Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.03.2010, Az.: 2 A 184/07
Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Lebensmitteleinzelhandels unter Beachtung des Schutzes der Nahversorgung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.03.2010
- Aktenzeichen
- 2 A 184/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 15899
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2010:0323.2A184.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 3 BauGB
- § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB
- § 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB
Tatbestand
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks K. xx in E., Flurstücke M. und N. der Flur x in der Gemarkung L.. Auf dem Grundstück befinden sich ein Möbelmarkt (O.) und ein Textilgeschäft (P. - Markt). Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes der Beklagten E. -L. Nr. 20 "Westlich des K. es" in der derzeit geltenden Fassung der 2. Änderung; es ist ca. 700 m Luftlinie von dem an der Q. straße gelegenen Einkaufszentrum L. -Süd entfernt. Andere, vom Geltungsbereich des Bebauungsplanes erfasste Grundstücke sind noch weiter von diesem Einkaufszentrum entfernt als das klägerische. Das Bestreben der Klägerin ist, von dem Grundstück aus einen Lebensmitteleinzelhandel zu betreiben.
Am 16. Mai 2007 richtete die Klägerin an die Beklagte eine Bauvoranfrage bezogen auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzung des Grundstücks als Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft auf ca. 800 m² Verkaufsfläche. Dies nahm die Beklagte zum Anlass, ein Planänderungsverfahren einzuleiten, wie sie dies bereits im Jahre 2004 getan hatte, ohne dass dieses Verfahren damals abgeschlossen worden wäre. Im Zeitpunkt der Bauvoranfrage galt der Bebauungsplan E. -L. Nr. 20 "Westlich des K. es" in seiner Fassung vom 1. Dezember 1977; er setzte ein Gewerbegebiet fest, in dem nach der textlichen Festsetzung Nr. 1 nur Gewerbebetriebe mit nicht wesentlich störenden Schallemissionen zulässig waren.
Am 16. Juli 2007, veröffentlicht im Amtsblatt der Beklagten vom 31. Juli 2007, fasste der Verwaltungsausschuss der Beklagten den Aufstellungsbeschluss für die 2. Änderung des genannten Bebauungsplanes inklusive der frühzeitigen Behördenbeteiligung. In der Begründungsvorlage des Fachbereichs Planung und Vermessung heißt es u.a., das Bebauungsplanverfahren werde derzeit weiter geführt, um die bereits im ersten Aufstellungsbeschluss (gemeint ist der Vorgang 2004) formulierten Ziele, insbesondere den Ausschluss bestimmter Sortimente, planungsrechtlich umzusetzen. Zwei aktuell vorgebrachte Bauvoranfragen für Sortimente aus dem Bereich Bekleidung und Lebensmittel gäben nun Anlass, das Verfahren unter den neuen gesetzlichen Bestimmungen des Baugesetzbuches fortzuführen. Für diesen Bebauungsplan werde das Verfahren nach § 13 a BauGB gewählt und deshalb ein neuer Aufstellungsbeschluss gefasst. Am 8. September 2008, veröffentlicht im Amtsblatt der Beklagten vom 10. September 2008, erließ der Rat der Beklagten insoweit eine Veränderungssperre.
Mit Veröffentlichung vom 19. September 2008 führte die Beklagte ergänzend eine frühzeitige Bürgerbeteiligung durch. Mit Veröffentlichung in ihrem Amtsblatt vom 14. Oktober 2008 beteiligte die Beklagte die Öffentlichkeit nach§ 3 Abs. 2 BauGB und gab die Auslegung des geänderten Bebauungsplanes in der Zeit vom 22. Oktober bis 21. November 2008 bekannt. Die Beklagte unternahm zudem eine Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB. Ohne es ausdrücklich zu erklären und ohne dass der Verwaltungsausschuss oder der Rat der Beklagten hierzu einen Beschluss gefasst hätten, ging die Beklagte vom vereinfachten Verfahren nach § 13 a BauGB in das bauplanungsrechtliche Normalverfahren über. Am 5. Dezember 2008 beschloss der Rat der Beklagten die 2. Änderung des Bebauungsplanes E. -L. Nr. 20. Er wurde am 5. Februar 2009 im Amtsblatt der Beklagten veröffentlicht.
