Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 08.12.2023, Az.: 2 B 38/23

abstrakte Gefahr; Erlass; konkrete Gefahr; Marokko; Rindertransport; Schächtung; Tierschutzrechtliche Untersagung eines Rindertransports nach Marokko

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
08.12.2023
Aktenzeichen
2 B 38/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 46593
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2023:1208.2B38.23.00

Amtlicher Leitsatz

§ 16a Abs. 1 TierSchG ist keine taugliche Rechtsgrundlage, um auf Landesebene Tiertransporte in bestimmte Staaten wegen dort bestehender allgemeiner, nicht konkreter Gefahren für den Tierschutz mit Hilfe eines Erlasses generell zu untersagen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens über die tierschutzrechtliche Untersagung eines Rindertransports nach Marokko.

Durch E-Mail vom 16.11.2023 zeigte die Antragstellerin dem Antragsgegner den geplanten Transport von 500 tragenden Färsen in 15 Lkw nach Marokko an. Die Quarantäne solle am 04.12.2023 beginnen und die Verladung sei für den 18./19.12.2023 vorgesehen. Es seien drei optionale Routen via Sete, Chalandray bzw. Blanquefort geplant.

Das Niedersächsische Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ergänzte den Runderlass vom 04.01.2021 durch Erlass vom 22.11.2023 dahingehend, dass der Transport von Rindern nach Ägypten, Algerien, Aserbaidschan, Irak, Iran, Jemen, Jordanien, Kasachstan, Kirgistan, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien, Tadschikistan, Tunesien, Turkmenistan und Usbekistan ab sofort und bis auf Weiteres nach § 16a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 TierSchG zu untersagen sei. Zur Begründung führte das Ministerium aus, dass die für das präventive Tätigwerden erforderliche Gefahr eines Verstoßes gegen § 1 Satz 2 TierSchG nach derzeitigem Erkenntnisstand bei Transporten in die vorgenannten Drittstaaten vorliege. Rinder, die unabhängig von ihrem Nutzungsweck in einen dieser Staaten exportiert werden sollten, befänden sich in der konkreten Gefahr, dort entweder sofort nach Ankunft oder in überschaubarer Zukunft auf eine Weise geschlachtet zu werden, die nach deutschem, europäischem und internationalem Tierschutzrecht tierschutzwidrig sei, weil in diesen Staaten betäubungslos geschlachtet werde. Auch in Anbetracht des Fehlens eines auf die Beachtung der Empfehlungen der Weltorganisation für Tiergesundheit gerichteten Handelsabkommens zwischen Deutschland und diesen Staaten bzw. einer fehlenden Umsetzung sei es hochgradig wahrscheinlich, dass die Schlachtung in diesen Staaten durch Schächtung erfolge. Nicht erforderlich für die Annahme einer konkreten Gefahr sei, dass die Örtlichkeit und der genaue Zeitpunkt der Schächtung der einzelnen Tiere und die näheren Umstände bestimmbar seien. Ferner sei mindestens hochgradig wahrscheinlich, dass vor und bei der Schächtung gegen die Tiere ein hohes Maß an Gewalt angewendet werde, wie Erzwingen der Schächtung durch Durchschneiden von Sehnen, Griff in die Augen, Ausstechen der Augen, Verdrehen des Schwanzes, Niederwerfen auf den Boden, Schläge mit Stöcken, Fußtritte gegen den Kopf, Ziehen und Zerren an hochempfindlichen Körperteilen, Durchführung der Schächtung durch mehrere (besonders schmerzhafte sägende) Halsschnitte, Hochziehen des Tieres oft nur an einem einzigen Bein und Ausführen des Halsschnitte an dem kopfunter hängenden Tier, Durchführung in Räumen mit größeren Blutmengen von zuvor geschächteten Tieren. Der Transport der Rinder würde hierfür eine nicht hinwegdenkbare Bedingung darstellen und wäre damit kausal. Im Anhang würden Quellen genannt, aus denen sich eine hohe Wahrscheinlichkeit für die genannten gewaltsamen Maßnahmen vor und bei der Schächtung ergäben.

