf die Stellungnahme vom 11. Juni 1998 verwiesen - durch den Widerspruchsbescheid vom 5. August 1998 zurückgewiesen.

4

Gegen diesen am 10. August 1998 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am 9. September 1998 den Verwaltungsrechtsweg beschnitten. Zur Begründung gibt sie im Wesentlichen an, dass die Gründe des ablehnenden Bescheides vom 24. März 1998 nicht akzeptiert werden könnten. Die Beklagte spreche dort von einer theoretischen Möglichkeit der Ernährungsreduzierung, die jedoch auf keiner gesicherten medizinischen Grundlage beruhe. Von der Klägerin könne auch nicht verlangt werden zu hungern. Sie wäre dadurch in ihren Grundrechten beeinträchtigt. Wegen der bei ihr diagnostizierten und ärztlich belegten Hyperlipidämie müsse sie eine lipidsenkende Kost einnehmen und deshalb sei ein Mehrbedarf in Höhe von mindestens 70,- DM anzuerkennen.

5

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 16. März 1998 und 24. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ab dem 1. April 1998 bei der monatlichen Berechnung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von 70,- DM monatlich zu berücksichtigen.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und trägt unter Beifügung einer ergänzenden Stellungnahme ihres Gesundheitsamtes vom 22. Dezember 1998 vor, dass die Klägerin zur Heilung ihrer Adipositas weniger essen müsse und dadurch verringerte Ausgaben für die Beschaffung ihrer Lebensmittel habe. Selbst wenn sie "möglicherweise" eine lipidarme Reduktionskost benötigen sollte, lägen diese Ausgaben nicht oberhalb des Betrages, den die Klägerin durch die aufgrund ihrer Adipositas erforderliche verringerte Nahrungszufuhr einspare. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei die Fettstoffwechselstörung der Klägerin geheilt, sobald sie Normalgewicht erreicht habe. Sollte die Stoffwechselstörung dennoch wider Erwarten weiter bestehen, wäre ein erneuter Antrag gerechtfertigt.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

10

Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass ihr für den hier im Streit befindlichen Zeitraum ab dem 01. April 1998 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom 05. August 1998 ein Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwendiger Ernährung bewilligt wird.

11

Nach § 23 Abs. 4 BSHG ist Kranken, die eine kostenaufwendige Ernährung benötigen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe zu gewähren. Voraussetzung für die Gewährung ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwendigeren Ernährung (Hofmann in LPK-BSHG, 5. Aufl., § 23 Rdnr. 27). Daran fehlt es vorliegend.

12

Der Amtsarzt der Beklagten geht in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge davon aus, dass die von der Klägerin zur Begründung ihres Anspruchs auf Mehrbedarf herangezogenen erhöhten Blutfettwerte (Hyperlipidämien) durch eine Gewichtsreduzierung möglichst auf Normalgewicht zu normalisieren sind. An dieser wissenschaftlichen Einschätzung sieht die Kammer keinen Anlass zu zweifeln, zumal in den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (Kleinere Schriften 48, 2. Aufl. 1997) ausdrücklich ausgeführt ist, dass vor allem bei Übergewicht eine der häufigsten Folgekrankheiten Fettstoffwechselstörungen seien (vgl. S. 79 und S. 128, so bereits das erkennende Gericht im Beschluss vom 25. Mai 1999 - 4 B 4396/98 -). Ergänzend kommt hinzu, dass es auf der Hand liegt, dass die Klägerin allein aufgrund ihrer Adipositas in erheblichem Umfang ihr Gewicht reduzieren und deshalb weniger Nahrung aufnehmen muss. Die hierdurch ersparten Kosten für den Erwerb entsprechender Nahrungsmittel kann die Klägerin einsetzen, um eine möglicherweise erforderliche lipidsenkende Kost zu finanzieren. Es ist nicht ersichtlich, dass dabei unter Berücksichtigung der Einsparungen auf der einen Seite und evtl. Mehrkosten auf der anderen Seite insgesamt höhere Kosten für den Erwerb von Nahrungsmitteln entstehen als sie bereits in den Regelsätzen berücksichtigt worden sind. Deshalb kommt die Gewährung eines entsprechenden Mehrbedarfszuschlages im hier maßgeblichen Zeitraum nicht in Betracht.

13

Auch die in der mündlichen Verhandlung eingereichten ärztlichen Bescheinigungen lassen keine andere Einschätzung zu. Soweit es die Bescheinigung des Frauenarztes vom 02. Juli 1997 betrifft, lässt sich aus dieser nicht ersehen, weshalb die von ihm diagnostizierte Bindegewebsschwäche einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung begründen könnte. Auch das eingereichte Attest von Dr. ... vom 07. Juli 2000 hat für das vorliegende Verfahren bereits deshalb keine Bedeutung, weil in diesem Attest keine Angaben zu dem hier zu beurteilenden Zeitraum bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom 05. August 1998 getroffen worden sind.

14

Deshalb ist die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO abzuweisen.

15

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.