In diesem Bebauungsplan ist für das streitbefangene Grundstück ein Sondergebiet Einzelhandel festgesetzt. Es sind textlich allerdings nur bestimmte Sortimente zugelassen. Hierzu gehört Lebensmitteleinzelhandel nicht. In der Begründung des Bebauungsplanes heißt es u.a. hinsichtlich der Festlegung des Einzelhandelssortiments im Sondergebiet, der Ausschluss der in der R. Liste aufgeführten Sortimente der Nahversorgung, die grundsätzlich auch außerhalb der Innenstadt zulässig seien, diene der Sicherung der vorhandenen Nahversorgungsstrukturen in L. und L. -Süd. Ziel der Beklagten sei es, die vorhandenen zentralen Versorgungsbereiche (bzw. Nahversorgungsstrukturen) für die Grund- und Nahversorgung in räumlichen Teilbereichen zu erhalten und zu entwickeln, um im Rahmen einer städtebaulichen Ordnung und Entwicklung die Versorgung der Bevölkerung mit diesen Infrastrukturen herzustellen. Für den gesamten Stadtteil L. übernähmen die Standorte S., T. straße (U.) und V. weg (W. -Markt) entsprechende Nahversorgungsfunktionen für Teilbereiche des Stadtteils. Für L. -Süd werde die Nahversorgung insbesondere durch den wichtigen Versorgungsbereich an der Q. straße, der zentral im Gebiet angesiedelt sei, übernommen. Er sei (zentral) räumlich abgrenzbar und die vorhandenen Einzelhandelsnutzungen würden durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote ergänzt. Dem Bereich komme eine Versorgungsfunktion für den Stadtteil zu, in dem ca. 4.400 Menschen lebten. Es handele sich hier um einen zentralen Versorgungsbereich der Grund- oder Nahversorgung. Die Nahversorgungsstrukturen in L. -Süd seien ein zentraler Versorgungsbereich, der eine Nahversorgungsfunktion für diesen Stadtteilbereich übernehme. Ein zusätzlicher Standort mit typischen Nahversorgungssortimenten, insbesondere Lebensmitteln, im Geltungsbereich des Bebauungsplanes würde die vorhandene räumliche Versorgungsfunktion im Stadtteil destabilisieren und letztendlich durch Aufgabe von Funktion eine Nahversorgung gefährden. Aufgrund der Ortsteilgröße und der Lage der vorhandenen Versorgungseinheiten hätte die Ansiedlung von Nahversorgungssortimenten im Plangebiet schädliche Auswirkungen auf die anderen, bestehenden und zu schützenden zentralen Versorgungsbereiche in L. -Süd und L.. Zur Sicherung und Erhaltung der vorhandenen Versorgungseinheiten sei es daher erforderlich, im Rahmen des Bauleitverfahrens entsprechend mit einem Ausschluss dieser Sortimentsgruppe zu reagieren. Die Beklagte nahm ausdrücklich Bezug auf ihr Einzelhandelskonzept, dessen Inhalt und Entstehung, soweit es Einfluss auf den Rechtsstreit hat, wie folgt zu skizzieren ist:
Nach Voruntersuchungen, die ihren Anfang etwa im Jahre 2002 nahmen, erstellte das X. Institut für Handels-, Stadt- und Regionalforschung im Dezember 2004 ein kommunales Einzelhandelskonzept für die Stadt E.. Die von der auftraggebenden Beklagten vorgegebenen Ziele waren Sicherstellung der Erfüllung der oberzentralen Versorgungsfunktion der Stadt E. und ihrer Stadtteile, Stärkung der Innenstadt als zentraler Einkaufslage, Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung und Ermittlung branchenbezogener Ansiedlungspotentiale für großflächige Einzelhandel unter Berücksichtigung verkehrlicher Belange. Das Institut nahm u.a. eine Bestands- und Abdeckungsanalyse hinsichtlich der wohnortnahen Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln vor. Es stellt fest, dass es im Status Quo keine maßgeblichen Lücken in Bezug auf die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung gebe. Im Juni 2004 hatte sich