Durch Schreiben vom 27.11.2023 machte die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner geltend, dass der Erlass vom 22.11.2023 rechtswidrig sei. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sei geklärt, dass eine tierschutzrechtliche Anordnung nach § 16a Abs. 1 TierSchG eine konkrete Gefahr erfordere. Die im Erlass angeführten Fälle seien völlig allgemein gehalten und ließen jeglichen Bezug zu ihr vermissen. Ebenso sei obergerichtlich bereits festgestellt worden, dass sie nach Beendigung des Transports nicht mehr zu dem Personenkreis gehöre, der für die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Vorgaben zuständig sei, weshalb sie nicht als Störerin in Betracht komme. Das Ministerium sei nicht berechtigt, Tiertransporte generell auszusetzen, und habe nun politisch motiviert, erneut einen rechtswidrigen Erlass herausgegeben, der unterschiedslos jegliche Transporte von Rindern in siebzehn Länder verhindern solle.

Mit Schreiben vom 27.11.2023 remonstrierte der Antragsgegner gegenüber dem Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gegen den Erlass vom 22.11.2023. Das Ministerium wies den Antragsgegner mit E-Mail vom 28.11.2023 an, den Tiertransport zu untersagen, und sagte die Übernahme der durch die Weisung entstehenden Kosten zu. Laut Vermerk vom 28.11.2023 kündigte die Antragstellerin in einer Telefonkonferenz mit dem Antragsgegner an, die Stückzahl zu reduzieren, um die wirtschaftlichen Folgen möglichst gering zu halten.

Nach Abstimmung mit dem Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin durch vom Bescheid 29.11.2023 den Tiertransport von 500 Zuchtrindern nach Marokko in der Zeit vom 18. bis 22. bzw. 19. bis 23.12.2023 und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung gab der Antragsgegner im Wesentlichen den Erlass vom 22.11.2023 wieder und führte ergänzend aus, dass zwischen Deutschland und Marokko kein Handelsabkommen zur Einhaltung der Empfehlungen der Weltorganisation für Tiergesundheit bestehe. Ungefähr 50 % der in Marokko geschlachteten Tiere würden außerhalb von Schlachthöfen auf religiösen Festen und in privaten Haushalten geschlachtet.

Die Antragstellerin hat am 04.12.2023 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, zugleich Klage (2 A 201/23) erhoben und trägt ergänzend vor, dass es sich ausschließlich um junge, erstmalig tragende Färsen zur Milchproduktion handele. Bereits aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sei der Verbleib im Zielbetrieb für mehrere Laktationen erforderlich. Die abnehmende Genossenschaft "Coopérative Agricole Laitière de Kénitra - Extralait" gehöre zu den sechs wichtigsten Molkereiunternehmen Marokkos. Diese habe ihr eidesstattlich versichert, dass die Tiere über einen längeren Zeitraum zur Milcherzeugung verwendet und die Mitgliedsbetriebe regelmäßig durch die zuständigen marokkanischen Überwachungsbehörden kontrolliert würden. Die von ihr selektierten, tragenden Rinder müssten nach Vorgaben des Veterinärzertifikats am 10.12.2023 für den Export nach Marokko geimpft werden. Ab diesem Zeitpunkt sei bei einer Alternativvermarktung in der Europäischen Union mit einem Mindererlös von 1.200 € je Tier zu rechnen. Ab Mitte Februar 2024 sei das erste Tier nicht mehr transportfähig. Die ersten der im Stadium von rund drei bis sechs Monaten trächtigen Färsen würden im April 2024 kalben.

Es lägen keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr vor. Die Untersagungsverfügung gehe auf ihre Angaben zum vorliegenden Einzelfall nicht ein. Die Ausführungen im Erlass seien völlig allgemein gehalten. Soweit in den angefügten Nachweisen überhaupt auf das Zielland Marokko Bezug genommen werde, handele es sich um wenige, bereits Jahre zurückliegende Einzelfälle. Auch könnten einzelne Quellen nicht als neutral gewertet werden. Insbesondere der Aufsatz Maisack/Rabitsch nenne keine aktuellen Quellen für die behaupteten Tierschutzverletzungen in Drittländern, sondern beschränke sich auf alte Darstellungen aus der Tierrechtsszene vom Hörensagen aus den Jahren 2014 bis 2019. Hinsichtlich Marokko werde lediglich eine tierschutzwidrige Schlachtung eines Rindes im Jahr 2019 angesprochen. Auch die zwei Verlinkungen zu der Tierrechtsgruppe Animals Angels e.V. enthielten keine Nachweise für eine konkrete Gefahr. Dort werde nur eine Schlachtung einer aus Deutschland, jedoch nicht von ihr importierten Kuh in Marokko im Jahr 2020 dokumentiert. Zwar könne ein Handelsabkommen die Gefahr einer abstrakten Gefahr weiter reduzieren, jedoch könne auf dessen Fehlen keine konkrete Gefahr gestützt werden. § 16a Abs. 1 TierSchG decke keine Maßnahmen der Gefahrenvorsorge.

Weiterhin habe sie einen Anspruch auf Abfertigung bzw. Erteilung des Ausfuhrstempels. Sie habe die erforderlichen Nachweise erbracht. Zweifel an der Plausibilität des beantragten Transports seien nicht geltend gemacht worden.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29.11.2023 wiederherzustellen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die für den 18. und 19.12.2023 vorgesehenen Transporte von 105 trächtigen Rindern nach Marokko abzufertigen und die Fahrtenbücher abzustempeln sowie durch einen Amtsveterinär abzuzeichnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er trägt ergänzend vor, dass die Tiere nach Erhalt der BHV-1-Impfung am 10.12.2023 nur noch mit seiner Zustimmung in der Bundesrepublik Deutschland vermarktet werden dürften, weshalb der Marktpreis entsprechend sinke.

Die Tötung von Rindern erfolge in Marokko per Schächtung, was dort "lege artis" sei. Diese Art der Tötung drohe sowohl den Milchkühen als auch deren Kälbern. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass nach Marokko ausgeführte Rinder mit erheblicher Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zeit nach Ankunft dort im Wege der Schächtung geschlachtet würden. Die Gefahr der Schächtung ergebe sich unabhängig vom Nutzungszweck daraus, dass alle Rinder in Marokko früher oder später in der Regel betäubungslos geschlachtet würden. Der Annahme einer konkreten Gefahr stehe nicht entgegen, dass die Tiere gegebenenfalls nicht alsbald nach Ankunft, sondern erst nach mehreren Abkalbungen geschlachtet würden. Die Gefahrenlage habe ihre wesentliche Ursache in den sehr ungünstigen Haltungsbedingungen in Marokko. Vor allem im Sommer sei es sehr heiß und trocken in Marokko, was sich negativ auf die Landwirtschaft auswirke, so dass den Rindern die erforderliche Futtergrundlage nicht zur Verfügung gestellt werden könne. Auch könnten die hohen Außentemperaturen zu Hitzestress bei den Tieren führen. Importierte Rinder seien zudem durch den Transport zusätzlich geschwächt. Diese Faktoren führten zu