das Institut konkret zur damaligen Anfrage der Klägerin in Bezug auf die Errichtung eines Lebensmitteleinzelhandelsbetriebes geäußert; es war zu dem Ergebnis gekommen, dass negative Auswirkungen auf den in L. bestehenden Lebensmitteleinzelhandels höchstens für den Supermarkt in L. -Süd zu vermuten seien. Eine deutlich größere Konkurrenzwirkung gehe jedoch weiterhin vom W. -SB-Warenhaus und insbesondere vom S. aus. An anderer Stelle (Voruntersuchungen zum Einzelhandelskonzept - Einzelstandorte, S. 13 f.) wird dieses Nahversorgungsnetz mit einer fußläufigen Erreichbarkeit von 400 Metern definiert. Dieser Radius sei ausreichend, um eine sehr wohnortnahe Versorgung sicher zu stellen. Von Lücken im Versorgungsnetz könne nach gutachterlicher Einschätzung erst dann gesprochen werden, wenn in größeren Stadtbereichen weitere Distanzen als 800 m Luftlinie bzw. rund 1 Kilometer Fußweg- Distanz zurückzulegen wäre. Das abschließende Gutachten des Instituts aus dem Dezember 2004 stellt eine sehr hohe Zentralität im Bereich der periodischen Bedarfsgüter (Lebensmitteleinzelhandel) fest. Daraus folgt für das Institut, dass das zukünftige Hauptaugenmerk bei den periodischen Sortimenten in einer Sicherung der möglichst flächendeckenden Angebotsstruktur mit zeitgemäßen Vertriebsformen, welche mittel - bis langfristig bedarfsgerecht platziert, das derzeit nur mit wenigen Lücken behaftete Nahversorgungsnetz ersetzen und damit erhalten sollten, zu sehen ist. Hierbei ging es für die schematische Betrachtung der Abdeckung des E. Stadtgebiets durch Nahrungs- und Genussmittelbetriebe von einem Radius von 400 m Luftlinie um einen solchen Betrieb aus (S. 73 des Gutachtens); begründend führte das Institut an, dies entspreche einer realen Fußwegdistanz von 500 m, einer ohne jeden Zweifel fußläufig akzeptablen Distanz.
Am 16. Dezember 2005 beschloss schließlich der Rat der Beklagten, im Wesentlichen fußend auf diesen Feststellungen, das kommunale Einzelhandelskonzept. In diesem ist u.a. vorgesehen, dass Einzelhandel in E. hauptsächlich in der Innenstadt und in zwei Fachmarktagglomerationen (S., Y.) stattfinden soll, wozu eine wohngebietsbezogene Nahversorgung komme; ferner ist dort festgelegt, dass solitäre Fachmarktstandorte im Wesentlichen auf ihre derzeitigen Verkaufsflächen begrenzt werden sollen und dass in Gewerbe- und Industriegebieten Einzelhandel nicht mehr zulässig sein soll, wobei Ausnahmen im Bestand möglich seien. Bestandteil des Einzelhandelskonzepts ist die sog. R. Liste, in der sortimentsbezogene Aussagen nach vier Sortimentsgruppen (Nahversorgung, nicht innenstadtrelevante Sortimente, innenstadtrelevante Sortimente und restriktive innenstadtrelevante Sortimente) getroffen werden. Nahrungs- und Genussmittel gehören zur Nahversorgung und sind innenstadtrelevant. Zum Thema Nahversorgung heißt es in der Begründung, die auf die zeichnerische Darstellung des Konzepts Bezug nimmt (vgl. Beiakten D), die vollflächige Markierung bezeichne Bereiche einer intakten Nahversorgung, die mittelfristig keiner weiteren Entwicklung bedürften. Hierzu gehört der südlich der Z. straße gelegene Stadtteil L. -Süd; der nördlich gelegene Stadtteil L. -Nord wird als Entwicklungsbereich für Nahversorgung angesehen; insgesamt sollten dadurch derzeit funktionierende Nahversorgungsstandorte in einem Radius von 500 m geschützt werden.
Mit Bescheid vom 27. August 2007 stellte die Beklagte die Bauvoranfrage der Klägerin für 12 Monate zunächst zurück. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2007 zurück. Klage wurde dagegen nicht erhoben.