einer hohen Morbidität der Rinder. Aus diesen Gründen habe in Marokko trotz der Rinderimporte keine nachhaltige Milchwirtschaft aufgebaut werden können. Darüber hinaus böten die sehr hohen Fleischpreise den Tierhaltern einen starken Anreiz, die Kühe nach wenigen Laktationen zu schlachten. Dieser Anreiz sei bei männlichen Nachkommen, die im Alter von 18 bis 24 Monaten zur Fleischerzeugung verwendet würden, besonders hoch. Den von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen und Schriftsätzen seien keine Informationen zu entnehmen, ob, wann und wie die von der marokkanischen Genossenschaft importierten Rinder üblicherweise geschlachtet würden. Auch lägen keine Informationen dazu vor, wie viele der in den letzten Jahren durch die Antragstellerin an diesen Betrieb gelieferten Rinder heute noch lebten. Die eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Genossenschaft, dass die Färsen einen längeren Zeitraum für die Milchproduktion verwendet würden, sei sehr unbestimmt. Jedenfalls ändere die Verwendung zur Milchproduktion nichts daran, dass die Schlachtung nach einem wie auch immer zu bestimmenden Zeitraum wahrscheinlich sei. Es sei anzunehmen, dass nahezu alle Rinder in Marokko geschächtet würden. Anhaltspunkte dafür, dass die streitbefangenen Rinder abweichend von der üblichen Praxis in Marokko nicht geschächtet würden, habe die Antragstellerin nicht vorgetragen. Die Kausalkette werde nicht dadurch unterbrochen, dass die Schächtung der Rinder nicht unmittelbar im Anschluss an den Transport nach Marokko erfolge. Entscheidend sei, dass nach der Übergabe der Rinder in Marokko keinerlei Einfluss mehr auf die tierschutzgerechte Behandlung ausgeübt werden könne und die geschaffene Gefahrenlage sich nicht mehr verändere. Aufgrund der durchgehenden Praxis der Schächtung in Marokko erübrige sich eine weitergehende "einzelfallbezogene" Prognose. Das Schächten verstoße gegen § 1 Satz 2, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 4a Abs. 1 TierSchG, wonach warmblütige Tier nur unter Vermeidung von Schmerzen und betäubt geschlachtet werden dürften. Auch nach Art. 4 Abs. 1 VO (EG) 1099/2009 sei das Schlachten von Rindern grundsätzlich nur mit Betäubung erlaubt. Zudem verletze das Schlachten ohne Betäubung den "Terrestrial animal health code" der Weltorganisation für Tiergesundheit. Es sei nicht erforderlich, dass die Antragstellerin als Adressatin der Untersagungsverfügung Herrin über die tierschutzwidrigen Vorgänge sei. Das gefahrerhöhende Verhalten liege bereits in der Weggabe der während des Transports in ihrer Obhut stehenden Tiere, zumal sie keine Vereinbarung zur Verringerung der Gefahr der Schächtung getroffen habe. Zumindest sei die Antragstellerin Zweckveranlasserin, da die zu erwartenden Tierschutzverstöße die naheliegende und typische Folge ihres geplanten Handelns seien. Dass sich der Schutz der deutschen Tierschutzgesetze auch auf Tiere erstrecke, denen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Abgabe in andere Länder eine tierschutzwidrige Behandlung drohe, ergebe sich aus der Verordnungsermächtigung des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 TierSchG. Dass eine solche Verordnung nicht ergangen sei, stehe dem Erlass einer Anordnung nach § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG nicht entgegen.

II.

Der Antrag hat Erfolg.

A. Der Antrag auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) ist zulässig und begründet. Das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, weil die Rechtmäßigkeit der Untersagung des Tiertransports nach summarischer Prüfung ernstlichen Zweifeln begegnet.

Rechtsgrundlage der tierschutzrechtlichen Verfügung ist § 16a Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 TierSchG. Danach trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen; sie kann insbesondere im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen.

Die Tatbestandsvoraussetzungen sind nicht gegeben.

1. Es fehlt an einer konkreten Gefahr. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat im Beschluss vom 26.05.2021 (11 ME 117/21, juris Rn. 15) zu den rechtlichen Bewertungsmaßstäben für die Annahme einer solchen Gefahr ausgeführt:

"Aus dem Wortlaut und dem ordnungsrechtlichen Charakter von § 16 a Abs. 1 Satz 1 TierSchG folgt, dass die Behörde nicht abzuwarten braucht, bis ein Verstoß gegen das Tierschutzrecht stattgefunden hat (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, a.a.O., § 16 a TierSchG, Rn. 2). Andererseits ermächtigt § 16 a TierSchG nicht zu tierschutzrechtlichen Anordnungen der Gefahrenvorsorge oder zu Gefahrerforschungsmaßnahmen im Vorfeld konkreter tierschutzrechtlicher Gefahren (Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, a.a.O., § 16 a TierSchG, Rn. 2; Lorz/Metzger, TierSchG, 7. Aufl. 2019, § 16 a TierSchG, Rn. 6). Erforderlich ist vielmehr, dass eine konkrete Gefahr besteht (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.12.2020 - 20 B 1958/20 -, juris, Rn. 8; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, a.a.O., § 16 a TierSchG, Rn. 2; Lorz/Metzger, TierSchG, 7. Aufl. 2019, § 16 a TierSchG, Rn. 6). Eine konkrete Gefahr ist durch eine Sachlage gekennzeichnet, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird (vgl. § 2 Nr. 1 NPOG). Voraussetzung für den Erlass einer auf § 16 a Abs. 1 TierSchG gestützten behördlichen Anordnung ist also, dass in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein tierschutzwidriger Vorgang zu erwarten ist (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, a.a.O., § 16 a TierSchG, Rn. 2; Lorz/Metzger, TierSchG, 7. Aufl. 2019, § 16 a TierSchG, Rn. 6). Besteht noch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, sondern nur eine mehr oder minder entfernte Möglichkeit, dass es zu einem tierschutzrechtlichen Verstoß kommen wird, sind die Voraussetzungen für ein behördliches Einschreiten nach § 16 a Abs. 1 TierSchG nicht erfüllt (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, a.a.O., § 16 a TierSchG, Rn. 2; Lorz/Metzger, TierSchG, 7. Aufl. 2019, § 16 a TierSchG, Rn. 6). Entsprechendes gilt, wenn lediglich eine abstrakte Gefahr vorliegt, also eine nach allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen mögliche Sachlage, die im Fall ihres Eintritts eine Gefahr darstellt (vgl. § 2 Nr. 6 NPOG). Eine abstrakte Gefahr ist dadurch geprägt, dass aufgrund der Typik einer Situation ein Risiko einer großen Zahl von Fällen besteht (vgl. Pewestrof, in: Pewestrof/Söllner/Tölle, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2017, § 1 ASOG, Rn. 19). Anders als bei der konkreten Gefahr kann bei der abstrakten Gefahr auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden (BVerwG, Beschl. v. 24.10.1997 - 3 BN 1/97 -, juris, Rn. 4). Gegen abstrakte Gefahren ist in der Regel nicht durch individuelle behördliche Maßnahmen im Einzelfall, sondern durch abstrakt-generelle Mittel wie Rechtsverordnungen vorzugehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.10.1997 - 3 BN 1/97 -, juris, Rn. 4; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.12.2020 - 20 B 1958/20 -, juris, Rn. 8 und Rn. 12; Ulrich, in: Möstl/Weiner, Polizei- und Ordnungsrecht Niedersachsen, 2020, § 2 NPOG, Rn. 106). Speziell für den vorliegend betroffenen Fall der Verbringung bestimmter Tiere aus dem Inland in einen anderen Staat sieht § 12 Abs. 2 Nr. 3 TierSchG vor, dass das Bundesministerium mit Zustimmung des Bundesrates ermächtigt wird, eine Rechtsverordnung zu erlassen, soweit dies zum Schutz der Tiere erforderlich ist. Eine solche Verordnung, die den Transport von Rindern nach Marokko verbietet, liegt jedoch - soweit ersichtlich - bisher nicht vor. Zwar kann die örtlich zuständige Tierschutzbehörde auch beim Fehlen einer derartigen Verordnung auf § 16 a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 und Satz 2 Nr. 1 TierSchG gestützte Verbote erlassen (Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, a.a.O., § 12 TierSchG, Rn. 3; Lorz/Metzger, TierSchG, a.a.O., § 12 TierSchG, Rn. 8; VG Köln, Beschl. v. 18.11.2020 - 21 L 2135/20 -, juris, Rn. 50). Dies setzt allerdings, wie ausgeführt, voraus, dass im zu beurteilenden Einzelfall eine konkrete Gefahr vorliegt."