Indes hat die Klägerin am 29. August 2007 zunächst Untätigkeitsklage mit dem Ziel erhoben, von der Beklagten eine positive Bescheidung ihrer Bauvoranfrage zu erhalten. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 16. September 2008 die Bauvoranfrage der Klägerin vom 16. Mai 2007 mit der Begründung abgelehnt hatte, einer positiven Bescheidung stehe die Veränderungssperre vom 8. September 2008 entgegen, legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein - den die Beklagte nicht beschied - und bezog den Bescheid in das laufende Klageverfahren ein. Sie verfolgt ihr sachliches Klagebegehren weiter und führt zur Begründung im Wesentlichen aus:
Der Bebauungsplan E. -L. Nr. 20 "Westlich des K. es" sei in seiner 2. Änderungsfassung nichtig. Es handele sich um eine reine Verhinderungsplanung. In L. gebe es kein schützenswertes Nahversorgungszentrum. Daher sei die vorgenommene Beschränkung der Nutzbarkeit nicht städtebaulich, sondern wirtschaftlich motiviert. Mit Schriftsatz vom 18. März 2009, eingegangen bei Gericht am 20. März, bezeichnet die Klägerin die Argumentation der Beklagten, sie wolle unbedingt zum Schutze der Nahversorgung im Ortsteil L. -Süd jegliche Einzelhandelsnutzung, insbesondere den Vertrieb von Lebensmitteln ausschließen, als abseitig. Zur Begründung führt sie aus, die Festsetzungen in diesem Bebauungsplan stünden in Widerspruch zu denjenigen im vorhabenbezogenen Bebauungsplan E. -L. Nr. 34 "Gewerbegebiet südlich Fachmarktzentrum" (Gewerbegebiet S. II); dort sei, beschlossen am selben Tage, ein Lebensmittelmarkt mit einer Verkaufsfläche von 900 m² vorgesehen; von einer Nahversorgungsgefährdung werde dort nicht ausgegangen; folglich könne eine solche Gefährdung auch nicht von dem von ihr beabsichtigten Vorhaben ausgehen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. September 2008 zu verpflichten, der Klägerin einen positiven Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzungsänderung eines Einzelhandelsgeschäfts auf dem Grundstück K. xx (Gemarkung L., Flur x, Flurstücke M. und N.) zu einem Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft mit 800 m² Verkaufsfläche zu erteilen
und die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sowohl gegen den Zurückstellungsbescheid vom 27. August 2007 als auch gegen den Ablehnungsbescheid vom 16. September 2008 für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem klägerischen Vorbringen im Wesentlichen mit dem Argument entgegen, sie habe den Einzelhandel mit Lebensmitteln ausschließen dürfen, da in L. -Süd ein Nahversorgungszentrum existiere, das es zu schützen gelte. Als Nahversorgung sei eine fußläufige Erreichbarkeit von ca. 700 m anzunehmen. Innerhalb dieser Entfernung liege das Gebiet des Bebauungsplanes E. -L. Nr. 20. Nicht innerhalb dieses Radius sei indes das S. gelände gelegen. Die beiden Plangebiete seien daher entgegen der Ansicht der Klägerin nicht vergleichbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten dieses und des Verfahrens 2 A 188/08, über das die Kammer mit Urteil von heute ebenfalls befunden hat, sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten in beiden Verfahren Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 16. September 2008 ist rechtswidrig und die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihre Bauvoranfrage positiv bescheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Entscheidung über eine Bauvoranfrage ist § 74 Abs. 1 NBauO. Hiernach ist auf Antrag (Bauvoranfrage) über einzelne Fragen, über die im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden wäre und die selbständig beurteilt werden können, durch Bauvorbescheid zu entscheiden; das gilt auch für die Frage, ob eine Baumaßnahme nach städtebaulichem Planungsrecht zulässig ist. Die Erteilung eines derartigen planungsrechtlichen Bauvorbescheides begehrt die Klägerin.
Da das Baugrundstück im Geltungsbereich des - qualifizierten - Bebauungsplanes E. -L. Nr. 20 "Westlich des K. s" liegt, ist das Vorhaben der Klägerin gem. § 30 Abs. 1 BauGB grundsätzlich nur dann zulässig, wenn es den Festsetzungen dieses Bebauungsplanes nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Der Bebauungsplan E. -L. Nr. 20 "Westlich des K. s" in der Fassung der 2. Änderung kann dem Vorhaben der Klägerin nicht entgegengehalten werden, denn er ist infolge eines Ermittlungsdefizits nichtig. Dieser Mangel ist beachtlich und von der Klägerin rechtzeitig gerügt.
Es liegt ein Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB vor. Danach sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und zu bewerten. Die Vorschrift ist damit das verfahrensrechtliche Pendant zu § 1 Abs. 7 BauGB, wonach bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander abzuwägen sind; bevor die Belange abgewogen werden können, müssen sie zutreffend ermittelt worden sein. Ein wesentliches Element der der Abwägung vorgelagerten Ermittlung ist die Begründung des Bauleitplanentwurfs nach § 2 a BauGB (Battis in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. § 2 Rn. 5; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 2 Rn. 140). Ausgehend von der von der Beklagten gegebenen Planbegründung sind die abzuwägenden Belange nicht schlüssig und korrekt ermittelt worden.
Die Beklagte hat für das fragliche Grundstück in ihrem Bebauungsplan ein Sondergebiet Einzelhandel ausgewiesen und textlich bestimmte Sortimente zugelassen, zu denen der von der Klägerin gewünschte Lebensmitteleinzelhandel nicht gehört. Eine derart ausdifferenzierte, auf bestimmte Arten der in einem Sondergebiet gemäß § 11 Abs. 2 BauNVO sonst allgemein oder ausnahmsweise zulässigen baulichen Anlagen beschränkte Ausschlussregelung muss sich an§ 1 Abs. 9 BauNVO messen lassen; es handelt sich - anders als in dem südlichen Plangebiet, für das ein Gewerbegebiet unter Ausschluss der Einzelhandelsnutzung festgesetzt worden ist - nicht um den allgemeinen Ausschluss einer bestimmten Nutzungsart (vgl. zur Differenzierung: BVerwG, Urteil vom 29.1.2009 -4 C 16/07-, NVwZ 2009, 1103; Urteil vom 26.3.2009 -4 C 21/07-, BauR 2009, 1245; OVG Lüneburg, Urteil vom 14.6.2006 -1 KN 155/05-, BauR 2006, 1945). Nach dieser Vorschrift müssen besondere städtebauliche Gründe den Ausschluss des Lebensmitteleinzelhandels rechtfertigen. Das Besondere an diesen Gründen besteht dabei nicht notwendig darin, dass die Gründe von größerem oder im Verhältnis zu Absatz 5 zusätzlichem Gewicht sein müssen; vielmehr ist mit "besonderen städtebaulichen Gründen" gemeint, dass es spezielle Gründe gerade für die gegenüber Absatz 5 noch feinere Ausdifferenzierung der zulässigen Nutzung geben muss (BVerwG, Urteil vom 21.1.2009, a.a.O., S. 1105). Als solcher Grund ist hier zunächst der Schutz des vorhandenen Einzelhandelsbestandes anzuerkennen. Soweit sich die Beklagte jedoch zusätzlich, gestützt auf ihr Einzelhandelskonzept vom 16. Dezember 2005, auf den Schutz der Nahversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, insbesondere Lebensmittel beruft, hat sie den planungserheblichen Sachverhalt nicht zutreffend ermittelt.
Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass dieses Konzept in Gänze städtebaurechtlich unerheblich wäre. Es ist, wie die Kammer mit, den Beteiligten bekanntem Urteil von heute im Verfahren 2 A 188/08 ausgeurteilt hat, vielmehr im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Planbeschlusses am 5. Februar 2009 geeignet die städtebaulichen Ordnungsvorstellungen der Beklagten hinsichtlich der Einzelhandelsstruktur in der Stadt E. sinnvoll zu steuern. Das der Beklagten vorzuhaltende Ermittlungsdefizit ist jedoch konzeptioneller Art; das heißt es ergibt sich gerade unter Zugrundelegung ihres Einzelhandelskonzepts, das maßgebliche Grundlage der 2. Änderung des Bebauungsplanes E. -L. Nr. 20 "Westlich des K. es" gewesen ist. Die Beklagte ist davon ausgegangen, das Vorhaben der Klägerin beeinträchtige die bestehende Nahversorgung in L. -Süd. An dieser Einschätzung bestehen erhebliche Zweifel, jedenfalls hätte sie weiterer Aufklärung bedurft. Die Beklagte hätte, ggf. durch Einholung einer konkreten Standortbeurteilung für das klägerische Grundstück, ermitteln müssen, ob ein auf dem Grundstück der Klägerin betriebener Lebensmitteleinzelhandel in einer Größe von 800 m2 tatsächlich die bestehende Nahversorgung in L. -Süd gefährdet. Hierzu hätte nach den von der Beklagten im Einzelhandelskonzept übernommenen Feststellungen und Ausführungen des X. Instituts Anlass bestanden.
Für die Frage, was zum Nahversorgungsbereich zählt, gibt es allgemeingültige Aussagen nicht. Abzustellen ist im Einzelfall darauf, welcher Einkaufsbereich wohnungsnah ohne Auto zu erreichen ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 17.1.2008 -1 LB 154/07-, BRS 73 Nr. 87 in Abgrenzung zum zentralen Versorgungsbereich eines sog. Nebenzentrums). Die hier maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ergeben sich aus den Untersuchungen des o.a. Instituts und dem Einzelhandelskonzept der Beklagten selbst.
Die Untersuchungen des X. Instituts gehen für den Bereich Nahversorgung von einer fußläufigen Erreichbarkeit von 400 m aus. Ab 800 m Luftlinienentfernung liegt danach eine Versorgungslücke vor. Das Grundstück der Klägerin liegt etwa 700 m von dem Einkaufszentrum in L. Süd entfernt. Schon für das klägerische Grundstück drängt sich danach die Frage auf, ob nicht ein von hier aus betriebener Lebensmitteleinzelhandel eine ergänzende Nahversorgungsfunktion hätte; dies auch gerade vor dem Hintergrund der sehr vorsichtigen Äußerung des X. Instituts in der Voruntersuchung von Juni 2004, wonach durch das klägerische Vorhabenhöchstens dieses Einkaufszentrum beeinträchtigt werden könnte. Schließlich geht auch die Beklagte selbst in dem von ihr beschlossenen Einzelhandelskonzept von einem Schutzradius um vorhandene Nahversorgung von 500 m Luftlinie aus. Danach liegt das klägerische Grundstück außerhalb dieses Kreises und die Annahme, ein hier betriebener Lebensmitteleinzelhandel gefährde die Nahversorgung in L. -Süd, ist ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nicht schlüssig nachvollziehbar. Bedenkt man, dass weiter westlich im Plangebiet gelegene Grundstücke, für die ebenfalls der Ausschluss des Lebensmitteleinzelhandels gilt, noch weiter von dem Supermarkt in der Q. straße entfernt sind, drängt sich eine Einzelfallprüfung des Nahversorgungsgefährdungspotenzials nur um so mehr auf. Dadurch dass die Beklagte hier keine weitere Aufklärung betrieben hat, ist ihr ein Ermittlungsdefizit im Sinne von § 2 Abs. 3 BauGB unterlaufen.
Dieser Fehler ist nach der für ihn einschlägigen Planerhaltungsvorschrift des § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB beachtlich. Danach ist die Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzbuches für die Rechtswirksamkeit einer Satzung nach diesem Gesetzbuch nur beachtlich, wenn entgegen § 2 Abs. 3 BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Bei der Frage, ob der Schutz der Nahversorgung den Ausschluss des Lebensmitteleinzelhandels rechtfertigt, handelt sich um einen, wenn nicht den wesentlichen von der Planung berührten Belang.
Dieser Mangel ist auch offensichtlich. Offensichtlich sind solche Mängel, die sich auf der äußeren, objektiv fassbaren Seite des Abwägungsvorgangs ergeben. Abzugrenzen ist der Begriff der Offensichtlichkeit von solchen Mängeln, die sich auf die Motive einzelner Entscheidungsträger beziehen. Die äußere Seite des Abwägungsvorgangs erschließt sich aus Vorgängen die in Akten, Protokollen, Entwurfs- oder Planbegründungen oder in sonstigen Unterlagen dokumentiert sind. Der Schutz der Nahversorgung ist hier Begründungselement des Planes; die Entfernungsangabe von 400 m wird in Voruntersuchungen zum Einzelhandelskonzept dokumentiert; eine solche von 500 m in der Begründung des Einzelhandelskonzepts. Sämtliche Unterlagen sind dem Beschlussorgan, dem Rat der Beklagten zugänglich und waren Grundlage der konkreten Planung.
Schließlich ist die Einschätzung, dass das Plangebiet Einfluss auf die Nahversorgung in L. -Süd hat, auch für das Ergebnis des Sortimentsausschlusses von Bedeutung. Sie ist sogar ihr tragender Grund.
Die Klägerin hat diesen Mangel auch innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Bebauungsplanes gerügt, wozu sie nach§ 215 Abs. 1 Nr. 1 BauGB verpflichtet ist. Der am 5. Februar 2009 veröffentlichte Plan weist hierauf zutreffend gemäß § 215 Abs. 2 BauGB hin.
Von Bedeutung sind allerdings nur solche Rügen, die nach Bekanntgabe des Bebauungsplanes erhoben worden sind (Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 215 Rn. 38; Battis in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. § 215 Rn. 6; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.07.2008 -3 S 2772/06-, BRS 73 Nr. 36). Grund hierfür ist, die Planerhaltungsvorschriften nicht mit dem vorgelagerten Abwägungsvorgang zu vermischen. Die von der Klägerin vorgebrachten Einwände gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplanes sind deshalb unbeachtlich, soweit sie vor dem 5. Februar 2009 erhoben worden sind. Zudem muss die Rüge so konkret sein, dass es der Gemeinde durch die Darstellung des maßgeblichen Sachverhalts ermöglicht wird, ein ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB durchzuführen. Mithin muss eine wirksame Rüge für die Gemeinde Anstoßfunktion hinsichtlich der Prüfung haben, ob der geltend gemachte Fehler tatsächlich besteht und wie er ggf. behoben werden kann (Stock, a.a.O. Rn. 34; Battis, a.a.O. Rn. 5 jeweils m.w.N.).
Eine derart erhobene Rüge erblickt die Kammer im Schriftsatz der Klägerin vom 18. März 2009. In diesem Schriftsatz führt die Klägerin aus, die Argumentation der Beklagten, sie wolle unbedingt zum Schutze der Nahversorgung im Ortsteil L. Süd jegliche Einzelhandelsnutzung, insbesondere den Vertrieb von Lebensmitteln ausschließen, sei abseitig. Wenngleich sich die Klägerin im folgenden zur Untermauerung ihrer Auffassung auf eine vermeintliche Ungleichbehandlung gegenüber der nördlich der Z. straße gelegenen Fläche des S. s beruft, wird ihr Einwand für die Beklagte als planender Gemeinde hinreichend deutlich. Die Klägerin bestreitet eine Beeinträchtigung vorhandener Nahversorgungseinrichtungen durch von ihrem Grundstück aus betriebenen Lebensmitteleinzelhandel. Insoweit ist für die Beklagte im Sinne einer Anstoßfunktion hinreichend erkennbar, welcher Verfahrensschritt auf die Einhaltung der Planaufstellungsvorschriften überprüft werden muss - nämlich der abwägungsrelevante Belang der Nahversorgungsgefährdung. Unbeachtlich ist, dass die Klägerin nicht konkret auf die der Planung zugrunde liegenden Entfernungsangaben für ein solches Gefährdungspotenzial eingeht.
Da der Bebauungsplan E. -L. Nr. 20 "Westlich des K. es" in seiner 2. Änderungsfassung damit hinsichtlich des Ausschlusses von Lebensmitteleinzelhandels nichtig ist, gilt für das klägerische Begehren der Bebauungsplan in der Fassung vom 1. Dezember 1977. Danach ist ein Lebensmitteleinzelhandel mit nicht wesentlich störenden Schallemissionen zulässig. Es handelt sich bei einem solchen Handel, der auf einer Fläche von 800 m2 betrieben wird, erkennbar nicht um einen gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 11 Abs. 3 BauNVO 1968 in einem Gewerbegebiet unzulässigen, der übergemeindlichen Versorgung dienenden Verbrauchermarkt. Die Beklagte ist daher wie tenoriert zu verpflichten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren kann nicht für notwendig erklärt werden, weil die Voraussetzungen des§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht vorliegen. Hinsichtlich des Zurückstellungsbescheides vom 27. August 2007 hat zwar ein Vorverfahren stattgefunden. Ein für die Zuziehungserklärung notwendiges nachfolgendes Klageverfahren ist dagegen von der Klägerin nicht angestrengt worden. Hinsichtlich des Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 16. September 2008 scheitert die begehrte Erklärung daran, dass ein Vorverfahren nicht notwendig war, weil die Klägerin diesen Bescheid in zulässiger Weise in ihre (Untätigkeits-) Klage einbezogen hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 709 ZPO.
Die Berufung wird gemäß §§ 124 a Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, weil die Fragen der Abgrenzung eines Nahversorgungsbereichs und der Konkretheit einer Verfahrensrüge im Sinne von § 215 BauGB grundsätzliche Bedeutung haben.