Nach diesen Maßstäben - denen sich die Kammer anschließt - beurteilt, mangelt es an der Darlegung, dass die Gefahr eines Schadenseintritts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im zu bewertenden Einzelfall besteht. Die materielle Darlegungs- und Beweislast hierfür liegt bei der Behörde (vgl. OVG NRW, B. v. 10.12.2020, 20 B 1985/20, juris Rn. 12). Der Antragsgegner beruft sich im Ergebnis auf die allgemeinen Tierhaltungs- und Schlachtungsbedingungen in Marokko, ohne substantiiert darzulegen, dass sich daraus auch für die streitbefangenen Färsen die konkrete Gefahr ergibt, in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit betäubungslos geschächtet oder anderen tierschutzwidrigen Behandlungen ausgesetzt zu werden. Die Antragstellerin hat geltend gemacht, dass es sich um erstmals tragende Färsen handelt, die zur Milchproduktion und nicht zur Schlachtung nach Marokko ausgeführt werden sollen. Aus der eidesstattlichen Erklärung der marokkanischen Genossenschaft geht hervor, dass deren Mitglieder Milchproduzenten und Züchter von Milchkühen sind, die Färsen über einen längeren Zeitraum für die Milchproduktion verwendet werden sollen und dabei von den zuständigen marokkanischen Behörden kontrolliert werden. Konkrete tierschutzrechtliche Gefahren lassen sich aus der so beabsichtigten Tierhaltung nicht ableiten. Allein daraus, dass das Schächten eine in Marokko übliche und weitverbreitete Form des Schlachtens ist, lässt sich ohne entsprechende Anhaltspunkte nicht hinreichend sicher ableiten, dass dies auch den streitbefangenen Färsen und ihren Kälbern droht. Der darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegner hat keinerlei Erkenntnisse zu der Art und Weise der Schlachtung sowie zum Umgang mit Kälbern durch die aufnehmende marokkanische Molkereigenossenschaft vorgetragen. Auch sonst liegen dem Gericht keine Erkenntnisse hierzu vor. Das gleiche gilt hinsichtlich des allgemeinen Vorbringens des Antragsgegners, dass die ungünstigen klimatischen Verhältnisse und sonstigen Haltungsbedingungen in Marokko tierschutzrechtliche Verstöße wahrscheinlich machten. Auch dabei handelt es sich um allgemeine Erwägungen, ohne dass der hier maßgebliche Einzelfall in den Blick genommen wird. Eine Beweislastumkehr oder eine Regelvermutung lässt sich aus einer solchen allgemeinen Erkenntnislage über die Schlachtungs- und Tierhaltungspraxis in einem bestimmten Land nicht ableiten (vgl. OVG NRW, ebenda). Dementsprechend obliegt es nicht der Antragstellerin den sicheren Nachweis - etwa durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen oder Erklärungen des Abnehmers - zu führen, dass es keinesfalls zu tierschutzwidrigen Behandlungen der ausgeführten Rinder kommen wird, sondern vielmehr der Behörde, hinreichend einzelfallbezogene Anhaltspunkte für eine konkrete Tierschutzgefährdung zu benennen.

Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass im Allgemeinen erhebliche tierschutzrechtliche Defizite in Marokko bestehen dürften; allein folgt daraus nicht, dass diese sich auch in jedem konkreten Einzelfall realisieren müssen. Letztlich legen sämtliche Ausführungen des Antragsgegners nur abstrakte - nicht konkret auf den Einzelfall bezogene - Gefahren bei Rinderexporten nach Marokko dar. Derartige abstrakte Gefahren mögen zwar den Erlass einer Rechtsverordnung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 TierSchG tragen (vgl. Nds. OVG, ebenda; OVG NRW, ebenda). Jedoch besteht eine solche Verordnung nicht. Auch wäre weder der Antragsgegner noch das diesen anweisende Landesministerium, sondern das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft für deren Erlass zuständig. § 16a Abs. 1 TierSchG ist keine taugliche Rechtsgrundlage, um auf Landesebene Tiertransporte in bestimmte Staaten wegen dort bestehender allgemeiner Gefahren für den Tierschutz mit Hilfe eines Erlasses generell zu untersagen. Hierfür bleibt dem Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz nur die Möglichkeit, auf bundespolitischer Ebene auf den Erlass einer entsprechenden Verordnung durch das Bundesministerium hinzuwirken.

2. Hinzu kommt, dass die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit der Antragstellerin für die vom Antragsgegner zukünftig erwarteten, tierschutzrechtlichen Verstöße mindestens zweifelhaft ist.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat dazu ausgeführt (a.a.O, juris Rn. 20):

"Darüber hinaus ist schließlich zumindest fraglich, ob die Antragstellerin für die von dem Antragsgegner allgemein angeführten Missstände bei der Rinderhaltung in Marokko als "Störerin" und damit im ordnungsrechtlichen Sinne als Verantwortliche herangezogen werden kann (vgl. zum richtigen Adressaten einer auf § 16 a Abs. 1 Satz 1 TierSchG gestützten Anordnung: Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, a.a.O., § 16 a TierSchG, Rn. 3). Nach Beendigung des Transports dürfte die Antragstellerin nicht mehr zu dem Personenkreis gehören, der für die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Vorgaben zuständig ist. Die Annahme einer fortdauernden Verantwortlichkeit wegen des Transports und/oder der früheren Haltung/Betreuung der Rinder begegnet zumindest dann erheblichen Bedenken, wenn die Rinder, wofür hier keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, nicht sofort im Anschluss an den Transport tierschutzwidrig behandelt werden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.12.2020 - 20 B 1958/20 -, juris, Rn. 9)."

Auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat in vergleichbarer Weise die Störereigenschaft des Transporteurs in Frage gestellt (vgl. B. v. 10.12.2020, 20 B 1958/20, juris Rn. 9):

"Die Antragstellerin zählt wahrscheinlich spätestens nach Abschluss des Transports in Marokko nicht mehr zu dem Personenkreis, dem nach diesen Vorschriften Pflichten hinsichtlich der Tiere obliegen. Die Annahme einer fortdauernden Verantwortlichkeit wegen des Transports und/oder früherer Haltung/Betreuung begegnet zumindest dann erheblichen Bedenken, wenn die Rinder, wofür nichts konkret Greifbares spricht, nicht sofort im Anschluss an den Transport tierschutzwidrig behandelt werden."

Wie zuvor dargelegt, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass den Färsen unmittelbar nach ihrer Ankunft eine tierschutzwidrige Behandlung, insbesondere durch Schächtung, droht. Nach dem Vorbringen der Antragstellerin sollen diese zur Milchproduktion und nicht zur Schlachtung exportiert werden.

3. Unmittelbar den Transport betreffende, konkrete Gefahren für den Tierschutz, insbesondere hinsichtlich der Streckenplanung, der Ruhepausen und der eingesetzten Lkw, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

B. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist ebenfalls zulässig und begründet. Danach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Zudem hat der Antragsteller den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund glaubhaft zu machen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei darf die Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden, es sei denn, dass eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. Nds. OVG, B. v. 15.04.2020, 8 ME 36/20, juris Rn. 9).

Der Anordnungsanspruch ist gegeben. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Abfertigung durch den Antragsgegner, insbesondere darauf, dass das Fahrtenbuch mit einem Stempel i.S.d. Art. 14 Abs. 1 c) VO (EG) Nr. 1/2005 versehen wird. Anhaltspunkte dafür, dass die in Art. 14 Abs. 1 a) VO (EG) Nr. 1/2005 genannten Voraussetzungen (insbesondere Zulassungen des Transportunternehmers, Zulassungsnachweise für Transportmittel, Befähigungsnachweise für Fahrer und Betreuer, wirklichkeitsnahe Angaben im Fahrtenbuch, allgemeine Beförderungsbedingungen nach Art. 3) nicht gegeben sind, sind weder vom Antragsgegner vorgetragen noch aus den von der Antragstellerin vorgelegten Dokumenten ersichtlich.

Der Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit, besteht ebenfalls. Die Antragstellerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass ein zeitnaher Transport erforderlich ist, weil die ersten Färsen aufgrund ihrer Trächtigkeit ab Mitte Februar 2024 nicht mehr transportfähig sein werden und ihr ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden bei Nichtdurchführung des Transports droht.

Schließlich rechtfertigt dies auch ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache. Vor dem Hintergrund, dass die erstmalig trächtigen Färsen bereits ab April 2024 kalben, ist die Antragstellerin zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen und zur Abwendung der sonst drohenden wirtschaftlichen Nachteile darauf angewiesen, dass ihr Rechtschutz nicht erst mit der Entscheidung in der Hauptsache gewährt wird.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog.